»Verkünde mir Gutes, du Seher!« rief ihm Alexander lebhaft entgegen.

Kondanyo neigte sich und erwiderte sanft: »Selig sind, die nicht hassen, Alexander. Selig sind die Armen, süß ist die Einsamkeit. Besseres kann ich nicht verkünden.«

Alexander blickte sinnend in die halbverglommenen Abend-gluten. Er suchte nach einer Antwort für den Inder, aber es zeigte sich, daß alles, was er hätte sagen können, leer war. Er hatte die eigentümliche Empfindung, als ob ein gewaltiges Wesen vor ihn hinträte, um ihn nach dem Ziel seiner Handlungen zu fragen, je-doch in einer Sprache, die er nicht verstand.

Die Nacht sank herab.

Vor den Zelten glühten die Hornlaternen, in den Becken brannten Flammen, Fackeln flackerten, und allmählich wurde es stiller im Lager. Von der Ebene her waren drei dürftig ausse-hende Reiter vor die königliche Halle gekommen und verlangten Alexander zu sprechen. Man wies sie schroff ab, erst nach langen Unterhandlungen mit dem Obersten der Wache ließ dieser Hephästion herbeiholen.

Hephästion kam, und einer der Boten überreichte ihm einen doppelt versiegelten Brief, worin Arrhidäos, der Sohn Philipps und Halbbruder Alexanders, in ziemlich erhabenen Wendungen den glücklichen Verlauf seiner Reise von Pella bis Sardes mitteilte und um Übersendung von zwölf Silbertalenten zur Weiterreise ins Lager ersuchte.

Hephästion zuckte die Achseln und blickte die drei Leute, die inzwischen vom Pferd gestiegen waren, der Reihe nach forschend an. Sie waren sichtlich müde. Ihre Mützen waren zerschabt, die Riemen ihrer Schuhe zerrissen. Plötzlich erinnerte sich Hephästion an diesen Arrhidäos, er sah ihn: einen dunkelhaarigen dürren Träumer, einen ängstlichen Beiseitesteher und grüblerischen Phantasten. Es floß wie ein Tropfen Unheil aus der sonderbaren Botschaft.

Drittes Kapitel

LIBLITU

Arrhidäos war der Sohn des Königs Philipp und einer thessalischen Tänzerin. Er hatte eine armselige, unter Soldaten, Dirnen und Sophisten verbrachte Jugend gelebt. Von seinem Vater nicht anerkannt oder wenigstens nicht beachtet, von seiner Mutter nicht geliebt, war er stets von Schwelle zu Schwelle gestoßen worden. Was er, eingedenk seiner Herkunft, an Ehren, an Würde, an Entgegenkommen beanspruchte, war ihm niemals auch nur im mindesten gewährt worden. Er hatte oft nicht Geld genug für die dringendsten Bedürfnisse, er hatte nie einen Freund besessen, nie einen Fürsprecher, nie einen Bildner seines nicht unbegabten, aber verworrenen Geistes. In seiner Brust wechselte die tiefste Betrübnis mit einer verstiegenen Meinung von sich selbst. Er lernte wie Alexander die Sprachen des Orients; er hatte die Schriften aller Philosophen und die Gedichte aller Dichter gelesen und verschmolz die fremden Gefühle und Meinungen in nicht ganz glücklicher Weise mit seinen eigenen.

Über das schwerste Ungemach hob ihn das Spiel mit sich selbst hinweg, und er vermochte den Druck der Gegenwart durch die Erwartung einer Zukunft zu erleichtern, die sein inneres Auge mit märchenhaftem Glanz blendete. Er war zwei Jahre jünger als Alexander, und während dieser von Sieg zu Sieg stürmte und sich zum Herrn über die ganze Welt des Ostens erhob, verzehrte sich Arrhidäos in ungestillter Tatengier, schenkte dem Geschwätz der Wahrsager und den Deutereien der Zauberer sein Ohr, fuhr auf einem elenden Schiff an den Küsten des Pontus entlang und warb endlich mit mühsam aufgetriebenem Geld dreihundert berittene Lanzenträger, um nach Asien zu ziehen und irgendeinen Thron zu erobern, irgendein Reich zu gründen, irgendeine Tat zu vollbringen, selbst gegen den Willen und zum Trotz Alexanders, wenn es sein mußte.

Zu Ende des Winters verließ er Makedonien, kam zwei Monate später in Sardes an und zog nun am Tag der Totenfeste mit seiner Schar durch die tiefen Schluchten des gordyäischen Gebirges. Der landeskundige Wegweiser war der Meinung, daß sie noch vor Anbruch des zweiten Tages das Ufer des Tigrisstromes erreichen konnten.

Das Gestein, hochaufragend an beiden Seiten des Pfades, zeigte großartig zerrissene Formen. Oft näherten sich die Felsen nach oben so sehr einander, daß nur ein schmaler Himmelsstreif sichtbar blieb, den das Dunkel der Schlucht noch dunkler färbte.

Dann öffnete sich wieder ein enges, ansteigendes Tal, aus dem eine eisige Luft wehte, denn im Hintergrund erhoben sich bläulichweiß die ewigen Schneegipfel.