Zwar war es eine düstere Welt, aber es wußte das nicht, da es keine andere kannte. Sie war nur schwach erleuchtet, doch seine Augen hatten sich noch an kein anderes Licht gewöhnt. Auch war sie sehr klein; ihre Grenzen waren die Wände der Höhle, aber da es keine Kenntnis von der großen Welt draußen hatte, so bedrückte die Enge seines Daseins es nicht.
Es hatte früh entdeckt, daß eine Wand seiner Welt von den übrigen verschieden war; dies war der Eingang zur Höhle und die Quelle des Lichtes. Lange bevor es eigene Gedanken und bewußte Willensregungen hatte, machte es diese Entdeckung, und diese Wand übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Noch bevor seine Augen geöffnet waren und es um sich blicken konnte, hatte das von dort kommende Licht auf seine geschlossenen Lider gewirkt, und Augen und Sehnerven hatten seltsam angenehme Empfindungen verspürt, wenn Licht, Wärme und Farben sie trafen. Das Leben in seinem Körper, in jeder Ader dieses Körpers, das unbewußte Leben, hatte sich nach diesem Lichte gesehnt und diesen seinen Körper in derselben Weise dahingetrieben, wie bestimmte Chemikalien in der Pflanze sie zur Sonne hintreiben.
Von Anfang an, bevor noch sein bewußtes Leben zu dämmern begann, war es nach dem Eingang zur Höhle gekrochen, und darin war es mit seinen Geschwistern stets einig gewesen. Nie kroch eines von ihnen in die dunkeln Winkel der hinteren Wand. Das Licht zog sie an, als wären sie Pflanzen; die chemischen Bestandteile, die Leben in ihnen erzeugten, verlangten das Licht als eine Notwendigkeit des Daseins, und die winzigen Körperchen krochen blindlings wie die Ranken eines Weinstockes danach. Später, als jedes persönliche Triebe entwickelte und bewußte Begierden empfand, wurde die Anziehungskraft des Lichtes immer stärker. Immer wieder krochen sie darauf zu und wurden von der Mutter zurückgetrieben. Dabei lernte das graue Junge außer der weichen, liebkosenden Zunge der Mutter noch andere Eigenschaften an ihr kennen. Wie es immer wieder nach dem Lichte kroch, entdeckte es an ihr eine Nase, die durch einen scharfen Puff ihm einen Verweis erteilte, und auch eine Pfote, die sich ihm auflegte und es mit schnellem, wohlberechnetem Stoß um und um kegelte. So lernte es das, was wehe tat, und auch noch, wie man das vermeiden könnte, indem man davor seitwärts oder rückwärts auswich. Dies waren schon bewußte Handlungen und die ersten abstrakten Begriffe, die es sich von der Welt machte. Vorher war es wie ein Automat vor dem, was weh tat, zurückgewichen, wie ein solcher war es auch zum Licht gekrochen; nun wich es vor dem Schmerz zurück, weil es ihn kannte.
Es war wie seine Geschwister ein wildes kleines Tier. Was konnte man auch anders von einem Fleischfresser erwarten! Es stammte von solchen her, sein Vater und seine Mutter hatten nur von Fleisch gelebt. Die Milch, die es in den ersten Tagen seines schwachen Lebens gekostet, hatte sich aus Fleisch gebildet, und nun, im Alter von vier Wochen, wenige Tage nachdem seine Augen sich dem Lichte geöffnet hatten, fing es an, selber Fleisch zu fressen, halbverdautes, das die Wölfin für die fünf Jungen, die schon zu große Ansprüche an ihre Nahrung stellten, ausspie.
Aber es war auch das stärkste und wildeste von allen Jungen. Es konnte lauter grollen und knurren als eines der andern. Seine Wutanfälle waren toller als die ihren. Es lernte zuerst, wie man ein Junges mit einem schlauen Streich der Pfote um und um kehren konnte. Es zerrte und riß wohl ein anderes am Ohr, während es durch die zusammengebissenen Zähne knurrte. Sicherlich hatte die Mutter die meiste Mühe, gerade dieses Junge vom Eingang zur Höhle zurückzuhalten.
Mit jedem Tage wuchs der Zauber des Lichtes für das graue Junge. Es machte sich beständig auf, um an dem Eingang zur Höhle auf Abenteuer auszugehen, und beständig wurde es zurückgetrieben. Allerdings wußte es nicht, daß das ein Eingang sei; was wußte es davon, daß man zu andern Orten gelangen könne! Es kannte ja keine andern, noch viel weniger, wie man dahin kommen könnte. So blieb der Eingang für das Junge eine Wand, aber eine lichte Wand. Was die Sonne für die draußen Wohnenden bedeutete, das war diese Wand für das Junge, die Sonne seiner Welt. Sie zog es an wie das Licht die Motte; es strebte immer danach. Das Leben, das sich so schnell in ihm entwickelte, trieb es unablässig nach der hellen Wand. Das Leben in ihm wußte, daß es der einzige Weg hinaus sei, der einzige, den es betreten könnte, aber das Kleine selber wußte nichts davon. Es wußte überhaupt nicht, daß es ein Draußen gäbe.
Es war doch etwas höchst Seltsames um diese Wand.
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