Man paßt dir auf.

Mac-Gregors Knechte lauern. Wie du aussiehst,

Weiß jedes Kind; man hat dich gut beschrieben.

Wahrhaftig, sag mir mal, was soll der Spaß?

Du suchst Gefahr, Gefahr, die dir nicht nützt.

Geh mit zurück nach London; bist dort sicher.

Du solltest meiden diese schlimme Gegend.

Man weiß es, daß du Macdonald und Duncan

So abgemurkst.

RATCLIFF mit trotziger Würde.

Nicht abgemurkst. Im Zweikampf

Fiel Macdonald und Duncan. Ehrlich focht ich;

Und auch mit Douglas will ich ehrlich fechten.

LESLEY.

Erleichtre dir's. Verstehst ja Italienisch.

 

Macht eine Banditenbewegung.

 

Doch sprich, wo trat dir Douglas in den Weg?

Was tat er dir? Woher dein Groll, dein Haß?

RATCLIFF.

Ich sah ihn nie; ich sprach ihn nie; er tat

Mir niemals was zuleid'; ich haß ihn nicht.

LESLEY.

Und doch willst du sein Lebenslicht auslöschen?

Bist du verrückt? Bin ich verrückt? daß ich

Behilflich bin zu solchem Tollhausstreich!

RATCLIFF.

Weh dir, wenn du begriffest solche Dinge!

Weh deinem Hirnfuttral, es müßte bersten,

Und Wahnsinn würde gucken aus den Ritzen!

Wie eine Eierschale würde bersten

Dein armer Kopf, und war er so geräumig

Als wie die Kuppel der Sankt-Paulus-Kirche.

LESLEY fühlt sich ironisch ängstlich den Kopf.

Du machst mich bang; o schweige lieber still!

RATCLIFF.

Glaub nicht, ich sei ein weicher Mondscheinheld,

Ein Bilderjäger, der vom eignen Windhund,

Von Phantasie durch Nacht und Höll' gehetzt wird,

Ein magenkrank schwindsüchtelnder Poet,

Der mit den Sternen Unzucht treibt, der Leibschmerz

Vor Rührung kriegt, wenn Nachtigallen trillern,

Der sich aus Seufzern eine Leiter baut,

Und endlich mit dem Strick verschlungner Reime

Sich aufhängt an der Säule seines Ruhms.

LESLEY.

Das könnt ich selbst im Notfall wohl beschwören.

RATCLIFF.

Und doch gesteh ich – spaßhaft mag dir's klingen –,

Es gibt entsetzlich seltsame Gewalten,

Die mich beherrschen; dunkle Mächte gibt's,

Die meinen Willen lenken, die mich treiben

Zu jeder Tat, die meinen Arm regieren,

Und die schon in der Kindheit mich umschauert.

 

Als Knabe schon, wenn ich alleine spielte,

Gewahrt ich oft zwei neblichte Gestalten,

Die weit ausstreckten ihre Nebelarme,

Sehnsüchtig sich in Lieb' umfangen wollten,

Und doch nicht konnten, und sich schmerzlich ansahn!

Wie luftig und verschwimmend sie auch schienen,

Bemerkt ich dennoch auf dem einen Antlitz

Die stolzverzerrten Züge eines Mannes,

Und auf dem andern milde Frauenschönheit.

Oft sah ich auch im Traum die beiden Bilder,

Und schaute dann noch deutlicher die Züge:

Mit Wehmut sah mich an der Nebelmann,

Mit Liebe sah mich an das Nebelweib. –

Doch als ich auf die hohe Schule kam,

Zu Edinburgh, sah ich die Bilder seltner,

Und in dem Strudel des Studentenlebens

Verschwammen meine bleichen Traumgesichte.

Da brachte mich auf einer Ferienreise

Zufall hierher und nach Mac-Gregors Schloß.

 

Maria sah ich dort! Mein Herz durchzuckte

Ein rascher Blitz bei ihrem ersten Anblick.

Es waren ja des Nebelweibes Züge,

Die schönen, stillen, liebefrommen Züge,

Die mich so oft im Traume angelächelt!

Nur war Mariens Wange nicht so bleich,

Nur war Mariens Auge nicht so starr.

Die Wange blühte und das Auge blitzte;

Der Himmel hatte allen Liebeszauber

Auf dieses holde Bild herabgegossen;

Die Hochgebenedeite selber war

Gewiß nicht schöner als die Namensschwester;

Und von der Liebe Sehnsuchtweh ergriffen,

Streckt ich die Arme aus, sie zu umfangen –

 

Pause.

 

Ich weiß nicht, wie es kam: im nahen Spiegel

Sah ich mich selbst – Ich war der Nebelmann,

Der nach dem Nebelweib die Arme ausgestreckt!

 

War's eitel Traum? War's Phantasientrug?

Maria sah mich an so mild, so freundlich,

So liebend, so verheißend! Aug' in Auge

Und Seel' in Seele tauchten wir. O Gott!

Das dunkle Urgeheimnis meines Lebens

War plötzlich mir erschlossen, und verständlich

War mir der Sang der Vögel, und die Sprache

Der Blumen, und der Liebesgruß der Sterne,

Der Hauch des Zephirs und des Baches Murmeln,

Und meiner eignen Brust geheimes Seufzen!

Wie Kinder jauchzten wir, und spielten wir.

Wir suchten uns, und fanden uns im Garten.

Sie gab mir Blumen, Myrten, Locken, Küsse;

Die Küsse gab ich doppelt ihr zurück.

Und endlich sank ich hin vor ihr aufs Knie,

Und bat: »O sprich, Maria, liebst du mich?«

 

Versinkt in Träumerei.

 

LESLEY.

Da hätt ich dich doch sehen mögen, Ratcliff,

Die starken Fäuste bittend fromm gefaltet,

Das funkelnd wilde Aug' sehnsüchtig schmachtend,

Und zärtlich sanft die Stimm', die auf der Landstraß'

Dem reichen Lord so schrecklich ins Gehör schallt.

RATCLIFF wild ausbrechend.

Verfluchte Schlang'! Mit seltsam scheuen Blicken

Und Widerwillen fast sah sie mich an,

Und höhnisch knicksend sprach sie frostig: »Nein!«

Noch hör ich's lachen unter mir: Nein! nein!

Noch hör ich's seufzen über mir: Nein! nein!

Und klirrend schlagen zu des Himmels Pforte!

LESLEY.

Das war ja ganz infam und niederträchtig.

RATCLIFF.

Mac-Gregors Schloß verließ ich, und ich reiste

Von dort nach London; im Gewühl der Hauptstadt

Dacht ich des Herzens Qual zu übertäuben.

Ich war mein eigner Herr, denn meine Eltern

Verlor ich früh, noch eh' ich sie gekannt hab.

Schlecht, schlecht gelang mir der Betäubungsplan.

Portwein, Champagner, alles wollt nicht fruchten;

Nach jedem Glase ward mein Herz betrübter.

Blondinen und Brünetten, keine konnt

Forttändeln und fortlächeln meinen Schmerz.

Sogar beim Pharo fand ich keine Ruh'.

Marias Aug' schwamm auf dem grünen Tische;

Marias Hand bog mir die Parolis;

Und in dem Bild der eckigen Cœur-Dame

Sah ich Marias himmelschöne Züge!

Maria war's, kein dünnes Kartenblatt;

Maria war's, ich fühlte ihren Atem;

Sie winkte: ja! sie nickte: ja! – va banque! –

Zum Teufel war mein Geld, die Liebe blieb.

LESLEY lacht.

Ha! ha! da zogst du aus dem Stall dein Rößlein,

Schwangst dich hinauf, wie's Schottlands Rittern ziemt,

Und wie die Ahnen lebtest du vom Stegreif.

Die Liebe ist dir jetzt gewiß vergangen;

Man wird schon nüchtern, wenn man oft des Nachts

Durch Wind und Wetter reitet, und beim Galgen

Vorbeikömmt, und dort gute Freunde sieht,

Die pendulartig mit den Beinen grüßen.

RATCLIFF.

Öl kam ins Feuer. Wilder nur entbrannte

In mir die wilde Sehnsucht nach Marien.

In England ward's mir oft zu eng; nach Schottland

Zog's mich mit unsichtbaren Eisenarmen.

Nur in Mariens Nähe schlaf ich ruhig,

Und atm' ich frei, und ist mir nicht so ängstlich,

Und ist mir wohl – denn höre mein Geheimnis:

Geschworen hab ich bei dem Wort des Herrn,

Und bei der Macht des Himmels und der Hölle,

Und hab mit grausem Fluch den Schwur besiegelt –

»Von dieser Hand soll fallen der Vermeßne,

Der's wagt, Marien bräutlich zu umfangen.«

Die Stimm' in meiner Brust sprach diesen Schwur,

Und blindlings dien ich jener dunklen Macht,

Die mit mir kämpft, wenn ich Mariens Freiern

Am Schwarzenstein ein Rosenbett bereite.

LESLEY.

Jetzt erst versteh ich dich; doch bill'g ich nichts.

RATCLIFF.

Bill'g ich's denn selbst? Nur jene Stimme hier,

Die fremde Stimm', die sich hier eingenistet,

Sagt: ja; nur jene Bilder nicken Beifall,

Die ich im Traume seh –

 

Aufschreiend. –

 

Jesus Maria!

Dort! dort! siehst du? dort, dort! Die Nebelmenschen!

 

Es ist dunkel geworden. Man sieht zwei neblichte Gestalten über die Bühne schwanken und verschwinden. – Die im Hintergrunde liegenden

Räuber und Gauner, durch Ratcliffs Schrei aus dem Schlafe geweckt, springen auf mit dem Ausrufe.

 

Was gibt's? Was gibt's?

LESLEY.

Bist du des Teufels, Ratcliff?

Ich sehe nichts.

MEHRERE.

Was sieht er? Sieht er Häscher?

LESLEY.

Nein! just das Gegenteil, denn Geister sieht er.

 

Alle lachen.

 

ROBIN verdrießlich.

God damn! Man hat auch keine Ruh' am Tag.

RATCLIFF.

Es dunkelt; ich will gehn.

LESLEY.

Ich gehe mit.

RATCLIFF.

Das leid ich nicht.

LESLEY.

Nur bis zum Schwarzenstein;

Vielleicht stehn Wachen dort.

RATCLIFF.

Die Angst treibt sie

Schon weg; dort ist es nicht geheu'r des Nachts.

LESLEY.

Lebt wohl, ihr Herrn!

RATCLIFF.

Lebt wohl!

ALLE.

Gott segne euch!

 

Ratcliff und Lesley gehn ab.

Die Vorigen ohne Ratcliff und Lesley.

 

ROBIN.

God damn! der ist besoffen oder toll.

DICK.

So war er immer, denn ich kenn ihn noch

Von London her. In Rascal-Tavern hab ich

Ihn oft gesehn. Er pflegte stundenlang

Mit krauser Stirn zu sitzen in der Ecke

Und immer still und stumm ins Licht zu starr'n.

Oft saß er zwischen uns vergnügt und lachend –

Nur lacht' er gar zu hell – erzählte Späße –

Nur gar zu wilde Späße – und er war

Vergnügt und lachte – Oh, da zuckte plötzlich

Und gräßlich spöttisch seine Oberlippe,

Ein Ton des Schmerzes pfiff aus seiner Brust,

Und wütend sprang er auf: »Johann, mein Pferd!« –

Und ritt zum Teufel, und er kam nach ein'gen

Monaten erst zurück. Nach Schottland, sagt man,

Pflegt er alsdann zu reiten, Tag und Nacht.

ROBIN.

Oh, der ist krank.

DICK.

Was kümmert's mich? Lebt wohl.

 

Geht ab.

 

BILL.

Es ist schon Zeit, daß man zur Arbeit geht.

 

Betend vor dem Heiligenbilde.

 

Beschütz mich in Gefahr und gib mir Segen!

 

Er und mehrere gehn ab.

 

ROBIN hält sich seine Faust vorm Gesicht.

Mein Schutzpatron, beschütz mich in Gefahr.

 

Geht ab.

Zwei Gauner bleiben schlafend liegen. Tom, der Wirt, schleicht herein und stiehlt ihnen das Geld aus der Tasche.

 

TOM mit schlauer Miene.

Sie dürfen mich nicht vor Gericht verklagen.

 

Er geht ab.

John und Taddie wachen auf.

 

JOHN gähnend.

Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung!

TADDIE gähnend.

Komm, John, zum Frühstück.

JOHN.

Frühstück! Was gibt's Neues?

TADDIE.

Gewiß hat man Freund Riffel heut gehängt.

JOHN.

Das Hängen ist die schlechteste Erfindung.

 

Trollen beide fort.

 

 

Wilde Gegend am Schwarzenstein. Nacht

Links abenteuerliche Felsenmassen und Baumstämme. Rechts ein Denkmal in der Form eines Kreuzes. Der Wind braust. Man sieht zwei weiße Nebelgestalten, die sehnsüchtig die Arme gegeneinander ausstrecken, sich nahen, immer wieder auseinanderfahren und endlich verschwinden. Ratcliff tritt auf.

 

RATCLIFF allein.

Hui, wie das pfeift! Die Hölle hat all ihre

Querpfeifer ausgesandt. Die spielen auf.

Der Mond hüllt sich in seinen weiten Plaid,

Und schüttelt nur ein sparsam Licht herab.

 

Ha! ha! meinthalb kann er sich ganz verhüllen.

Denn wie's auch dunkel sei, die Schneelawine

Bedarf nicht der Laterne, um zu schaun,

Wohin sie rollen soll; es wird das Eisen

Den Weg zu dem Magnet von selber finden;

Und ohne Meilenzeiger findet Ratcliffs

Erprobtes Schwert den Weg zu Douglas' Brust.

Ob auch das Gräflein kömmt? Ob nicht der Sturm,

Die Furcht vor Schnupfen, Husten und Erkältung

Es gar zurückhält? Und es denkt vielleicht:

Ich will's auf morgen nacht verschieben.

Ha! ha! –

Und just um diese Nacht ist's mir zu tun.

Kömmt er nicht her, so komme ich zu ihm

Ins Schloß. –

 

An sein Schwert schlagend.