Er hatte sich ein ganzes Menschenalter lang im Westen umhergetrieben und war trotz der Gefahren, denen er sich ausgesetzt hatte, niemals verwundet worden. Darum wurde er von denen, welche abergläubisch waren, für kugelfest gehalten.
Wie er eigentlich hieß, das wußte man nicht. Old Death war sein nom de guerre; er hatte denselben wegen seiner außerordentlich dürren Gestalt erhalten. Der ‚Alte Tod‘! Als ich ihn so vor mir sitzen sah, leuchtete es mir ein, wie man darauf gekommen war, ihn so zu nennen.
Er war sehr, sehr lang, und seine weit nach vorn gebeugte Gestalt schien wirklich nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Die ledernen Hosen schwappten ihm nur so um die Beine. Das ebenfalls lederne Jagdhemd war mit der Zeit so zusammen- und eingeschrumpft, daß ihm die Ärmel nicht viel über den halben Vorderarm reichten. An diesem letzteren konnte man die beiden Knochen, Elle und Speiche, so deutlich wie bei einem Gerippe unterscheiden. Auch die Hände waren ganz diejenigen eines Skeletts.
Aus dem Jagdhemde ragte ein langer, langer Totenhals hervor, in dessen Haut der Kehlkopf wie in einem Ledersäckchen herniederhing. Und nun erst der Kopf! Er schien nicht fünf Lot Fleisch zu enthalten. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, und auf dem Schädel gab es nicht ein einziges Haar. Die schrecklich eingefallenen Wangen, die scharfen Kinnladen, die weit hervortretenden Backenknochen, die zurückgefallene Stumpfnase mit den weiten, aufgerichteten Löchern – wahrhaftig, es war ein Totenkopf, über den man sich entsetzen konnte, wenn man ihn unerwartet zu Gesicht bekam. Der Anblick dieses Kopfes wirkte wahrhaftig auch auf meine Nase: ich glaubte die Dünste der Verwesung, den Odeur von Schwefelwasserstoff und Ammoniak zu riechen. Es konnte einem dabei der Appetit zum Essen und Trinken vollständig abhanden kommen.
Seine langen, dürren Füße steckten in stiefelartigen Futteralen, welche je aus einem einzigen Stücke Pferdeleder geschnitten waren. Über dieselben hatte er wahrhaft riesige Sporen angeschnallt, deren Räder aus mexikanischen silbernen Pesostücken bestanden.
Neben ihm an der Erde lag ein Sattel mit vollständigem Zaumzeug, und dabei lehnte eine jener ellenlangen Kentuckybüchsen, welche jetzt nur noch äußerst selten zu sehen sind, weil sie den Hinterladern weichen mußten. Seine sonstige Bewaffnung bestand aus einem Bowiemesser und zwei großen Revolvern, deren Griffe aus seinem Gürtel ragten. Dieser letztere bestand aus einem Lederschlauch von der Form einer sogenannten ‚Geldkatze‘, welcher rundum mit handtellergroßen Skalphäuten besetzt war. Da diese Skalpe nicht auf den Köpfen von Bleichgesichtern gesessen hatten, so war zu vermuten, daß sie von ihrem jetzigen Besitzer den von ihm besiegten Indianern abgenommen worden waren.
Der Boardkeeper brachte mir das bestellte Bier. Als ich das Glas an die Lippen setzen wollte, hielt der Jäger mir das seinige entgegen und sagte:
„Halt! Nicht so eilig, Boy! Wollen vorher anstoßen. Ich habe gehört, daß dies drüben in Eurem Vaterlande Sitte ist.“
„Ja, doch nur unter guten Bekannten“, antwortete ich, indem ich zögerte, seiner Aufforderung nachzukommen.
„Ziert Euch nicht! Jetzt sitzen wir beisammen und haben es gar nicht nötig, uns, wenn auch nur in Gedanken, die Hälse zu brechen. Also stoßt an! Ich bin kein Spion oder Bauernfänger, und Ihr könnt es getrost für eine Viertelstunde mit mir versuchen.“
Das klang anders als vorhin; ich berührte also sein Glas mit dem meinigen und sagte:
„Für was ich Euch zu halten habe, das weiß ich, Sir. Wenn Ihr wirklich Old Death seid, so brauche ich nicht zu befürchten, mich in schlechter Gesellschaft zu befinden.“
„Ihr kennt mich also? Nun, dann brauche ich nicht von mir zu reden. Sprechen wir also von Euch! Warum seid Ihr denn eigentlich in die Staaten gekommen?“
„Aus demselben Grunde, welcher jeden andern herbeiführt – um mein Glück zu machen.“
„Glaube es! Da drüben im alten Europa denken die Leute eben, daß man hier nur die Tasche aufzumachen habe, um die blanken Dollars hineinfliegen zu sehen. Wenn es einmal einem glückt, so schreiben alle Zeitungen von ihm; von den Tausenden aber, welche im Kampf mit den Wogen des Lebens untersinken und spurlos verschwinden, spricht kein Mensch. Habt Ihr denn das Glück gefunden, oder befindet Ihr Euch wenigstens auf seiner Fährte?“
„Ich denke das letztere bejahen zu können.“
„So schaut nur scharf aus, und laßt Euch die Spur nicht wieder entgehen! Ich weiß am besten, wie schwer es ist, eine solche Fährte festzuhalten. Vielleicht habt Ihr gehört, daß ich ein Scout (Späher, Kundschafter, Pfadfinder) bin, der es mit jedem andern Westmann aufzunehmen vermag, und dennoch bin ich bisher dem Glück vergeblich nachgelaufen. Hundertmal habe ich geglaubt, nur zugreifen zu brauchen, aber sobald ich die Hand ausstreckte, verschwand es wie ein castle in the air (Luftschloß), welches nur in der Einbildung des Menschen existiert.“
Er hatte das in trübem Tone gesprochen und blickte dann still vor sich nieder. Als ich keine Bemerkung zu seinen Worten machte, sah er nach einer Weile wieder auf und meinte:
„Ihr könnt nicht wissen, wie ich zu solchen Reden komme. Die Erklärung ist sehr einfach. Es greift mir immer ein wenig an das Herz, wenn ich einen Deutschen, zumal einen jungen Deutschen sehe, von dem ich mir sagen muß, daß er wohl auch – untergehen wird. Ihr müßt nämlich wissen, daß meine Mutter eine Deutsche war.
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