Von ihr lernte ich ihre Muttersprache, und wenn es Euch beliebt, können wir also deutsch sprechen. Sie hat mich bei ihrem Tode auf den Punkt gesetzt, von welchem aus ich das Glück vor mir liegen sah. Ich aber hielt mich für klüger und lief in falscher Richtung davon. Master, seid gescheiter als ich! Es ist Euch anzusehen, daß es Euch grad so gehen kann wie mir.“

„Wirklich? Wieso?“

„Ihr seid zu fein; Ihr duftet nach Wohlgerüchen. Wenn ein Indianer Eure Frisur sähe, so würde er vor Schreck tot hinfallen. An Eurem Anzuge gibt es kein Fleckchen und kein Stäubchen. Das ist nicht das Richtige, um im Westen sein Glück zu machen.“

„Ich habe keineswegs die Absicht, es grad hier zu suchen.“

„So! Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir zu sagen, welchem Stand oder Fach Ihr angehört?“

„Ich habe studiert.“ Ich sagte das mit einem gewissen Stolz. Er aber sah mir mit leichtem Lächeln – das bei seinen Totenkopfzügen wie ein höhnisches Grinsen erschien – in das Gesicht, schüttelte den Kopf und sagte:

„Studiert! O wehe! Darauf bildet Ihr Euch jedenfalls viel ein? Und doch sind grad Leute Eurer Sorte am wenigsten befähigt, ihr Glück zu machen. Ich habe das oft genug erfahren. Habt Ihr eine Anstellung?“

„Ja, in New York.“

„Was für eine?“

Es war ein so eigener Ton, in welchem er seine Fragen stellte, daß es fast unmöglich war, ihm die Antwort zu verweigern. Da ich ihm die Wahrheit nicht sagen durfte, erklärte ich ihm:

„Ich bin engagiert von einem Bankier, in dessen Auftrag ich mich hier befinde.“

„Bankier? Ah! Dann freilich ist Euer Weg ein viel ebener, als ich gedacht habe. Haltet diese Stelle fest, Sir! Nicht jeder Studierte findet seine Stellung bei einem amerikanischen Geldmann. Und sogar in New York? Da genießt Ihr bei Eurer Jugend ein bedeutendes Vertrauen. Man sendet von New York nach dem Süden nur einen, auf den man sich verlassen kann. Freut mich sehr, daß ich mich in Euch geirrt habe, Sir! So ist's jedenfalls ein Geldgeschäft, welches Ihr abzuwickeln habt?“

„Etwas Ähnliches.“

„So! Hm!“

Er ließ abermals einen seiner scharf forschenden Blicke über mich hingleiten, lächelte grinsend wie vorher und fuhr fort:

„Aber ich glaube, den eigentlichen Grund Eurer Anwesenheit erraten zu können.“

„Das bezweifle ich.“

„Habe nichts dagegen, will Euch aber einen guten Rat erteilen. Wenn Ihr nicht merken lassen wollt, daß Ihr hierher gekommen seid, jemand zu suchen, so nehmt Eure Augen besser in acht. Ihr habt Euch alle hier im Lokale Anwesenden auffällig genau angesehen, und Euer Blick hängt beständig an den Fenstern, um die Vorübergehenden zu beobachten. Ihr sucht also jemand. Habe ich es erraten?“

„Ja, Master. Ich habe die Absicht, einem zu begegnen, dessen Wohnung ich nicht kenne.“

„So wendet Euch an die Hotels!“

„War vergeblich, und ebenso vergeblich die Bemühung der Polizei.“

Da ging jenes freundlich sein sollende Grinsen wieder über sein Gesicht; er kicherte vor sich hin, schlug mir mit dem Finger ein Schnippchen und sagte:

„Master, Ihr seid trotzdem ein Greenhorn, ein echtes, richtiges Greenhorn. Nehmt es mir nicht übel; aber es ist wirklich so.“

In diesem Augenblicke sah ich freilich ein, daß ich zu viel gesagt hatte. Er bestätigte diese meine Ansicht, indem er fortfuhr:

„Ihr kommt hierher in einer Angelegenheit, welche ‚etwas einem Geldgeschäft ähnliches‘ ist, wie Ihr mir sagtet. Der Mann, auf welchen sich diese Sache bezieht, wird in Eurem Auftrag von der Polizei gesucht. Ihr selbst lauft in den Straßen und Bierhäusern herum, um ihn zu finden – ich müßte nicht Old Death sein, wenn ich nun nicht wüßte, wen ich vor mir habe.“

„Nun, wen, Sir?“

„Einen Detektiv, einen Privatpolizisten, welcher eine Aufgabe zu lösen hat, welche mehr familiärer als krimineller Natur ist.“

Dieser Mann war wirklich ein Muster von Scharfsinnigkeit. Sollte ich zugeben, daß er ganz richtig vermutet habe? Nein. Darum antwortete ich:

„Euern Scharfblick in Ehren, Sir; aber diesesmal dürftet Ihr Euch doch verrechnet haben.“

„Glaube es nicht!“

„O, gewiß!“

„Well! Es ist Eure Sache, ob Ihr es zugeben wollt oder nicht. Ich kann und mag Euch nicht zwingen. Aber wenn Ihr nicht wollt, daß man Euch durchschaut, dürft Ihr Euch nicht so durchsichtig verhalten. Es handelt sich um eine Geldsache. Man hat die Aufgabe einem Greenhorn anvertraut; man will also schonend verfahren; folglich ist der Betreffende ein guter Bekannter oder gar ein Glied der Familie des Geschädigten.