Der Räuber des geweihten Grabes ist entdeckt.« Er hielt das Diadem empor. Alexander nahm es aus seiner Hand und betrachtete es in tiefem Staunen.
»Wirf es weg, Alexander!« rief auf einmal eine Stimme. »Der Magier weissagt den Tod aus seinem Besitz.«
»Es ist wahr,« sagte der Magier ernst, »ehe siebenmal der Mond sich erneut, muß der sterben, der das Diadem trägt.«
Von neuem betrachtete Alexander das strahlende Kunstwerk in seiner Hand. Ein flüchtiges Lächeln bewegte seine Lippen, sein großer Blick verlor sich langsam in den Raum.
Sterben müssen?
Fremd und fern war ihm der Begriff des Todes. Schien ihm doch die Welt nur um seinetwillen auferbaut und dazustehen, um seinetwillen wimmelte die Menschheit. Schien es doch, als ob ungezählte Tausende nur deswegen den Tod empfangen hatten, damit er stärker und voller leben könne; was sie verloren, nahm er in Besitz. Hatte er an das Sterben gedacht, als es in den Schluchten Baktriens Felsblöcke von den Höhen regnete und rings um ihn die besten Männer zerschmettert wurden, als vor Tyros die Schiffe zu brennen anfingen und das Meer mit ver-kohlten Leichnamen bedeckt war, zwischen denen er hindurch-schwimmen mußte, als in Indien der Giftpfeil in seine Brust drang und er verblutend zur Erde stürzte? Er hatte niemals an den eigenen Tod gedacht. Die kündende Gewalt des Schicksals prallte kraftlos an seinem Innern ab. Und nicht die Jugend verursachte dies, nicht der stürmische Wille, der unaufhaltsam von Ding zu Ding, von Ereignis zu Ereignis sprang, nicht die spürbare Wärme des Blutes, das fühlbar pochende Herz, das schallende Wort, die sichtbare Welt und alles, was man greifen und schmek-ken kann. Es war etwas anderes, Ungreifbares, Geheimnisvolles; es baute Brücken über den Tod hinaus, es kannte kein Ende aller Enden, keinen letzten Weg, keine letzte Tat; Rausch und Taumel war sein Wesen, ein Sichaufrecken bis unter die Sterne, ein Verachten der gemeinen Lose, ein Fernhalten des Alltäglichen, Allstündlichen — Unsterblichkeitswollust. Oft war es wie ein prunkvoller Traum um Alexander, wenn die Schwerter klirrten und die Schilde klapperten und die Erde vom Schritt der Armeen dröhnte und der Himmel vom Brand gerötet war; oft hatte er beim Geschrei der Sterbenden Lust verspürt, sich mitten unter sie zu setzen und den Homer zu lesen.
Ein unbeschreibliches Schweigen herrschte in der gewaltigen Halle, als er die Wieselfellmütze vom Kopf nahm und mit Ruhe das Diadem daran festband. »Nun, Osthanes,« wandte er sich an den Magier, »befrage deine Stäbe.« Ihn reizte das Verlangen, die fremden Götter herauszufordern.
Osthanes öffnete den Köcher und warf die Tamariskenstäbe auf die Erde. Lange betrachtete er die wirren Figuren, die sie bildeten, dann verbarg er das Gesicht in den Händen. Die Söldner drängten sich heran. Alexander lächelte.
Eumenes hatte die Leiche des Promachos gesehen und machte Alexander aufmerksam. Phason berichtete mit nackten Worten, was vorgefallen war und weshalb er den Elenden mit eigener Hand gerichtet. Er war seiner Sache nicht ganz sicher, und als er geendet, starrte er wie gebannt auf Alexanders Lippen. Aber Alexander antwortete nichts. Er schaute in das verzerrte Gesicht des Toten, dann erhob er den Blick, der einen kalten Ausdruck gewonnen hatte, und heftete ihn erst auf Phason, dann auf zwei, drei andere der umstehenden Makedonier. Es war ein stummer schneller Kampf zwischen ihnen, aber Alexander hatte bald ge-siegt, die Blicke, die er aufgefangen hatte, krümmten sich und suchten den Boden. Nun grüßte er die Söldner mit einem Kopfnicken, faßte Hephästion unter den Arm und ging mit ihm gegen die Terrasse.
Im Schatten der riesenhaften menschenköpfigen Marmorstie-re blieben sie stehen. Gleich grünlichblauem Kristall, aber zart und leicht, bog und hob sich der Himmel von der Ebene im Westen bis zu den schwärzlichen Hügeln im Osten hinüber. Aus dem Park schallte das Gebrüll eines Löwen. Den Blumen- und Obstgärten entströmten berauschende Gerüche.
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