Der Babylonier war außer sich. Er brach in die Knie, kreuzte die Arme über der Brust und schrie laut eine Beschwö-
rungsformel, mit der man die bösen Geister vertreibt:
»Sieben sind sie, sieben sind sie,
in der Wassertiefe Schoß.
Nicht Männer sind sie, nicht Weiber sind sie, sieben sind sie, sieben sind sie,
luftig und gestaltlos sind sie,
haben kein Weib und zeugen kein Kind,
sind Gottes Feinde.
Böse sind sie, böse sind sie,
Raben sind sie, sieben sind sie.
O Geist des Himmels, beschwöre sie!«
Eine hohle, winselnde Stimme ließ sich neben Nersar vernehmen.
Sie bettelte um einen Schluck Kamelwasser. »Erbarme dich eines Sterbenden, ich will dir dreihundert Sklaven schenken, wenn wir nach Susa kommen.« Es war ein vornehmer Makedonier, ein Bruder des Leibwächters Perdikkas.
Der Babylonier sprang auf. Seine Kehle ließ einen Laut hören, anders als alle Laute seit sechzig Tagen und Nächten. Mit auf und ab schwingenden Armen deutete er hinüber, dorthin, wo die Morgenwolken niedrig über der Erde hingen.
»Ein Baum! Ein Baum!« heulte ein baktrischer Eseltreiber.
»Sieben Gefäße stell ich hin, darunter stell ich Kalmus, Zedernholz und Simgar,« stammelte Nersar, der von Freude besessen sich um sich selber drehte, »sieben Gefäße für dich, Göttin des Lebens, sieben Gefäße.«
»Wüstentrug«, klagte eine hoffnungslose Stimme.
Hunderte standen mit bleichen Stirnen und stierten hinüber, ungewiß, was sie glauben durften. Langsam gingen einige weiter, Schritt für Schritt, Mann neben Mann, kein Auge von dort abgewandt, als fürchteten sie, alles könne sich wieder in Rauch auflösen, wenn sie einmal zu Boden sähen.
Aber deutlicher tauchte das hügelige Land empor, das grün bewachsene, im Morgenlicht rosig erglühende.
Die Alexander die Nachricht brachten, schluchzten vor Entzücken. Er teilte die freudige Bewegung nicht. Eine Weile blieb er regungslos stehen. Dann bückte er sich, nahm eine Handvoll des feinen, dünnen, gelblichen Sandes und schaute zu, als es wie Wasser schnell wieder durch die Fugen zwischen den Fingern rann.
Erstes Kapitel
DAS DIADEM
Es war in Susa zu Anfang des Frühlings. Vor drei Tagen war das Heer aus der hohlen Persis angekommen. In Persepolis hatte Alexander ein fürchterliches Strafgericht abgehalten.
Statthalter, Richter, Generale, Steuerverwalter, die meisten, denen er Vertrauen geschenkt, hatten seine lange Abwesenheit in Indien zu schändlichen Erpressungen und Vergewaltigungen benutzt. Alexander hatte die Betrüger, Empörer, Tempelräuber und Städteaussauger zusammentreiben lassen, Griechen, Makedonier und Barbaren, und die verbrecherischen Häupter fielen durchs Schwert. Noch zuletzt war die Schändung des Kyrosgrabes zu Pasargadä entdeckt worden. Die goldenen Gefäße, die Weihgeschenke, das Diadem von unermeßlichem Wert waren gestohlen, die wachehaltenden Magier erschlagen und ihre Leichname zerfetzt worden. Der Übeltäter befand sich noch unentdeckt mitten im Heer.
Vom Morgengrauen bis Mitternacht waren die Straßen von einer vielköpfigen Menge erfüllt. Makedonier, Thessaler, Griechen, Thraker, Lyder drängten sich um die Basare und zum Markt der phönikischen Kaufleute; Sterndeuter, Wahrsager, Ärzte, Hetären, Sklaven, Verschnittene, Schauspieler, Sophisten, indische Gauk-ler, syrische Tänzer, Athleten und Faustkämpfer vermehrten das unabsehbare Gewühl, die bunten Farben, die befremdlichen Gesichter und unverständlichen Laute. In den Toren der Stadtmauer hockten die vornehmen Susaner und unterhielten sich von den bevorstehenden großen Hochzeitsfeierlichkeiten, denn Alexander wollte sich mit der Prinzessin Stateira und seine Freunde mit den edelsten Perserinnen vermählen.
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