»Aber ich will mein Recht, und sollt ich wider meinen toten Vater streiten!« Und als die Augen seines Weibes voll Sorge zu ihm aufsahen, rief er: »Du sollst hier nicht in dieser Bauernkate sitzen!«

Ihre Hand strich sanft an seine Wange: »Tu, was du mußt, Hinrich; nur nicht in Zorn und nicht um meinethalben!« Dann zog sie ihn hinaus ins Freie, wo schon das Abendrot am Himmel stand; und sie gingen in die Niederung durch ihre Felder, wo der Erntesegen in goldenen Ähren wogte. Aus einem Seitenwege kam Hans Christoph zu ihnen, zog seinen Hut und sprach: »So Ihr es meinet, Herr, ich denke, wir müßten bald ans Schneiden gehen!«

– – Und wieder nach einigen Tagen, als sie bei all dem Segen, der nun in ihre Scheuer eingefahren wurde, ihren Eheherrn so ohne Freud und ohne Worte zwischen den Leuten umherstehen sah, die Augen nach den mächtigen Wäldern von Grieshuus, die in der Ferne wie ein Gebirge lagen, da sprach Frau Bärbe, seine Hand ergreifend: »Sind das die Flitterwochen, Hinrich?« Und da er zärtlich zu ihr niederblickte, zog sie ihn in das Gärtchen, das hinter der Scheuer war. »Ich weiß wohl, was du sinnest«, sprach sie; »aber bedenke es wohl! Da du mich freitest, tatst du wider deinen Vater; du wolltest minder, als er für dich wollte; tu nun nach seinem Willen, daß du in dem andern dich begnügest!« Doch da sie sah, daß seine Augen noch immer wie im Grolle dicht beisammenstanden, sprach sie beklommen: »Du hast zu hohen Preis für mich gezahlt.«

Da hob er sie mit beiden Armen auf und preßte sie wie ein Kind an seine Brust: »Nein, nein; laß fahren, Bärbe! Ich zahlte für mein Leben; weh dem, der das mir anzutasten waget!«

Es fraß doch weiter in ihm. – Und Herbst und Winter war es geworden, und die Erbteilung war noch immer nicht geschehen. Soviel war zwischen den Brüdern festgesetzt: der Stammhof wurde bis auf weiteres von dem früheren Pächter des Meierhofs verwaltet; aber jeder von beiden betrachtete sich als dessen Herrn. Da, an einem Sonnabend, als in den Bauergarten das erste Grün der Stachelbeeren vorbrach, hieß es, die Braut des herzoglichen Rates und deren Mutter seien mit demselben auf dem Herrenhofe angelangt; die Braut habe, ehe sie den Mann nehme, sich Land und Sand besehen wollen.

Und am Sonntagvormittag war die Kirche voll, und die Weiber und die Dirnen hatten ihre besten Käppchen auf; nur droben im großen Patronatsstuhle war noch niemand, wie nun seit lange schon; denn der Wohnplatz des jungen Ehepaares gehörte zu einem andern Kirchspiel, und Junker Hinrich und sein Weib hatten seit seines Vaters Tode die Kirche hier nicht mehr betreten. Als aber der Pastor, nachdem die Gemeinde einen deutschen Psalm gesungen, vor dem Altar stand und eben das Kyrie eleison angestimmt hatte, ging eine Unruhe durch die Kirchenstände, Weiber und Männer stießen sich an und raunten ein flüchtig Wort mitsammen; auch der Pastor hatte einen Wagen auf dem Kirchhof fahren hören; aber es war der schwere Gutswagen nicht, und gleichwohl klang es von den Mauerringen, als würden Pferde daran festgebunden.

Da wurde die Kirchtür aufgestoßen. »Sie kommen!« flüsterten die Dirnen und drehten ihre Hälse nach dem Steige. Aber die Erwarteten waren es nicht, obwohl es schon des Umsehens wert war; denn der Junker Hinrich mit seinem blonden Weibe schritt langsam durch die Kirche. Sie trug freilich nur ein schlicht Gewand; doch wurde ihr Haar, wie es derzeit dem Adel nur gestattet war, von einer goldenen Klammer gehalten, daß es in drei schimmernden Strähnen niederfloß; aber sie drückte sich an den hohen Mann, als ob sie Schutz bedürfe, und als beide die Treppe zum Emporium hinaufgestiegen waren, sahen es die Frauen, daß sie gesegneten Leibes sei.

Von droben blickte der Junker fast wie zornig in die Kirche hinab. »Dominus vobiscum«, sang der Pastor und wandte sich dann zum Altar.

Und wieder drehten in der Gemeinde sich die Köpfe abwärts nach dem Eingang: ein zweiter, aber schwerer Wagen fuhr draußen vor der Kirchtür auf; Peitschenklatschen, ein Fluch des Fuhrknechts war hereingedrungen, und während der Pastor die Kollekte las, war aufs neue die Kirchtür aufgestoßen. Es wurde totenstill: der herzogliche Rat mit ein Paar hohen, stolzen Frauen, denen eine Kammerzofe folgte, war in den Mittelsteig getreten.

Der Junker Hinrich hatte im Kieler Rathause doch wohl fehlgesehen; denn die jüngere der Frauen erschien gar stattlich, aber sie blickte kalt und strenge um sich. Als sie weiter vorgegangen waren und der Bräutigam nach dem Patronatsstuhl aufsah, stutzte er und hielt die Frauen an seinem Arm zurück. Die Augen der Brüder hatten sich gefaßt, und eine Weile standen sie wie still ineinander; der blonde Frauenkopf da oben war totenbleich geworden.

»Es ist besetzt«, sagte der da unten, »aber ich werde uns Platz zu schaffen wissen.« Und da der Pastor ausgelesen hatte, tönten diese Worte durch die ganze Kirche.

Hätten die Augen des Junkers Hinrich töten können, der Sprecher wäre lebendig nicht vom Platz gekommen; mit einem Aufschrei griff Frau Bärbe nach ihres Mannes Hand, die ihm eiskalt auf seinen Knien lag.

Aber der herzogliche Rat schritt mit den Frauen aus der Kirche; man hörte den Wagen fortfahren, und ohne Störung ging der Gottesdienst zu Ende.

 

Es war am 24. Januar spät am Nachmittage. Junker Hinrich war in der Stadt gewesen, wo er mit dem Magistrat zu tun gehabt hatte; denn die alte Base seines Weibes war gestorben und hatte dieses als ihre Erbin eingesetzt. Behaglich ritt er durch das Heidetal, dann durch den Wald; aber vor seiner Haustür sprangen zwei Mägde ihm entgegen: »Ach, Herr! Ach, Junker Hinrich, Euer Weib!«

Und als er in die Kammer hinter dem Wohngemach getreten war, sah er sein Weib im Bette liegen; ein Unschlittlicht brannte auf dem Tische; aber er erkannte sie fast nicht. Die Hebamme des Dorfes war um sie; sie stand über einer Wiege, aus der das Winseln eines neugeborenen Kindes drang. »Was ist das hier?« sprach er; »der Erbe von Grieshuus sollte in zwei Monden erst geboren werden!«

»Es ist kein Erbe, nur eine Tochter«, sagte die Hebamme.

Aber eine der Dirnen war ihm in die Kammer nachgeschlichen. »Ein Bote ist dagewesen«, sagte sie; »vom Landgerichte, heut am Vormittag!«

»Was hat denn der gewollt?«

»Weiß nicht, er frug nach Euch; da hab ich zu der Frau ihn hingewiesen.«

»Bärbe!« sagte der Junker leise, und auf der Bettkante sitzend, strich er seinem Weibe die feuchten Haare von den Schläfen.

»Ja!« – – Wie ein Hauch kam es, und wie aus einer fernen Welt hob sich das junge durchsichtige Antlitz aus dem Kissen auf. »Bist du es, Hinrich?« – Und sie streckte heftig ihre beiden Hände um seinen Hals und schrie, als ob Entsetzen sie befalle: »Nein, nicht von dir; nicht von dir! Oh – lieber sterben!« Dann ließ sie los und sank mit geschlossenen Augen in die Kissen.

Der Junker war an der Bettstatt hingestürzt: »Nein, nicht von mir, nie, nie! – – Hör es, hör es doch; nie von mir, solange wir beide leben!«

Aber sie lag wie eine Tote.

Da besann er sich. »Der Bote muß was gebracht haben«, sprach er; »holet es mir!«

Und die dumme Dirne, die an der Tür stand und mit der Faust die Tränen von den Augen wischte, lief in das Wohngemach und brachte ihm etliche Schriftstücke und eine aufgerissene Hülse.

»Seh Sie nach meinem Weibe!« sagte er zu der Frau; dann las er; und nach einer Weile laut und immer lauter: »Dann Anno 1655 ist gen. Vater mit der Barbara in das Gut gezogen, hat aber verabsäumet, sich seine Freiheit von dem Grundherrn legaliter verbriefen zu lassen, und sind demnach die zwei Genannten, wie durch Urtelspruch des Landgerichts mehrfach schon bestätiget, desselben Eigene worden. Die Ehe des Beklagten mit selbiger Leibeigenen ist eine nichtige, da sie ohne des klägerischen per testamentum Eigentümers consensus ist geschlossen worden.«

»Der Teufel ist dein Leibeigener!« schrie der Junker und warf die Klageschrift des Bruders von sich.

Aber die Hebamme legte die Hand auf seinen Arm: »Herr, Euer Weib!«

»Ja, ja und das hat sie gelesen! Er wußte es, wo sie zu treffen war.« Und er neigte sich zu ihr; und da er ihre Hand ergriff, war sie fast kalt, und das Gesicht verwandelte sich seltsam.

»Was ist das?« frug er.

»Ich weiß nicht, Herr. Holt einen Arzt!«

»Bärbe, Bärbe, geh nicht von mir, bis ich wiederkomme!«

Und schon war er zur Tür hinaus. »Hans Christoph!« rief er; »Hans Christoph!«

Aber die Dirne war ihm nachgelaufen: »Was denkt Ihr, Herr! Er ist zum Schmied hinunter mit den Sensen.«

Da warf er sich selbst auf seinen Rappen, und mit todblassem Angesicht flog er durch die Eichen von Grieshuus hinüber nach der Stadt.

– – Ein paar Stunden war es weiter; der Mond war aufgegangen und stand zu Osten über der Heidemulde. Kein Tierlaut regte sich; die Vögel lagen im Kraut auf ihren Nestern; nur die hoch aufgeschossene stille Dirne aus der Besenbinderkate vom Ende des Dorfes hatte sich verspätet; eifrig schnitt sie mit ihrem kurzen Messer die Heide ab und legte sie zu Haufen. Da galoppierte ein Reiter an ihr vorbei. »Heida!« Aber sie hatte ihn erkannt; es war der Reitknecht des herzoglichen Rates, der nach Grieshuus hinüberritt. »Was wollte der?« Und sie band sich ihr Tuch fester um das Kinn; denn aus Westen kam ein Wind vom Meer herauf.

Sie ging weiter nach Osten hinauf, denn da war die Heide länger, und lag eben unter ein paar Birken, als ein Geräusch von Grieshuus her sie aufsehen machte.