Er kannte das starke Ehrgefühl seiner Frau wie die bis zum Eigensinn feste Rechtlichkeit des Bruders, und er hätte beiden in allem getraut; nur in dem einen traute er ihnen nicht, wo er das Gefühl hatte, er habe es verdient, von ihnen betrogen zu sein.
So zog er doch den Weg vor, den er bis jetzt gegangen. Er machte einen kleinen Umweg über des Federchensuchers Narrheiten. Er wußte, kleine Lächerlichkeiten sind geschickter, eine werdende Neigung zu vernüchtern, als große Fehler. Er agierte Apollonius, wie er den Weg, den er mit einem Lichte gemacht, noch einmal zurückging, aus Sorge, er könnte einen Funken verloren haben. Wie es ihn bei Nacht nicht ruhen ließ, wenn ihm einfiel, er hatte bei einer Arbeit seinen gewöhnlichen Eigensinn vergessen oder ein Arbeiter hatte das strenge Wort nicht verdient, das er, vom Drang der Geschäfte erhitzt, gegeben. Wie er aus dem Bette aufgesprungen, um ein Lineal, das er im schiefen Winkel mit der Tischkante liegen lassen, in den rechten zu rücken. Dabei strich und blies Fritz Nettenmair sich eingebildete Federchen von den Ärmeln. Er sah wohl, seine Mühe hatte den verkehrten Erfolg. Gereizt dadurch griff er zu stärkeren Mitteln. Er bedauerte die arme Anne, die Apollonius durch Scheinheiligkeit in sich vernarrt gemacht; und erzählte, auf wie gemeine Weise er sie öffentlich verspotte.
Auf den Wangen der jungen Frau war ein dunkles Rot aufgestiegen. Offene naive Naturen haben einen tiefen Haß gegen alle Falschheit, vielleicht weil sie instinktmäßig fühlen, wie waffenlos sie vor diesem Feinde stehen. Sie zitterte vor Erregung, als sie aufstand und sagte: »Du könntest das tun, du; er nicht!«
Fritz Nettenmair schrak zusammen. In dem Anblick der Gestalt, die voll Verachtung vor ihm stand, war etwas, das ihn entwaffnete. Es war die Gewalt der Wahrheit, die Hoheit der Unschuld dem Sünder gegenüber. Er raffte sich mit Anstrengung zusammen. »Hat er dir das gesagt? Seid ihr schon so weit?« preßte er hervor. Sie wollte nach dem Hause gehen; er hielt sie auf. Sie wollte sich losreißen.
»Alles hast du gelogen«, sagte sie, »ihn hast du belogen, mich hast du belogen. Ich habe gehört, was du vorhin im Schuppen mit ihm sprachst.«
Fritz Nettenmair atmete auf. So wußte sie nicht alles. »Mußt' ich's nicht?« sagte er, indem sein Auge sich der Reinheit des ihren gegenüber kaum aufrecht hielt. »Mußt' ich nicht, um deine Schande zu verhindern? Soll der Federchensucher dich verachten?« Noch drückte ihr Blick den seinen nieder. »Weißt du, was du bist? Frag' ihn doch, was eine Frau ist, die Ehre und Pflicht vergißt? An wen denkst du mit Gedanken, wie du nur an deinen Mann denken solltest? Wenn du wie eine verliebte Dirne umherschleichst, wo du meinst, ihn zu sehen. Und meinst, die Menschen sind blind. Frag' ihn doch, wie er so eine nennt? Oh, die Leute haben schöne Namen für so eine!«
Er sah, wie sie erschrak. Ihr Arm bebte in seiner Hand. Er sah, sie begann ihn zu verstehen, sie begann sich selbst zu verstehen. Er hatte ihren Trotz gefürchtet und sah, sie brach zusammen, das Zornesrot erblich auf ihrer Wange, und Schamröte schlug wild über die bleiche hin. Er sah, wie ihr Auge den Boden suchte, als fühlte es die Blicke aller Menschen auf sich gerichtet, als hätte der Schuppen, der Zaun, die Bäume Augen und alle bohrten sich in das ihre. Er sah, wie sie in der Jähheit der Erkenntnis sich selbst so eine nannte, für die die Leute die schönen Namen haben.
Der Schmerz strömte seinen Regen über die schamblutende brennende Wange, und die Tränen waren wie Öl; das Feuer wuchs, als eine Stimme vom Schuppen klang und sein Tritt.
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