Man konnte ja nicht wissen: das Stachelschwein mochte sich aufrollen, und dann war eine gute Gelegenheit, die Pfote ihm rasch und derb in den weichen, ungeschützten Leib zu schlagen.

Allein nach einer halben Stunde erhob er sich, knurrte zornig den regungslosen Ball an und trabte weiter. Er hatte zu oft vergeblich darauf gewartet, daß Stachelschweine sich aufrollen sollten, um damit noch mehr Zeit zu verlieren, und so schritt er am rechten Flußarm weiter. Doch der Tag verging, und sein Suchen blieb unbelohnt.

Der Trieb der erwachten Vaterliebe war mächtig in ihm. Er mußte Speise finden. Da stieß er am Nachmittag auf ein Schneehuhn. Der einfältige Vogel saß nicht drei Fuß von ihm entfernt auf einem umgefallenen Baumstamm, als er gerade aus dem Dickicht kam. Die beiden blickten einander an, und der Vogel fuhr erschrocken auf, aber Einauge schlug mit der Pfote nach ihm, warf ihn zu Boden, sprang darauf los und packte ihn mit den Zähnen, als er versuchte, über den Schnee zu laufen, um aufzufliegen. Als er das zarte Fleisch und die weichen Knochen durchbiß, bekam er Lust, die Beute zu verzehren. Dann erinnerte er sich, kehrte um und lief mit dem Schneehuhn im Maule heim.

Eine Strecke oberhalb der Gabelung, als er wie ein gleitender Schatten auf Sammetpfoten dahinlief und vorsichtig bei jeder Wendung des Weges ausschaute, traf er wieder auf die frischen, großen Fußspuren, die er am Morgen entdeckt hatte. Sie führten auf seinem Wege entlang, und so folgte er ihnen in der Erwartung, bei jeder Biegung des Flußufers dem Tier zu begegnen, das sie gemacht hatte. Als er einmal den Kopf um die Felsecke streckte, wo eine ungewöhnlich langgezogene Biegung des Flüßchens begann, erspähte sein schnelles Auge etwas, das ihn rasch niederducken ließ. Die Spuren, die er gesehen hatte, rührten von einer großen Luchsin her, und da lag sie geduckt vor der zusammengerollten Stachelkugel, gerade wie er es früher am Tage selber gemacht hatte. War er vorhin nur wie ein Schatten dahingeglitten, so wurde er nun der Geist eines solchen, so behutsam kroch er näher, immer von der Seite gegen den Wind, bis er dicht an das regungslose, schweigende Paar herankam. Er legte das Schneehuhn neben sich in den Schnee und duckte sich nieder. Dann spähte er durch die Zweige einer niedrigen Tanne auf das Drama vor sich, den wartenden Luchs und das ebenfalls wartende Stachelschwein, von denen jedes sich fest an das Leben klammerte. Und das Seltsame an dem Schauspiel war, daß für den einen das Leben darin bestand, den andern zu verspeisen, und für den anderen, nicht verspeist zu werden. So kauerte der alte einäugige Wolf im Verstecke und spielte in dem Drama auch seine Rolle, indem er auf den glücklichen Zufall rechnete, der ihm auf der Jagd nach Beute, die auch für ihn das Leben war, helfen sollte.

Eine halbe Stunde verstrich, dann noch eine, und nichts ereignete sich. Die stachlige Kugel hätte von Stein sein können, so wenig bewegte sie sich, ebenso wie der Luchs hätte, zu Marmor erstarrt, der alte Einauge tot sein können. Dennoch war das Leben in allen drei Tieren so mächtig, daß es fast wie Schmerz empfunden wurde, und kaum waren sie jemals so voller Leben gewesen wie jetzt in ihrer scheinbaren Leblosigkeit. Einauge machte eine leichte Bewegung und spähte mit erhöhter Spannung.

Es ging jetzt etwas vor. Das Stachelschwein hatte endlich angenommen, daß der Feind fort sei. Langsam und vorsichtig rollte es den undurchdringlichen Panzer auf. Kein Vorgefühl warnte es. Einauge schaute zu, das Wasser lief ihm im Munde zusammen, der Speichel tropfte herab, so erregt war er durch die lebende Beute, die wie eine Mahlzeit sich vor ihm ausbreitete. Doch bevor das Stachelschwein sich ganz aufgerollt hatte, erblickte es den Feind. Da schlug der Luchs mit Blitzesschnelle zu. Die Pfote mit den ausgestreckten Krallen, die sich wie Fänge krümmten, schoß nach dem weichen Bauche hin, kratzte und zog sich dann rasch zurück. Wäre das Stachelschwein ganz aufgerollt gewesen, oder hätte es den Feind nicht den Bruchteil einer Sekunde vor dem Schlage entdeckt, so wäre die Pfote unverletzt davongekommen, doch bevor sie sich zurückzog, schoß das Stachelschwein durch eine Seitenbewegung des Schwanzes scharfe Stacheln hinein.

Alles, der Schlag, der Gegenhieb, der Schmerzensschrei des Stachelschweins und das gellende Geheul der erschrockenen Katze bei der plötzlichen Verwundung, all das war fast gleichzeitig gewesen. Einauge hob sich erregt in die Höhe, die Ohren gespitzt, den Schwanz steif und bebend. Der wütende Schmerz der Luchsin ließ sie jede Vorsicht vergessen.