(Das gleiche gilt beinahe für ganz Europa: im wesentlichen hat die unterworfne Rasse schließlich daselbst wieder die Oberhand bekommen, in Farbe, Kürze des Schädels, vielleicht sogar in den intellektuellen und sozialen Instinkten: wer steht uns dafür, ob nicht die moderne Demokratie, der noch modernere Anarchismus und namentlich jener Hang zur »commune«, zur primitivsten Gesellschafts-Form, der allen Sozialisten Europas jetzt gemeinsam ist, in der Hauptsache einen ungeheuren Nachschlag zu bedeuten hat – und daß die Eroberer- und Herren-Rasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen[776] ist?...) Das lateinische bonus glaube ich als »den Krieger« auslegen zu dürfen: vorausgesetzt, daß ich mit Recht bonus auf ein älteres duonus zurückführe (vergleiche bellum = duellum = duen-lum, worin mir jenes duonus erhalten scheint). Bonus somit als Mann des Zwistes, der Entzweiung (duo), als Kriegsmann: man sieht, was im alten Rom an einem Manne seine »Güte« ausmachte. Unser deutsches »Gut« selbst: sollte es nicht »den Göttlichen«, den Mann »göttlichen Geschlechts« bedeuten? Und mit dem Volks-(ursprünglich Adels-) Namen der Goten identisch sein? Die Gründe zu dieser Vermutung gehören nicht hierher. –
6
Von dieser Regel, daß der politische Vorrangs-Begriff sich immer in einen seelischen Vorrangs-Begriff auslöst, macht es zunächst noch keine Ausnahme (obgleich es Anlaß zu Ausnahmen gibt), wenn die höchste Kaste zugleich die priesterliche Kaste ist und folglich zu ihrer Gesamt-Bezeichnung ein Prädikat bevorzugt, das an ihre priesterliche Funktion erinnert. Da tritt zum Beispiel »rein« und »unrein« sich zum ersten Male als Ständeabzeichen gegenüber; und auch hier kommt später ein »gut« und ein »schlecht« in einem nicht mehr ständischen Sinne zur Entwicklung. Im übrigen sei man davor gewarnt, diese Begriffe »rein« und »unrein« nicht von vornherein zu schwer, zu weit oder gar symbolisch zu nehmen: alle Begriffe der älteren Menschheit sind vielmehr anfänglich in einem uns kaum ausdenkbaren Maße grob, plump, äußerlich, eng, geradezu und insbesondere unsymbolisch verstanden worden. Der »Reine« ist von Anfang an bloß ein Mensch, der sich wäscht, der sich gewisse Speisen verbietet, die Hautkrankheiten nach sich ziehn, der nicht mit den schmutzigen Weibern des niederen Volkes schläft, der einen Abscheu vor Blut hat – nicht mehr, nicht viel mehr! Andrerseits erhellt es freilich aus der ganzen Art einer wesentlich priesterlichen Aristokratie, warum hier gerade frühzeitig sich die Wertungs-Gegensätze auf eine gefährliche Weise verinnerlichen und verschärfen konnten; und in der Tat sind durch sie schließlich Klüfte zwischen Mensch und Mensch aufgerissen worden, über die selbst ein Achill der Freigeisterei nicht ohne Schauder hinwegsetzen wird. Es ist von Anfang an etwas Ungesundes in solchen priesterlichen[777] Aristokratien und in den daselbst herrschenden, dem Handeln abgewendeten, teils brütenden, teils gefühls-explosiven Gewohnheiten, als deren Folge jene den Priestern aller Zeiten fast unvermeidlich anhaftende intestinale Krankhaftigkeit und Neurasthenie erscheint; was aber von ihnen selbst gegen diese ihre Krankhaftigkeit als Heilmittel erfunden worden ist – muß man nicht sagen, daß es sich zuletzt in seinen Nachwirkungen noch hundertmal gefährlicher erwiesen hat als die Krankheit, von der es erlösen sollte? Die Menschheit selbst krankt noch an den Nachwirkungen dieser priesterlichen Kur-Naivitäten! Denken wir zum Beispiel an gewisse Diätformen (Vermeidung des Fleisches), an das Fasten, an die geschlechtliche Enthaltsamkeit, an die Flucht »in die Wüste« (Weir Mitchellsche Isolierung, freilich ohne die darauffolgende Mastkur und Überernährung, in der das wirksamste Gegenmittel gegen alle Hysterie des asketischen Ideals besteht): hinzugerechnet die ganze sinnenfeindliche faul- und raffiniertmachende Metaphysik der Priester, ihre Selbst-Hypnotisierung nach Art des Fakirs und Brahmanen – Brahman als gläserner Knopf und fixe Idee benutzt – und das schließliche nur zu begreifliche allgemeine Satthaben mit seiner Radikalkur, dem Nichts (oder Gott – das Verlangen nach einer unio mystica mit Gott ist das Verlangen des Buddhisten ins Nichts, Nirvâna – und nicht mehr!). Bei den Priestern wird eben alles gefährlicher, nicht nur Kurmittel und Heilkünste, sondern auch Hochmut, Rache, Scharfsinn, Ausschweifung, Liebe, Herrschsucht, Tugend, Krankheit – mit einiger Billigkeit ließe sich allerdings auch hinzufügen, daß erst auf dem Boden dieser wesentlich gefährlichen Daseinsform des Menschen, der priesterlichen, der Mensch überhaupt ein interessantes Tier geworden ist, daß erst hier die menschliche Seele in einem höheren Sinne Tiefe bekommen hat und böse geworden ist – und das sind ja die beiden Grundformen der bisherigen Überlegenheit des Menschen über sonstiges Getier!...
7
– Man wird bereits erraten haben, wie leicht sich die priesterliche Wertungs-Weise von der ritterlich-aristokratischen abzweigen und dann zu deren Gegensatz fortentwickeln kann; wozu es insonderheit[778] jedesmal einen Anstoß gibt, wenn die Priesterkaste und die Kriegerkaste einander eifersüchtig entgegentreten und über den Preis miteinander nicht einig werden wollen. Die ritterlich-aristokratischen Werturteile haben zu ihrer Voraussetzung eine mächtige Leiblichkeit, eine blühende, reiche, selbst überschäumende Gesundheit, samt dem, was deren Erhaltung bedingt, Krieg, Abenteuer, Jagd, Tanz, Kampfspiele und alles überhaupt, was starkes, freies, frohgemutes Handeln in sich schließt. Die priesterlich-vornehme Wertungs-Weise hat – wir sahen es – andre Voraussetzungen: schlimm genug für sie, wenn es sich um Krieg handelt! Die Priester sind, wie bekannt, die bösesten Feinde – weshalb doch? Weil sie die ohnmächtigsten sind. Aus der Ohnmacht wächst bei ihnen der Haß ins Ungeheure und Unheimliche, ins Geistigste und Giftigste. Die ganz großen Hasser in der Weltgeschichte sind immer Priester gewesen, auch die geistreichsten Hasser – gegen den Geist der priesterlichen Rache kommt überhaupt aller übrige Geist kaum in Betracht. Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne den Geist, der von den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist – nehmen wir sofort das größte Beispiel. Alles, was auf Erden gegen »die Vornehmen«, »die Gewaltigen«, »die Herren«, »die Machthaber« getan worden ist, ist nicht der Rede wert im Vergleich mit dem, was die Juden gegen sie getan haben; die Juden, jenes priesterliche Volk, das sich an seinen Feinden und Überwältigern zuletzt nur durch eine radikale Umwertung von deren Werten, also durch einen Akt der geistigsten Rache Genugtuung zu schaffen wußte. So allein war es eben einem priesterlichen Volke gemäß, dem Volke der zurückgetretensten priesterlichen Rachsucht. Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Wertgleichung (gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) mit einer furchteinflößenden Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen des abgründlichsten Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben, nämlich »die Elenden sind allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen sind allein die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Häßlichen sind auch die einzig Frommen, die einzig Gottseligen, für sie allein gibt es Seligkeit – dagegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid in alle Ewigkeit die Bösen, die Grausamen, die Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr werdet auch ewig[779] die Unseligen, Verfluchten und Verdammten sein!«... Man weiß, wer die Erbschaft dieser jüdischen Umwertung gemacht hat... Ich erinnere in betreff der ungeheuren und über alle Maßen verhängnisvollen Initiative, welche die Juden mit dieser grundsätzlichsten aller Kriegserklärungen gegeben haben, an den Satz, auf den ich bei einer andren Gelegenheit gekommen bin (»Jenseits von Gut und Böse«: II 653) – daß nämlich mit den Juden der Sklavenaufstand in der Moral beginnt: jener Aufstand, welcher eine zweitausendjährige Geschichte hinter sich hat und der uns heute nur deshalb aus den Augen gerückt ist, weil er – siegreich gewesen ist...
8
– Aber ihr versteht das nicht? Ihr habt keine Augen für etwas, das zwei Jahrtausende gebraucht hat, um zum Siege zu kommen?... Daran ist nichts zum Verwundern: alle langen Dinge sind schwer zu sehn, zu übersehn. Das aber ist das Ereignis: aus dem Stamme jenes Baums der Rache und des Hasses, des jüdischen Hasses – des tiefsten und sublimsten, nämlich Ideale schaffenden, Werte umschaffenden Hasses, dessengleichen nie auf Erden dagewesen ist – wuchs etwas ebenso Unvergleichliches heraus, eine neue Liebe, die tiefste und sublimste aller Arten Liebe – und aus welchem andren Stamme hätte sie auch wachsen können?... Daß man aber ja nicht vermeine, sie sei etwa als die eigentliche Verneinung jenes Durstes nach Rache, als der Gegensatz des jüdischen Hasses emporgewachsen! Nein, das Umgekehrte ist die Wahrheit! Die Liebe wuchs aus ihm heraus, als seine Krone, als die triumphierende, in der reinsten Helle und Sonnenfülle sich breit und breiter entfaltende Krone, welche mit demselben Drange gleichsam im Reiche des Lichts und der Höhe auf die Ziele jenes Hasses, auf Sieg, auf Beute, auf Verführung aus war, mit dem die Wurzeln jenes Hasses sich immer gründlicher und begehrlicher in alles, was Tiefe hatte und böse war, hinuntersenkten. Dieser Jesus von Nazareth, als das leibhafte Evangelium der Liebe, dieser den Armen, den Kranken, den Sündern die Seligkeit und den Sieg bringende »Erlöser« – war er nicht gerade die Verführung in ihrer unheimlichsten und unwiderstehlichsten Form, die Verführung und der Umweg zu eben jenen jüdischen Werten[780] und Neuerungen des Ideals? Hat Israel nicht gerade auf dem Umwege dieses »Erlösers«, dieses scheinbaren Widersachers und Auflösers Israels, das letzte Ziel seiner sublimen Rachsucht erreicht? Gehört es nicht in die geheime schwarze Kunst einer wahrhaft großen Politik der Rache, einer weitsichtigen, unterirdischen, langsam- greifenden und vorausrechnenden Rache, daß Israel selber das eigentliche Werkzeug seiner Rache vor aller Welt wie etwas Todfeindliches verleugnen und ans Kreuz schlagen mußte, damit »alle Welt«, nämlich alle Gegner Israels unbedenklich gerade an diesem Köder anbeißen konnten? Und wüßte man sich andrerseits, aus allem Raffinement des Geistes heraus, überhaupt noch einen gefährlicheren Köder auszudenken? Etwas, das an verlockender, berauschender, betäubender, verderbender Kraft jenem Symbol des »heiligen Kreuzes« gleichkäme, jener schauerlichen Paradoxie eines »Gottes am Kreuze«, jenem Mysterium einer unausdenkbaren letzten äußersten Grausamkeit und Selbstkreuzigung Gottes zum Heile des Menschen?... Gewiß ist wenigstens, daß sub hoc signo Israel mit seiner Rache und Umwertung aller Werte bisher über alle anderen Ideale, über alle vornehmeren Ideale immer wieder triumphiert hat. – –
9
– »Aber was reden Sie noch von vornehmeren Idealen! Fügen wir uns in die Tatsachen: das Volk hat gesiegt – oder ›die Sklaven‹ oder ›der Pöbel‹ oder ›die Herde‹ oder wie Sie es zu nennen belieben – wenn dies durch die Juden geschehn ist, wohlan! so hatte nie ein Volk eine welthistorischere Mission. ›Die Herren‹ sind abgetan; die Moral des gemeinen Mannes hat gesiegt. Man mag diesen Sieg zugleich als eine Blutvergiftung nehmen (er hat die Rassen durcheinandergemengt) – ich widerspreche nicht; unzweifelhaft ist aber diese Intoxikation gelungen. Die ›Erlösung‹ des Menschengeschlechts (nämlich von ›den Herren‹) ist auf dem besten Wege; alles verjüdelt oder verchristlicht oder verpöbelt sich zusehends (was liegt an Worten!). Der Gang dieser Vergiftung, durch den ganzen Leib der Menschheit hindurch, scheint unaufhaltsam, ihr Tempo und Schritt darf sogar von nun an immer langsamer, feiner, unhörbarer, besonnener sein – man hat ja Zeit... Kommt der Kirche in dieser Absicht heute noch eine notwendige Aufgabe,[781] überhaupt noch ein Recht auf Dasein zu? Oder könnte man ihrer entraten? Quaeritur.
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