Daher sagt man wohl mit einem entschuldigenden Ausdruck, »ein gefallenes Mädchen«, aber nicht »eine gefallene Frau«, und der Verführer kann jene, durch die Ehe, wieder ehrlich machen; nicht so der Ehebrecher diese, nachdem sie geschieden worden. – Wenn man nun, infolge dieser klaren Einsicht, einen zwar heilsamen, ja notwendigen, aber wohlberechneten und auf Interesse gestützten esprit de corps als die Grundlage des Prinzips der weiblichen Ehre erkennt; so wird man dieser zwar die größte Wichtigkeit für das weibliche Dasein und daher einen großen relativen, jedoch keinen absoluten, über das Leben und seine Zwecke hinaus liegenden und demnach mit diesem selbst zu erkaufenden Wert beilegen können. Demnach nun wird man den überspannten, zu tragischen Farçen177 ausartenden Taten der Lukretia178 und des Virginius keinen Beifall schenken können. Daher eben hat der Schluss der Emilia Galotti179 etwas so Empörendes, dass man das Schauspielhaus in völliger Verstimmung verlässt. Hingegen kann man nicht umhin, der Sexualehre zum Trotz, mit dem Klärchen des Egmont180 zu sympathisieren. Jenes auf die Spitze Treiben des weiblichen Ehrenprinzips gehört, wie so manches, zum Vergessen des Zwecks über die Mittel: denn der Sexualehre wird, durch solche Überspannung, ein absoluter Wert angedichtet; während sie, noch mehr als alle andere Ehre, einen bloß relativen hat; ja, man möchte sagen einen bloß konventionellen, wenn man aus dem Thomasius181 de concubinatu182 ersieht, wie in fast allen Ländern und Zeiten, bis zur lutherischen Reformation, das Konkubinat ein gesetzlich erlaubtes und anerkanntes Verhältnis gewesen ist, bei welchem die Konkubine ehrlich blieb; der Mylitta zu Babylon183 usf. gar nicht zu gedenken. Auch gibt es allerdings bürgerliche Verhältnisse, welche die äußere Form der Ehe unmöglich machen, besonders in katholischen Ländern, wo keine Scheidung stattfindet; überall aber für regierende Herren, als welche, meiner Meinung nach, viel moralischer handeln, wenn sie eine Mätresse184 halten, als wenn sie eine morganatische Ehe185 eingehen, deren Deszendenz186, beim etwaigen Aussterben der legitimen, einst Ansprüche erheben könnte; weshalb, sei es auch noch so entfernt, durch welche Ehe die Möglichkeit eines Bürgerkrieges herbeigeführt wird. Überdies ist eine solche morganatische, d.h. eigentlich allen äußeren Verhältnissen zum Trotz geschlossene Ehe, im letzten Grunde, eine den Weibern und den Pfaffen187 gemachte Konzession188, zweien Klassen, denen man etwas einzuräumen sich möglichst hüten sollte. Ferner ist zu erwägen, dass jeder im Lande das Weib seiner Wahl ehelichen kann, bis auf einen, dem dieses natürliche Recht benommen ist: dieser arme Mann ist der Fürst. Seine Hand gehört dem Lande und wird nach der Staatsraison189, d.h. dem Wohle des Landes gemäß, vergeben. Nun aber ist es doch ein Mensch und will auch einmal dem Hange seines Herzens folgen. Daher ist es so ungerecht und undankbar, wie es spießbürgerlich ist, dem Fürsten das Halten einer Mätresse verwehren oder vorwerfen zu wollen; versteht sich, so lange ihr kein Einfluss auf die Regierung gestattet wird. Auch ihrerseits ist eine solche Mätresse, hinsichtlich der Sexualehre, gewissermaßen eine Ausnahmeperson, eine Eximierte von der allgemeinen Regel: denn sie hat sich bloß einem Manne ergeben, der sie und den sie lieben, aber nimmermehr heiraten könnte. – Überhaupt aber zeigen von dem nicht rein natürlichen Ursprunge des weiblichen Ehrenprinzips die vielen blutigen Opfer, welche demselben gebracht werden – im Kindermorde und Selbstmorde der Mutter. Allerdings begeht ein Mädchen, das sich ungesetzlich preisgibt, dadurch einen Treuebruch gegen ihr ganzes Geschlecht: jedoch ist diese Treue nur stillschweigend angenommen und nicht beschworen. Und da, im gewöhnlichen Fall, ihr eigener Vorteil am unmittelbarsten darunter leidet, so ist ihre Torheit dabei unendlich größer, als ihre Schlechtigkeit.

Die Geschlechtsehre der Männer wird durch die der Weiber hervorgerufen, als der entgegengesetzte esprit de corps, welcher verlangt, dass jeder, der die dem Gegenpart so sehr günstige Kapitulation, die Ehe, eingegangen ist, jetzt darüber wache, dass sie ihm gehalten werde, damit nicht selbst dieses Paktum190, durch das Einreißen einer laxen Observanz191 desselben, seine Festigkeit verliere und die Männer, indem sie alles hingeben, nicht einmal des einen versichert seien, was sie dafür erhandeln, des Alleinbesitzes des Weibes. Demgemäß fordert die Ehre des Mannes, dass er den Ehebruch seiner Frau ahnde und, wenigstens durch Trennung von ihr, strafe. Duldet er ihn wissentlich, so wird er von der Männergemeinschaft mit Schande belegt: jedoch ist diese lange nicht so durchgreifend, wie die durch den Verlust der Geschlechtsehre das Weib treffende, vielmehr nur ein Tadel von geringem Gewicht ist; weil beim Manne die Geschlechtsbeziehung eine untergeordnete ist, indem er in noch vielen anderen und wichtigeren steht. Die zwei großen dramatischen Dichter der neueren Zeit haben, jeder zweimal, diese Männerehre zu ihrem Thema genommen: Shakespeare, im Othello und im Wintermärchen192 und Calderon193, in der Art seiner Ehre nur für geheime Schmach geheime Rache. Übrigens fordert diese Ehre nur die Bestrafung des Weibes; nicht die ihres Buhlen194; welche bloß ein opus supererogationis195 ist: hierdurch bestätigt sich der angegebene Ursprung derselben aus dem esprit de corps der Männer. –

Die Ehre, wie ich sie bisher in ihren Gattungen und Grundsätzen betrachtet habe, findet sich bei allen Völkern und zu allen Zeiten als allgemein geltend; wenngleich der Weiberehre sich einige lokale und temporäre196 Modifikationen ihrer Grundsätze nachweisen lassen. Hingegen gibt es noch eine, von jener allgemein und überall gültigen gänzlich verschiedene Gattung der Ehre, von welcher weder Griechen noch Römer einen Begriff hatten, so wenig wie Chinesen, Hindu und Mohammedaner197, bis auf den heutigen Tag, irgend etwas von ihr wissen. Denn sie ist erst im Mittelalter entstanden und bloß im christlichen Europa einheimisch geworden, ja, selbst hier nur unter den höheren Ständen der Gesellschaft und was ihnen nacheifert. Es ist die ritterliche Ehre. Da ihre Grundsätze von denen der bis hierher erörterten Ehre gänzlich verschieden, sogar diesen zum Teil entgegengesetzt sind, indem je erstere den Ehrenmann, diese hingegen den Mann von Ehre macht; so will ich ihre Prinzipien hier besonders aufstellen, als einen Kodex198, oder Spiegel der ritterlichen Ehre.

1. Die Ehre besteht nicht in der Meinung anderer von unserem Werte, sondern ganz allein in den Äußerungen einer solchen Meinung; gleichviel ob die geäußerte Meinung wirklich vorhanden sei, oder nicht; geschweige, ob sie Grund habe. Demnach mögen andere, infolge unseres Lebenswandels, eine noch so schlechte Meinung von uns hegen, uns noch so sehr verachten; so lange nur keiner sich untersteht, solches laut zu äußern, schadet es der Ehre durchaus nicht.