– Ich bestehe vorzüglich darauf, den Weg nicht zweimal zu machen, wenn Australien zufällig die Hoffnungen nicht erfüllen sollte, die es jetzt erweckt.
– Diese Vorsicht scheint mir gut, meinte Glenarvan.
– Und ich werde Sie nicht davon abzubringen suchen, warf Paganel ein. Im Gegentheil.
– Nun denn, John, befahl Glenarvan, steuern Sie auf Tristan d'Acunha.
– Im Augenblick, Ew. Herrlichkeit«, erwiderte der Kapitän und bestieg sein Verdeck, während Robert und Mary lebhafte Worte des Dankes an Lord Glenarvan richteten.
Bald entfernte sich der Duncan von der Küste Amerikas, und sein schneller Vordersteven theilte, in der Richtung nach Osten, die Wogen des Atlantischen Oceans.
Zweites Capitel
Tristan d'Acunha.
Wäre die Yacht der Linie des Aequators gefolgt, so hätten die hundertundsechsundneunzig Längengrade, welche Australien von Amerika, oder genauer Cap Bernouilli von Cap Corrientes trennen, elftausendsiebenhundertsechzig Seemeilen betragen. Auf dem siebenunddreißigsten Breitengrade stellen diese hundertundsechsundneunzig Längengrade, in Folge der Kugelform der Erde, nur neuntausendvierhundertundachtzig Seemeilen dar. Von der amerikanischen Küste bis Tristan d'Acunha rechnet man zweitausendeinhundert Meilen, eine Entfernung, welche John Mangles in zehn Tagen zurückzulegen hoffte, vorausgesetzt, daß nicht scharfe Ostwinde den Lauf der Yacht verzögerten. Uebrigens hatte er allen Grund zufrieden zu sein, denn gegen Abend fiel die Brise merklich ab, schlug dann um, und der Duncan konnte auf ruhigem Meere alle seine unvergleichlichen Eigenschaften zur Geltung bringen.
Schon an demselben Tage hatten die Passagiere alle ihre Lebensgewohnheiten an Bord wieder aufgenommen. Es schien, als hätten sie das Schiff während eines Monats nicht verlassen. Nach dem Wasser des Großen Oceans dehnte sich jetzt das des Atlantischen Weltmeeres vor ihren Augen aus, und bis auf wenige feinere Unterschiede waren alle Wogen einander ähnlich. Die Elemente, welche sie erst so furchtbar geprüft hatten, vereinigten jetzt alle Kräfte, sie zu begünstigen. Friedlich war der Ocean, günstig wehte der Wind, und das ganze, von einer westlichen Brise geschwellte Segelwerk unterstützte den in dem Kessel aufgespeicherten, unermüdlichen Dampf.
Diese schnelle Fahrt ging ohne Zufall und ohne Unfall von statten. Mit Vertrauen hoffte man auf die australische Küste. Die Wahrscheinlichkeiten wurden zu Gewißheiten. Man sprach vom Kapitän Grant, als ob die Yacht ihn in einem bestimmten Hafen abholen sollte. Seine Cabine und die Lagerstätten für seine zwei Begleiter wurden hergerichtet. Mary Grant gefiel sich darin, sie mit eigener Hand zu ordnen und zu schmücken. Sie war ihr von Mr. Olbinett abgetreten worden, der tatsächlich das Zimmer der Mss. Olbinett theilte. Diese Cabine grenzte an die berühmte Nummer sechs, welche an Bord der Scotia für Jacques Paganel bestimmt gewesen war.
Der gelehrte Geograph hielt sich dort fast immer eingeschlossen. Er arbeitete vom Morgen bis zum Abend an einem Werke unter dem Titel: »Erhabene Eindrücke eines Geographen in den Pampas Argentiniens.« Man hörte ihn mit bewegter Stimme seine eleganten Perioden prüfen, bevor er sie den Weißen Blättern seines Collectaneenbuches anvertraute, und mehr als einmal rief er, Klio, der Muse der Geschichtschreibung, ungetreu, in seiner Begeisterung Kalliope, die Muse des epischen Gesanges, an.
Paganel war sich darüber auch nicht im Unklaren. Apollo's keusche Töchter verließen für ihn willig die Gipfel des Parnaß oder des Helikon. Lady Helena entbot ihm darüber ihre aufrichtigen Complimente. Der Major beglückwünschte ihn auch wegen dieser mythologischen Besuche.
»Aber vor Allem, fügte er hinzu, keine Zerstreuungen, mein lieber Paganel, und wenn es Ihnen zufällig in den Sinn käme, australisch zu lernen, so studiren Sie mir es nicht etwa aus einer chinesischen Grammatik!«
An Bord ging Alles vortrefflich. Lord und Lady Glenarvan beobachteten mit Interesse John Mangles und Mary Grant. Sie fanden Nichts dagegen einzuwenden, und, da John nicht davon sprach, war es entschieden am besten, den Gegenstand nicht zu berühren. »Was wird Kapitän Grant dazu denken? sagte da Glenarvan einmal zu Lady Helena.
– Er wird denken, daß John Mary's würdig ist, mein lieber Edward, und er wird sich nicht täuschen.«
Inzwischen steuerte die Yacht rasch ihrem Ziele zu. Am 16. November, fünf Tage, nachdem man Cap Corrientes aus dem Gesichte verloren hatte, wehten günstige Westwinde, dieselben, welche sich die Schiffer beim Umsegeln der Südspitze Afrikas gegenüber den dort gewöhnlichen Südostwinden gern zu Nutze machen.
Der Duncan zog alle Segel auf und fuhr wagehalsig rasch weiter. Seine Schraube griff kaum in das fließende Wasser ein, welches der Vordersteven durchschnitt, und es schien, als wäre er im Wettkampf mit den Yachten des Royal-Thames-Club.
Am andern Tage erschien der Ocean mit ungeheuren See-Eichen bedeckt, die einem großen mit Gewächsen erfüllten Teiche glichen. Man konnte meinen, man befinde sich in einem sogenannten Tang-Meer, wie sie sich aus den Resten von Bäumen und Pflanzen, welche von benachbarten Continenten entführt werden, bilden.
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