Du schreibst ihr einen beweglichen Brief zum Abschied, den bekommt sie durch mich, und ich will ihr schon das Herz weich machen. Und ist's nicht zu erreichen, so wird dir's gut tun, wenn du ein oder mehre Jahre von hier weg bist, wo dich alles an sie erinnert. Und zuletzt wird die Fremde einen andern Kerl aus dir machen, der mit der Art, die Schürzen trägt, besser umzuspringen weiß. Du mußt tanzen lernen, das ist schon der halbe Weg dazu. Und der Alte im blauen Rock ist ohnehin vom Vetter in Köln angegangen worden, einen von uns zu ihm zu schicken; ich las neulich in einem Brief, der ihm aus der Tasche gefallen war. Sag' ihm nur, du hättest aus seinen Reden so was gemerkt und wenn er's haben wollte, so wollest du gehn. Oder laß mich das machen. Du bist zu ehrlich.«
Und er machte es wirklich. Es ist die Frage, ob sich unser Held freiwillig hätte entschließen können, die Heimat zu verlassen; er, der nicht begriff, wie jemand wo anders leben könne als in seiner Vaterstadt, dem es immer wie ein Märchen vorgekommen war, daß es noch andere Städte gäbe und Menschen drin wohnten, der sich das Leben und Tun und Treiben dieser Menschen nicht als ein wirkliches, wie die Bewohner seiner Heimat es führten, sondern als eine Art Schattenspiel vorgestellt hatte, das nur für den Betrachter existierte, nicht für die Schatten selbst. Der Bruder, der den alten Herrn zu behandeln wußte, brachte wie zufällig das Gespräch auf den Vetter in Köln, wußte die Andeutungen, die Herr Nettenmair in seiner diplomatischen Weise gab, als vorbereitende Winke aufzufassen, faßte andere, die unsern Helden betrafen, damit zusammen. Nach öfterem Gespräche schien er's für den ausgesprochenen Willen des alten Herrn zu nehmen, daß Apollonius nach Köln zu dem Vetter müsse. Dadurch war dem alten Herrn der Gedanke gegeben, über dem er nun, da er für den seinen galt, nach seiner Weise brütete. Es war wenig Arbeit vorhanden und auch für die nächste Zeit keine Aussicht auf eine bedeutende Vermehrung derselben. Zwei Hände waren zu entbehren, und blieben die im Geschäft, so waren die Kräfte desselben zu einem halben Müßiggang verdammt. Der alte Herr konnte nichts weniger leiden, als was er »leiern« nannte. Es fehlte nur an einem Widerstande von seiten unsers Helden. Dieser wußte nichts von des Bruders Plane. Der Bruder hatte ihn weislich nicht darin eingeweiht, weil er ihn zu gut kannte, um Vorschub von ihm zu erwarten bei einem Tun, das er als unehrlich und unehrerbietig zugleich gegen den Vater verworfen haben würde.
»Du willst den Apollonius nach Köln schicken«, sagte der Bruder eines Nachmittags zu dem alten Herrn. »Wird er aber gehen wollen? Ich glaube nicht. Du wirst mich auf die Wanderschaft schicken müssen. Der Apollonius wird nicht gehen. Wenigstens heut und morgen noch nicht.«
Das war genug. Noch denselben Abend winkte der alte Herr unseren Helden sich in das Gärtchen nach. Vor dem alten Birnbaum blieb er stehen und sagte, indem er ein kleines Reis, das aus dem Stamme gewachsen war, entfernte: »Morgen gehst du zum Vetter nach Köln.«
Mit schneller Wendung drehte er sich nach dem Angeredeten um und sah verwundert, daß Apollonius gehorsam mit dem Kopfe nickte. Es schien ihm fast unlieb, daß er keinen Trotz zu brechen haben sollte. Meinte er, der arme Junge denke trotzige Gedanken, wenn er sie auch nicht ausspreche, und wollte er auch den Trotz der Gedanken brechen? »Heut noch schnürst du deinen Ranzen, hörst du?« fuhr er ihn an.
Apollonius sagte: »Ja, Vater.«
»Morgen mit Sonnenaufgang machst du dich auf die Reise.« Nachdem er so eine trotzige Antwort fast erzwingen zu wollen geschienen, mochte er seinen Zorn bereuen. Er machte eine Bewegung. Apollonius ging gehorsam. Der alte Herr folgte ihm und kam einigemal auf das Zimmer der Brüder, um mit milderem Grimme den Einpackenden an mancherlei zu erinnern, was er nicht vergessen solle.
Und vom Georgenturme tönte eben der letzte von vier Glockenschlägen, als sich die Türe des Hauses mit den grünen Fensterladen auftat und unser junger Wanderer heraustrat, von dem Bruder begleitet. An derselben Stelle, von der er jetzt auf die unter ihm liegende Stadt herabsah, hatte der Bruder Abschied von ihm genommen, und er ihm lange, lange nachgesehen.
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