Wild sprang sie auf das Geschöpf los, das sie verletzt hatte. Aber das grunzende, quiekende Stachelschwein machte noch mit aufgeschlitztem Leibe den schwachen Versuch, sich zur Kugel zusammenzurollen, und hieb mit dem Schwanz nach der großen Katze, die wiederum vor Schreck und Schmerz zu kreischen begann. Dann zog sie sich prustend zurück, da ihre Nase wie ein großes Stecknadelkissen aussah. Sie fuhr mit den Pfoten darüber, um die brennenden Pfeile zu entfernen, stieß damit in den Schnee und rieb sich an Ästen und Zweigen, indem sie fortwährend vorwärts und seitwärts auf und ab in rasender Angst und im Schmerz umhersprang. Dabei prustete sie immerfort, der kurze Schwanz war in unablässiger Bewegung und peitschte mit kurzen, heftigen Streichen ihre Flanken. Plötzlich gab sie das tolle Herumspringen auf und legte sich ein paar Minuten lang ruhig hin. Einauge beobachtete sie, aber er fuhr mit gesträubtem Haar zurück, als sie auf einmal ohne jede Warnung hoch in die Luft sprang und zu gleicher Zeit einen gellenden Schrei ausstieß. Dann entfernte sie sich in großen Sätzen den Fluß hinauf, wobei sie bei jedem Satze laut aufschrie.

Erst als der Lärm in der Ferne erstarb, wagte sich Einauge aus dem Versteck heraus. Er trat mit so großer Vorsicht auf, als wäre der Schnee mit Stacheln übersät, die gerade und aufrecht stehend ihm in die weichen Sohlen der Füße hätten dringen können. Das Stachelschwein begrüßte ihn bei der Annäherung mit wütendem Gequiek und schlug drohend die langen Zähne zusammen. Es hatte versucht, sich wieder zur Kugel zusammenzurollen, allein es war ihm nicht ganz gelungen, dazu waren die Muskeln zu sehr zerrissen, und es blutete stark. Einauge leckte den blutbefleckten Schnee mit Lust und verschlang ganze Stücke davon. Das reizte seinen Appetit, sein Hunger wuchs mächtig, aber er hatte zu lange gelebt, um die Vorsicht außer acht zu lassen. Er legte sich hin und wartete, während das Stachelschwein mit den Zähnen klappte, stöhnte und grunzte und dann und wann laut aufquiekte. Nach einer kleinen Weile bemerkte Einauge, daß sich die Stacheln heftig zitternd senkten. Das hörte plötzlich auf, dann klappten die langen Zähne noch einmal wie herausfordernd zusammen, die Stacheln sanken vollends, der Körper streckte sich und bewegte sich nicht mehr.

Ängstlich und oft zurückfahrend streckte Einauge das Stachelschwein seiner vollen Länge nach mit der Pfote aus und drehte es auf den Rücken. Nichts geschah ihm dabei, also war es sicher tot. Er betrachtete es einen Augenblick genau, dann packte er es vorsichtig mit den Zähnen und trabte damit den Fluß hinunter, indem er es teils schleppte, teils trug und dabei den Kopf zur Seite drehte, um nicht auf die Stacheln zu treten. Plötzlich besann er sich auf etwas, legte die Bürde nieder und trabte bis zur Stelle zurück, wo er das Schneehuhn gelassen hatte. Er zögerte keinen Augenblick, sondern verzehrte das Schneehuhn sogleich. Dann kehrte er zurück und nahm seine Bürde wieder auf.

Als er die Jagdbeute des Tages in die Höhle schleppte, besah die Wölfin sie sich, drehte die Schnauze nach ihm und leckte ihm leicht den Nacken. Allein im nächsten Augenblick scheuchte sie ihn durch ihr Knurren von den Jungen hinweg, doch klang das weniger rauh als früher, ja, es klang sogar mehr bittend als drohend. Die angeborene Furcht vor dem Vater ihrer Nachkommenschaft legte sich. Er hatte sich ja wie ein echter Vater benommen und kein rohes Verlangen gezeigt, das junge Leben, das er in die Welt gesetzt hatte, zu zerstören.

 

DRITTES KAPITEL

 

Das graue Junge

 

Es war anders als seine Geschwister. Deren Haarfarbe verriet schon den rötlichen, von der Mutter ererbten Schimmer, während es als das einzig wirklich graue Junge dem Vater glich. Es war ein richtiger Wolf, ein echter Sohn des alten Einauge selbst im Äußern, nur mit dem Unterschied, daß es zwei Augen statt des einen des Vaters hatte. Die Augen des grauen Wölfleins waren noch nicht lange offen, als es schon mit großer Deutlichkeit sah. Doch als sie noch geschlossen waren, hatte es schon gefühlt, geschmeckt, gerochen.

Es kannte die beiden Brüder und auch die beiden Schwestern und hatte schon angefangen, auf linkische Weise mit ihnen zu tollen und sogar sich mit ihnen zu zanken, wobei, wenn es wütend wurde, ein drolliger, rasselnder Ton in der kleinen Kehle erzitterte, ein Ton, der später zum Grollen werden sollte. Auch hatte es, lange bevor seine Augen sich öffneten, gelernt, durch Berührung, Geschmack und Geruch die Mutter zu erkennen, die für ihn eine Quelle von Wärme, von flüssiger Nahrung und Zärtlichkeit war. Sie hatte eine sanfte, liebkosende Zunge, die ihm wohltat, wenn sie sein weiches Körperchen berührte, und es drückte und schmiegte sich dicht an sie, bevor es einschlummerte.

Die ersten vier Wochen seines Daseins wurden größtenteils schlafend verbracht, als es aber, erst sehen konnte, blieb es länger wach und lernte die Welt, die es umgab, kennen.