»Kanaillen!« schrie er; »verfluchte!« Aber er verstummte, als das schöne Haupt sich aufrichtete und ein Paar blaue Augen wie verwirrt zu ihm herüberblickten.

Junker Hinrich hatte die Kappe von seinem dunkeln Haupt gelüftet, ehrerbietiger fast als einst vor seiner gräflichen Muhme, da sie Grieshuus mit ihrer Gegenwart beehrt hatte; zaghaft, die Augen unablässig nach dem blassen Antzlitz, trat er näher. »Wer seid Ihr?« frug er zögernd. »Wie kommt Ihr in das Heimwesen dieses Mannes?«

Schon streckte er die Hände aus, um die Stricke von dem schlanken Leib zu lösen; aber ein dumpfer wütender Anschlag der beiden Hunde fuhr dazwischen. Da war er mit ein paar Sprüngen wiederum an ihrer Seite; er sah es wohl, der eine der Marodeure hatte entwischen wollen; doch die Tatzen des größten Hundes lagen ihm schon wie Eisenklammern an dem Nacken.

Noch einen Blick warf der Junker nach der Gefesselten; aber der Kornschreiber war zu ihr herangekeucht, und seine Gestalt verdeckte die kindliche des Mädchens, während er an der Ablösung der Stricke sich zu mühen schien. »Sind sie fort?« hörte der Junker ihn noch fragen. »Sind sie alle fort?« Und die junge zitternde Stimme frug dagegen: »Wen meint Er, Vater; die Polacken?«

»Ja, ja, Kind; die Polacken, der Junker, alle miteinander!«

Dann war er mit seinen Gefangenen schon draußen vor dem Hause. Als er nach dem Hauptwege hinunterblickte, sah er einen stämmigen Burschen auf sich zuschreiten. »Hans Christoph!« rief er. »Bist du's, Hans Christoph?«

»Ja, Herr; ich war im Dorfe noch bei meiner Mutter; da auf dem Rückweg, von hier herüber, hört ich Eure Hunde.«

Der Junker stand einen Augenblick: »So können wir sie hier lassen; es könnt vor morgen noch einmal Besuch kommen.«

Er hatte auf die beiden Strolche hingewiesen; dann bückte er sich zu den Hunden und raunte jedem ein Wort ins Ohr; und die mächtigen Tiere, in widerwilligem Gehorsam, streckten sich zu beiden Seiten der Haustür auf den Boden.

Hans Christoph hatte verwundert zugeschaut. »Herr Junker«, sagte er, als ob er's nicht verhalten könne; »so Raubkerle haben oft verflixte Puffer; wollt Ihr um den alten Schreiber Eure schönen Hunde wagen?«

Der Junker sah ihn an, als ob er sich besinnen müsse: »Um den Kornschreiber, meinst du? O ja, Hans Christoph; auch um den Kornschreiber!«

Und der Zug setzte sich gegen den Hof zu in Bewegung, während die Augen der Hunde ihnen nachsahen, bis sie über den Feldern in dem ungewissen Licht des Mondes nicht mehr sichtbar waren.

– – Zu Grieshuus war mittlerweile große Unruh eingebrochen; schwedische Einquartierung war gekommen, in den Scheuern und auf dem Hofe drängte es sich von Pferden und Soldaten; drinnen im Herrenhause saßen die Offiziere hinter vollen Bechern, während der alte Herr voll Ungeduld nach seinem Sohne aussah. Als dieser mit den beiden Marodierern anlangte, fand er nach Verwahrung derselben zwar einen Profoß bei dem Kriegshaufen, bei den Hauptleuten aber geringe Lust, den Strolchen zur wohlverdienten Strafe zu verhelfen. Um so mehr flogen in dem nächtlichen Tumulte seine Gedanken immer wieder nach dem einsamen Hause, wo jetzt seine beiden Hunde Wache hielten; aber er konnte nicht fort, es gab zuviel zu schaffen und zu hüten.

Als draußen am Rand der Talmulde schon die Morgensonne auf den Heideblüten schimmerte, sah er Hans Christoph aus einem der Ställe treten, in denen jetzt die schwedischen Dragoner bei ihren Pferden schliefen. Dann winkte er ihn zu sich, er solle nach des Kornschreibers Haus hinabgehen und Futter für die Hunde mit sich nehmen; aber er solle sie dort lassen, nur sich nach allem umtun und ohne Aufenthalt Bericht erstatten.

Wohl zehnmal ist der Junker nach des Burschen Fortgang aus der Torfahrt getreten, um auf den Weg zum Dorf hinabzusehen; als aber endlich die untersetzte Gestalt desselben in den schrägen Sonnenstrahlen wieder sichtbar wurde, da sah er auch die beiden Hunde ihm zur Seite traben. »Hoho, Hans Christoph!« rief er, indem er ihm entgegenschritt, »ich hatte gesagt, du solltst die Hunde dort lassen.«

Hans Christoph zupfte sich an seinem dichten Flachshaar: »Ja, Herr, ich hätte sie auch liegen lassen, obschon sie bettelhaft mit den Schwänzen klopften; aber es ist niemand mehr im Hause dagewesen.«

Junker Hinrich hatte die Hunde fortgestoßen, die vor Freude winselnd an ihm aufgesprungen waren. »Sprich weiter, Christoph!« rief er. »Ist doch ein Unheil losgebrochen?«

Aber es gab kein Unheil zu berichten; der Kornschreiber war vor Sonnenaufgang mit seiner Tochter zu Owe Heikens in den Turm hinaufgezogen. Er war Geschwisterkind mit ihm und pflegte auch allherbstlich, wenn er an den jährlichen Holzrechnungen mitgeholfen hatte, die Martinsgans dort mitzuspeisen. Hans Christoph war dem Burschen noch begegnet, der den Flüchtenden ein paar Bettstücke durch die Eichen nachgekarrt hatte. »Für so schmucke Jungfern«, sagte er schmunzelnd, »können anitzo die Mauern nicht zu fest sein.« Er sah es nicht, welch finsteren Blick der Junker ihm bei seiner munteren Rede zuwarf; er hatte noch immer zu erzählen; auch, wie der Bauer ihm berichtet hatte, daß sie vor den großen Hunden sich gefürchtet und gar hehlings durch den Garten abgezogen seien.

Hans Christoph konnte ungehindert reden; schweigend, den Schnauzbart mit den Fingern drehend, stieg der Junker neben ihm den Anberg zum Tore von Grieshuus hinauf.

 

Schon fast seit einer Woche waren die Schweden abgezogen, und noch war der Junker nicht drüben in dem Turm gewesen, obgleich er sonst kaum einen Tag um den anderen hatte verstreichen lassen, ohne bei dem alten Owe Heikens einzusprechen; fast war's, als scheue er sich, den jetzt dort wohnenden Gästen zu begegnen. Da kam die Kunde, daß eine Abteilung desselben Kriegsvolkes, welches jenseit des Waldes in der dortigen Flußniederung lagere, zu Zeltstangen und Faschinen die besten Bäume aus den jungen Eichenschlägen haue und schon bösliche Verwüstung angerichtet habe. Der alte Herr, der auf seinen Wald gar große Stücke hielt, ergrimmte heftig; der Junker sollte fort und mit den Offizieren unterhandeln, auch den Jäger Owe Heikens mit sich nehmen, um etwa nach dessen Anweisung aus anderen Schlägen Holz zum Kriegsbedarfe anzubieten.

Es war schon hoch am Vormittage, als Junker Hinrich mit raschen Schritten in den Heidestieg hinabging; aber sie wurden langsamer, je klarer drüben das stumpfe Turmhaus vor ihm aufstieg. Mit seinem oberen Stockwerke überragte es die hohe Mauer, welche zum Schutze gegen streifendes Raubgetier den davor liegenden Hof umschloß; das rote Tor derselben leuchtete weithin in der Herbstsonne. Die Heide hatte abgeblüht; dafür begannen schon die Eichen, welche den Bau umstanden, ihre Blätter bunt zu färben; lautlose Stille herrschte, die Zweige, die sich über das Dach erstreckten, lagen ohne Regung auf den schwarzbraunen Pfannen.

Der Junker stand schon oben und hatte den Griff der Pforte in der Hand, als von jenseit der Mauer der jähe Aufschrei eines Huhnes an sein Ohr schlug. »Holla!« rief er und erschrak fast selbst vor seinem lauten Ruf; »ist wieder mal der Falk hineingestoßen?«

Er hatte das Tor geöffnet; aber es war kein Falke aufgeflogen; statt dessen sah er drüben neben der Haustür das schöne Mädchen aus des Kornschreibers Garten auf dem großen Feldstein sitzen. Zwischen ihren Knien hielt sie ein schwarzes Huhn, das krächzend mit den Flügeln schlug und mit dem Schnabel nach der blonden Flechte hackte, die in ihren Schoß herabgestürzt war.

»Sie ist es, Jungfer!« sagte Herr Hinrich, indes er zögernd näher trat, und sah nun erst, daß ihr in der anderen Hand ein Messer blitzte.

Das erhitzte Köpfchen, das rückwärts gegen die Mauer lehnte, hatte sich aufgerichtet. »Ich kann nicht!« sprach sie wie zu sich selber. Sie grüßte nicht, nur ihre blauen Augen blickten ratlos und fast hülfesuchend auf den vor ihr Stehenden.

»Was könnet Ihr nicht, Jungfer?« frug Junker Hinrich, als ob er plötzlich einen Schalksstreich berge.

Da kam ein kläglich Lächeln auf des Mädchens Antlitz; sie hub das Huhn empor und sagte: »Der Ohm, da er mit dem Knecht früh in den Wald ging, hat es mir geschenkt; mein Vater verträgt anitzo nicht die rauhe Kost.«

– »Ist denn dein Vater krank?«

»Er ist alt, Herr; das jüngsthin in der Nacht, Ihr wisset ja, er hat das nicht verwinden können.« Dann stand sie plötzlich mit heißem Antlitz vor ihm: »Zürnet auch nicht, Herr Junker; ich hätt's Euch tausendmal schon danken sollen!«

Sie hatte das Messer samt dem Tiere fahrenlassen; doch Junker Hinrich hatte sich gebückt und beides aufgegriffen. »Vergeßt nur nicht auf Eures Vaters Süpplein, Jungfer!« sagte er.

Dann aber tat das schöne Mädchen gleichzeitig mit dem Huhne einen lauten Schrei, denn ein Blutstrahl war emporgeschossen, gar ein paar Tropfen standen rot auf ihrer weißen Schürze. »Ihr habt es totgemacht!« rief sie und sah bestürzt auf den noch zuckenden Vogel, den er jetzt nebst dem Messer auf den Steinsitz niederlegte.

»Ich wollt's dir abnehmen, Bärbe«, sprach er; »aber nun fürchtest du dich wieder vor mir, wie dazumal die kleine Bärbe, die dann nimmermehr auf unsern Hof gekommen ist; und, freilich, ich hatte ihr Ursach vollauf dazu gegeben.«

»Nein, o nein, Herr Junker!« Und sie sah wie eine Schuldige zu Boden. »Lasset doch das, Ihr waret dermalen noch so jung! – Itzt, ich weiß es, und alle wissen es, auch drüben in der Stadt – Ihr könntet keinem Kind ein Leides tun!«

Den Junker Hinrich überkam's: »Sprecht mich nicht heilig, Jungfer Bärbe; das mit dem Christoph mag schon ruhen bleiben; aber ein anderes ist noch, das sich nicht mehr bessern läßt.«

»Um Gott, Herr Junker!« rief sie, »Ihr habet doch nicht gar ein Menschenleben auf der Seele?«

Er schüttelte den Kopf: »Nein, Bärbe, es ist nur ein Hund ein weißer Hund! Aber er steht oft nachts vor meinem Bette und schaut mich an, als wollt er mir die Hände lecken; und ich hab ihn doch selbst im jähen Zorn erschlagen, da er nicht mit den anderen auf den Wolf wollte, den Owe und ich nach langer Jagd gestellet hatten.«

»Tiras!« rief das Mädchen.