Erneste gab den Herangewachsenen die Erlaubnis, sich Kameradinnen aus der Stadt einzuladen, und sie ließ die Mädchen unter sich. Schwarz und sehr elegant - denn die Schneiderin der Pension bestellte ihr gegen Vergütung und ohne Ernestes Wissen manche Sachen aus Paris - lag Lola im Schaukelstuhl und blies ihren Zigarettenrauch, damit man ihn nachher nicht rieche, aus dem Fenster. Ein blühender Apfelbaum griff mit seinen Asten herein; es war dasselbe Zimmer, worin einst die kleine Lola mit ihrem Vater von Erneste begrüßt worden war.

   „Ja, ja, wer weiß, was jeder bevorsteht. Die meisten von euch werden zweifellos im Geleise bleiben und heiraten.”

   „Rede nur nicht, Lola. Als ob es bei dir nicht aufs selbe hinauskäme.”

   „Schwerlich. Ich kann mir nicht gut einen Mann denken, zu dem ich gehören würde. Ich habe ein eigentümliches Schicksal, meine Lieben. Vor mehreren Jahren - Gott, wir waren noch halbe Kinder - nanntet ihr mich mal aus Bosheit international. In eurer Bosheit hattet ihr aber ganz recht. Ich gehöre nicht hierher, und anderswohin vermutlich auch nicht.”

   „Na, du bildest dir aber was ein!”

   „Ich denke mir die Sache anzusehen. Wenn ich hier glücklich heraus bin, gehe ich, vermutlich mit einer GesellschafIrrin, auf Reisen. Spanien und Portugal nehme ich mir besonders vor.”

   „Wie willst du als junges Mädchen denn durchkommen? Schon die Sprache!”

„Meine Muttersprache ist Portugiesisch.” „D u hast längst alles vergessen.”

„Ich kann schon noch etwas.” „Sprich mal!”

Lola blies Rauch aus dem Fenster. Die Tür ward geöffnet,
und Ernestes Stimme sagte französisch:
„Ein Besuch, meine Damen.”

   Süßes Parfüm drang herein, und eine schöne Dame, schwarz und sehr elegant, noch jung, mit glänzend weißem Gesicht und glänzend schwarzen Haarbandeaus, trat rasch in den Kreis der jungen Mädchen, die aufstanden. Sie erhob das Lorgnon und sah umher.

   „Da ist sie”, sagte Erneste und zeigte auf Lola. Die Dame ließ das Lorgnon los; vo m Anblick Lolas schien sie betroffen.

   „Die Kinder werden groß”, bemerkte Erneste. Die Dame lächelte. Lola, die erblaßt war, murmelte zitternd:

   „Mai?”

   Die Dame sprach, ganz schnell, etwas Unverständliches; Lola konnte, mit stockender Stimme, nichts erwidern als „Mai, Mai”; und beide standen, die Arme unschlüssig ein Stück erhoben, einander gegenüber. Erneste sagte in ihrem korrekten Französisch:

   „Ist das seltsam, gnädige Frau! Als Ihre Tochter ehemals in dieses Haus eintrat, konnte sie nicht mit mir sprechen und jetzt nicht mit Ihnen.”







Zweiter Teil






I


   Mit glänzend glatten Bandeaus und einem rohseidenen Schlafrock, creme und pfauenblau, kam Frau Gabriel ins Zimmer und fragte:

„Sind die Sachen da?”

   Lola las, hing dabei aus dem Fenster und hörte nicht. Ermattet seufzend, leimte Frau Gabriel sich in einen Sessel.

  Lolas schlanker, kräftiger Nacken dahinten lag pflaumig blond im Licht. Um ihr Haar her war ein goldiges Geflimmer. Die ungeheure blaue und durchgoldete Weite trug Lolas Schattenriß in sich, bereit, ihn dahinzuraffen, aufzuzehren. Drei Palmcnblätter nickten mit ihren Spitzen über den Fensterrahmen hinweg. Die Hotelglocke ging. Nun schnaubte ein Dampfer. Von Gesprächen, Musik und Gelächter flatterten Bruchstücke durch Wind und Sonne herbei.

   Frau Gabriel saß und polierte mit dem Taschentuch ihre Nägel. Lola sah sich plötzlich um und fuhr zusammen.

   „Sind die Sachen da?” fragte Mai geduldig.

   „Da stehen sie doch!”

   Nicht einmal den Kopf konnte Mai wenden: lieber saß sie eine halbe Stunde und wartete. Wenn jemand aber auch gar keine Nerven hatte! Lola stellte die geöffneten Schachteln dicht neben Mai hin.

   „Grade habe ich sie noch bezahlen können. Aber es war fast das letzte.”

„Schreibe doch an Nene.”

„Das sagst du immer. Oh! Wäre ich erst ausgebildet und

selbständig! … Weißt du, wieviel wir schon voraus haben? Die Zinsen eines halben Jahres.”

„Nene verdient aber auch; er wird mit uns teilen.”

  „Er hat schon mit uns geteilt. Mir ist’s sonderbar genug, daß dort drüben ein junger Mann für mich arbeitet, den ich kaum kenne.”

„Versündige dich nicht, er ist dein Bruder.”

   „Erinnerst du dich, wie ich anfangs, nachdem du herübergekommen warst, nicht wußte, wer Paolo war? Als Kind hatte ich nie gehört, daß er Paolo hieß und daß Nene nur Baby bedeutet.”

„Der gute Nene.”

   „Wir lassen ihn also für uns verdienen; nur dürfen wir ihn nicht zugrunde richten.