Aber seine Stimme verhallt im lauten Getöse der Tagesleidenschaften; wenige hören ihn, keiner versteht ihn. Friedrich Schlegel nannte den Geschichtschreiber einen Propheten, der rückwärts schaue in die Vergangenheit; – man könnte mit größerem Fug von dem Dichter sagen, daß er ein Geschichtschreiber sei, dessen Auge hinausblicke in die Zukunft.

Ich schrieb den »William Ratcliff« zu Berlin unter den Linden, in den letzten drei Tagen des Januars 1821, als das Sonnenlicht mit einem gewissen lauwarmen Wohlwollen die schneebedeckten Dächer und die traurig entlaubten Bäume beglänzte. Ich schrieb in einem Zuge und ohne Brouillon. Während dem Schreiben war es mir, als hörte ich über meinem Haupte ein Rauschen, wie der Flügelschlag eines Vogels. Als ich meinen Freunden, den jungen Berliner Dichtern, davon erzählte, sahen sie sich einander an mit einer sonderbaren Miene und versicherten mir einstimmig, daß ihnen nie dergleichen beim Dichten passiert sei.

 

Paris, 24. November 1851

Heinrich Heine

 

 

Personen.

Mac-Gregor, schottischer Laird.

 

Maria, seine Tochter.

 

Graf Douglas, ihr Bräutigam.

 

William Ratcliff.

 

Lesley, sein Freund.

 

Margarete, Marias Amme.

 

Tom, Wirt einer Diebesherberge.

 

Willie, sein Söhnchen.

 

Robin,

Dick,

Bill,

John,

Taddie, , Räuber und Gauner.

 

Räuber, Bediente, Hochzeitsgäste.

 

Die Handlung geht vor in der neuesten Zeit, im nördlichen Schottland.

 

 

Zimmer in Mac-Gregors Schloß

Margarete (kauert bewegungslos in einer Ecke).

Mac-Gregor. Maria. Douglas.

 

MAC-GREGOR er legt Douglas' und Marias Hände ineinander.

Ihr seid jetzt Mann und Weib. Wie eure Hände

Vereinigt sind, so sollen auch die Herzen,

In Leid und Freud, vereinigt sein auf immer.

Zwei mächt'ge Sakramente, das der Kirche

Und das der Liebe, haben euch verbunden;

Ein Doppelsegen ruht auf euren Häuptern;

Und auch den Vatersegen leg ich drauf.

 

Er legt segnend seine Hände auf beider Haupt.

 

DOUGLAS.

Mit Stolz, Mylord, nenn ich Euch heute: Vater.

MAC-GREGOR.

Mit noch weit größerm Stolz nenn ich Euch: Sohn.

 

Sie umarmen sich.

 

MARGARETE singt im abgebrochenen Wahnsinntone.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot?

Edward, Edward?«

DOUGLAS erschrocken auffahrend und nach Margarete schauend.

Um Gott, Mylord, welch gläsern geller Laut?

Es fängt zu singen an, das stumme Bild –

MAC-GREGOR mit erzwungenem Lächeln.

Stört Euch nicht dran. Es ist die tolle Margarete,

Gehört zum Schloß. Sie leidet an der Starrsucht,

Seit Jahr und Tag. Mit stieren Augen liegt sie

Gekauert, manch unheimlich lange Stunde;

Und dann und wann, wie 'n Stein, der sprechen kann,

Bewegungslos, quäkt sie ein altes Lied –

DOUGLAS.

Warum behaltet Ihr im Schloß solch Schrecknis?

MAC-GREGOR leise zu ihm.

Still, still. Sie hört jedwedes Wort; – schon lange

Hätt ich sie fortgeschafft – doch darf ich nicht.

MARIA.

Laßt ruhn die arme, gute Margarete.

Erzählt mir lieber etwas Neues, Douglas.

Wie sieht's in London aus? Bei uns in Schottland

Erfährt man nichts.

DOUGLAS.

Noch ist's das alte Treiben.

Man rennt, und fährt, und jagt, Straß' auf, Straß' ab.

Man schläft des Tags, und macht zum Tag die Nacht.

Vauxhall und Routs und Picknicks drängen sich;

Und Drurylane und Coventgarden locken.

Die Oper rauscht. Pfundnoten wechselt man

Für Musiknoten ein. »God save the King«

Wird mitgebrüllt. Die Patrioten liegen

In dunkeln Schenken und politisieren,

Und subskribieren, wetten, fluchen, gähnen,

Und saufen auf das Wohl des Vaterlands.

Roastbeef und Pudding dampft, der Porter schäumt,

Und sein Rezept schreibt lächelnd der Quacksalber.

Die Taschendiebe drängen. Gauner quälen

Mit ihrer Höflichkeit. Der Bettler quält

Mit seinem Jammeranblick und Gewimmer.

Vor allem quält die unbequeme Tracht,

Der enge Wespenrock, das steife Halsband,

Und gar der babylonisch hohe Turmhut.

MAC-GREGOR.

Da lob ich mir mein Plaid und meine Mütze.

Ihr tatet gut, daß Ihr die Narrenkleider

Vom Leib geworfen habt. Ein Douglas muß

Im Äußern auch ein Schotte sein, und heute

Lacht mir das Herz im Leib, wenn ich Euch schaue,

Euch alle, in der lieben Schottentracht.

MARIA.

Erzählt mir was von Eurer Reise, Douglas.

DOUGLAS.

Zu Wagen fuhr ich bis an Schottlands Grenze.

Das ging mir viel zu langsam. In Old-Jedburgh

Nahm ich ein Pferd. Ich gab dem Tier die Spor'n.

Mich selber aber spornte Liebessehnsucht.

Ich dachte nur an Euch, Marie, und pfeilschnell,

Durch Busch und Berg und Feld, trug mich mein Roß.

Im Wald bei Invernes wär mir's bald schlecht

Bekommen, daß ich in Gedanken ritt.

Piff! Paff! erweckten mich aus meinen Träumen

Die Kugeln, die mir um die Ohren pfiffen.

Drei Straßenräuber stürzten auf mich ein.

Ein Kampf begann. Es regneten die Hiebe.

Ich wehrte mich der Haut; doch unterliegen

Hätt ich wohl müssen –

O weh! Marie erbleicht,

Und wankt, und sinkt –

 

Margarete springt hastig auf und hält die in Ohnmacht fallende Maria in ihren Armen.

 

MARGARETE.

O weh! mein rotes Püppchen

Ist kreideblaß, und kalt wie Stein. O weh!

 

Halb singend, halb sprechend und Maria streichelnd.

 

»Püppchen klein, Püppchen mein,

Schließe auf die Äugelein!

 

Püppchen fein, du mußt sein

Nicht so kalt wie Marmelstein.

 

Rosenschein will ich streun

Auf die weißen Wängelein.« –

MAC-GREGOR.

Halt ein, verrücktes Weib, mit Wahnsinnsprüchen

Betörst du ihr noch mehr das kranke Haupt –

MARGARETE mit dem Finger drohend.

Du? du? willst schelten? Wasch dir erst die Hände,

Die roten Hände; du befleckst mit Blut

Klein Püppchens weißes Hochzeitkleid. Geh fort.

Ich rat dir gut.

MAC-GREGOR ängstlich.

Die tolle Alte faselt! –

MARGARETE singend.

»Püppchen klein, Püppchen mein,

Schließe auf die Äugelein!«

MARIA sie erwacht aus ihrer Ohnmacht und lehnt sich an Margarete.

Erzählt nur weiter, wie es ging. Ich höre.

DOUGLAS.

Es tut mir leid – was ich erzählt – doch hört:

Ein andrer Reiter sprengte rasch herbei,

Fiel jenen Räubern plötzlich in den Rücken,

Und hieb drauflos mit Kraft. Ich selbst bekam

Jetzt neuen Mut und freies Spiel. Wir schlugen

Die Hunde in die Flucht. Ich wollte danken

Dem edlen Retter.