So hatten wir eines Tages nach der Kirchzeit mitsammen in des Martini Greveri »Weltgemälden« von dem schönen Hohenstaufen-Jünglinge gelesen, dem König Enzio mit den goldnen Ringelhaaren, wie nach der Campagne bei Fossalta die Bologneser ihn in den Kerker stießen, so daß er nimmer wieder mit seinem wehenden Goldhaar durch den Frühlingsmorgen reiten konnte; und wie ein Weib, ein schönes, zu ihm hinabstieg und ihm den Frühling in die Nacht hinunterbrachte.
Nach dem Lesen waren wir in das gen Süden belegene Speisezimmer hinaufgestiegen, woselbst wir auch meinen Vetter, den Pastor, trafen, der erst zu Maitag sich sein Weib zur Pfarre holen wollte. Nach der Tafel liebte es der Herr Oberst noch ein Stündlein mit uns zu konversieren, denn er war ein Mann von guter Erudition; und also geschahe das auch heute; der Junker Rolf stand neben seines Vaters Sessel, und ich merkete wohl, er hörte nicht, was hier geredet wurde.
Der Oberst hatte ihn schon lang betrachtet; nun streckte er die Hand aus und schüttelte den Knaben: »Was sinnest du, Rolf?«
Da sprach dieser, als habe er bei sich schon lang davon geredet: »Und wissen Sie, Papa? Schön ist sie gewesen und jung und hat ihn nimmer doch verlassen! Und als der König Enzio endlich dann begraben worden, ist dicht am Sarge eine ältliche Matrone hergewankt, und eine schneeweiße Strähne ist in ihrem langen dunklen Haar gewesen!«
Und nun ließ es ihm nicht Ruhe mehr; seine Augen glänzten, und er erzählte alles, was er wußte, von dem König Enzio mit den goldnen Ringelhaaren; er schien es nicht zu fühlen, wie die schon kraftvolle Februariussonne in seinem eigenen Goldgelocke glühte!
Während seines Redens war der Wildmeister, der etwas zu melden haben mochte, in das Gemach getreten und, seiner Zeit gewärtig, an der Thür gestanden. Aber schon vorher hatte sich, was wohl um solche Zeit geduldet wurde, ein Schwesterenkelkind der alten Matten, ein braunes, zehnjähriges Dirnlein, in ihrem Sonntagsstaat hereingeschlichen. Wie mit Aug und Ohren horchend, war sie zu Anfang still gestanden, dann aber, ein Fingerlein an den Lippen, immer näher zu dem jungen Herrn hingeschlichen. Als aber dieser seine Rede kaum geschlossen hatte, wies sie mit ausgestreckter Hand auf einen Spiegel gegenüber, woraus des Knaben Bildniß mit seinem Goldgeringel widerschien. »Guck!« raunte sie ihm zu, »da ist er!« und zupfte ihn an seinem Ärmel.
Aber der Knabe wollte sich nicht stören lassen. »Wer denn? Was willst du, Abel?«
Da streckete die Dirne sich zu ihm auf. »König Enzio!« rief sie laut und rannte mit purpurrothem Angesicht zur Thür hinaus.
Der Oberst lachte; der alte Wildmeister aber war rasch ein paar Schritte vorgetreten, und die Hand nach dem Haupt des Knaben streckend, rief er hastig: »Gott nehme ihn in seinen Schutz!«
Der Oberst wandte sich in seinem Stuhle. »Das thue er in seiner Gnaden!« sprach er; »aber was hat Er, Wildmeister?«
Da sprach der andere schier verwirrt: »Verzeihet, das Ringelhaar des Hohenstaufen soll in Kerkersnacht gebleichet sein.«
»Er ist kein Kaiserssohn«, sagte der Oberst, »solches wird meinem Buben nicht geschehen«, und blickte liebevoll auf seinen Sohn. Aber viel heißer noch lagen des Alten Augen auf des Knaben Antlitz. Dann richtete er sich auf »Wenn es beliebte, Herr Oberst? Der Wolf ist unten auf dem Hofe, den meine Hunde heut nacht niederlegten!«
Da faßte unser Herr des Knaben Hand und ging mit dem Alten nach dem Hof hinab; ich und der Pastor folgeten. Auf der Treppe aber hielt dieser, der seine klugen Augen fleißig zwischen den Personen hatte hin und wider gehen lassen, mich am Arm zurück und raunte: »Was meinest du, Magister? Ich möcht wohl wissen, wie selbiger, den sie hier den Wildmeister heißen, in seinen jungen Tagen ausgesehen hat!«
Aber vom Hofe aus rief der Herr Oberst durch die offene Hausthür: »Wo bleibt die Geistlichkeit? Erlegter Feind ist ja auch ihr gar liebe Augenweide!«
Da schritten wir eilig hinab und sahen das erlegte Thier auf einem Schlitten liegen, denn es war Schnee gefallen in der Nacht.
Das Raubzeug minderte sich merklich, und immer seltener kam ein Schäfer mit Geschrei zum Hof hinauf gelaufen; und doch hatte der Wildmeister nur einen Mann zur ständigen Hülfe sich erbeten, der hieß Hans Christoph: er war mit ihm von fast demselben Alter und wohnete ehelos im Dorfe unten. Zur Nacht aber war der Wildmeister allzeit allein in seinem Thurmhaus, so nicht ein Sonderbares sollte unternommen werden; denn unterweilen, zumal im Winter, hörete ich auch um solche Zeit von mehr als einer Büchse das Krachen aus dem Walde, und war dann morgens meist ein Wolf zu Hof gebracht.
– – So waren ein paar Jahre hingegangen; der Junker war frisch hinaufgewachsen und wohl vierzehnjährig schon; dabei war er klug und hatte mich fast ausgelernet. Zu dem Wildmeister, der auch bei dem Obersten viel Ansehen hatte, hegte er ein groß Vertrauen. Der nahm ihn mit zur kleinen Jagd, wozu der Knabe seinen eigenen Hund besaß, und unterwies ihn, wie mit diesem und mit Schießgewehren richtig zu hantieren sei; obwohl von jäher Gemüthsart, nahm er strengen Tadel von ihm hin. Als sie einst im Herbste mit ihren Flinten über Feld gingen, frug der Wildmeister einen Knecht, der dorten Dünger über das Land streuete, wohin die Hühner, die sie jagten, wohl geflogen seien. Da hörte er, indeß er mit dem Knechte sprach, den Junker seines Hundes Namen: »Nero! Nero!« laut und zornig und noch immer lauter rufen; denn es war ein Igel, den der Hund nicht lassen wollte. Als aber der Alte seinen Kopf wandte, riß eben der Knabe des Knechtes Furke aus der Erde, um sie dem Hunde nach dem Leib zu stoßen.
Doch gleichwie von Eisenklammern fühlte er seine Hand von einer anderen gepacket. »Erschlag nicht deinen Hund!« rief über ihm der Wildmeister, »du könntest das später einem Menschen thun!«
»Und er sah mich so furchtbar an«, sagte der Junker, da er es mir erzählete, »ich meint, er wolle mich gar selbst erschlagen! Dann aber legte er sanft den Arm um mich und sprach: ›Das ist dein Blut, mein Kind; wir müssen wissen wogegen wir zu kämpfen haben!‹ Und so, mit einem Worte, rief er den Hund, der mit gesenktem Kopfe von dem Igel abließ.«
Der Wildmeister war wohl selbst ein jähzorniger Mann gewesen, aber er hatte gelernt, sich zu besiegen; davon erhielt ich Beweis in eigener Gegenwart. Unser Pastor war in der Stadt zum Diaconate präsentieret, und ich hatte Lust zu seiner Nachfolge hier im Dorfe. So ging ich zum Herrn Obersten, um mein Anliegen vorzubringen, aber ich traf ihn nicht in der besten Laune. Er hatte ein Schreiben in der Hand, mit dem er in seinem Zimmer auf und ab ging; die Tante Adelheid hatte sich bei meinem Eintritt mit einem Kopfaufwerfen durch die Seitenthür davonbegeben.
»Hat Er bei mir zu klagen, Magister?« sprach der Oberst, als ich meine Sache vorgetragen hatte, und da ich das verneinte: »So bleib Er! Er ist noch jung! Machen wir es gleich unserer Herzoginwitwe mit dem sechsjährigen Herzog, gehen wir nach Stockholm! Es wird auch dort für Ihn zu sorgen sein; Er kann doch nicht von meinem Buben lassen!«
Und da ich über solche Rede erstaunet und auch das letztere die Wahrheit war, so hatte ich nicht allsogleich die Antwort.
Da klopfte es; und auf ein heftiges »Herein« des Obersten war der Wildmeister in das Zimmer getreten. Aber jener beachtete ihn nicht. »Es ist hier nimmermehr zu hausen«, sprach er weiter; »die vormundschaftliche Regierung ist der Görtz, der steckt die Hälfte in die eigene Tasche und hat doch nie genug; und dabei kein Landtag und kein Landgericht! Aber hier ist einer« – und er schüttelte das Schreiben in seiner Faust-, »der hat mir Handgeld für Grieshuus geboten! Freilich, die Tante ist in hellem Brand darüber.«
»Herr Oberst«, sagte der Wildmeister, »Sie werden Grieshuus doch nicht verkaufen wollen?« Und da ich ihn ansah, war es wie eine Angst in seinem Antlitz.
Der Oberst war stehengeblieben. »Und weshalb nicht?« frug er scharf.
Und der Wildmeister entgegnete ruhig: »Weil es das Erbe Ihres Sohnes ist.«
»Ja, freilich; doch ich bin der Vormund meines Sohnes.«
»Aber«, sagte der Alte, und in seiner Stimme war ein heimlich Beben, »Sie sind ein Fremder hier; doch Ihres Sohnes Ahnen, Jahrhunderte hinauf, schlafen dort unten in der Kapellengruft.«
»Da hat Er recht, Wildmeister«, entgegnete der andere verdrossen, »und der Großvater ist zum Glücke nicht dazwischen!«
»Herr Oberst!« rief der Alte mit seiner vollen Stimme und stand hoch aufgerichtet vor ihm; er war todtenblaß geworden, und ein Paar herrische Augen fielen so drohend auf den Oberst, als ob er ihn von Haus und Hof verjagen wollte.
Und eine Weile sahen sich die beiden an. »Wer ist Er eigentlich«, sprach der Hausherr, »daß Er also zu mir redet?«
Da schien der Alte seiner Sinne wieder Herr zu werden. »Ich bin um andere Dinge hergekommen«, sprach er nach einer Weile, »und bitte, daß Sie mich hören wollen!« Und auf des Herrn finsteres Nicken: »Hans Christoph ist gestern unten in der Stadt gewesen; der Magistrat hat dort beschlossen, den Hafen mit einem neuen Bollwerk einzufassen: ich dächte, das Eichenholz könnte wohl von hier dazu geliefert werden!« Und er begann dann, seine Pläne zu explizieren. Der Oberst, der erst zornig auf und ab gegangen war, stand endlich still und frug und hörete wieder. Ich aber beurlaubte mich und dachte wiederum der Worte meines Vetters.
Als aber die Lieferung des nöthigen Eichenholzes mit dem Magistrate abgeschlossen war, so ließ der Wildmeister Schneißen durch die Wälder hauen, da wo sie am dichtesten waren und das Raubwild seinen Unterschlupf bewahrete; denn solcherweis entstanden kleinere Vierkanten und war selbigem leichter beizukommen. Sodann im Herbste stellte er eine Treibjagd an; denn schon im Sommer hatte er die besten Hunde vom Hofe alle auf den Wolf dressieret, und die Dorfbursche, so im Wald gehauen hatten, waren derzeit bei einzelnen Jagden schon unterwiesen worden.
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