ZWEITES KIND
Was willst du auch immer!
ERSTES KIND
Marie, sing du uns!
MARIE
Ich kann nit.
ERSTES KIND
Warum?
MARIE
Darum.
ZWEITES KIND
Aber warum darum?
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 26.09.2000
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Georg Büchner (1813-1837)
Woyzeck
DRITTES KIND
Großmutter, erzähl!
GROSSMUTTER
Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.
WOYZECK erscheint
Marie!
MARIE erschreckt
Was is?
WOYZECK
Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit.
MARIE
Wohin?
WOYZECK
Weiß ich's?
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 26.09.2000
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Georg Büchner (1813-1837)
Woyzeck
Waldsaum am Teich
Marie und Woyzeck.
MARIE
Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster.
WOYZECK
Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich!
MARIE
Aber ich muß fort.
WOYZECK
Du wirst dir die Füße nit wund laufe.
MARIE
Wie bist du nur auch!
WOYZECK
Weißt du auch, wie lang es jetzt is, Marie?
MARIE
Am Pfingsten zwei Jahr.
WOYZECK
VVeißt du auch, wie lang es noch sein wird?
MARIE
Ich muß fort, das Nachtessen richten.
WOYZECK
Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm.
Was du heiße Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht' ich den Himmel geben, sie noch einmal zu küssen. - Friert's dich? Wenn man kalt is, so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren.
MARIE
Was sagst du?
WOYZECK
Nix.
Schweigen.
MARIE
Was der Mond rot aufgeht!
WOYZECK
Wie ein blutig Eisen.
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 26.09.2000
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Georg Büchner (1813-1837)
Woyzeck
MARIE
Was hast du vor, Franz, du bist so blaß. - Er holt mit dem Messer aus. - Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe!
WOYZECK sticht drauflos
Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! So! - Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch.
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