Sie erinnerte sich, daß sie das, wonach sie suchte, finden müsse. Sie kehrte um und trabte wieder in den Wald zurück, zur großen Erleichterung des Gefährten, der voranlief, bis sie sich wieder unter dem Schutz der Bäume befanden. Als sie geräuschlos wie Schatten im Mondlicht dahinglitten, kamen sie auf einen ausgetretenen Fußpfad. Beider Nasen richteten sich sogleich auf die frischen Fußspuren im Schnee. Einauge rannte behutsam vorwärts, die Gefährtin dicht auf seinen Fersen; wie auf Sammetpfoten glitten sie über den Schnee. Plötzlich erblickte Einauge etwas Weißes, das über die schneeige Fläche huschte. So schnell sein schleichender Gang auch gewesen war, das war nichts gegen die Geschwindigkeit, mit der er nun rannte, da der weiße Fleck, den er entdeckt hatte, vor ihm her sprang.

Zu beiden Seifen des schmalen Pfades, auf dem sie einherliefen, stand junger Tannenwuchs, und durch diesen hindurch konnte man das Ende des Ganges erblicken, der auf mondbeglänzter Lichtung mündete. Einauge näherte sich rasend dem weißen, fliehenden Schatten; jeder Satz brachte ihn näher. Nur noch einer, und seine Zähne hätten es gepackt. Allein dieser Satz wurde nie gemacht. Denn hoch in der Luft, gerade über ihm schwebte plötzlich das weiße Ding, ein zappelndes Kaninchen, das hüpfend und springend einen phantastischen Tanz in der Luft über ihm aufführte, doch nie auf den Boden zurückkam. Einauge sprang mit einem Schnarren in plötzlicher Furcht zurück, dann kauerte er im Schnee nieder und knurrte drohend die fürchterliche Erscheinung an, die ihm unverständlich war. Allein die Wölfin drängte sich kaltblütig an ihm vorbei, maß einen Augenblick die Entfernung und sprang dann nach dem tanzenden Kaninchen empor. Doch so hoch sie auch sprang, es war nicht hoch genug für die ersehnte Beute, und ihre Zähne klappten leer und mit metallischem Klang aufeinander, als sie sie verfehlte. Abermals sprang sie und noch einmal, doch immer vergebens.

Ihr Gefährte hatte sich langsam aus der kauernden Stellung erhoben und beobachtete sie. Er zeigte sich über ihre wiederholten Fehlsprünge unzufrieden und machte selber einen mächtigen Satz aufwärts. Wirklich packte er das Kaninchen mit den Zähnen und brachte es zur Erde nieder. Doch im nämlichen Augenblick vernahm er neben sich ein verdächtiges Rascheln, und erstaunt sah er ein junges Bäumchen sich herabbeugen, als wollte es ihn schlagen. Er ließ die Beute fahren und sprang zurück, um der seltsamen Gefahr zu entgehen, und seine Lefzen zogen sich in die Höhe, aus seiner Brust stieg ein drohendes Knurren, und jedes Haar auf seinem Körper sträubte sich vor Angst und Wut. Im selben Augenblick stand das schlanke Bäumchen wieder aufrecht, und das Kaninchen tanzte von neuem in der Luft.

Die Wölfin war ärgerlich und biß ihn gereizt in die Schulter. Erschrocken und ohne sich den neuen Angriff erklären zu können, schnappte er zurück und verletzte sie an der Schnauze. Auch ihr kam es unerwartet, daß er ihren Verweis so übelnahm, und unwillig knurrend sprang sie auf ihn los. Nun sah er seinen Irrtum ein und suchte sie zu begütigen, doch sie fuhr fort, ihn derb zu zausen, bis er alle Besänftigungsversuche aufgab und sich mit abgewandtem Kopfe im Kreise um sie herumdrehte und seine Schulter ihren Zähnen preis gab.

Unterdessen zappelte das Kaninchen über ihnen in der Luft. Die Wölfin setzte sich in den Schnee nieder, und Einauge sprang mehr aus Angst vor der Gefährtin als vor dem geheimnisvollen Bäumchen wieder nach dem Kaninchen in die Höhe. Als er es diesmal mit den Zähnen packte, behielt er das Bäumchen fest im Auge. Wie vorher folgte es ihm wieder zu Boden. Er duckte sich unter dem erwarteten Schlage, mit gesträubtem Haar, aber sein Gebiß hielt das Kaninchen fest. Doch der Schlag fiel nicht; das Bäumchen beugte sich nur über ihn. Wenn er sich regte, so bewegte es sich auch, und er knurrte es durch die zusammengebissenen Zähne an; blieb er ruhig, so regte es sich ebenfalls nicht, und er schloß daraus, daß es sicherer wäre, stillzuhalten. Doch schmeckte ihm das warme Blut des Kaninchens so gut.

Da befreite ihn seine Genossin aus der rätselhaften Lage, indem sie ihm das Kaninchen wegnahm und, während das Bäumchen über ihr sich drohend und raschelnd hin und her bewegte, dem Tierchen ruhig den Kopf abbiß.