Seltsam schien mir, daß er nicht um sich blickte, sondern geradeswegs nach der Stelle ging, wo der Oberst sich neben dem wunden Rosse hielt.

Als dieser sich aufrichtete und ihm sagte, er sei der Herr hier, und was Botschaft etwa er zu bringen habe, lüftete der Fremde ein wenig seine Kappe, aber fast nicht als ein Untergebener oder ein Begehrender, und hub dann im ruhigen Tone an, wie er als erprobter hirsch- und wolfgerechter Jäger den Wölfen nicht nur mit Schießen, Gruben oder Giftlegen, sondern auch auf minder bekannte Art beizukommen gute Wissenschaft erlanget, und zu dem Ende, da er von dem Nothstand hier vernommen dem Herrn Oberst seine Dienste offeriere.

»Oho!« rief der Vetter und warf sich in die Brust; »wir halten hier nichts auf solche Jägerstücklein und Teufelsspielereien; sind auch genug der fahrenden Weidgesellen, die viel versprechen und dann wenig halten!«

Der Oberst hieß ihn schweigen, deutete aber auf die Hunde, die schier unbeweglich standen, die klugen Augen zu denen des greisen Mannes gerichtet, und sprach zu diesem: »Wenn Er mir dienen will, was hat Er Seine Köter nicht am Thor gelassen? Hier binnen ist nur Platz für meine und meiner Freunde Hunde.«

Unter den buschigen Augbrauen des aufrechten Alten schoß es wie Funken; doch er entgegnete ruhig: »Wer ihren Herrn dingen will, der muß sie sich gefallen lassen; der Handel wird nur um so besser sein.«

Der Oberst schwieg einen Augenblick und frug dann: »Was für Atteste hat Er?«

Der Alte griff in sein Wams und übergab ihm eine Schrift; der Junker Rolf aber sah inzwischen nur nach den Hunden: »Oh, sehen Sie, Herr Magister, die beiden schönen Kerle!«

Er wollte zu ihnen; da rief ich laut und griff nach seiner Hand: »Laß, laß, Junker! Das sind von den grausamen Bluthunden, und sie kennen dich ja nimmer!«

Bei diesen Worten sah der Fremde, uns andere nicht beachtend, auf den Knaben; ja fast, als ob er mit den Augen ihn verschlingen wollte, daß er nicht hörte, wie der Oberst zu ihm redete: »Das wäre etwas; der König hat in seinem Preußen wohl weidgerechte Männer brauchen müssen. Hat Er mehr desgleichen?«

Aber es bedurfte eines weiteren Wortes, bevor der Fremde nochmals in sein Wams griff und ein zweites Schriftstück dem Oberst überreichte; zum Junker aber sprach er: »Es ist nicht Gefahr, so ich zugegen bin!« und raunete ein Wort zu beiden Thieren.

Da sprang der Knabe von der Treppe und lief zu den Hunden, die jetzt ihre großen Köpfe zu ihm wandten; der Fremde aber ließ langsam seine Hand auf des Junkers Scheitel sinken, und seine Lippen rühreten sich, als ob er heimlich bete.

Der Oberst hatte diesen Vorgang nicht gewahret; denn seine Augen hatten sich auf das Papier geheftet. »Oho!« rief er nun; »aus Schweden, vom König Carolus ein eigenes Sigill!« Und er hob den Hut vom Kopfe, wie immer, wenn er den Namen seines einstigen Kriegsherrn sprach. »Wie kommt's denn, daß Er im Lande streifet, so Er solche Gönner aufzuweisen hat?«

»Lasset das!« sprach der Alte. »Es ist so meine Art.«

Der Oberst blickte ihn eine Weile an: »Ihr sehet mir zwar nicht einem gleich, der dienen möchte; aber folget mir in mein Gemach, so wollen wir der Sache näher kommen!«

Die Hunde streckten sich auf Befehl des Alten neben der Treppe; dann gingen beide in das Haus.

– – Am folgenden Tage hieß es, der Fremde sei als Wildmeister von dem Oberst angenommen; er habe sich die Wohnung im Thurmhaus ob der Heide ausbedungen, nur drei Tage im Jahr, vom 23. auf 25. Januarius, müsse ihm auf dem Hofe selbst Quartier gegönnet werden.

Das gab gar viel Gerede in Grieshuus; denn es war ja einmal Friede hier zu Lande, obschon der ränkesüchtige Görtz regierte und die Frau Herzoginwitwe mit unserem kleinen Herzog sich in Schweden, in ihres Bruders Reiche, aufhielt; und geschahe hier sonst nichts anderes, als daß das Korn gedroschen und in den Ställen das Vieh gefüttert wurde.

An einem Abend, da ich im Herrenhause mit dem Junker unsere studia beendet hatte, stieg ich in die Gesindestub hinab, um meine Leuchte anzuzünden. Da saßen alle bei einander, und ich hörte den Kutscher sagen: »Was weiß denn der von unseren schlimmen Tagen, die auch nun vor der Thüre sind?«

Der alte Schäfer, der mit seinem rauhen Hund ihm gegenüber saß, nahm die kurze Pfeife aus dem Mund. »Ich hab so mein' Gedanken, Jochum«, sprach er; »er wird zum ersten Mal nicht hier sein. Eh denn der Herr hier eingezogen, da schon das Meisenzwitschern in den Büschen war, hat der junge Schmied da unten in der Schummerstunde einen auf der wüsten Stell am Dorf getroffen, wo einst ein Immengarten ist gewesen; der hat nach Grieshuus gewiesen und ihn gefraget: ›Wer wohnt denn dorten?‹ Und als er dann berichtet, ist er ihm eingefallen: ›Ein Schwed? Wie ist denn das?‹ – ›Ja, Herr, er hat sich eingefreiet; aber das Weib ist diesen Herbst verstorben.‹ Da er bei diesen Worten aufgeblicket, hat der Mann, der schon ergrauet und von großem herrenhaftem Aussehen ist gewesen, die Händ gefaltet und ist todtenbleich geworden; der Schmied aber hat gesagt, und, so er mir erzählet, er hätt's nicht lassen können ›Ja, Herr; aber einen stolzen Buben soll sie nachgelassen haben; und zum Frühjahr werden sie hier wohnen, gleich den alten Herren von Grieshuus, wo der ein erschlagen und der andere – –‹«

Als der Schäfer so weit gesprochen hatte, kam eine Stimme von der Ofenseite: »Gabriel, Gabriel! Spar deine unnützen Worte!« Das war die alte Matten; sie war blind, aber die Leute fürchteten sie, denn sie sah mit Geistesaugen, was erst die Zukunft bringen sollte, und so sie solcherweise anhub, meineten alle, daß sie prophezeien werde.

Und so ist es still geworden, aber die Alte sprach nicht weiter, und ich entzündete meine Leuchte, schritt über den Hof und dann im Thorhaus das Trepplein hinauf nach meinem Zimmer oben, und war der Kopf mir schwer, was für Verhängniß Gott hier möge zugelassen haben. Doch als ich bald danach ans Fenster trat, um in die Nacht hinauszuforschen, ob nicht ein Sternlein von dem Himmel strahle, da sah ich hier im Erdenthal ein Lichtlein flimmern, wohl eine Viertelstunde fern, das in dem Thurm da drüben brennen mochte. Das war der neue, nein, der sehr alte Wildmeister! – Was er betreiben mochte, das wußte ich nicht; aber mir war, ich sei nun hier nicht mehr allein; und da ich mein Licht gelöschet, sah ich das andere noch lang von meinem Bette aus. Und Gott sei mit uns allen!

 

Aber am nächsten Sonnabend, es mochte nach neun Uhr abends sein, saß ich wiederum auf meiner Kammer. Mein Vetter im Dorfe drunten, der Pastor Heike Madsen, hatte mir bei gestrigem Besuche ein Buch der holländischen Irrlehrerin, der Antoinette Bourignon, gegeben, so vor Jahren drunten in der Stadt in eigenem Hause eine Buchdruckerei gehalten hatte, um ihre thörichten Meinungen als Bücher ausgehen zu lassen; es führete den Titel. »Das Grab der falschen Theologie«, und ist Anno 1674 auf dem Markt zu Flensburg durch den Scharfrichter verbrennet worden; hatte mein Vetter aber curiositatis halber noch dies Exemplar geborgen. Mir war von dem frechen Wuste solcher Lehren der Kopf schier wüst geworden, und von draußen schlug der Sturm an die Fenster, als wolle er die Scheiben aus dem Blei reißen.

Da legete ich den Unflat bei Seite, denn mich fassete Begehr nach einem stillen Gruß von meinem Nachbar jenseit der Heide. Aber obwohl er bis hiezu noch um Mitternacht mit seinem Lichtlein in das Dunkel hinausgeleuchtet hatte, es war itzt alles schwarz da draußen. Der Sturm fuhr heran und wieder fort; und es war dann eine Zeitlang Todtenstille; nur in der Ferne hörete ich ihn tosen, als ob er dort zu schaffen habe, bis er zurückkam und mit frischen Kräften wieder gegen Mauer und Fenster tobte. Und diesmal lag ich lang, bevor ich schlafen konnte.

– – Als ich am Morgen über den Hof ging, sprach ich zu einem Knechte: »Das war schlecht Wetter in der Nacht!« »Ja, Herr, wie immer in den schlimmen Tagen«, entgegnete er und schritt vorüber. Ich schüttelte den Kopf; aber ich besann mich; wir schrieben den 24sten; so war der Wildmeister heute nacht im Herrenhaus gewesen. Auch vernahm ich drinnen, daß heute der Tag sei, wo alle Jahr die alte Matten ihren Kirchgang halte; der Knecht aber, der bei ihrer Blindheit sie stets geleite, habe sich den Fuß vertreten. Also ging ich zu ihr, traf sie auch wohlgeputzet in der Gesindestube, mit neuem Fürtuch und schwarzem Käppchen, und bot ihr meine Dienste an.

»Er will mit dem alten Weibe nach der Kirche?« frug sie; und als ich es bejahete: »So muß Er Geduld haben, Magister; denn so weite Wege gehe ich nur einmal in dem Jahr.«

»Ich habe schon Geduld«, sprach ich; »meine alte Mutter ist schwächer noch denn Sie.«

Da sah sie mich mit ihren todten Augen an und lächelte, daß ihr altes Antlitz mir gar hold erschien; dann aber seufzte sie und sprach schier traurig und wie nur zu sich selber: »Du wirst auch alle überleben, Kind.«

Und auf diese sonderliche Rede gab sie mir die Hand, und wir gingen den Kirchweg hinab. Der Herr Oberst hatte mir in seinem Wagen Raum geboten, aber ich hatte solches abgelehnet; und so sahen wir sie uns vorbeifahren; die Tante Adelheid und der Oberst nickten, der Junker warf uns ein Küßlein aus dem Wagen zu. Es war gut Wetter worden, und die Sonne schien; und auch wir kamen in die Kirche, wenn auch langsam.

Nach dem Gottesdienste wartete ich, bis alle hinaus waren. Matten saß noch mit gefalteten Händen im Gestühlte und betete still vor sich hin. »Wollen wir gehen?« sprach ich leise; da hob sie sich, und wir gingen aus der Kirche.

Als wir draußen zu Osten an der Kapellenwand vorbeiwanderten, strich sie mit der Hand an der Mauer entlang. »Schlaft wohl, ihr Christenseelen alle!« murmelte sie; und dann, so daß ich es nur kaum vernahm: »Und genade Gott auch dir, Junker Hinrich!«

Da wir dann weitergingen, frug ich: »War Junker Hinrich einer von den alten Herren?«, denn die Geschichte des Geschlechtes war mir derzeit nicht bekannt.

»Das war er, Magister«, sprach die alte Frau mit schwerem Tone.

»Und lieget der auch hier begraben?«

Sie antwortete mir nicht und sah nicht auf. Da wir aber wiederum eine Strecke weiter waren, sprach sie: »Er war der Beste; aber – bei Gott ist Rath und That.« Dann faltete sie die Hände und ging schweigend neben mir.

Am Anberg bei Grieshuus waren wir von dem Vetter eingeholet worden, der erst im Dorfkrug mit den Bauern hatte schwatzen müssen.

»Halt, halt!« rief er mir zu; »so nehmet doch einen müden Christen mit, Ehrwürden!«, denn er nannte mich scherzend wohl schon damals mit dem epitheton ornans meines heutigen Berufes.

Und da wir dann nach Haus gekommen und die Alte in ihre Kammer gegangen war, frug ich auch ihn: »Saget, wer war denn Junker Hinrich, von dem die alte Matten redet?«

»Ei, Ehrwürden«, entgegnete der Vetter lustig, »das solltet Ihr wohl wissen; das war ein Hund, der seinen Zwillingsbruder um das Erbe todtschlug und dann von seinem neugeborenen Kind davonlief. Aber, redet nicht davon, denn er war der Großpapa von unserem jungen Prinzen!«

»Von Rolf? – Aber die Alte spricht anders von dem Manne.«

»Ja, die! Die ist nur halb bei Trost. Aber wisset, der Geist des Todten wartet auf der Heide, um ihn zu greifen, falls er in diesen Tagen dort vorüberkäme!« Der Vetter lachte: »Wird lange warten müssen, Ehrwürden! Drum aber vergreife sich's unterweilen auch! Der Fiedelfritz vom Dorf schleppt seit drei Jahren noch die Beine wie ein Seehund; beim Stein am Tümpel hat man ihn gefunden: 's ist eine bitterkalte Nacht gewesen, ein Wunder, daß kein Thier sich da herangewaget!«

»Ist das der Saufaus«, frug ich, »der neulich für ein neues Violon gebettelt hat?«

Der Vetter nickte: »Ich weiß, wo Ihr hinauswollet, Ehrwürden; aber der Wildmeister ist kein Säufer, und einen Hasenfuß werdet Ihr ihn auch nicht schelten wollen; der wird erst morgen wieder vom Hofe gehen; und die Dirne, so ihm das Essen zuträgt, sagt, es liege eine Bibel auf dem Tisch, sonst sei nichts da als der ergraute Mann; der sehe nicht und höre nicht, und die Speise hole sie fast unberühret wiederum zur Küche.«

Ich dachte an den furchtbaren Waldstein und an andere tapfre Männer, welche auch derlei Phantasmata hatten, aber ich sagte nichts darauf.

Inzwischen gedieh der Unterricht des Junkers mir nach Wunsche; insonders liebte er die Erzählung von den Weltbegebenheiten, so daß er mich oft gar sonntags damit plagete.