Meinen Glückwunsch, Paganel, meinen aufrichtigen Glückwunsch!«
Alle sprachen Paganel ihren Beifall aus, wobei dieser sich keinen Bissen entgehen ließ. Er aß und plauderte gleichzeitig; er bemerkte aber eine besondere Erscheinung nicht, welcher Glenarvan nicht entgehen konnte: Die Aufmerksamkeiten, welche John Mangles seiner Nachbarin Mary Grant erwies. Ein leichter Wink von Seiten der Miß Helena belehrte ihren Gemahl, daß es »richtig war«. Mit liebevoller Theilnahme sah Glenarvan die beiden jungen Leute an und richtete eine Frage, aber ganz andern Inhalts, an John Mangles.
»Nun, und Ihre Fahrt, John, fragte er, wie ist sie abgelaufen?
– Ganz vortrefflich, erwiderte der Kapitän. Ich habe Ew. Herrlichkeit nur zu melden, daß wir nicht durch die Magelhaensstraße gefahren sind.
– Ei! rief Paganel, Sie sind um das Cap Horn gefahren und ich bin nicht dabei gewesen!
– Nein! Da hängte ich mich auf! sagte der Major.
– Egoist! Sie ertheilen mir diesen Rath? Ich sollte Ihnen den Strick zum Aufhängen schicken.
– Sehen Sie, mein lieber Paganel, fiel Glenarvan ein, wenn man nicht gerade die Eigenschaft der Allgegenwart besitzt, kann man eben nicht überall dabei sein. Und, da Sie die Ebene der Pampas mit durchwanderten, konnten Sie doch nicht gleichzeitig das Cap Horn umschiffen.
– Das hindert mich aber nicht, es zu bedauern«, erwiderte der Gelehrte.
Man setzte dieses Gespräch nicht weiter fort und ließ es bei letzterer Antwort bewenden. John Mangles ergriff wieder das Wort und erstattete über seine Fahrt Bericht. Auf dem Wege längs der amerikanischen Küste hatte er alle westlichen Inselgruppen durchforscht, ohne eine Spur von der Britannia zu finden. Als er am Cap Pilares, dem Eingange in die Magelhaensstraße, ankam, war dort widriger Wind, so daß man nach Süden zusteuerte; der Duncan fuhr an der Insel Désolation vorbei, ging bis zum siebenundfünfzigsten Grade südlicher Breite, umsegelte Cap Horn, lief durch die Straße Lemaire, an Feuerland vorüber, und folgte dann der Küste Patagoniens. In der Höhe des Cap Corrientes hatte das Schiff furchtbare Windstöße auszuhalten, dieselben, welche den Reisenden während des Gewitters so sehr zusetzten. Die Yacht hielt sich sehr gut, und seit drei Tagen lavirte John Mangles auf hoher See, als ihm die Schüsse des Carabiners die Ankunft der so ungeduldig erwarteten Reisenden verkündete. Bezüglich der Lady Glenarvan und Miß Grant hätte der Kapitän des Duncan sehr ungerecht sein müssen, wenn er deren seltene Unerschrockenheit hatte verkennen wollen. Der Sturm erschreckte sie nicht, und wenn sie einige Zeichen von Furcht gaben, so rührten diese von dem Gedanken an ihre Freunde her, welche noch durch die Ebenen der Republik Argentina zogen. So endete John Mangles Berichterstattung, welche ihnen die Glückwünsche Lord Glenarvan's einbrachten. Dann wendete sich dieser an Miß Grant:
»Meine liebe Miß, sagte er, ich sehe, daß der Kapitän John ihren hervorragenden Eigenschaften alle Ehre widerfahren läßt, und ich bin glücklich in dem Gedanken, daß es Ihnen ebenfalls an Bord seines Schiffes nicht mißfällt.
– Wie sollte das auch anders sein? erwiderte Mary, die Lady Helena und vielleicht auch den jungen Kapitän ansah.
– O, meine Schwester liebt Sie gar sehr, Herr John, rief Robert, und ich, ich liebe Sie auch!
– Und ich erwidere Dir diese Zuneigung, mein lieber Junge«, antwortete John Mangles, der durch die Worte Robert's etwas verlegen wurde, wie denn auch eine leichte Röthe über Mary Grant's Antlitz flog.
Dann setzte John Mangles, der das Gespräch auf einen weniger verfänglichen Gegenstand lenken wollte, hinzu:
»Nachdem ich nun über die Reise des Duncan berichtet habe, möchte Ew. Herrlichkeit uns nicht einige Einzelheiten von Ihrer Ueberlandreise durch Amerika, und von den Thaten unseres jungen Helden mittheilen?«
Nichts konnte Lady Helena und Miß Grant angenehmer sein, als diese Erzählung. Lord Glenarvan beeilte sich, ihre Neugier zu befriedigen. Er erzählte, ohne etwas zu übergehen, die ganze Reise von einem Ocean zum andern. Die Uebersteigung der Anden, das Erdbeben, das Verschwinden Robert's und seine Entführung durch den Condor, den Schuß Thalcave's, die Episode mit den rothen Wölfen, die Aufopferung Robert's, die Geschichte mit dem Sergeant Manuel, die Überschwemmung, die Zufluchtsstätte auf dem Ombu, ferner die Erzählung von dem Blitzstrahl, der Feuersbrunst, den Kaimans, der Trombe, der Nacht am Ufer des Atlantischen Oceans – alle diese erfreulichen oder schrecklichen Einzelheiten erregten wechselweise die Freude oder den Schrecken seiner Zuhörer. Mancher Umstand wurde berichtet, der Robert die Zärtlichkeiten seiner Schwester und der Lady Helena einbrachten; nie fühlte sich ein Knabe so innig und von so enthusiastischen Freundinnen umarmt.
Als Lord Glenarvan seine Erzählung beendet hatte, fügte er hinzu:
»Nun, meine Freunde, denken wir an die Gegenwart; was vergangen, ist vergangen. Die Zukunft gehört uns; kommen wir nun auf Kapitän Harry Grant zurück.«
Das Frühstück war zu Ende; die Teilnehmer sammelten sich in dem Privatsalon der Lady Glenarvan; sie nahmen rund um einen Tisch Platz, der mit Karten und Plänen bedeckt war, und bald war das Gespräch im Gange.
»Meine liebe Helena, sagte Lord Glenarvan, als ich au Bord kam, verkündete ich, daß, wenn die Schiffbrüchigen der Britannia auch nicht mit uns zurückkämen, wir doch mehr als je die Hoffnung hätten, sie wieder aufzufinden. Unsere Reise quer durch Amerika hat uns diese Ueberzeugung, oder besser gesagt, die Gewißheit verschafft, daß das Unglück weder an der Küste des Stillen, noch des Atlantischen Occans stattgefunden hat. Daraus folgt natürlicher Weise, daß die aus dem Documente hergeleitete Auslegung, wenigstens was dabei Patagonien betrifft, eine irrige war. Zum Glück hat unser Freund Paganel, durch eine Art plötzlicher Erleuchtung, diesen Irrthum bemerkt. Er legte uns dar, daß wir uns auf falschem Wege befänden, und hat das Document in einer Weise erläutert, die jeden Zweifel in uns niederschlug. Es handelt sich hier um das in französischer Sprache geschriebene Document, welches ich Paganel hier zu erklären bitten möchte, damit in dieser Hinsicht Niemand mehr einen Zweifel hege.«
Als sich der Gelehrte in die Lage gesetzt sah, zu reden, that er's sogleich; er verbreitete sich über die Wortstücke -gonie und ini- in der überzeugendsten Weise; aus dem Stücke austral leitete er mit Notwendigkeit das Wort Australien ab; er zeigte, daß der Kapitän Grant, indem er Peru verließ, um nach Europa zurückzukehren, auf einem rhedelosen Schiffe durch die südlichen Strömungen des Stillen Oceans bis zu den Ufern Australiens habe verschlagen werden können; kurz, seine geistreichen Hypothesen, seine feinen Schlußfolgerungen errangen sich den vollen Beifall selbst John Mangles, der in solchen Dingen ein schwer zu gewinnender Richter war und sich von phantastischen Ausschweifungen nicht hinreißen ließ.
Als Paganel seinen Vortrag geendet hatte, meldete Glenarvan an, daß der Duncan sofort Australien zusteuern werde.
Indessen wünschte der Major, bevor der Befehl ertheilt würde, die Fahrt nach Osten zu beginnen, noch einige Bemerkungen zu machen.
»Sprechen Sie, Mac Nabbs, erwiderte Glenarvan. – Es ist nicht meine Absicht, sagte der Major, die Beweiskraft der Argumente meines Freundes Paganel abzuschwächen, noch weniger, sie ganz abzuweisen; ich halte sie für gewichtig, für weise und unserer ganzen Aufmerksamkeit werth, und sie müssen mit gutem Grunde die Basis unserer zukünftigen Nachforschungen bilden. Ich wünsche aber, daß sie einer letzten Prüfung unterzogen werden, um sie zu ganz unbestreitbarem und unbestrittenem Werthe zu erheben.«
Man konnte oder wollte dem klugen Mac Nabbs nicht entgegentreten, und seine Zuhörer lauschten ihm mit einer gewissen Aengstlichkeit.
»Fahren Sie fort, Major, sagte Paganel, ich bin bereit, alle ihre Fragen zu beantworten.
– Mein Frage ist ganz einfach, begann der Major. Als wir vor nun fünf Monaten im Golf von Clyde die drei Documente durchstudirten, schien uns ihre Erklärung ganz einleuchtend.
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