Aber sie knurrte ihn nur an, und so wanderte er allein in den hellen Sonnenschein hinaus, wo der Schnee an der Oberfläche weich und das Gehen beschwerlich war. Er ging aufwärts an dem gefrorenen Flußbette, wo im Schatten der Bäume der Schnee noch hart und kristallisiert war. So wanderte er stundenlang und kehrte erst in der Dunkelheit hungriger denn je zurück. Zwar hatte er Wild gesehen, aber nichts erwischt. Er war durch die Kruste des schmelzenden Schnees gebrochen, während die weißen Kaninchen leichtfüßig darüber hinweggesprungen waren.
Plötzlich blieb er am Eingang der Höhle mißtrauisch stehen. Schwache, seltsame Laute machten sich drinnen vernehmbar, doch kamen sie nicht von der Wölfin her, obgleich sie ihm bekannt vorkamen. Vorsichtig kroch er auf dem Bauche hinein, als ein warnendes Knurren von der Wölfin ihn begrüßte. Er blieb zwar gehorsam in einiger Entfernung liegen, aber die Töne interessierten ihn – sie klangen wie ein schwaches, halbersticktes Schluchzen und Schlabbern.
Wieder ließ die Wölfin das warnende Knurren hören, worauf er sich zusammenrollte und am Eingang der Höhle zur Ruhe legte. Als der Morgen anbrach und sein schwaches Licht in die Höhle drang, untersuchte er wieder, von woher die ihm nicht unbekannten Töne kämen. Da bemerkte er einen neuen Klang in dem warnenden Geknurr der Gefährtin, etwas, das wie Eifersucht klang, und er trug Sorge, sich in respektvoller Entfernung zu halten. Doch unterschied er zwischen ihren Beinen und dem Körper fünf drollige, lebende Bündelchen, die sehr schwach und hilflos erschienen und leise winselten und deren Augen dem Lichte noch nicht geöffnet waren. Er war überrascht. Nicht zum erstenmal war ihm während seines langen Lebens Ähnliches geschehen, öfters schon war es gewesen, aber jedesmal hatte er es als eine Überraschung empfunden.
Die Wölfin sah ihn ängstlich an. Von Zeit zu Zeit ließ sie ein leises Grollen hören, das jedesmal, wenn er ihr zu nahe kam, zum scharfen Knurren wurde. Aus eigener Erfahrung konnte sie nichts darüber wissen, aber aus Instinkt, der Erfahrung der Wolfsmütter, ihrer Vorfahren, erinnerte sie sich daran, daß Väter ihre neugeborene hilflose Nachkommenschaft zuweilen gefressen hatten. Diese Erinnerung bekundete sich als lebhafte Furcht, und sie suchte darum zu verhindern, daß Einauge den Jungen, deren Vater er doch war, zu nahe käme. Aber es war diesmal keine Gefahr, denn der alte Einauge fühlte den Stachel eines Triebes, der auch ihm von seinen wölfischen Vätern überliefert worden war. Er zerbrach sich nicht den Kopf darüber, es lag ihm gleichsam im Blute, und er gehorchte ihm wie etwas ganz Natürlichem, indem er seiner neugeborenen Familie den Rücken kehrte und sich auf die Jagd nach Beute für sich und die Seinen begab.
Acht bis zehn Kilometer von der Höhle aufwärts teilte sich der Strom, und die Gabelung führte im rechten Winkel bis in die Berge hinauf. Er wandte sich links und traf auf eine frische Spur. Er beschnupperte sie und fand sie so frisch, daß er sich niederlegte und in die Richtung blickte, in der sie sich verlor. Dann kehrte er gemütlich um und lief den rechten Flußarm hinauf. Die Fußspuren, die er gesehen hatte, waren viel größer als die eigenen, und er wußte, daß es auf einer solchen Spur wenig Wild für ihn gäbe.
Ungefähr tausend Schritt aufwärts am rechten Flußufer vernahm sein scharfes Ohr das Geräusch nagender Zähne. Er ging langsam darauf los und fand ein Stachelschwein, das aufrecht an einem Baume stand und dessen Rinde mit den Zähnen bearbeitete. Einauge näherte sich vorsichtig, doch ohne Hoffnung. Er kannte diese Art von Tieren, obgleich er ein solches noch nie zuvor so weit im Norden angetroffen hatte; auch hatte ihm keines je als Mahlzeit gedient. Allein er wußte seit langem, daß es so etwas wie einen Zufall oder eine günstige Gelegenheit gäbe, und er kam immer näher. Man konnte ja niemals wissen, was geschehen würde, denn wo lebende Wesen im Spiel waren, geschah alles immer anders, als man dachte.
Das Stachelschwein rollte sich zu einem Ball zusammen und streckte die langen, scharfen Stacheln nach allen Richtungen aus, um den Angriff abzuwehren. In der Jugend war Einauge einem solchen, scheinbar regungslosen Ball mit der Nase zu nahe gekommen. Da war dessen Schwanz ihm plötzlich ins Gesicht geschossen, und ein Stachel war in seiner Nase steckengeblieben, wo er wochenlang wie Feuer gebrannt hatte, bis er schließlich herausgeeitert war. Also duckte er sich bequem nieder, die Nase mehr als einen Fuß breit von der Schnauze entfernt und wartete ruhig.
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