»Ja, ja, Hans Christoph, auch den Tiras!«

Und danach hat der Amtschirurgus, dem der Nachtwind allen Dunst vom Hirn gefeget, sein barmherzig Werk verrichtet; an dem Jungen erst, dann an dem Hunde; und an beiden ist die Kunst des Mannes nicht zuschanden worden.

Zwar hat der Herrensohn noch manche Nacht im Wechsel mit der unermüdlichen Greth-Lise Krankenwacht gehalten; als aber eines Morgens der weiße Hund mit Sprüngen in die Kammer tobte und dann der Junker rief: »Tiras, hallo, so gib Hans Christoph doch die Pfote!«, da hat der Junge vor Freuden hell aufgelacht und ist nach ein paar Tagen selbst vom Lager aufgestanden.

Nur nach dem blonden Dirnlein hat der Junker Hinrich noch manch ein Mal vergebens ausgeschaut, auch unterweilen sich verdrossen abgewandt, wenn statt ihrer ein verhutzelt Männlein mit Schriftwerk in der Hand den Anberg zu Grieshuus hinaufgestiegen ist.

– – Von dem jüngeren Zwillingsbruder, welcher derzeit in der Klosterschule zu Bordesholm gesessen, ist solcherlei Gewalttat niemals kundgeworden; als man später ihm davon berichtet, hat er zu beidem, was vor und nach geschehen, den Kopf geschüttelt und nur gesagt: »Er weiß nicht, was uns ziemet.« Zu dem Bruder selber hat er nie ein Wort davon geredet.

Auf der Universität zu Leipzig, die er bald danach beschritten, hat er seine Juridica und Humaniora mit Fleiß traktiert, auch sich in allen Dingen wohl verhalten, insonders bei der welschen Kleiderhoffart, die dort arg im Schwange ging, ein jedes Übermaß vermieden. Gleichwohl, da er eines Sonntagnachmittages während der Vakanzzeit mit dem Bruder durch das Dorf hinabschritt, reckten alle Bauern nebst Kindern und Gesinde den Hals aus Tür und Fenstern, um dem gelehrten Herrn in seiner Alamodekleidung, mit dem weißgepuderten Kopfe, Kniebändern und Manschetten, nachzuschauen. Als später Junker Hinrich den Weg allein zurückschritt, im grauen Wams, die Ledermütze mit der Falkenfeder auf dem dunkeln, kurzgestutzten Haar, da waren es nur die jungen Dirnen, welche möglichst weit die Augen auftaten; nur waren sie in die Tiefe des dunkeln Flurs zurückgetreten oder bargen sich hinter der offenen Haustür und sahen heimlich durch den Spalt, solange es irgend reichen mochte.

Es wäre nicht not gewesen, der Junker Hinrich hatte kein Auge für die Dirnen; sowenig, daß die jungen Knechte, die sich des doch hätten getrösten mögen, von ihm zu sagen pflegten, der Junker sei wohl schon ein Kerl; nur in dem einen nicht!

Um ein paar Jahre später hat gleichwohl auch ihm seine Stunde schlagen müssen; eine schicksalsschwere, die letzte seines Hauses angebrochen ist.

– – Jene arge Zeit war damals über unser Land gekommen, deren Greuel unter dem Namen des »Polackenkrieges« noch lange beim Bierkrug wie am Spinnrad im Gedächtnis blieben. Zwar unser Herzog führte keinen Krieg, er redete zum Frieden: aber von den Streitenden war der junge schwedische Kriegsfürst seiner Tochter Mann, der mißtrauische Dänenkönig war der Mitregent der Lande und schonte weder diese noch den Herzog, seinen Schwestersohn. Nicht dessen drückende Brandschatzung war indes das Schlimmste; aber ihm zu Hülfe überschwemmte fremdes Volk das Land: Kaiserliche und Brandenburger, am gefürchtetsten die Polen, unter denen Türken und Tataren mitzogen; sie plünderten und vergewaltigten und erschlugen, so sie es vermochten, was sich widersetzte.

Unter den trotz solchen Schreckens Couragierten zählte ein altes verbissenes Männlein, das zeit seines Lebens mehr die Feder als die Waffen geführt hatte. In seinen besten Jahren ein herzoglicher Kornschreiber, hatte er noch vor Schluß des Mannesalters eine städtische Waise zur Ehe einzufangen verstanden und seit diesem einträglichen Geschäfte seinen beschwerlichen Dienst quittiert. Er hatte drunten in der Stadt sich in dem Erbhaus seines Weibes eingerichtet, nach eigenem Behagen dem Schreibwerk obliegend, das ihm von Kirchen-oder Gasthausvorstehern oder andern mit der Feder ungewandten Bürgern genugsam angetragen wurde. Aber die Frau verstarb im ersten Kindbett und ließ ihm statt ihrer eine Tochter, deren spätere Schönheit man weder der Mutter noch dem überlebenden Vater nachzurechnen wußte. Diesem selber aber, so gern er sonst abends in der Schenke seine Weisheit ausgeboten hatte, war seitdem die Stadt verleidet worden; sei es ob so plötzlicher Verwaisung seines Hauses, sei es wegen Haders mit der Sippe seines Weibes, die das Neugeborene nicht in seinen Händen lassen wollte.

Nun war es schon über ein Jahrzehnt, daß abseit des Dorfes unterhalb Grieshuus sich zur Verwunderung der Bauern ein städtisch Männlein angesiedelt hatte, das Sommer und Winter in spitzem Hut und einem Vielfraßpelze in die Kirche ging. Das vom Hofherrn in Erbheuer erworbene Grundstück hatte er zum Garten umschaffen, es dann mit Wällen einschließen und diese mit Weißbuchen und Hagedorn dicht bepflanzen lassen, so daß, als allmählich die Hecken aufgewachsen waren, die Giebelseite des kleinen Hauses wie aus einem grünen Nest hervorsah, während ringsum kahle Felder lagen.

Wer am Winterabend durch die kleinen Scheiben hier hineingesehen hätte, würde den Alten meistens mit der Feder in der Hand erblickt haben, vor einem Foliobogen gelblichen Papieres, worauf bei kargem Kerzenlichte ein Schreibwerk langsam weiterrückte. An Sommertagen mußte man ihn im Garten bei seinen Bienenkörben suchen, die dort gegen Osten in doppelten Reihen übereinander an dem hohen Zaune aufgestellt waren. Hier konnte man auch wohl das blonde Dirnlein sehen, das mit ihm eingezogen war; mitunter saßen sie beisammen auf einem Bänkchen unterhalb der grünen Hecke; der Alte hatte dann ein aufgeschlagen Buch in Händen und las ihr vor, oder er zeigte mit dem Finger und ließ die Kleine selber lesen. Ins Dorf hinunter kam sie nicht; nur eine Zeitlang, da sie größer worden, war sie wohl mit Schriften auf den Herrenhof gegangen, die ihr Vater für den alten Junker angefertigt hatte. Dann hatte auch dieses aufgehört; nun war sie seit Jahren hier nicht mehr gesehen worden: eine alte Frau in feinem Tuchmantel und verbrämter Kappe war mit ihr durch das Dorf und den Weg zur Stadt hinausgefahren, eine reiche »Möddersch«, wie man sich erzählte; das Kind sollte was Besseres lernen, als hier im Dorf zu haben war, und in der großen Kirche eingesegnet werden. Auch später hatte die Möddersch sie nicht missen wollen; als aber jetzt die Tausende des fremden Kriegsvolks gegen die Stadt anrückten, hatte das Männlein, fast mit Gewalt, die Tochter in sein Gartennest zurückgeholt. Allein eben hierher sprengte der Krieg sein losestes Gesindel; schon einmal hatte er vor des Herzogs Freunden, den längst arg berufenen Schweden, das Kind so tief unter dem Dach versteckt gehalten, daß es danach mit einem Spinnwebhäubchen auf dem blonden Haar hervorgezogen wurde; was er aber jetzt bei hellem Sonnenschein durch eine Lücke des Gartenzaunes gegen sein Haus heranlaufen sah, die langen Schnauzbärte und die roten Mäntel, das mußten Polacken, wenn nicht gar Tataren sein!

Die Knie des kleinen Mannes schlotterten; erst eben hatte er droben hinter dem offenen Giebelfenster eine helle Stimme singen hören. »Bärbe, Bärbe!« rief er an das Haus hinauf; »die Polacken, um Gottes Tod, schweig still!«

Als gleich danach ein angstvolles junges Antlitz aus dem Fenster fuhr, stand er schon wieder an seinem vorhin verlassenen Bienenstande, eine Drahtmaske vorgebunden, große Lederstulpen an den Händen. Hurtig rückte er einen kleinen Holztritt von einem Stock zum andern, und schon waren unter dem tönenden Gesumm der Bienen alle oberen Körbe umgekehrt und lehnten mit der offenen Seite an den Rand des Gartenzauns.

Der Alte nickte, ein grimmiges Lachen fuhr wie ein Schluchzen aus dem zahnlosen Munde; dann stieg er zum letzten Mal von seinem Tritt und steckte den Kopf mit dem wehenden Greishaar durch die Zaunlücke; als er aber die Kerle, voran ein schlanker Bursch mit gezogenem Pallasch, nach dem Hause zulaufen sah, winkte er ihnen mit der Hand und schrie laut und immer lauter: »Paschól! Paschól!«, ein Wort, dessen Sinn er zwar nicht kannte, das ihm aber in Entstehung eines andern hier verwendbar scheinen mochte. Und wie er es gewollt hatte, die Polacken wandten sich und kamen mit Geschrei gegen die Zaunlücke hergestürmt; das Männlein aber nickte ihnen noch einmal zu; dann packte er mit beiden Händen eine Stange und schlug damit wie toll, Reih auf und ab, gegen die offenen Bienenkörbe. »Paschól! Paschól!« schrie er; »und noch einmal Paschól!« Und die wütend gemachten Tiere stürzten sich über den Zaun auf die erschreckten Strolche, und Flüche und Lustgeschrei wurden zu Geheul und der Ansturm zu einer wilden Flucht.

Als das kluge Männlein abermals durch den Zaun lugte, ist der Haufe schon fern gewesen; die Hände vor den Augen, rannten sie blind ins Weite; nur der Anführer hat sich noch einmal umgewandt und unter unverständlichem Geschrei wie drohend seine Faust gehoben.

– – Am Abend desselben Spätsommertages ist es gewesen; der Mond, der eben glührot aus den Nebeln aufgestiegen war, warf jetzt sein silberklares Licht in die Gassen des kleinen Dorfes, als unter einem der niedrigen Strohdächer die hohe Gestalt des Junkers Hinrich in den hellen Schein heraustrat, der kunstfertige Hufschmied mochte an der neuen Pannenbüchse, die jetzt über seiner Schulter hing, den einen oder anderen Fehl beseitigt haben. Mit ihm hatten zwei große Hunde sich zur Tür hinausgedrängt; der Tiras war nicht mehr darunter, zwei lohbraune Schweißhunde waren es, die ihn jetzt meistens zu begleiten pflegten, nicht nur zum Schutze gegen streifendes Gesindel; wie nach dem großen Krieg im Reiche draußen, so hatte auch hier das Raubzeug sich vermehrt, gar auf den Landtagen hatte man über die Ausrottung des grausamen Wolfs verhandelt und Beschluß gefaßt; in den Eichen von Grieshuus aber fand das Gezüchte insonders seinen Unterschlupf, und Junker Hinrich und der alte Jäger Owe Heikens waren ihm mit Fallen wie mit Hunden auf dem Nacken.

Die Hände auf den mächtigen Köpfen der zu beiden Seiten schreitenden Tiere, war er durch das Dorf hinausgegangen; das weite Feld lag vor ihm; nur drüben wie im Nebel erhob sich das umbuschte Heimwesen einer Menschenwohnung. Langsam schritt er durch die Nachtstille aufwärts; da scholl von dort ein Schrei zu ihm herüber, ein »Hülfe! Mordio, Hülfe!« aus der Kehle eines Weibes, wohl eher eines Kindes, so daß er horchend stillstand und seine beiden Begleiter schnobernd die Lefzen von den weißen Zähnen zogen.

Nur einen Augenblick, dann bog er seitwärts in einen schmalen Weg, und bald schlich er, die Hunde hinter sich, das Schloß der Büchse mit den Fingern prüfend, unter überhängenden Büschen an einem Gartenzaun entlang. Durch die Laubwand von der anderen Seite kam ein Gesumme, wie spätabends aus Bienenkörben, bevor alles darin zur Ruhe geht. Bald aber schlugen andere Laute an sein Ohr: ein Krächzen wie aus der Kehle eines Gewürgten, dazwischen von ein paar heiseren Stimmen: »Ruf doch der Bien! Alte Paschól, ruf doch der Bien!« Ein wildes Lachen folgte; aber eine Antwort kam nicht darauf; nur in den Bienenkörben summte es schläfrig weiter, und von drüben erhob sich eine Unruhe wie von verzweifelter, aber schwacher Gegenwehr.

Die Zaunlücke, welche dem Junker jetzt zur Seite lag, gestattete einen Durchblick nach dem Garten; aber ein jäher wortloser Schrei der jungen Weiberstimme ließ ihn nur zum stummen Zeichen seine Hand ausstrecken; und mit dem tiefen, dumpf gezogenen Laut, der dieser Rasse eigen, schossen die Hunde, einer hart am andern, durch die Öffnung; Geschrei und Flüche folgten gleich danach; dann ward es still.

Als Junker Hinrich selber in dem Garten stand, hatte jedes der beiden Tiere seinen Mann gestellt; ihr heißer Rachen mit den blanken Zähnen lag, hier wie dort, vor einem dick verschwollenen Angesicht, aus dem das Weiß des Auges nur noch kaum hervorschien. Aber kein Weib, weder ein altes noch ein junges, war zu sehen. Ein schlotterndes Männlein mit fast haarlosem Kopfe stand zwischen den beiden Strolchen, das Ende eines langen Stricks am Halse.

»Ist Er es, Kornschreiber?« rief der Junker; »da wär Er wohl nahzu gehangen worden! Ich dachte einen Jungfernschrei zu hören.«

Der Alte bewegte den Kopf, wie um die Wirbel seines Genicks zu prüfen; dann nickte er heftig und streckte die mageren Hände vor sich hin.

»Halt fest, Türk! Fest, Hassan!« raunte der Junker zwischen den Zähnen seinen Hunden zu; dann zog er den Strick vom Hals des alten Mannes, und damit und noch einem andern, den die Kerle nebst ihren Säbeln auf den Grund geworfen hatten, waren ihnen bald die Hände auf dem Rücken festgeschnürt. Nur einmal versuchten sie eine Gegenrede; das Knurren und der heiße Brodem aus dem Hunderachen hielt sie lautlos am Boden festgebannt.

Der Junker aber hatte unter ihrem Wams einen Fetzen der grünen schwedischen Feldbinde in die Hand bekommen. »Hoho«, rief er, »ihr wolltet auch Polacken spielen; aber wir haben feste Keller in Grieshuus! Paß, Türk! Paß, Hassan!« Und der Zug setzte sich nach dem Hause zu in Marsch, neben welchem eine Pforte in das Freie führte. Doch der Schritt des Junkers stockte; denn seitwärts sah er ein Weib am Stamme eines Baumes stehen. »He, Jungfer«, rief er lustig, »ist Sie es, die vorhin geschrien hat? Sie hätt mir bei der sauberen Arbeit helfen sollen!«

Es blieb alles still; erst als er näher trat, erkannte er eine jügendliche Gestalt, die mit Stricken an den Baum gebunden war; der Kopf war auf die Brust gesunken, der Mond beleuchtete ein schönes Antlitz mit geschlossenen Augen.