Ja, er war fort: die Leute hatten recht. Aber dann hatte Pai selbst sie verraten und unter diesen Fremden zurückgelassen. Wem also war noch zu trauen? Scheu sah das Kind sich um. In diesen Tagen brach ein Gewitter aus; und Lola - wie hatte sie daheim zu urweltlichen Unwettern gejauchzt! - ward von jedem dieser Blitze in eine andere Zimmerecke gescheucht: bleich und mit geschlossenen Lippen; denn niemandes Hilfe wußte sie anzurufen.

   Ward Lola jetzt um ihr Lied gebeten, schüttelte sie, mürrisch und verlegen, die Schultern. Auch sprach sie nicht mehr; und sie dachte ganz Ungewöhnliches. ,Ich werde vielleicht sehr krank werden und kann dann niemandem sagen, wo es weh tut, und muß immer so schreien, wie da mals der Neger schrie, der ein Loch im Magen halte.’ Wenn sie allein im Zimmer war und mit sich selbst und ihren Puppen plauderte, mußte sie manchmal lauschen: so seltsam klein und allein klang ihr die eigene Stimme; - und sie fühlte es plötzlich, tief in ihrem erschauernden Herzen, es gäbe im Hause und in der ganzen Stadt und auf allen Straßen, die hinausführten, keinen Menschen, der, wie die daheim, zu ihr sagen könne: „Meine kleine Lola, meine liebe kleine Lola.” Sie flüsterte die ersehnten Worte vor sich hin und sah dabei ihre Puppen an. Da bemerkte sie, daß auch die Puppen sie ihr nie sagen und, was sie ihnen vorplauderte, nie verstehen würden: waren doch auch sie aus diesem fremden Lande. Sie schob sie weg. Und selbst das Reh! Daheim gab es kein solches Tier, und es wußte nichts von Lola. „Hörst du denn nicht?” bat sie, mit Tränen. „Reh! Reh!” Aber das Reh sah sie fremd an.

Lola war allein.


Am Sonntag ward sie wieder zur Großmama gebracht. Sie benahm sich scheu und verdrossen; man verlor endlich die Geduld und überließ sie nach dem Essen sich selbst. Unzufrieden, weil niemand mehr sich um sie bekümmerte, drückte sie sich im Garten umher. Wie es kalt war in diesem Lande! Ängstlich und feindselig”sah sie zu den grauen Wolken hinauf, die herabdrohten. Der Pavillon, der sie am ersten Tage versteckt hatte, damals, als sie schon vorausgeahnt hatte, Pai werde sie allein lassen: heule stand er offen, und Lola betrat ihn. Es waren wunderliche alte Möbel darin; sie bemühte sich, einen Wandschrank zu öffnen: - da geschah ein Poltern unter ihr. Sie fuhr zusammen. Es polterte stärker, es schlug sogar gegen den Roden, auf dem sie stand. Erstarrt, horchte sie. Ein furchtbarer Krach: nun drang es gleich zu ihr ein; und Lola schrie los, mit allen Kräften höchster Nol:

   „Der Teufel! Der Teufel!”

   Sofort hörte das Poltern auf, und im nächsten Augenblick

land in der Tür der lustige Onkel, ganz bleich, und blickte jola zornig an. Sie schrie, zu ihrer Rechtfertigung und aus Eigensinn, noch einmal: „Der Teufel!” Da stürzte aber der Onkel auf sie zu und legte sie über sein Knie … Und nachdem Lola dies durchgemacht hatte, war es ihr viel leichter und sanfter. Der Onkel nahm sie bei der Hand und führte sie in das Kellergewölbe, unter dem Gartenhaus. Er zeigte ihr, wie er Holz gehackt habe und wie die geschwungene Axt manchmal gegen die niedrige Decke gestoßen sei. Was er dazu redete, hatte einen guten, tröstlichen Ton; - und Lola ward betroffen und sehr nachdenklich. Denn es war klar, daß dies gegen alle ihre bisherigen Erfahrungen ging. Wenn daheim aus dem Urwald heraus irgendeine ungewohnte Stimme erscholl, lief es bei den Schwarzen von Mund zu Mund: „Der Teufel”; und blinzelte irgendwo ein Licht, das niemand kannte, ward geraunt: „Der Teufel.” Als der Onkel Holz hackte, hätte die schwarze Anna nur bei Lola sein sollen; ganz sicher würde sie gewimmert haben: „Der Teufel.” Er war es also nicht? Wenigstens nicht immer? Das war tröstlich, und der Onkel war gut, daß er Lola dies gelehrt hatte. Sie lächelte ihm zu. Sie hatte auf einmal alle Menschen lieber, ging ins Zimmer, umarmte die Großmama und klatschte in die Hände bei dem Gedanken, daß sie auch dem Fräulein Erneste etwas recht Liebes antun wolle. Eifrig verglich sie im Innern die schwarze Anna mit Fräulein Erneste und wunderte sich, wieviel näher ihr Erneste sei. Die schwarze Anna war dumm, mit ihrem Teufel; Lola schämte sich ihrer ein wenig.