Es gibt allerwegen

Unglücks genug – Ein Ruffi ist gegangen

Im Glarner Land und eine ganze Seite

Vom Glärnisch eingesunken.

TELL.

Wanken auch

Die Berge selbst? Es steht nichts fest auf Erden.

STÜSSI.

Auch anderswo vernimmt man Wunderdinge.

Da sprach ich einen, der von Baden kam.

Ein Ritter wollte zu dem König reiten,

Und unterwegs begegnet ihm ein Schwarm

Von Hornissen, die fallen auf sein Roß,

Daß es für Marter tot zu Boden sinkt,

Und er zu Fuße ankommt bei dem König.

TELL.

Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben.

 

Armgard kommt mit mehreren Kindern und stellt sich an den Eingang des Hohlwegs.

 

STÜSSI.

Man deutets auf ein großes Landesunglück,

Auf schwere Taten wider die Natur.

TELL.

Dergleichen Taten bringet jeder Tag,

Kein Wunderzeichen braucht sie zu verkünden.

STÜSSI.

Ja, wohl dem, der sein Feld bestellt in Ruh

Und ungekränkt daheim sitzt bei den Seinen.

TELL.

Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben,

Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.

 

Tell sieht oft mit unruhiger Erwartung nach der Höhe des Weges.

 

STÜSSI.

Gehabt Euch wohl – Ihr wartet hier auf jemand?

TELL.

Das tu ich.

STÜSSI.

Frohe Heimkehr zu den Euren!

– Ihr seid aus Uri? Unser gnädger Herr

Der Landvogt wird noch heut von dort erwartet.

WANDERER kommt.

Den Vogt erwartet heut nicht mehr. Die Wasser

Sind ausgetreten von dem großen Regen,

Und alle Brücken hat der Strom zerissen.

 

Tell steht auf.

 

ARMGARD kommt vorwärts.

Der Landvogt kommt nicht!

STÜSSI.

Sucht Ihr was an ihn?

ARMGARD.

Ach freilich!

STÜSSI.

Warum stellet Ihr Euch denn

In dieser hohlen Gaß ihm in den Weg?

ARMGARD.

Hier weicht er mir nicht aus, er muß mich hören.

FRIESSHARDT kommt eilfertig den Hohlweg herab und ruft in die Szene.

Man fahre aus dem Weg – Mein gnädger Herr

Der Landvogt kommt dicht hinter mir geritten.

 

Tell geht ab.

 

ARMGARD lebhaft.

Der Landvogt kommt!

 

Sie geht mit ihren Kindern nach der vordern Szene. Geßler und Rudolf der Harras zeigen sich zu Pferd auf der Höhe des Wegs.

 

STÜSSI zum Frießhardt.

Wie kamt ihr durch das Wasser,

Da doch der Strom die Brücken fortgeführt?

FRIESSHARDT.

Wir haben mit dem See gefochten, Freund,

Und fürchten uns vor keinem Alpenwasser.

STÜSSI.

Ihr wart zu Schiff in dem gewaltgen Sturm?

FRIESSHARDT.

Das waren wir. Mein Lebtag denk ich dran –

STÜSSI.

O bleibt, erzählt!

FRIESSHARDT.

Laßt mich, ich muß voraus,

Den Landvogt muß ich in der Burg verkünden.

 

Ab.

 

STÜSSI.

Wärn gute Leute auf dem Schiff gewesen,

In Grund gesunken wärs mit Mann und Maus,

Dem Volk kann weder Wasser bei noch Feuer.

 

Er sieht sich um.

 

Wo kam der Weidmann hin, mit dem ich sprach?

 

Geht ab.

 

Geßler und Rudolf der Harras zu Pferd.

 

GESSLER.

Sagt, was Ihr wollt, ich bin des Kaisers Diener

Und muß drauf denken, wie ich ihm gefalle.

Er hat mich nicht ins Land geschickt, dem Volk

Zu schmeicheln und ihm sanft zu tun – Gehorsam

Erwartet er, der Streit ist, ob der Bauer

Soll Herr sein in dem Lande oder der Kaiser.

ARMGARD.

Jetzt ist der Augenblick! Jetzt bring ichs an!

 

Nähert sich furchtsam.

 

GESSLER.

Ich hab den Hut nicht aufgesteckt zu Altorf

Des Scherzes wegen, oder um die Herzen

Des Volks zu prüfen, diese kenn ich längst.

Ich hab ihn aufgesteckt, daß sie den Nacken

Mir lernen beugen, den sie aufrecht tragen –

Das Unbequeme hab ich hingepflanzt

Auf ihren Weg, wo sie vorbeigehn müssen,

Daß sie drauf stoßen mit dem Aug, und sich

Erinnern ihres Herrn, den sie vergessen.

RUDOLF DER HARRAS.

Das Volk hat aber doch gewisse Rechte –

GESSLER.

Die abzuwägen, ist jetzt keine Zeit!

– Weitschichtge Dinge sind im Werk und Werden,

Das Kaiserhaus will wachsen, was der Vater

Glorreich begonnen, will der Sohn vollenden.

Dies kleine Volk ist uns ein Stein im Weg –

So oder so – es muß sich unterwerfen.

 

Sie wollen vorüber. Die Frau wirft sich vor dem Landvogt nieder.

 

ARMGARD.

Barmherzigkeit, Herr Landvogt! Gnade! Gnade!

GESSLER.

Was dringt Ihr Euch auf offner Straße mir

In Weg – Zurück!

ARMGARD.

Mein Mann liegt im Gefängnis,

Die armen Waisen schrein nach Brot – Habt Mitleid,

Gestrenger Herr, mit unserm großen Elend.

RUDOLF DER HARRAS.

Wer seid Ihr? Wer ist Euer Mann?

ARMGARD.

Ein armer

Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,

Der überm Abgrund weg das freie Gras

Abmähet von den schroffen Felsenwänden,

Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen –

RUDOLF DER HARRAS zum Landvogt.

Bei Gott, ein elend und erbärmlich Leben!

Ich bitt Euch, gebt ihn los, den armen Mann,

Was er auch Schweres mag verschuldet haben,

Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk.

 

Zu der Frau.

 

Euch soll Recht werden – Drinnen auf der Burg

Nennt Eure Bitte – Hier ist nicht der Ort.

ARMGARD.

Nein, nein, ich weiche nicht von diesem Platz,

Bis mir der Vogt den Mann zurückgegeben!

Schon in den sechsten Mond liegt er im Turm

Und harret auf den Richterspruch vergebens.

GESSLER.

Weib, wollt Ihr mir Gewalt antun, hinweg.

ARMGARD.

Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter

Im Lande an des Kaisers Statt und Gottes.

Tu deine Pflicht! So du Gerechtigkeit

Vom Himmel hoffest, so erzeig sie uns.

GESSLER.

Fort, schafft das freche Volk mir aus den Augen.

ARMGARD greift in die Zügel des Pferdes.

Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren.

– Du kommst nicht von der Stelle, Vogt, bis du

Mir Recht gesprochen – Falte deine Stirne,

Rolle die Augen, wie du willst – Wir sind

So grenzenlos unglücklich, daß wir nichts

Nach deinem Zorn mehr fragen –

GESSLER.

Weib, mach Platz,

Oder mein Roß geht über dich hinweg.

ARMGARD.

Laß es über mich dahingehn – Da –

 

Sie reißt ihre Kinder zu Boden und wirft sich mit ihnen ihm in den Weg.

 

Hier lieg ich

Mit meinen Kindern – Laß die armen Waisen

Von deines Pferdes Huf zertreten werden,

Es ist das Ärgste nicht, was du getan –

RUDOLF DER HARRAS.

Weib, seid Ihr rasend?

ARMGARD heftiger fortfahrend.

Tratest du doch längst

Das Land des Kaisers unter deine Füße!

– O ich bin nur ein Weib! Wär ich ein Mann,

Ich wüßte wohl was Besseres, als hier

Im Staub zu liegen –

 

Man hört die vorige Musik wieder auf der Höhe des Wegs, aber gedämpft.

 

GESSLER.

Wo sind meine Knechte?

Man reiße sie von hinnen, oder ich

Vergesse mich und tue, was mich reuet.

RUDOLF DER HARRAS.

Die Knechte können nicht hindurch, o Herr,

Der Hohlweg ist gesperrt durch eine Hochzeit.

GESSLER.

Ein allzu milder Herrscher bin ich noch

Gegen dies Volk – die Zungen sind noch frei,

Es ist noch nicht ganz, wie es soll, gebändigt –

Doch es soll anders werden, ich gelob es,

Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,

Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.

Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen

Verkündigen – Ich will –

 

Ein Pfeil durchbohrt ihn, er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken. Mit matter Stimme.

 

Gott sei mir gnädig!

RUDOLF DER HARRAS.

Herr Landvogt – Gott was ist das? Woher kam das?

ARMGARD auffahrend.

Mord! Mord! Er taumelt, sinkt! Er ist getroffen!

Mitten ins Herz hat ihn der Pfeil getroffen!

RUDOLF DER HARRAS springt vom Pferde.

Welch gräßliches Ereignis – Gott – Herr Ritter –

Ruft die Erbarmung Gottes an – Ihr seid

Ein Mann des Todes! –

GESSLER.

Das ist Tells Geschoß.

 

Ist vom Pferd herab dem Rudolf Harras in die Arme gegleitet und wird auf der Bank niedergelassen.

 

TELL erscheint oben auf der Höhe des Felsen.

Du kennst den Schützen, suche keinen andern!

Frei sind die Hütten, sicher ist die Unschuld

Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden.

 

Verschwindet von der Höhe. Volk stürzt herein.

 

STÜSSI voran.

Was gibt es hier? Was hat sich zugetragen?

ARMGARD.

Der Landvogt ist von einem Pfeil durchschossen.

VOLK im Hereinstürzen.

Wer ist erschossen?

 

Indem die vordersten von dem Brautzug auf die Szene kommen, sind die hintersten noch auf der Höhe, und die Musik geht fort.

 

RUDOLF DER HARRAS.

Er verblutet sich.

Fort, schaffet Hilfe! Setzt dem Mörder nach!

– Verlorner Mann, so muß es mit dir enden,

Doch meine Warnung wolltest du nicht hören!

STÜSSI.

Bei Gott! da liegt er bleich und ohne Leben!

VIELE STIMMEN.

Wer hat die Tat getan?

RUDOLF DER HARRAS.

Rast dieses Volk,

Daß es dem Mord Musik macht? Laßt sie schweigen.

 

Musik bricht plötzlich ab, es kommt noch mehr Volk nach.

 

Herr Landvogt, redet, wenn Ihr könnt – Habt Ihr

Mir nichts mehr zu vertraun?

 

Geßler gibt Zeichen mit der Hand, die er mit Heftigkeit wiederholt, da sie nicht gleich verstanden werden.

 

Wo soll ich hin?

– Nach Küßnacht? – Ich versteh Euch nicht – O werdet

Nicht ungeduldig – Laßt das Irdische,

Denkt jetzt, Euch mit dem Himmel zu versöhnen.

 

Die ganze Hochzeitgesellschaft umsteht den Sterbenden mit einem fühllosen Grausen.

 

STÜSSI.

Sieh, wie er bleich wird – Jetzt, jetzt tritt der Tod

Ihm an das Herz – die Augen sind gebrochen.

ARMGARD hebt ein Kind empor.

Seht, Kinder, wie ein Wüterich verscheidet!

RUDOLF DER HARRAS.

Wahnsinnge Weiber, habt ihr kein Gefühl,

Daß ihr den Blick an diesem Schrecknis weidet?

– Helft – Leget Hand an – Steht mir niemand bei,

Den Schmerzenspfeil ihm aus der Brust zu ziehn?

WEIBER treten zurück.

Wir ihn berühren, welchen Gott geschlagen!

RUDOLF DER HARRAS.

Fluch treff euch und Verdammnis!

 

Zieht das Schwert.

 

STÜSSI fällt ihm in den Arm.

Wagt es, Herr!

Eur Walten hat ein Ende. Der Tyrann

Des Landes ist gefallen. Wir erdulden

Keine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen.

ALLE tumultuarisch.

Das Land ist frei.

RUDOLF DER HARRAS.

Ist es dahin gekommen?

Endet die Furcht so schnell und der Gehorsam?

 

Zu den Waffenknechten, die hereindringen.

 

Ihr seht die grausenvolle Tat des Mords,

Die hier geschehen – Hülfe ist umsonst –

Vergeblich ists, dem Mörder nachzusetzen.

Uns drängen andre Sorgen – Auf, nach Küßnacht,

Daß wir dem Kaiser seine Feste retten!

Denn aufgelöst in diesem Augenblick

Sind aller Ordnung, aller Pflichten Bande,

Und keines Mannes Treu ist zu vertrauen.

 

Indem er mit den Waffenknechten abgeht, erscheinen sechs Barmherzige Brüder.

 

ARMGARD.

Platz! Platz! Da kommen die Barmherzgen Brüder.

STÜSSI.

Das Opfer liegt – Die Raben steigen nieder.

BARMHERZIGE BRÜDER schließen einen Halbkreis um den Toten und singen in tiefem Ton.

Rasch tritt der Tod den Menschen an,

Es ist ihm keine Frist gegeben,

Es stürzt ihn mitten in der Bahn,

Es reißt ihn fort vom vollen Leben,

Bereitet oder nicht, zu gehen,

Er muß vor seinen Richter stehen!

 

Indem die letzten Zeilen wiederholt werden, fällt der Vorhang.

 

 

Fünfter Aufzug

 

Erste Szene

Öffentlicher Platz bei Altorf.

Im Hintergrunde rechts die Feste Zwing Uri mit dem noch stehenden Baugerüste wie in der dritten Szene des ersten Aufzugs; links eine Aussicht in viele Berge hinein, auf welchen allen Signalfeuer brennen. Es ist eben Tagesanbruch, Glocken ertönen aus verschiedenen Fernen.

Ruodi, Kuoni, Werni, Meister Steinmetz und viele andre Landleute, auch Weiber und Kinder.

 

RUODI.

Seht ihr die Feuersignale auf den Bergen?

STEINMETZ.

Hört ihr die Glocken drüben überm Wald?

RUODI.

Die Feinde sind verjagt.

STEINMETZ.

Die Burgen sind erobert.

RUODI.

Und wir im Lande Uri dulden noch

Auf unserm Boden das Tyrannenschloß?

Sind wir die letzten, die sich frei erklären?

STEINMETZ.

Das Joch soll stehen, das uns zwingen wollte?

Auf, reißt es nieder!

ALLE.

Nieder! Nieder! Nieder!

RUODI.

Wo ist der Stier von Uri?

STIER VON URI.

Hier. Was soll ich?

RUODI.

Steigt auf die Hochwacht, blast in Euer Horn,

Daß es weitschmetternd in die Berge schalle,

Und jedes Echo in den Felsenklüften

Aufweckend, schnell die Männer des Gebirgs

Zusammenrufe.

 

Stier von Uri geht ab. Walter Fürst kommt.

 

WALTER FÜRST.

Haltet, Freunde! Haltet!

Noch fehlt uns Kunde, was in Unterwalden

Und Schwyz geschehen. Laßt uns Boten erst

Erwarten.

RUODI.

Was erwarten? Der Tyrann

Ist tot, der Tag der Freiheit ist erschienen.

STEINMETZ.

Ists nicht genug an diesen flammenden Boten,

Die ringsherum auf allen Bergen leuchten?

RUODI.

Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber!

Brecht das Gerüste! Sprengt die Bogen! Reißt

Die Mauern ein! Kein Stein bleib auf dem andern.

STEINMETZ.

Gesellen, kommt! Wir habens aufgebaut,

Wir wissens zu zerstören.

ALLE.

Kommt! reißt nieder.

 

Sie stürzen sich von allen Seiten auf den Bau.

 

WALTER FÜRST.

Es ist im Lauf. Ich kann sie nicht mehr halten.

 

Melchthal und Baumgarten kommen.

 

MELCHTHAL.

Was? Steht die Burg noch und Schloß Sarnen liegt

In Asche und der Roßberg ist gebrochen?

WALTER FÜRST.

Seid Ihr es, Melchthal? Bringt Ihr uns die Freiheit?

Sagt! Sind die Lande alle rein vom Feind?

MELCHTHAL umarmt ihn.

Rein ist der Boden. Freut Euch, alter Vater!

In diesem Augenblicke, da wir reden,

Ist kein Tyrann mehr in der Schweizer Land.

WALTER FÜRST.

O sprecht, wie wurdet ihr der Burgen mächtig?

MELCHTHAL.

Der Rudenz war es, der das Sarner Schloß

Mit männlich kühner Wagetat gewann,

Den Roßberg hatt ich nachts zuvor erstiegen.

– Doch höret, was geschah. Als wir das Schloß

Vom Feind geleert, nun freudig angezündet,

Die Flamme prasselnd schon zum Himmel schlug,

Da stürzt der Diethelm, Geßlers Bub, hervor

Und ruft, daß die Bruneckerin verbrenne.

WALTER FÜRST.

Gerechter Gott!

 

Man hört die Balken des Gerüstes stürzen.

 

MELCHTHAL.

Sie war es selbst, war heimlich

Hier eingeschlossen auf des Vogts Geheiß.

Rasend erhub sich Rudenz – denn wir hörten

Die Balken schon, die festen Pfosten stürzen,

Und aus dem Rauch hervor den Jammerruf

– Der Unglückseligen.

WALTER FÜRST.

Sie ist gerettet?

MELCHTHAL.

Da galt Geschwindsein und Entschlossenheit!

– Wär er nur unser Edelmann gewesen,

Wir hätten unser Leben wohl geliebt,

Doch er war unser Eidgenoß, und Berta

Ehrte das Volk – So setzten wir getrost

Das Leben dran, und stürzten in das Feuer.

WALTER FÜRST.

Sie ist gerettet?

MELCHTHAL.

Sie ists. Rudenz und ich,

Wir trugen sie selbander aus den Flammen,

Und hinter uns fiel krachend das Gebälk.

– Und jetzt, als sie gerettet sich erkannte,

Die Augen aufschlug zu dem Himmelslicht,

Jetzt stürzte mir der Freiherr an das Herz,

Und schweigend ward ein Bündnis jetzt beschworen,

Das fest gehärtet in des Feuers Glut

Bestehen wird in allen Schicksalsproben –

WALTER FÜRST.

Wo ist der Landenberg?

MELCHTHAL.

Über den Brünig.

Nicht lags an mir, daß er das Licht der Augen

Davontrug, der den Vater mir geblendet.

Nach jagt ich ihm, erreicht ihn auf der Flucht

Und riß ihn zu den Füßen meines Vaters.

Geschwungen über ihm war schon das Schwert,

Von der Barmherzigkeit des blinden Greises

Erhielt er flehend das Geschenk des Lebens.

Urfehde schwur er, nie zurückzukehren,

Er wird sie halten, unsern Arm hat er

Gefühlt.

WALTER FÜRST.

Wohl Euch, daß Ihr den reinen Sieg

Mit Blute nicht geschändet!

KINDER eilen mit Trümmern des Gerüstes über die Szene.

Freiheit! Freiheit!

 

Das Horn von Uri wird mit Macht geblasen.

 

WALTER FÜRST.

Seht, welch ein Fest! Des Tages werden sich

Die Kinder spät als Greise noch erinnern.

 

Mädchen bringen den Hut auf einer Stange getragen, die ganze Szene füllt sich mit Volk an.

 

RUODI.

Hier ist der Hut, dem wir uns beugen mußten.

BAUMGARTEN.

Gebt uns Bescheid, was damit werden soll.

WALTER FÜRST.

Gott! Unter diesem Hute stand mein Enkel!

MEHRERE STIMMEN.

Zerstört das Denkmal der Tyrannenmacht!

Ins Feuer mit ihm!

WALTER FÜRST.

Nein, laßt ihn aufbewahren!

Der Tyrannei mußt er zum Werkzeug dienen,

Er soll der Freiheit ewig Zeichen sein!

 

Die Landleute, Männer, Weiber und Kinder stehen und sitzen auf den Balken des zerbrochenen Gerüstes malerisch gruppiert in einem großen Halbkreis umher.

 

MELCHTHAL.

So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern

Der Tyrannei, und herrlich ists erfüllt,

Was wir im Rütli schwuren, Eidgenossen.

WALTER FÜRST.

Das Werk ist angefangen, nicht vollendet.

Jetzt ist uns Mut und feste Eintracht not,

Denn seid gewiß, nicht säumen wird der König,

Den Tod zu rächen seines Vogts, und den

Vertriebnen mit Gewalt zurückzuführen.

MELCHTHAL.

Er zieh heran mit seiner Heeresmacht,

Ist aus dem Innern doch der Feind verjagt,

Dem Feind von außen wollen wir begegnen.

RUODI.

Nur wen'ge Pässe öffnen ihm das Land,

Die wollen wir mit unsern Leibern decken.

BAUMGARTEN.

Wir sind vereinigt durch ein ewig Band,

Und seine Heere sollen uns nicht schrecken!

 

Rösselmann und Stauffacher kommen.

 

RÖSSELMANN im Eintreten.

Das sind des Himmels furchtbare Gerichte.

LANDLEUTE.

Was gibts?

RÖSSELMANN.

In welchen Zeiten leben wir!

WALTER FÜRST.

Sagt an, was ist es? – Ha, seid Ihrs, Herr Werner?

Was bringt Ihr uns?

LANDLEUTE.

Was gibts?

RÖSSELMANN.

Hört und erstaunet!

STAUFFACHER.

Von einer großen Furcht sind wir befreit –

RÖSSELMANN.

Der Kaiser ist ermordet.

WALTER FÜRST.

Gnädger Gott!

 

Landleute machen einen Aufstand und umdrängen den Stauffacher.

 

ALLE.

Ermordet! Was! Der Kaiser! Hört! Der Kaiser!

MELCHTHAL.

Nicht möglich! Woher kam Euch diese Kunde?

STAUFFACHER.

Es ist gewiß. Bei Bruck fiel König Albrecht

Durch Mörders Hand – ein glaubenswerter Mann,

Johannes Müller, bracht es von Schaffhausen.

WALTER FÜRST.

Wer wagte solche grauenvolle Tat?

STAUFFACHER.

Sie wird noch grauenvoller durch den Täter.

Es war sein Neffe, seines Bruders Kind,

Herzog Johann von Schwaben, ders vollbrachte.

MELCHTHAL.

Was trieb ihn zu der Tat des Vatermords?

STAUFFACHER.

Der Kaiser hielt das väterliche Erbe

Dem ungeduldig Mahnenden zurück,

Es hieß, er denk ihn ganz darum zu kürzen,

Mit einem Bischofshut ihn abzufinden.

Wie dem auch sei – der Jüngling öffnete

Der Waffenfreunde bösem Rat sein Ohr,

Und mit den edeln Herrn von Eschenbach,

Von Tegerfelden, von der Wart und Palm

Beschloß er, da er Recht nicht konnte finden,

Sich Rach zu holen mit der eignen Hand.

WALTER FÜRST.

O sprecht, wie ward das Gräßliche vollendet?

STAUFFACHER.

Der König ritt herab vom Stein zu Baden,

Gen Rheinfeld, wo die Hofstatt war, zu ziehn,

Mit ihm die Fürsten, Hans und Leopold,

Und ein Gefolge hochgeborner Herren.

Und als sie kamen an die Reuß, wo man

Auf einer Fähre sich läßt übersetzen,

Da drängten sich die Mörder in das Schiff,

Daß sie den Kaiser vom Gefolge trennten.

Drauf, als der Fürst durch ein geackert Feld

Hinreitet – eine alte große Stadt

Soll drunter liegen aus der Heiden Zeit –

Die alte Feste Habsburg im Gesicht,

Wo seines Stammes Hoheit ausgegangen –

Stößt Herzog Hans den Dolch ihm in die Kehle,

Rudolf von Palm durchrennt ihn mit dem Speer,

Und Eschenbach zerspaltet ihm das Haupt,

Daß er heruntersinkt in seinem Blut,

Gemordet von den Seinen, auf dem Seinen.

Am andern Ufer sahen sie die Tat,

Doch durch den Strom geschieden, konnten sie

Nur ein ohnmächtig Wehgeschrei erheben;

Am Wege aber saß ein armes Weib,

In ihrem Schoß verblutete der Kaiser.

MELCHTHAL.

So hat er nur sein frühes Grab gegraben,

Der unersättlich alles wollte haben!

STAUFFACHER.

Ein ungeheurer Schrecken ist im Land umher,

Gesperrt sind alle Pässe des Gebirgs,

Jedweder Stand verwahret seine Grenzen,

Die alte Zürich selbst schloß ihre Tore,

Die dreißig Jahr lang offen standen, zu,

Die Mörder fürchtend und noch mehr – die Rächer.

Denn mit des Bannes Fluch bewaffnet, kommt

Der Ungarn Königin, die strenge Agnes,

Die nicht die Milde kennet ihres zarten

Geschlechts, des Vaters königliches Blut

Zu rächen an der Mörder ganzem Stamm,

An ihren Knechten, Kindern, Kindeskindern,

Ja an den Steinen ihrer Schlösser selbst.

Geschworen hat sie, ganze Zeugungen

Hinabzusenden in des Vaters Grab,

In Blut sich wie in Maientau zu baden.

MELCHTHAL.

Weiß man, wo sich die Mörder hingeflüchtet?

STAUFFACHER.

Sie flohen alsbald nach vollbrachter Tat

Auf fünf verschiednen Straßen auseinander

Und trennten sich, um nie sich mehr zu sehn –

Herzog Johann soll irren im Gebirge.

WALTER FÜRST.

So trägt die Untat ihnen keine Frucht!

Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie

Die fürchterliche Nahrung, ihr Genuß

Ist Mord, und ihre Sättigung das Grausen.

STAUFFACHER.

Den Mördern bringt die Untat nicht Gewinn,

Wir aber brechen mit der reinen Hand

Des blutgen Frevels segenvolle Frucht.

Denn einer großen Furcht sind wir entledigt,

Gefallen ist der Freiheit größter Feind,

Und wie verlautet, wird das Szepter gehn

Aus Habsburgs Haus zu einem andern Stamm,

Das Reich will seine Wahlfreiheit behaupten.

WALTER FÜRST UND MEHRERE.

Vernahmt Ihr was?

STAUFFACHER.

Der Graf von Luxemburg

Ist von den mehrsten Stimmen schon bezeichnet.

WALTER FÜRST.

Wohl uns, daß wir beim Reiche treu gehalten,

Jetzt ist zu hoffen auf Gerechtigkeit!

STAUFFACHER.

Dem neuen Herrn tun tapfre Freunde not,

Er wird uns schirmen gegen Östreichs Rache.

 

Die Landleute umarmen einander.

 

Sigrist mit einem Reichsboten.

 

SIGRIST.

Hier sind des Landes würdge Oberhäupter.

RÖSSELMANN UND MEHRERE.

Sigrist, was gibts?

SIGRIST.

Ein Reichsbot bringt dies Schreiben.

ALLE zu Walter Fürst.

Erbrecht und leset.

WALTER FÜRST liest.

»Den bescheidnen Männern

Von Uri, Schwyz und Unterwalden bietet

Die Königin Elsbet Gnad und alles Gutes.«

VIELE STIMMEN.

Was will die Königin? Ihr Reich ist aus.

WALTER FÜRST liest.

»In ihrem großen Schmerz und Witwenleid,

Worein der blutge Hinscheid ihres Herrn

Die Königin versetzt, gedenkt sie noch

Der alten Treu und Lieb der Schwyzerlande.«

MELCHTHAL.

In ihrem Glück hat sie das nie getan.

RÖSSELMANN.

Still! Lasset hören!

WALTER FÜRST liest.

»Und sie versieht sich zu dem treuen Volk,

Daß es gerechten Abscheu werde tragen

Vor den verfluchten Tätern dieser Tat.

Darum erwartet sie von den drei Landen,

Daß sie den Mördern nimmer Vorschub tun,

Vielmehr getreulich dazu helfen werden,

Sie auszuliefern in des Rächers Hand,

Der Lieb gedenkend und der alten Gunst,

Die sie von Rudolfs Fürstenhaus empfangen.«

 

Zeichen des Unwillens unter den Landleuten.

 

VIELE STIMMEN.

Der Lieb und Gunst!

STAUFFACHER.

Wir haben Gunst empfangen von dem Vater,

Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn?

Hat er den Brief der Freiheit uns bestätigt,

Wie vor ihm alle Kaiser doch getan?

Hat er gerichtet nach gerechtem Spruch,

Und der bedrängten Unschuld Schutz verliehn?

Hat er auch nur die Boten wollen hören,

Die wir in unsrer Angst zu ihm gesendet?

Nicht eins von diesem allen hat der König

An uns getan, und hätten wir nicht selbst

Uns Recht verschafft mit eigner mutger Hand,

Ihn rührte unsre Not nicht an – Ihm Dank?

Nicht Dank hat er gesät in diesen Tälern.

Er stand auf einem hohen Platz, er konnte

Ein Vater seiner Völker sein, doch ihm

Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen,

Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen!

WALTER FÜRST.

Wir wollen nicht frohlocken seines Falls,

Nicht des empfangnen Bösen jetzt gedenken,

Fern seis von uns! Doch, daß wir rächen sollten

Des Königs Tod, der nie uns Gutes tat,

Und die verfolgen, die uns nie betrübten,

Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren,

Die Liebe will ein freies Opfer sein,

Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten,

– Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten.

MELCHTHAL.

Und weint die Königin in ihrer Kammer,

Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an,

So seht ihr hier ein angstbefreites Volk

Zu eben diesem Himmel dankend flehen –

Wer Tränen ernten will, muß Liebe säen.

 

Reichsbote geht ab.

 

STAUFFACHER zu dem Volk.

Wo ist der Tell? Soll er allein uns fehlen,

Der unsrer Freiheit Stifter ist? Das Größte

Hat er getan, das Härteste erduldet.

Kommt alle, kommt, nach seinem Haus zu wallen,

Und rufet Heil dem Retter von uns allen.

 

Alle gehen ab.

 

 

Zweite Szene

Tells Hausflur.

Ein Feuer brennt auf dem Herd. Die offenstehende Türe zeigt ins Freie.

Hedwig. Walter und Wilhelm.

 

HEDWIG.

Heut kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!

Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!

Und euer Vater ists, ders Land gerettet.

WALTER.

Und ich bin auch dabei gewesen, Mutter!

Mich muß man auch mit nennen. Vaters Pfeil

Ging mir am Leben hart vorbei, und ich

Hab nicht gezittert.

HEDWIG umarmt ihn.

Ja, du bist mir wieder

Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren!

Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!

Es ist vorbei – Ich hab euch beide, beide!

Und heute kommt der liebe Vater wieder!

 

Ein Mönch erscheint an der Haustüre.

 

WILHELM.

Sieh, Mutter, sieh – dort steht ein frommer Bruder,

Gewiß wird er um eine Gabe flehn.

HEDWIG.

Führ ihn herein, damit wir ihn erquicken,

Er fühlts, daß er ins Freudenhaus gekommen.

 

Geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.

 

WILHELM zum Mönch.

Kommt, guter Mann.