Eh denn der Herr hier eingezogen, da schon das Meisenzwitschern in den Büschen war, hat der junge Schmied da unten in der Schummerstunde einen auf der wüsten Stell am Dorf getroffen, wo einst ein Immengarten ist gewesen; der hat nach Grieshuus gewiesen und ihn gefraget: ›Wer wohnt denn dorten?‹ Und als er dann berichtet, ist er ihm eingefallen: ›Ein Schwed? Wie ist denn das?‹ – ›Ja, Herr, er hat sich eingefreiet; aber das Weib ist diesen Herbst verstorben.‹ Da er bei diesen Worten aufgeblicket, hat der Mann, der schon ergrauet und von großem herrenhaftem Aussehen ist gewesen, die Händ gefaltet und ist todtenbleich geworden; der Schmied aber hat gesagt, und, so er mir erzählet, er hätt's nicht lassen können ›Ja, Herr; aber einen stolzen Buben soll sie nachgelassen haben; und zum Frühjahr werden sie hier wohnen, gleich den alten Herren von Grieshuus, wo der ein erschlagen und der andere – –‹«

Als der Schäfer so weit gesprochen hatte, kam eine Stimme von der Ofenseite: »Gabriel, Gabriel! Spar deine unnützen Worte!« Das war die alte Matten; sie war blind, aber die Leute fürchteten sie, denn sie sah mit Geistesaugen, was erst die Zukunft bringen sollte, und so sie solcherweise anhub, meineten alle, daß sie prophezeien werde.

Und so ist es still geworden, aber die Alte sprach nicht weiter, und ich entzündete meine Leuchte, schritt über den Hof und dann im Thorhaus das Trepplein hinauf nach meinem Zimmer oben, und war der Kopf mir schwer, was für Verhängniß Gott hier möge zugelassen haben. Doch als ich bald danach ans Fenster trat, um in die Nacht hinauszuforschen, ob nicht ein Sternlein von dem Himmel strahle, da sah ich hier im Erdenthal ein Lichtlein flimmern, wohl eine Viertelstunde fern, das in dem Thurm da drüben brennen mochte. Das war der neue, nein, der sehr alte Wildmeister! – Was er betreiben mochte, das wußte ich nicht; aber mir war, ich sei nun hier nicht mehr allein; und da ich mein Licht gelöschet, sah ich das andere noch lang von meinem Bette aus. Und Gott sei mit uns allen!

 

Aber am nächsten Sonnabend, es mochte nach neun Uhr abends sein, saß ich wiederum auf meiner Kammer. Mein Vetter im Dorfe drunten, der Pastor Heike Madsen, hatte mir bei gestrigem Besuche ein Buch der holländischen Irrlehrerin, der Antoinette Bourignon, gegeben, so vor Jahren drunten in der Stadt in eigenem Hause eine Buchdruckerei gehalten hatte, um ihre thörichten Meinungen als Bücher ausgehen zu lassen; es führete den Titel. »Das Grab der falschen Theologie«, und ist Anno 1674 auf dem Markt zu Flensburg durch den Scharfrichter verbrennet worden; hatte mein Vetter aber curiositatis halber noch dies Exemplar geborgen. Mir war von dem frechen Wuste solcher Lehren der Kopf schier wüst geworden, und von draußen schlug der Sturm an die Fenster, als wolle er die Scheiben aus dem Blei reißen.

Da legete ich den Unflat bei Seite, denn mich fassete Begehr nach einem stillen Gruß von meinem Nachbar jenseit der Heide. Aber obwohl er bis hiezu noch um Mitternacht mit seinem Lichtlein in das Dunkel hinausgeleuchtet hatte, es war itzt alles schwarz da draußen. Der Sturm fuhr heran und wieder fort; und es war dann eine Zeitlang Todtenstille; nur in der Ferne hörete ich ihn tosen, als ob er dort zu schaffen habe, bis er zurückkam und mit frischen Kräften wieder gegen Mauer und Fenster tobte. Und diesmal lag ich lang, bevor ich schlafen konnte.

– – Als ich am Morgen über den Hof ging, sprach ich zu einem Knechte: »Das war schlecht Wetter in der Nacht!« »Ja, Herr, wie immer in den schlimmen Tagen«, entgegnete er und schritt vorüber. Ich schüttelte den Kopf; aber ich besann mich; wir schrieben den 24sten; so war der Wildmeister heute nacht im Herrenhaus gewesen. Auch vernahm ich drinnen, daß heute der Tag sei, wo alle Jahr die alte Matten ihren Kirchgang halte; der Knecht aber, der bei ihrer Blindheit sie stets geleite, habe sich den Fuß vertreten. Also ging ich zu ihr, traf sie auch wohlgeputzet in der Gesindestube, mit neuem Fürtuch und schwarzem Käppchen, und bot ihr meine Dienste an.

»Er will mit dem alten Weibe nach der Kirche?« frug sie; und als ich es bejahete: »So muß Er Geduld haben, Magister; denn so weite Wege gehe ich nur einmal in dem Jahr.«

»Ich habe schon Geduld«, sprach ich; »meine alte Mutter ist schwächer noch denn Sie.«

Da sah sie mich mit ihren todten Augen an und lächelte, daß ihr altes Antlitz mir gar hold erschien; dann aber seufzte sie und sprach schier traurig und wie nur zu sich selber: »Du wirst auch alle überleben, Kind.«

Und auf diese sonderliche Rede gab sie mir die Hand, und wir gingen den Kirchweg hinab. Der Herr Oberst hatte mir in seinem Wagen Raum geboten, aber ich hatte solches abgelehnet; und so sahen wir sie uns vorbeifahren; die Tante Adelheid und der Oberst nickten, der Junker warf uns ein Küßlein aus dem Wagen zu. Es war gut Wetter worden, und die Sonne schien; und auch wir kamen in die Kirche, wenn auch langsam.

Nach dem Gottesdienste wartete ich, bis alle hinaus waren. Matten saß noch mit gefalteten Händen im Gestühlte und betete still vor sich hin. »Wollen wir gehen?« sprach ich leise; da hob sie sich, und wir gingen aus der Kirche.

Als wir draußen zu Osten an der Kapellenwand vorbeiwanderten, strich sie mit der Hand an der Mauer entlang. »Schlaft wohl, ihr Christenseelen alle!« murmelte sie; und dann, so daß ich es nur kaum vernahm: »Und genade Gott auch dir, Junker Hinrich!«

Da wir dann weitergingen, frug ich: »War Junker Hinrich einer von den alten Herren?«, denn die Geschichte des Geschlechtes war mir derzeit nicht bekannt.

»Das war er, Magister«, sprach die alte Frau mit schwerem Tone.

»Und lieget der auch hier begraben?«

Sie antwortete mir nicht und sah nicht auf. Da wir aber wiederum eine Strecke weiter waren, sprach sie: »Er war der Beste; aber – bei Gott ist Rath und That.« Dann faltete sie die Hände und ging schweigend neben mir.

Am Anberg bei Grieshuus waren wir von dem Vetter eingeholet worden, der erst im Dorfkrug mit den Bauern hatte schwatzen müssen.

»Halt, halt!« rief er mir zu; »so nehmet doch einen müden Christen mit, Ehrwürden!«, denn er nannte mich scherzend wohl schon damals mit dem epitheton ornans meines heutigen Berufes.

Und da wir dann nach Haus gekommen und die Alte in ihre Kammer gegangen war, frug ich auch ihn: »Saget, wer war denn Junker Hinrich, von dem die alte Matten redet?«

»Ei, Ehrwürden«, entgegnete der Vetter lustig, »das solltet Ihr wohl wissen; das war ein Hund, der seinen Zwillingsbruder um das Erbe todtschlug und dann von seinem neugeborenen Kind davonlief. Aber, redet nicht davon, denn er war der Großpapa von unserem jungen Prinzen!«

»Von Rolf? – Aber die Alte spricht anders von dem Manne.«

»Ja, die! Die ist nur halb bei Trost. Aber wisset, der Geist des Todten wartet auf der Heide, um ihn zu greifen, falls er in diesen Tagen dort vorüberkäme!« Der Vetter lachte: »Wird lange warten müssen, Ehrwürden! Drum aber vergreife sich's unterweilen auch! Der Fiedelfritz vom Dorf schleppt seit drei Jahren noch die Beine wie ein Seehund; beim Stein am Tümpel hat man ihn gefunden: 's ist eine bitterkalte Nacht gewesen, ein Wunder, daß kein Thier sich da herangewaget!«

»Ist das der Saufaus«, frug ich, »der neulich für ein neues Violon gebettelt hat?«

Der Vetter nickte: »Ich weiß, wo Ihr hinauswollet, Ehrwürden; aber der Wildmeister ist kein Säufer, und einen Hasenfuß werdet Ihr ihn auch nicht schelten wollen; der wird erst morgen wieder vom Hofe gehen; und die Dirne, so ihm das Essen zuträgt, sagt, es liege eine Bibel auf dem Tisch, sonst sei nichts da als der ergraute Mann; der sehe nicht und höre nicht, und die Speise hole sie fast unberühret wiederum zur Küche.«

Ich dachte an den furchtbaren Waldstein und an andere tapfre Männer, welche auch derlei Phantasmata hatten, aber ich sagte nichts darauf.

Inzwischen gedieh der Unterricht des Junkers mir nach Wunsche; insonders liebte er die Erzählung von den Weltbegebenheiten, so daß er mich oft gar sonntags damit plagete. So hatten wir eines Tages nach der Kirchzeit mitsammen in des Martini Greveri »Weltgemälden« von dem schönen Hohenstaufen-Jünglinge gelesen, dem König Enzio mit den goldnen Ringelhaaren, wie nach der Campagne bei Fossalta die Bologneser ihn in den Kerker stießen, so daß er nimmer wieder mit seinem wehenden Goldhaar durch den Frühlingsmorgen reiten konnte; und wie ein Weib, ein schönes, zu ihm hinabstieg und ihm den Frühling in die Nacht hinunterbrachte.

Nach dem Lesen waren wir in das gen Süden belegene Speisezimmer hinaufgestiegen, woselbst wir auch meinen Vetter, den Pastor, trafen, der erst zu Maitag sich sein Weib zur Pfarre holen wollte. Nach der Tafel liebte es der Herr Oberst noch ein Stündlein mit uns zu konversieren, denn er war ein Mann von guter Erudition; und also geschahe das auch heute; der Junker Rolf stand neben seines Vaters Sessel, und ich merkete wohl, er hörte nicht, was hier geredet wurde.

Der Oberst hatte ihn schon lang betrachtet; nun streckte er die Hand aus und schüttelte den Knaben: »Was sinnest du, Rolf?«

Da sprach dieser, als habe er bei sich schon lang davon geredet: »Und wissen Sie, Papa? Schön ist sie gewesen und jung und hat ihn nimmer doch verlassen! Und als der König Enzio endlich dann begraben worden, ist dicht am Sarge eine ältliche Matrone hergewankt, und eine schneeweiße Strähne ist in ihrem langen dunklen Haar gewesen!«

Und nun ließ es ihm nicht Ruhe mehr; seine Augen glänzten, und er erzählte alles, was er wußte, von dem König Enzio mit den goldnen Ringelhaaren; er schien es nicht zu fühlen, wie die schon kraftvolle Februariussonne in seinem eigenen Goldgelocke glühte!

Während seines Redens war der Wildmeister, der etwas zu melden haben mochte, in das Gemach getreten und, seiner Zeit gewärtig, an der Thür gestanden. Aber schon vorher hatte sich, was wohl um solche Zeit geduldet wurde, ein Schwesterenkelkind der alten Matten, ein braunes, zehnjähriges Dirnlein, in ihrem Sonntagsstaat hereingeschlichen. Wie mit Aug und Ohren horchend, war sie zu Anfang still gestanden, dann aber, ein Fingerlein an den Lippen, immer näher zu dem jungen Herrn hingeschlichen. Als aber dieser seine Rede kaum geschlossen hatte, wies sie mit ausgestreckter Hand auf einen Spiegel gegenüber, woraus des Knaben Bildniß mit seinem Goldgeringel widerschien. »Guck!« raunte sie ihm zu, »da ist er!« und zupfte ihn an seinem Ärmel.

Aber der Knabe wollte sich nicht stören lassen. »Wer denn? Was willst du, Abel?«

Da streckete die Dirne sich zu ihm auf. »König Enzio!« rief sie laut und rannte mit purpurrothem Angesicht zur Thür hinaus.

Der Oberst lachte; der alte Wildmeister aber war rasch ein paar Schritte vorgetreten, und die Hand nach dem Haupt des Knaben streckend, rief er hastig: »Gott nehme ihn in seinen Schutz!«

Der Oberst wandte sich in seinem Stuhle. »Das thue er in seiner Gnaden!« sprach er; »aber was hat Er, Wildmeister?«

Da sprach der andere schier verwirrt: »Verzeihet, das Ringelhaar des Hohenstaufen soll in Kerkersnacht gebleichet sein.«

»Er ist kein Kaiserssohn«, sagte der Oberst, »solches wird meinem Buben nicht geschehen«, und blickte liebevoll auf seinen Sohn.