Ist jedoch der Verletzte nicht aus den Ständen, die sich zum Kodex der ritterlichen Ehre bekennen, oder hat derselbe diesem schon einmal zuwider gehandelt; so kann man, zumal wenn die Ehrenverletzung eine tätliche, oder auch wenn sie eine bloß wörtliche gewesen sein sollte, eine sichere Operation vornehmen, indem man bewaffnet ist, ihn auf der Stelle, allenfalls auch noch eine Stunde nachher, niedersticht; wodurch dann die Ehre wieder heil ist. Außerdem aber, oder wenn man aus Besorgnis vor daraus entstehenden Unannehmlichkeiten, diesen Schritt vermeiden möchte, oder wenn man bloß ungewiss ist, ob der Beleidiger sich den Gesetzen der ritterlichen Ehre unterwerfe, oder nicht, hat man ein Palliativmittel205, an der »Avantage«206. Diese besteht darin, dass, wenn er grob gewesen ist, man noch merklich gröber sei: geht dies mit Schimpfen nicht mehr an, so schlägt man drein, und zwar ist auch hier ein Klimax207 der Ehrenrettung: Ohrfeigen werden durch Stockschläge kuriert, diese durch Hetzpeitschenhiebe: selbst gegen letztere wird von einigen das Anspucken als probat208 empfohlen. Nur wenn man mit diesen Mitteln nicht mehr zurzeit kommt, muss durchaus zu blutigen Operationen geschritten werden. Diese Palliativmethode hat ihren Grund eigentlich in der folgenden Maxime.

4. Wie Geschimpftwerden eine Schande, so ist Schimpfen eine Ehre. Z. B. auf der Seite meines Gegners sei Wahrheit, Recht und Vernunft; ich aber schimpfe; so müssen diese alle einpacken, und Recht und Ehre ist auf meiner Seite; er hingegen hat vorläufig seine Ehre verloren, bis er sie herstellt, nicht etwa durch Recht und Vernunft, sondern durch Schießen und Stechen. Demnach ist die Grobheit eine Eigenschaft, welche, im Punkte der Ehre, jede andere ersetzt, oder überwiegt: der Gröbste hat allemal Recht. Welche Dummheit, Ungezogenheit, Schlechtigkeit einer auch begangen haben mag; – durch eine Grobheit wird sie als solche ausgelöscht und sofort legitimiert209. Zeigt etwa in einer Diskussion, oder sonst im Gespräch ein anderer richtigere Sachkenntnis, strengere Wahrheitsliebe, gesunderes Urteil, mehr Verstand, als wir, oder überhaupt, lässt er geistige Vorzüge blicken, die uns in Schatten stellen; so können wir alle dergleichen Überlegenheiten und unsere eigene durch sie aufgedeckte Dürftigkeit sogleich aufheben und nun umgekehrt selbst überlegen sein, indem wir beleidigend und grob werden. Denn eine Grobheit besiegte jedes Argument und eklipziert210 allen Geist: wenn daher nicht etwa der Gegner sich darauf einlässt und sie mit einer größeren erwidert, wodurch wir in den edlen Wettkampf der Avantage geraten; so bleiben wir Sieger und die Ehre ist auf unserer Seite: Wahrheit, Kenntnis, Verstand, Geist, Witz müssen einpacken und sind aus dem Felde geschlagen von der göttlichen Grobheit. Dabei werden »Leute von Ehre«, sobald jemand eine Meinung äußert, die von der ihrigen abweicht, oder auch nur mehr Verstand zeigt, als sie ins Feld stellen können, sogleich Miene machen, jenes Kampfross zu besteigen; und wenn etwa, in einer Kontroverse, es ihnen an einem Gegen-Argument fehlt, so suchen sie nach einer Grobheit, als welche ja denselben Dienst leistet und leichter zu finden ist: darauf gehn sie siegreich von dannen. Man sieht schon hier, wie sehr mit Recht dem Ehrenprinzip die Veredelung des Tones in der Gesellschaft nachgerühmt wird. – Diese Maxime beruht nun wieder auf der folgenden, welche die eigentliche Grundmaxime und die Seele des ganzen Kodex ist.

5. Der oberste Richterstuhl des Rechts, an den man, in allen Differenzen, von jedem anderen, soweit es die Ehre betrifft, appellieren kann, ist der der physischen Gewalt, d. h. der Tierheit. Denn jede Grobheit ist eigentlich eine Appelation an die Tierheit, indem sie den Kampf der geistigen Kräfte, oder des moralischen Rechts, für inkompetent211 erklärt und an deren Stelle den Kampf der physischen Kräfte setzt, welcher bei der Spezies Mensch, die von Franklin212 ein toolmaking animal (Werkzeuge verfertigendes Tier) definiert wird, mit den ihr demnach eigentümlichen Waffen, im Duell, vollzogen wird und eine unwiderrufliche Entscheidung herbeiführt. – Diese Grundmaxime wird bekanntlich, mit einem Worte, durch den Ausdruck Faustrecht, welcher dem Ausdruck Aberwitz analog und daher, wie dieser, ironisch ist, bezeichnet: demnach sollte, ihm gemäß, die ritterliche Ehre die Faust-Ehre heißen. –

6. Hatten wir, weiter oben, die bürgerliche Ehre sehr skrupulös213 gefunden, im Punkte des Mein und Dein, der eingegangenen Verpflichtungen und des gegebenen Wortes; so zeigt hingegen der hier in Betrachtung genommene Kodex darin die nobelste Liberalität214. Nämlich nur ein Wort darf nicht gebrochen werden, das Ehrenwort, d. h. das Wort, bei dem man gesagt hat, »auf Ehre!« – woraus die Präsumtion entsteht, dass jedes andere Wort gebrochen werden darf. Sogar bei dem Bruch dieses Ehrenwortes lässt sich zur Not die Ehre noch retten, durch das Universalmittel, das Duell, hier mit denjenigen, welche behaupten, wir hätten das Ehrenwort gegeben. – Ferner: nur eine Schuld gibt es, die unbedingt bezahlt werden muss, – die Spielschuld, welche auch demgemäß den Namen »Ehrenschuld« führt. Um alle übrigen Schulden mag man Juden und Christen prellen: das schadet der ritterlichen Ehre durchaus nicht.

Dass nun dieser seltsame, barbarische und lächerliche Kodex der Ehre nicht aus dem Wesen der menschlichen Natur, oder einer gesunden Ansicht menschlicher Verhältnisse hervorgegangen sei, erkennt der Unbefangene auf den ersten Blick. Zudem aber wird es durch den äußerst beschränkten Bereich seiner Geltung bestätigt, dieser nämlich ist ausschließlich Europa und zwar nur seit dem Mittelalter, und auch hier nur beim Adel, Militär und was diesen nacheifert.