Jetzt legten sie die Blumen sehr zart und vorsichtig wieder dahin, wo sie gelegen hatten, und Athabaska wendte sich in englischer Sprache an uns:
»Wir glauben, daß ihr die Spender dieser Blumen seid. Ist das richtig?«
»Ja,« antwortete ich, indem ich mich höflich von meinem Sitze erhob.
»Für wen sollen sie sein?«
»Für Sa-go-ye-wat-ha.«
»Warum?«
»Weil wir ihn lieben.«
»Wen man liebt, den soll man kennen!«
»Wir kennen ihn. Und wir verstehen ihn.«
»Verstehen?« fragte Algongka, indem er seine Augen ein ganz, ganz klein wenig verkleinerte, um seinen Zweifel anzudeuten. »Habt ihr seine Stimme gehört? Er ist längst tot! Es ist schon fast acht Jahrzehnte her, daß er starb.«
»Er ist nicht tot. Er ist nicht gestorben. Wir hörten seine Stimme sehr oft, und wessen Ohren offen sind, der kann sie heut noch ebenso deutlich hören wie damals, als er zur ›Gemeinschaft der Wölfe‹ seines Stammes sprach. Sie hörten ihn leider nicht!«
»Was hätten sie hören sollen?«
»Nicht den oberflächlichen Klang seiner Worte, sondern ihren tiefen, vom großen Manitou gegebenen Sinn.«
»Uff!« rief Athabaska aus. »Welchen Sinn?«
»Daß kein Mensch, kein Volk und keine Rasse Kind und Knabe bleiben darf. Daß jede Savanne, jeder Berg und jedes Tal, jedes Land und jeder Erdteil von Gott geschaffen wurde, um zivilisierte Menschen zu tragen, nicht aber solche, denen es unmöglich ist, über das Alter, in dem man sich nur immer schlägt und prügelt, hinauszukommen. Daß der allmächtige und allgütige Lenker der Welt einen jeden Einzelnen und einer jeden Nation sowohl Zeit als auch Gelegenheit gibt, aus diesem Burschen- und Bubenalter herauszukommen. Und daß endlich ein Jeder, der dennoch stehen bleibt und nicht vorwärts will, das Recht, noch weiter zu existieren, verliert. Der große Manitou ist gütig, aber er ist auch gerecht. Er wollte, daß auch der Indianer gütig sei, besonders gegen seine eigenen roten Brüder. Als aber die Indsmen nicht aufhören wollten, sich untereinander zu zerfleischen, sandte er ihnen das Bleichgesicht – – –«
»Um uns noch schneller umbringen zu lassen!« fiel mir Algongka in die Rede.
Beide sahen mich in sichtlicher Spannung an, was ich auf diesen Vexierausruf antworten werde.
»Nein, sondern um euch zu retten,« entgegnete ich. »Sa-go-ye-wat-ha hat das begriffen, und er wünschte, daß sein Volk, seine Rasse es ebenso begreife; aber man wollte ihn nicht hören. Es wäre zu dieser Rettung sogar heut noch Zeit, wenn der Kind gebliebene Indianer sich aufraffte, Mann zu werden.«
»Also Krieger?« fragte Algongka.
»O nein! Denn selbst bei der Rasse ist grad das Krieger- und Indianerspielen der sicherste Beweis, daß sie kindisch geblieben ist und von höherstrebenden Menschen ersetzt werden muß. Mann werden, heißt nicht, Krieger werden, sondern Person werden. Das hat der große Häuptling der Seneca, an dessen Grabe wir hier stehen, tausendmal gesagt. Laßt es nicht meine, sondern seine Stimme sein, die es euch jetzt abermals sagt. Tut ihr das, so ist er auch für euch nicht gestorben, sondern er lebt und wird in euch weiterleben!«
Ich grüßte mit dem Hute, um mich zu entfernen. Da ergriff zu meiner Verwunderung auch das Herzle das Wort. Sie sagte:
»Und nehmt diese beiden Blumen! Sie sind nicht von mir, sondern von ihm! Die Blumen der Einsicht, der Güte und der Liebe, die er einst zu seinem Volke sprach, sind nur äußerlich verwelkt, ihr Duft aber ist geblieben. Seht, wie der Sonnenstrahl sich langsam, leise nähert, um die Namen, die da in Stein gegraben sind, zu beleuchten und zu erwärmen! Und hört ihr das Flüstern der Blätter, aus denen der Schatten flieht? Auch dieses Grab ist nicht tot. Wir gehen.«
Sie gab Jedem eine der beiden Blumen.
»Geht nicht, sondern bleibt!« bat Athabaska.
»Ja, bleibt noch hier!« schloß Algongka sich ihm an. »Wenn ihr ihn liebt, so gehört ihr hierher!«
»Jetzt nicht,« antwortete ich. »Ich bin sein Freund; ihr aber seid seine Brüder. Dieser Platz gehöre euch. Wir haben Zeit.«
Wir gingen. Als wir uns, ohne uns einmal umzudrehen, weit genug entfernt hatten, um nicht mehr gesehen zu werden, fragte das Herzle:
»Du, haben wir keinen Fehler gemacht?«
»Nein,« antwortete ich.
»Vielleicht aber doch!«
»Welchen wohl?«
»Du hast ihnen gleich sofort eine lange Rede gehalten. Und ich habe sie, die uns doch vollständig Fremden, sogar mit Blumen beschenkt.
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