Es war nicht die schiere Größe des Hafens, die Ragnars Aufmerksamkeit so vollkommen fesselte. Vielmehr waren es die umliegenden Gebäude. Das kleinste von ihnen war doppelt so groß wie das große Langhaus daheim, das größte Bauwerk, welches Ragnar bis zu diesem Augenblick in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Noch viel bemerkenswerter war die Tatsache, dass alle Gebäude aus Stein gefertigt waren.
Stein, dachte Ragnar und schauderte. Das war fast unvorstellbar. Was, wenn eines der gewaltigen Erdbeben sie einstürzen ließ? Würden dann nicht alle Leute in den Gebäuden von den Steinlawinen zu blutigem Brei zerquetscht? Diese gewaltigen, rußgeschwärzten Bauwerke waren Todesfallen.
Jeder wusste, dass die einzig vernünftige Art, ein Haus zu bauen, dieselbe war wie die, ein Drachenschiff zu bauen - aus Drachenhautleder als Bespannung für ein Gerüst aus Drachenknochen. Für heilige Bauwerke konnte man auch in Erwägung ziehen, kostbares Holz zu verwenden, obwohl es verbrennen mochte, falls bei einem Beben eine Öllampe umfiel. Ragnar hatte so etwas schon erlebt. Jeder hatte das.
Fenris' Inseln waren gefährdet und waren es schon gewesen, bevor Russ sein auserwähltes Volk hierher geführt hatte.
Es war Wahnsinn, aus Stein zu bauen, aber diese Leute hatten es getan. Und nicht einfach, indem Stein auf Stein getürmt worden war, wie man einen Schutzwall errichtete.
Nein, diese Häuser bestanden aus gewaltigen behauenen Steinblöcken, die man zu perfekten Quadern gemeißelt und dann in einem verschachtelten Muster angeordnet hatte. Und den schwärzlichen Moosen an den Seiten und den dicken Rußschichten nach zu urteilen, welche die Mauern überzogen, waren die Häuser uralt. Sie sahen auch alt aus und verwittert, wie die ältesten Runensteine im großen Ring auf dem Donnerberg. Der Skalde behauptete, sie seien schon seit Anbeginn der Zeit dort.
Es gab nicht nur ein großes Gebäude, sondern Hunderte davon, manche so groß wie Hügel. Aus einigen Dächern ragten mächtige Schlote, aus denen schwarzer Rauch quoll und hin und wieder gigantische Flammenzungen in die Höhe schossen.
»Sie haben die Feuerelementare gezähmt«, sagte Ulli. »Das sind große Zauberer.«
Es sah ganz gewiss danach aus, dachte Ragnar. Diese Leute fürchteten sich sicher nicht vor dem Feuer. Sie mussten in der Tat mächtige Zauberer sein, wenn sie sich weder vor dem Beben der Erde noch vor der Bedrohung des Feuers fürchteten.
Und wie hatten sie diese riesigen Hallen errichtet? Hatten sie Magie benutzt, um die Steine an Ort und Stelle zu fügen? Oder hatten sie ihre gefangenen Dämonensklaven die ganze Arbeit verrichten lassen? Die hier am Werk befindliche Macht und das offenkundige Geschick waren ehrfurchtgebietend.
Dennoch war Ragnar nicht sicher, ob es ihm gefallen hätte, hier zu leben. Die Luft roch schlecht und stechend, und es schien ein ähnlicher Gestank vorzuherrschen, wie er daheim von den Gerbereien ausging, nur vielfach verstärkt und tausendmal schlimmer. Rußschwaden trieben durch die Luft wie schwarze Schneeflocken und ließen sich auf Haar und Kleidung nieder. Das Wasser hatte eine sonderbare Farbe und sah an einigen Stellen schwarz und zähflüssig aus, an anderen rot oder grün, von Abwässern verfärbt, welche von den schwarzen Rohren ausgespien wurden, die sich bis zum Hafen zogen.
»Bei Russ' Knochen«, hauchte Ulli.
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