Und wieder kam der Hufschlag eines Pferdes, ein Reiter, der wie rasend durch die Heide auf sie zuritt. Aber er war vorbeigeritten, und da eine Wolke vor den Mond fuhr, hatte sie ihn nicht erkannt. Sie schüttelte den Kopf und sah ihm nach. Und zum dritten Male, ihm entgegen – was war denn das? Sie hatte kaum jemals hier was reiten sehen – kam abermals ein Pferd; aber langsamer, fast war's, als würde es zurückgehalten.

Sie ließ die geschnittene Heide liegen und kroch auf Händen und Füßen näher heran. Aber es war zu weit; sie stieg an der Ostseite hinan, bis sie oben unter den Bäumen entlanglief; jetzt hörte sie die Pferde stoppen, laute zornige Worte, die sie nicht verstehen konnte; dann war's, als ob die Reiter von den Pferden auf den Boden sprangen.

Es mußte ihr gegenüber sein, und sie trat aus den Bäumen und sah hinab; aber der Mond lag noch hinter Wolken; ein Gewühl war drunten, sie konnte nichts erkennen. »Mein Leben! Mein Leben!« schrie eine Stimme. »Sie stirbt; ich will dafür das deine!«

Die Dirne reckte den Hals: »Das war Junker Hinrichs Stimme!« Da flogen die Wolken von dem Mond; blauhell lag es drunten, und sie erkannte deutlich den grauen Runenstein am Wassertümpel. Zwei gesattelte leere Rosse standen unweit in dem Kraute, ein braunes und ein schwarzes, das wiehernd in die Nacht hinausrief. Daneben sah sie zwei Brüder grimmig miteinander ringen. Sie stand wie angeschmiedet; dann war's, als ob ein Eisenblitz heraufzuckte, und ein Entsetzen jagte sie von dannen; aber sie entrann nicht: ein gellender Schrei, der über die Heide fuhr, hatte sie eingeholt. Noch einmal stand sie, beide Hände an die Ohren gepreßt, zwischen den Bäumen; dann lief sie ohne Aufenthalt dem Dorfe zu. Voll Entsetzen, in Schweiß gebadet, ihr kurzes Messer in der Hand, kam sie nach Hause.

»He, Matten«, rief die Frau des Besenbinders, »was ist? Wie siehst du aus? Hat sich schon wieder was gemeldet?« Denn das Kind war damit angetan, daß sie Unheil voraussah, das noch geschehen sollte.

Aber Matten schwieg; die Mutter auch; denn man soll nicht davon reden, bis der Vorspuk ausgekommen ist.

Doch schon am Nachmittage danach sprach das Weib, die eben aus dem Dorf heraufgekommen war, zu ihrer Tochter: »Red nur! Drunten in dem Heidloch haben sie den herzoglichen Rat erschlagen! Es schad't uns nichts; nun ist der Junker Hinrich unser Herr!«

– – Aber wo war der Junker Hinrich? – In der Nacht sollte einer bei dem Pastor angepocht haben; er sollte es gewesen sein; aber der Pastor hat davon nichts wissen wollen; dann hat man nimmermehr von ihm gehört. Auf dem Meierhofe lag ein schönes, aber totes Weib, neben ihr ein Siebenmonatskind, ein Mädchen, in der Wiege. So stand es um die Erben von Grieshuus.

 

Zweites Buch

Das siebenzehnte Jahrhundert war vorüber; es saßen andere Leute auf Grieshuus.

Viele Jahre hindurch war niemand dort gewesen als ein gerichtlicher Verwalter, denn man wußte nicht, wem das Gut gehörte, ob dem Abwesenden, der jeden Tag sich wieder einstellen könne, ob dessen Tochter, einem schwachen Mädchen mit blaugeäderten Schläfen und dünnem blondem Haupthaar, das zu Schleswig im Kloster in der Hut einer entfernten Verwandten auferzogen wurde. Als sie mündig geworden, hatte sie von dieser sich getrennt und sich in der Nähe des Klosters eingemietet; heiraten wollte sie nicht, obgleich dazu schon mehr als eine Anfrage an sie ergangen war, denn unter Vorbehalt der väterlichen Rechte war das Gut ihr übereignet worden. Gleichwohl hat sie gemeint, ihr Vater werde wiederkommen, und die Freier etwa so beschieden, indem sie hastig nach einer begonnenen Arbeit griff: »Zu danken für die erwünschete Gewogenheit! Aber mein Papa wird nicht so gar von seinem Hof und seiner Tochter lassen; sobald er heimgekehret, wird er für mich zu reden wissen.« Das aber haben alle für einen Abschlag aufgenommen und von dem schon vergessenen Vater auch nur ungern reden hören.

Zu Grieshuus und überall im Lande hat es wüste ausgesehen; unser Herzog Christian Albrecht, nachdem er mit dem von seinem Vater ererbten Diplom des Kaisers Ferdinand die Universität zu Kiel gestiftet hatte, war vierzehn Jahre lang von seiner Residenz vertrieben; dessen getreue Beamte ließ der Dänenkönig verjagen oder gefangensetzen und die Kraft des Landes durch seine nie ruhenden Kriegesrüstungen erschöpfen. So mochte es auch zu Grieshuus nicht heimelig sein, und Jungfer Henriette, wie sie nach ihres Vaters Namen war getauft worden, ist nimmer dort gewesen; das Archiv aber hat sie nach einem Zimmer in ihrem Hause zu Schleswig bringen lassen, und um Ostern und Martini mußte der Verwalter dort ihr Rechnung legen. Dann hat sie tagelang vor den großen Büchern dagesessen und über Kopfweh vor ihrer Magd geklagt; »denn«, hat sie gesagt. »es muß doch stimmen, wenn er wieder selbst regieren will«.

Aber der Junker Hinrich ist doch nicht gekommen. Zu Grieshuus blühte die Heide und verging; Sonnenschein und Schneewinde wechselten über den mächtigen Eichenwäldern; sie wuchsen, geschlagen wurde nicht darin, insonders seit die Vormundschaft zu Ende ging; das schlimmste war, daß das Unzeug sich in ihnen mehrte, Weihen und Falken, die in den Wipfeln horsteten, vor allem der Wolf, »de grise Hund«, wie ihn die Bauern nannten, der unter den Höhlen der mächtigsten Eichenwurzeln im Dickicht seine Jungen warf. Noch jetzt zeigt man die Stelle, wo eines Tagelöhners Kind, das Dohnen in dem Wald gestellt hatte, von ihm zerrissen worden; denn einen Jäger hat es zu Grieshuus nicht mehr gegeben, und bei dem Turmhaus hing die rote Pforte klappernd in dem Winde; der Verwalter wollte keinen neben sich. Oben im Herrenhause, in dem Gemache über dem Portal des Haustores und gegenüber in dem weiten Saale, lag fingerdicker Staub und totes Geziefer auf Simsen und Geräte. Und Junker Hinrich war noch immer nicht gekommen.

Als aber mehr als ein Menschenleben so vorüber war, langten schwedische Völker vom Wellingischen Regimente aus dem Bremischen an; dabei ein Oberst, der wegen einer aufgebrochenen Wunde in Schleswig sich verweilen mußte. Er hatte sich in der Nachbarschaft des Klosters eingemietet, und die Dame von Grieshuus hatte ihm durch den Friseur ein sonderbar heilendes Wasser offerieren lassen, was er dankbar akzeptieret hatte. Als er sodann nach seiner Genesung seine Aufwartung machte und alsbald ihr seinen Eheantrag ausrichten ließ, hat sie nicht mehr den Mut gehabt, ins Ungewisse zu verweisen, sondern nur gesagt: »Ich hoffe wohl, mein Vater, der unter Karl X. jung gewesen ist, wird nicht dawider sein.«

So ist sie des Obersten Weib geworden, der seinen Abschied aus dem Dienst genommen hat; aber nach Grieshuus hat sie auch jetzo nicht hinüber wollen; »denn«, sagte sie ihrem Eheherrn, »die Wölfe kommen dort gar in die Küche, und über die Heide geht ein Spukwerk; – o nein!«

»Ei, Narretei! Wer hat dir das erzählt?«

»Der Verwalter; der wird's doch wissen!«

Der Oberst lachte: »Das wohl, er hat die Herrin nicht ins Haus gewollt!«

Sie wurde dunkelrot und strich das dünne Haar sich von den Schläfen: »Nein, nein; du glaubst mir immer nicht!«

»Nun, ich werde selbst dahin gehen und mich informieren, Henni.«

Dann ist er ohne sie dahin gegangen; er hat im Hause etwas räumen und mit den Bauern einmal auf die Wölfe treiben lassen; aber die Wälder sind zu dicht und die rechten Hunde nicht am Platz gewesen; sie haben keinen Wolf gesehen. So ist er nach Schleswig wieder heimgekehrt.

Und am Jahrestag der Hochzeit ist ein Kind geboren worden; ein Knabe, in welchem von des Weibes Eltern alle Schönheit aufgestanden ist. Es ist auch zur glücklichen Niederkunft gratulieret worden; aber die Mutter hatte doch all ihre Kraft dem Kinde hingegeben. Noch ein paar Jahre hat sie, meist in Kammerluft, dahingelebt; dann eines Septembermorgens, da schon die gelben Blätter vor ihrem Fenster wehten, hat sie das Kind sich bringen lassen; und ihre magere Hand in seinen goldenen Haaren, hat sie gesprochen: »Er ist doch nicht gekommen, Rolf, und ich sterbe nun; ich war nur eine schlichte Frau, aber du, mein schöner Sohn« – und der Knabe stand an ihrem Kissen und sah mit seinen durchdringenden Augen zu ihr auf-, »du wirst ihn sehen; grüß ihn von mir! Rolf! Vergiß nicht – –« Lallend hatte sie die letzten Worte gesprochen; ihre Hand fiel von des Kindes Haupt.