Drunten stapfte Asta, lang und gebückt, in Gummischuhen durch den Schnee. Lola sah nachdenklich zu. Plötzlich nahm sie ihren Mantel und stieg hinab.

   „Nun?” fragte sie und trat unversehens hinter den Lebensbäumen hervor. Asta schnellte von der Bank auf.

   „Verzeih”, stammelte sie. „Verzeih! Ich wollte dich nicht belügen, aber im Beisein der andern konnte ich dir’s nicht sagen.”

   „Es tut nichts”, entgegnete Lola. Dieser kleine magere Kopf mit dem dünnen Haar und der Nase wie bei einem Totenschädel erbarmte sie. Sie stellte sich vor, sie hätte ihn küssen sollen, und ihr schauderte. Noch mehr aber fürchtete sie sich davor, diesem Wesen weh zu tun.

   „We r hat denn für dich geschrieben?” fragte sie santt. Asta schlug die Augen nieder.

   „Ich habe meine Briefe einem der Dienstmädchen mitgegeben, und sie hat sie in der Stadt abschreiben lassen.”

   Sie atmete beklommen.

   „Wi e du gütig bist, Lola, daß du kommst. Ich verdiene das nicht.”

  „Warum nicht?” fragte Lola, und fand ihre Frage nicht ganz ehrlich.

  „Weil du so schön bist und so reizend. Alle möchten dich zur Freundin: wie komme grade ich dazu, mich dir aufzudrängen. Aber sieh, ich kann nicht anders. Ich weiß bestimmt, daß kein anderer Mensch mir je so nahestehen wird wie du. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich meine Mutler und meinen kleinen Bruder noch liebhabe. Aber wenn ich an dich denke - und wann dächte ich nicht an dich? -, dann habe ich Mutter und Bruder nicht mehr lieb. Hörst du? nicht mehr lieb.”

   „Wa s willst du denn von mir?”

   „Oh! Lola!”

   Und Lola, die nicht abzuwehren wagte, fühlte sich umschlungen. Sie bog den Kopf zurück, um aus Astas Atem zu entkommen; aber ein paar Hände schlichen fieberhaft um ihren Leib, unter ihrer Brust hin.

   „Fühlst du gar nicht, was ich meine? Gar nicht?” Vorwurfsvoll und flehend.

   „Gar nicht!” sagte Lola mit Nachdruck; denn Angst stieg in ihr auf. Im Begriff, sich loszumachen, meinte sie ein Kichern zu hören. Der Gedanke an Lauscher empörte sie. ,Icli bin nicht gekommen’, dachte sie, ,diese hier zu verhöhnen. Ich habe nichts mit ihr gemein; aber auf seilen der andern stehe ich erst recht nicht.’ Sie sagte laut, wie für Zuhörer:

„Aber dies kann ich trotzdem tun.”

Und rasch küßte sie Asta auf die Wange. Wie sie ging, schluchzte es hinter ihr auf. Oft noch hörte sie, wenn sie allein war, dies Schluchzen und spürte wieder die Angst, die die fieberhaften Hände jenes Mädchens ihr beigebracht hatten: sie begriff nicht, warum.

   Jenny klärte sie auf. Ostern war nahe, und Jenny, die konfirmiert werden sollte, ging im voraus mit einem feierlichen Gesicht umher. Es war schon so rot und nur noch wenig kleiner als das ihrer Mutter. Wie sie Lola einst im Garten traf, faßte sie sie unter den Arm und sagte:

   „Lola, du bist manchmal recht unvorsichtig: ich als die ältere möchte dich warnen. Ja, sieh mich nur an! Du kannst von Glück sagen, daß ich neulich hinter den Lebensbäumen stand. Wenn Asta mich nicht hätte husten hören, wer weiß, was sie mit dir angestellt hätte.”

   „Du hast nicht gehustet, du hast gekichert; und Asta hat es gar nicht gehört.”

   „Du glaubst nicht, wie schlecht manche Mädchen sind. Und die Herren … “

   Ein Instinkt benachrichtigte Lola, es komme etwas Peinliches, und sie wollte einfallen. Aber Jenny war nicht aufzuhalten.