Schmerzhaft zärtlich.

Neckt mich ein Traum? Ich liege vor Marien?

Liege zu ihren Füßen? Kleine Füße,

Seid ihr nicht Nebel, die der Wahnsinn bildet,

Und die zerrinnen, wenn ich sie umfasse?

MARIA beschwichtigend und ihm den Kopf mit dem Schleier verbindend.

Bleib ruhig. An den goldnen, hübschen Locken

Klebt Blut. Lieg still; du machst mich selber blutig.

Ja, wenn du still liegst, küß ich dich aufs Auge.

 

Sie küßt ihn.

 

RATCLIFF.

Mir ist die Nacht vom Auge fortgeküßt;

Die Sonne kann ich wieder sehn – Maria!

MARIA wie aus einem Traume aufgeschreckt.

Maria? Und du bist auch der William Ratcliff?

 

Hält sich die Augen zu.

 

O das ist gar zu traurig! –

 

Schaudernd. –

 

Fort! geh fort!

RATCLIFF springt auf und umschlingt sie.

Ich weiche nicht! Ich hab dich lieb, Maria,

Und du hast William lieb –

 

Vertraulich. –

 

Im Traum hast du's

Mir oft gesagt. Weißt du, wir sehn uns ähnlich?

Schau in den Spiegel.

 

Er führt sie an einen Spiegel und zeigt nach beiden Spiegelbildern.

 

Deine Züge sind

Zwar schöner, edler, reiner als die mein'gen;

Doch sind sie ihnen ähnlich. Diese Lippen

Umzuckt derselbe Stolz, derselbe Trotz.

Hier sitzt der Leichtsinn ebenso wie dort.

Sprich mal ein Wörtchen!

MARIA sich sträubend.

Laß mich! laß mich!

RATCLIFF.

Hörst du?

Die Stimm' klingt wie die mein'ge, nur weit sanfter.

Das tiefe Blau des Auges ist dasselbe;

Nur glänzender bei dir. Gib her die Hand.

 

Nimmt ihre Hand und vergleicht sie mit der seinigen.

 

Siehst du dieselben Linien? –

 

Erschrickt. –

 

Sieh mal her,

Die Lebenslinie ist so kurz wie hier –

MARIA.

O laß mich, William, und entflieh! entflieh! –

Nur schnell, sie kommen gleich –

RATCLIFF.

Ja, du hast recht,

Wir wollen fliehn. Komm, folge mir, mein Lieb.

Komm, folge mir. Gesattelt steht mein Roß,

Das schnellste in ganz Schottland.

 

Zieht sein Schwert hervor.

 

Hier, mein Schwert

Bahnt uns den Weg. Sieh mal, wie's funkelt! Horch!

MARGARETE wahnsinnig singend.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?

Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!«

RATCLIFF.

Wer sprach das blut'ge Wort? War's dort die Eule,

Die sich ans Fenster klammert? War's der Wind,

Der im Kamin pfeift? War's die bleiche Hexe,

Die in der Ecke kauert? Ja, die war es;

Ihr Leib ist marmorstarr, doch aus der Brust

Schrillt ihr der heisre Sang. Ich soll mein Liebchen

 

Im höchsten Schmerz.

 

Totschlagen, singt sie – Oh, das muß ich ja –

MARIA.

Entsetzlich rollt dein Aug', dein Odem brennt –

Dein Wahnsinn steckt mich an – verlaß mich! laß mich!

RATCLIFF.

O sträub dich nicht, mein Lieb. Der Tod ist ja

So süß. Ich nehm dich mit ins schöne Land,

Wovon wir oft geträumt. Komm mit, mein Lieb.

MARIA sich von ihm losreißend.

Entflieh! Entflieh! Denn trifft dich hier Graf Douglas –

RATCLIFF in Wut ausbrechend.

Verfluchter Name! Losungswort des Todes!

Kein Gott soll dich besitzen. Mir gehörst du –

 

Er will sie erstechen.

 

MARIA sich in das verhängte Kabinett flüchtend.

William! du willst mich morden –

RATCLIFF stürzt ihr nach ins Kabinett.

Mir gehörst du –

Mein ist Maria –

 

Man hört Marias Stimme.

 

MARIA.

William! Hülfe! William!

MARGARETE singt.

»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!«

 

Die zwei Nebelmenschen erscheinen von entgegengesetzten Seiten, stellen sich an den Eingang des Kabinetts, strecken die Arme nacheinander aus und verschwinden bei Ratcliffs Hervortreten.

 

RATCLIFF das blutige Schwert in der Hand, stürzt aus dem Kabinette.

Halt! halt! entweich mir nicht, mein Doppelgänger!

Du bleiches Nachtgespenst, du hast's getan.

An deiner Nebelhand klebt rotes Blut.

Komm, ficht mit mir, du hast Marie ermordet –

 

Mac-Gregor stürzt herein mit bloßem Schwerte.

Die Vorigen.

 

MAC-GREGOR.

Um Hülfe rief's –

 

Erblickt Ratcliff. –

 

Dich treff ich hier, Verruchter,

Verhaßter Mörder, Störer meiner Ruh' –

RATCLIFF wild auflachend.

Das bin ich, und auch du bist mir verhaßt,

Weiß nicht warum, doch bist du mir verhaßt,

Nach deinem Blute lechz ich –

 

Sie stürzen fechtend aufeinander ein.

 

MAC-GREGOR.

Bösewicht!

RATCLIFF.

Ha! ha! ha!

MARGARETE singt.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?«

MAC-GREGOR stürzt nieder.

Verfluchtes Lied! –

 

Er stirbt.

 

RATCLIFF erschöpft.

Die gift'ge Schlang' ist tot.

Nun ist mir's leicht ums Herz. Den Vorgeschmack

Der Ruh' genieß ich schon. Marie ist mein.

Mein Tagwerk ist vollbracht. Ich komm, Marie.

 

Er geht ins Kabinett; man hört inwendig seine Stimme.

 

Hier bin ich, süßes, weißes Lieb. Maria!

 

Es fällt ein Schuß im Kabinette.

Die zwei Nebelbilder erscheinen von beiden Seiten, stürzen sich hastig in die Arme, halten sich fest umschlungen und verschwinden. Man hört lautes Rufen und verworrene Stimmen.

Douglas, Gäste und Diener treten bestürzt herein.

Die Vorigen.

 

EIN DIENER.

Jesus Marie! hier liegt der edle Herr!

VIELE STIMMEN.

Mac-Gregor!

DOUGLAS.

Tot! tot ist der edle Laird.

Sucht nur den Mörder. Schließt des Schlosses Pforte.

MARGARETE richtet sich langsam in die Höhe, nähert sich der Leiche Mac-Gregors und spricht im wahnsinnigen Tone.

Ei! ei! so blutig und so bleich lag auch

Der tote Edward Ratcliff an der Schloßmau'r.

Der böse, zornige Mac-Gregor hatte

Den armen Edward Ratcliff totgeschlagen! –

 

Weinend. –

 

Ich hab es nicht getan, hab's nur gewußt.

Und den –

 

Zeigt nach Mac-Gregors Leiche. –

 

hat William Ratcliff totgeschlagen –

Und auch der William hat jetzt Ruh'. Er schläft

Jetzt bei Marie – still! still! – weckt sie nicht auf –

 

Sie geht auf den Fußzehen nach dem Kabinette und hebt die Gardine desselben auf. Man sieht die Leichen von Maria und William Ratcliff.

 

ALLE.

Entsetzlich!

MARGARETE vergnügt lachend.

Sie sehn fast aus wie Edward und Schön-Betty!

 

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