Sie wollte sich gewaltsam losreißen und sah mit halb wildem, halb flehendem Blicke auf, der sterbend vor den tausend Augen wieder zu Boden sank. Er sah, sein Auge, das Auge des, der durch den Schuppen kam, war ihr das schrecklichste. Er hatte seinen ganzen Mut wieder.

»Sag's ihm«, preßte er leise hervor, »was du von ihm willst. Wenn er ist, wie du meinst, muß er dich verachten!«

Fritz Nettenmair hielt die Kämpfende mit der Kraft des Siegers fest, bis er Apollonius, der fragend aus dem Schuppen sah, gewinkt herbeizukommen. Er ließ sie, und sie floh nach dem Hause. Apollonius blieb erschrocken auf dem halben Wege stehen.

»Da siehst du, wie sie ist«, sagte Fritz zu ihm. »Ich hab' ihr gesagt, du wolltest sie fragen. Willst du, so gehen wir ihr nach, und sie muß uns beichten. Ich will sehen, ob meine Frau meinen Bruder beleidigen darf, der so brav ist!«

Apollonius mußte ihn zurückhalten. Fritz gab sich nicht gleich zufrieden. Endlich sagte er: »Du siehst aber nun, es liegt nicht an mir. Oh, es tut mir leid!«

Es war ein unwillkürlicher Schmerz in den letzten Worten, den Apollonius auf die mißlungene Aussöhnung bezog. Fritz Nettenmair wiederholte sie leiser, und diesmal klangen sie wie ein Hohn auf Apollonius, wie höhnisches Bedauern über eine verfehlte List.

Christiane war nach der Wohnstube gestürzt und hatte die Tür hinter sich verriegelt. An Fritz dachte sie nicht; aber Apollonius konnte hereintreten. Sie wälzte den fieberischen Gedanken, hinaus in die Welt zu fliehen; aber wohin sie sich dachte, im steilsten Gebirg, im tiefsten Walde, begegnete er ihr und sah, was sie wollte, und er mußte sie verachten. Und was wollte sie denn? Wollte sie etwas von ihm? Wenn sie in Gedanken vor ihm floh und angstvoll eine Zuflucht suchte, war er es nicht wieder, zu dem sie floh? Wenn sie in Gedanken eine Brust umschlang, daran sich auszuweinen, war es nicht seine? Der Augenblick, der sie lehrte, sie wollte etwas Böses, hatte sie ja erst gelehrt, was sie wollte. Ännchen war im Zimmer; sie hatte das Kind nicht bemerkt. Alles Leben der Mutter war bei ihrem innern Kampfe; Ännchen sah der Mutter nicht an, was in ihr vorging. Sie zog die Mutter auf einen Stuhl und umschlang sie nach ihrer Weise und sah zu ihrem Antlitz auf. Die Mutter traf ihr Blick, als käme er aus Apollonius' Augen. Ännchen sagte: »Weißt du, Mutter? der Onkel Lonius« – Die Mutter sprang auf und stieß das Kind von sich, als wäre er es selbst. »Sag' mir nichts mehr von – sag' mir nichts mehr von ihm!« sagte sie mit zorniger Angst, daß das Mädchen weinend verstummte. Ännchen sah nicht die Angst, nur den Zorn in der Mutter Auffahren. Es war Zorn über sich selbst. Das Mädchen log, als sie dem Onkel von der Mutter Zorn über ihn erzählte. Es bedurfte der Erzählung nicht. Hatte er nicht selbst die rote Wange gesehen, mit der sie seiner und des Bruders Frage auswich? dasselbe Rot der zornigen Abneigung, mit dem sie den Heimkehrenden empfangen hatte?

Ach, es war ein wunderlich schwüles Leben von da in dem Hause mit den grünen Fensterladen, tage-, wochenlang! Die junge Frau kam fast nicht zum Vorschein, und mußte sie, so lag brennende Röte auf ihren Wangen. Apollonius saß vom ersten Morgenschein auf seinem Fahrzeug und hämmerte, bis die Nacht einbrach. Dann schlich er sich leise von der Hintergasse durch Schuppen und Gang auf sein Stübchen. Er wollte ihr nicht begegnen, die ihn floh.