Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Gib uns unser täglich Brot immerdar. Und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind. Und führe uns nicht – Stottert. – führe uns nicht – führe uns nicht –«
TOM. Siehst du? du stotterst. »Führe uns nicht in Versuchung«; Fang wieder an von vorn.
WILLIE sieht immer nach William Ratcliff und spricht ängstlich und unsicher. »Vater unser im Himmel, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Gib uns unser täglich Brot immerdar. Und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind. Und führe uns nicht – Stottert. – führe uns nicht – führe uns nicht –«
TOM ärgerlich.
»In Versuchung!«
WILLIE weinend.
Lieber Vater, sonst ging mir's
Vom Maul wie Wasser. Aber der dort sitzt –
Er zeigt auf William Ratcliff.
Der sieht mich immer an mit schlimmen Augen.
TOM.
Heut abend, Willie, kriegst du keine Fische, – –
Drohend.
Und stiehlst du sie mir wieder aus dem Kasten –
WILLIE weinend und im Vaterunsertone.
»Führe uns nicht in Versuchung!«
RATCLIFF.
Laßt nur den Buben gehn. Auch ich hab nie
Im Kopf behalten können diese Stelle. –
Schmerzlich. –
»Führe uns nicht in Versuchung!«
TOM.
Auch tät mir's leid, wenn einst der Bube würde
Wie Ihr und diese dort. –
Zeigt nach den Schlafenden. –
Jetzt geh nur, Willie.
WILLIE abgehend und weinerlich vor sich hinmurmelnd.
»Führe uns nicht in Versuchung!«
Die Vorigen ohne Willie.
RATCLIFF lächelnd.
Wie meint Ihr das?
TOM.
Fromm, christlich soll er werden;
Kein solcher Galgenstrick wie ich, sein Vater.
RATCLIFF spöttisch.
Ihr seid so schlimm noch nicht.
TOM.
Jetzt freilich bin ich
Ein zahmes Tier, und zapfe Bier, ein Wirt.
Und weil mein Häuschen hübsch versteckt im Wald liegt,
Beherberg ich nur große Herrn wie Ihr,
Die gerne das Inkognito behaupten,
Am Tage schlafen und des Abends ausgehn.
Ich gebe Tagsquartier statt Nachtquartier.
Ja, einst mondsüchtelte ich auch und schwärmte
Macht eine Fingerbewegung.
In fremde Häuser und in fremde Taschen.
Doch nie hab ich's so toll gemacht wie diese.
Er zeigt nach den Schlafenden.
Seht diesen Fuchskopf. Das ist ein Genie!
Der hat ein angeborenes Gelüste
Nach fremden Taschentüchern. Stiehlt wie 'n Rabe.
Ei, seht, wie er im Schlafe hastig fingert!
Er stiehlt sogar im Traum. Seht nur, er schmunzelt.
Der Lange dort, mit magern Heuschreckbeinen,
War einst ein Schneider; mauste anfangs Läppchen,
Bald aber Lappen, endlich Stücke Tuch.
Mit Not ist er dem Hängen einst entronnen;
Seitdem hat er das Zucken in den Beinen.
Seht, wie er zappelt! Oh, ich wett, er träumt
Von einer Leiter, wie der Vater Jakob.
Doch seht mal dort den alten, dicken Robin,
Wie er so ruhig liegt und schnarcht, und ach!
Der hat schon zehn Mordtaten auf der Seele.
Ja, wenn er noch katholisch wär, wie wir,
Und absolvieren könnt! Er ist ein Ketzer,
Und nach dem Hängen muß er dort noch brennen.
RATCLIFF er ist immer unruhig im Zimmer auf und ab gegangen und sieht beständig nach der Uhr.
Glaubt's nicht, der alte Robin wird nicht brennen.
Dort oben gibt es eine andre Jury
Als hier in Großbritannien. Robin ist
Ein Mann; und einen Mann ergreift der Zorn,
Wenn er betrachtet, wie die Pfennigseelen,
Die Buben, oft im Überflusse schwelgen,
In Samt und Seide schimmern, Austern schlürfen,
Sich in Champagner baden, in dem Bette
Des Doktor Graham ihre Kurzweil treiben,
In goldnen Wagen durch die Straßen rasseln,
Und stolz herabsehn auf den Hungerleider,
Der, mit dem letzten Hemde unterm Arm,
Langsam und seufzend nach dem Leihhaus wandert.
Bitter lachend.
O seht mir doch die klugen, satten Leute,
Wie sie mit einem Walle von Gesetzen
Sich wohlverwahret gegen allen Andrang
Der schreiend überläst'gen Hungerleider!
Weh dem, der diesen Wall durchbricht!
Bereit sind Richter, Henker, Stricke, Galgen –
Je nun! manchmal gibt's Leut', die das nicht scheun.
TOM.
So dacht ich auch, und teilte ein die Menschen
In zwei Nationen, die sich wild bekriegen;
Nämlich in Satte und in Hungerleider.
Weil ich zu letzterer Partei gehörte,
So mußt ich mit den Satten oft mich balgen.
Doch hab ich eingesehn, der Kampf ist ungleich,
Und zieh allmählich mich zurück vom Handwerk.
Ich bin es müd': unstet herumzustreichen,
Niemand ins Aug' zu schaun, das Licht zu fliehn,
An jedem Galgen, im Vorbeigehn, ängstlich
Hinaufzuschaun, ob ich nicht selbst dran hänge,
Und nur zu träumen von Botany-Bay,
Vom Zuchthaus und vom ew'gen Wollespinnen.
Wahrhaftig, das ist nur ein Hundeleben!
Man wird durch Busch und Feld gehetzt wie 'n Wild,
In jedem Baume sieht man einen Häscher,
Und sitzt man auch in still verborgner Kammer,
Erschrickt man, wenn die Tür sich öffnet –
Lesley tritt hastig ein. Ratcliff stürzt ihm entgegen. Tom fährt erschrocken zurück mit dem Ausruf »Jesus«.
LESLEY.
Er kömmt! Er kömmt!
RATCLIFF.
Er kömmt? Wohlan, so gilt's.
TOM ängstlich.
Wer kömmt? Seit ein'ger Zeit bin ich so schreckhaft –
LESLEY zu Tom.
Beruh'ge dich, und laß uns jetzt allein.
TOM mit pfiffiger Miene.
Ha! ich versteh. Ihr habt jetzt was zu teilen.
Er geht ab.
Die Vorigen ohne Tom.
RATCLIFF.
Er kömmt? So will ich gehn.
Er greift nach Hut und Degen.
LESLEY hält ihn zurück.
Ho! ho! so geht's nicht.
Erst muß es dunkler sein.
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