Ich schaute alles an, was da war, ich betrachtete die Arbeiten, ich ließ mir erzählen, und fertigte ein Buch an, in welches ich alles eintrug, was ich mir merken wollte. Mit der schönsten Erinnerung und mit dem Bilde eines edlen Mannes - denn in früheren Zeiten hatten wir uns doch nur sehr oberflächlich gekannt - verließ ich das Haus, und wandte mich nach dem südlichen Tirol.

Es gingen noch duftblaue Berge, glänzender Firn, dunkelnder Wald und grünes Gelände an mir vorüber. Ueber manchen rauschenden Bach mußte ich fahren, und an mancher freundlichen Häuserreihe mußte ich vorbei, bis ich eines Abends in Meran einzog.

Es waren sehr viele Fremde in dem Orte, die sich gewöhnlich im Sommer einfinden, um die ungemeinen Reize der Gegend zu genießen. Im Herbste, sagte man mir, kommen meistens noch mehrere, weil sie da eine Traubenkur zu gebrauchen pflegen.

Ich fragte, da ich nun da war, bei meinem Gastwirthe um Franz Rikar, so hieß nehmlich mein ehemaliger Zimmernachbar.

»Dieser Mann,« antwortete der Wirth, »ist schon sehr lange nicht mehr in Meran, er hat sich sehr einschränken müssen, es geht ihm sehr schlecht, und er hat sich an die Ufer des Gardasees zurük gezogen, wo er geboren ist.«

Als ich um den Ort fragte, sagte er, den wisse er nicht genau, wenn es aber nicht Riva sei, so müsse es ganz gewiß in der Nähe sein.

Als ich des Abends ein wenig in dem Städtchen herum ging, um es mir anzuschauen, fragte ich auch noch andere Leute, und erhielt fast überall die nehmliche Antwort, nirgends aber eine genauere.

Da ich diese Sache erfahren hatte, kam mir der Gedanke, den alten Mann nach Treulust zu schaffen. Er könnte, dachte ich, dort recht gut leben; ich bin ganz allein, er könnte unbeirrt sein, er könnte etwas thun, oder auch nicht; wenn ich zurük käme, könnte ich mit ihm reden und umgehen; vielleicht gewinne ich ihn gar lieb, kränke mich um ihn, wenn er krank wird, pflege ihn, und weine um ihn, wenn er stirbt.

Diese Gedanken und dieser Beschluß änderten meine bisherige Reiserichtung, ich ließ von dem Wege, den ich nach Mailand verfolgen wollte, ab, ließ meine Sachen auf ein eigens gemiethetes Fuhrwerk paken, und fuhr in demselben am andern Tage Morgens auf dem nächsten Wege nach Riva zu. Ich beschloß den Mann mit den nöthigen Schriften und mit Geld zu versehen, ihn auf den Weg nach Treulust zu geben, und dann meine Reisepläne wieder weiter zu verfolgen.

Als ich in Riva angekommen war, bewunderte ich nur ganz kurz die außerordentlich schöne Lage dieses Ortes, und erkundigte mich gleich nach meinem Manne. Allein in ganz Riva kannte niemand den Namen Rikar, und als ich den Mann beschrieb, war niemand vorhanden, der sich erinnern konnte, je einen solchen gesehen zu haben.

Ich stand also an dem ersten Hindernisse meines gutgemeinten Planes. Weil ich aber einmal so weit war, so beschloß ich gleich noch ein Mehreres zu thun. Ich beschloß, da man einstimmig gesagt hatte, er müsse in der Nähe von Riva wohnen, sofort einen beliebigen Bogen an den Riva-Ufern des Gardasees herum zu fahren, an allen Orten, wo ich Menschen vermuthete, anzuhalten, und zu fragen.

Zu diesem Zwecke miethete ich ein Schiffchen und einen Fährmann, der es lenken konnte. Ich besorgte Lebensmittel, wenn wir etwa länger an unwirthbaren Stellen verweilen sollten, barg meine Sachen in meinem Zimmer im Gasthofe, und beschloß, so bald als möglich meine Fahrt zu beginnen.

Dies geschah schon am nächsten Morgen, da sich mein Fährmann sehr früh eingestellt hatte. Wir begaben uns auf unsere sonderbare Reise, und wurden durch das herrlichste Wetter und manch anderes seltsame Ding belohnt. Was in mir von früheren Zeiten träumerisch war, war ganz geeignet gewekt zu werden. Für Freunde landschaftlicher Natur und Entwiklung ist eine solche langsame von häufigem Anhalten unterbrochene Fahrt an den Ufern bei weitem vorzüglicher, als eine längs der Mitte des Sees, wo alles, was schön ist, nur in allgemeinen Bildern unentfaltet vorüber rükt. Wir fuhren stets an den Gestaden. Bald war es ein großer unermeßlich scheinender Fels, den wir umschifften, und der wie ein Stük Alpe in das seichte Fahrwasser des Sees geworfen schien. An seinem Körper spielten die grauen Lichter und die violetten Schatten, und an seinem Fuße plauderten oder flüsterten die Wellchen, die unbemerkt und unablässig an seinem Korne wuschen. - Ein ander Mal war es wieder eine blendende Sandbank, die gegen das Dunkelblau des Wassers hinaus ging. Hinter ihr klomm das reine Grün empor, das wieder oben in Felsen überging, die dann blaulich in die noch blauere fast funkelnde Luft hinein dämmerten. Oft stach eine solche Zunge gleichlaufend mit dem Ufer weit in den See hinaus, und jenseits derselben lag das ruhigste dunkelblaueste Wasser wie ein geborgenes Band an dem Gürtel des Gestades dahin. Wenn wir dann in die Langbucht einfuhren, so entwikelte sich eine Hütte, ein Häuschen, ein Landsitz, wo wir früher nur einen mattgrauen oder schwachweißen Punkt gesehen hatten. - Oft wurde das breite Wasser des Sees ganz schwarzblau, unendlich dunkler, als die Luft, und längs des fernen Saumes glänzte, wie eine lichte Kalkwand, das Zierathenwerk der Felsen, und warf sein Gitter zauberhaft in die Fläche des schwarzen Spiegels. - Wenn wir manchmal eine Wand sahen, und meinten, sie sei weithin die glatteste rizenloseste Mauer, so that sie sich, wenn wir an ihr entlang fuhren, auf einmal auf, und trug in ihrer Faltung eine niedersteigende von dichtem Buschwerke bewucherte Furche, in der das klareste glasdurchsichtigste Alpenwasser nieder strömte. Und wenn wir dann um die Sandhügel, die sich heraus schoben, herum fuhren, und in die Bucht einlenkten, die sich darstellte, so sahen wir, daß der Schauplaz sehr groß sei, und an seinem Rande statt des grünen Wucherwerkes, welches wir erblikt hatten, riesengroße schöne Bäume trug, und in mancher Eke noch ein aus rohen Steinen oder Stämmen zusammen gefügtes Fischerhäuschen barg.

Mein Begleiter plauderte fast unablässig fort. Ich lernte sein seltsames Italienisch bald verstehen, und antwortete ihm darin, worüber er große Freude hatte. Er nannte mir alle Stellen, von denen er die Namen wußte, erzählte mir Geschichten, die oft sehr abentheuerlich und unglaublich waren, und zeigte, wie fast alle Südländer gewohnt sind, das lebhafteste Entzüken über sein schönes Land. Das erste Mal aßen wir zu Mittag auf unserem Schiffchen, das wir ruhig stehen ließen, und über dessen Borde wir ein Brett als Tisch legten, auf dem wir unsere Sachen ausbreiteten. Er that mir aus meiner Flasche Bescheid, und wurde noch gesprächiger und lustiger, als vorher. Da ich ihm den Zweck unserer Fahrt geoffenbart hatte, wurde er von dem Seltsamen des Dinges ergriffen, und so oft wir landeten, frug er in die Leute, die uns vorkamen, hinein, als müsse er ihnen den alten Mann um jeden Preis und mit Gewalt entreißen; und das Märchenhafte, daß ich nichts als den Namen Rikar wußte, ergözte ihn so, daß er nach jedem Punkte am Ufer spähte, und oft ausrief: »Dort liegt ein Haus, dort liegt eine Hütte, dort liegt ein Stein.«

Die Nacht brachten wir in einer einzeln gelegenen Herberge zu, die mit ihren schimmernden Mauern, gleichsam wie eine weiße Tafel, an die Felsen geklebt schien, und von einem ganz verwikelten Geländer des grünsten Weinlaubes umgeben war. Am andern Tage fuhren wir sehr früh ab, und sahen Riva, von dem wir gestern ausgegangen waren, wie kleine Papierstreifchen auf dem Wasser schwimmen.

Wir hatten alle unsere Vorbereitungen für den Gebrauch des Tages und für unser Mittagmahl wieder in das Schiffchen gethan, und fuhren das blaue schwellende Wasser dahin. An all den zahlreichen Stellen, an denen wir bisher gefragt hatten, hatten wir keine Antwort erhalten.