Ja, noch heutzutage findet man unter den, dem ritterlichen Ehrenprinzip nachlebenden Leuten, welche bekanntlich nicht gerade die unterrichtetsten und nachdenkendsten zu sein pflegen, einige, die den Erfolg des Duells wirklich für eine göttliche Entscheidung des ihm zugrunde liegenden Streites halten; gewiss nach einer traditionell fortgeerbten Meinung. Abgesehen von diesem Urspruche des ritterlichen Ehrenprinzips, ist eine Tendenz zunächst diese, dass man durch Androhung physischer Gewalt die äußerlichen Bezeugungen derjenigen Achtung erzwingen will, welche wirklich zu erwerben man entweder für zu beschwerlich oder für überflüssig hält. Dies ist ungefähr so, wie wenn jemand die Kugel des Thermometers mit der Hand erwärmend am Steigen des Quecksilbers dartun wollte, dass sein Zimmer wohlgeheizt sei. Näher betrachtet ist der Kern der Sache dieser: wie die bürgerliche Ehre, als welche den friedlichen Verkehr mit andern im Auge hat, in der Meinung dieser von uns besteht, dass wir vollkommenes Zutrauen verdienen, weil wir die Rechte eines jeden unbedingt achten; so besteht die ritterliche Ehre in der Meinung von uns, dass wir zu fürchten seien, weil wir unsere eigenen Rechte unbedingt zu verteidigen gesonnen sind. Der Grundsatz, dass es wesentlicher sei, gefürchtet zu werden, als Zutrauen zu genießen, würde auch, weil auf die Gerechtigkeit der Menschen wenig zu bauen ist, so falsch gar nicht sein, wenn wir im Naturzustande lebten, wo jeder sich selbst zu schützen und seine Rechte unmittelbar zu verteidigen hat. Aber im Stande der Zivilisation, wo der Staat den Schutz unserer Person und unseres Eigentums übernommen, findet er keine Anwendung mehr und steht da wie die Burgen und Warten aus den Zeiten des Faustrechtes, unnütz und verlassen, zwischen wohlbebauten Feldern und belebten Landstraßen, oder gar Eisenbahnen. Demgemäß hat denn auch die ihn festhaltende ritterliche Ehre sich auf solche Beeinträchtigungen der Person geworfen, welche der Staat nur leicht, oder nach dem Prinzip: Um Geringfügigkeiten kümmert sich das Gesetz nicht, gar nicht bestraft, indem es unbedeutende Kränkungen und zum Teil bloße Neckereien sind. Sie aber hat in Hinsicht auf diese sich hinaufgeschroben zu einer der Natur, der Beschaffenheit und dem Lose des Menschen gänzlich unangemessenen Überschätzung des Wertes der eigenen Person, als welchen sie bis zu einer Art von Heiligkeit steigert und demnach die Strafe des Staates für kleine Kränkungen derselben durchaus unzulänglich findet, solche daher selbst zu strafen übernimmt und zwar stets am Leibe und Leben des Beleidigers. Offenbar liegt hier der unmäßigste Hochmut und die empörendste Hoffart231 zugrunde, welche, ganz vergessend, was der Mensch eigentlich ist, eine unbedingte Unverletzlichkeit wie auch Tadellosigkeit, für ihn in Anspruch nehmen. Allein jeder, der diese mit Gewalt durchzusetzen gesonnen ist und demzufolge die Maxime proklamiert: »Wer mich schimpft oder gar mir einen Schlag gibt, soll des Todes sein«, – verdient eigentlich schon darum aus dem Lande verwiesen zu werden. Da wird denn zur Beschönigung jenes vermessenen Übermutes allerhand vorgegeben. Von zwei unerschrockenen Leuten, heißt es, gebe keiner je nach, daher es vom leisesten Anstoß zu Schimpfreden, dann zu Prügeln und endlich zum Todschlage kommen würde; demnach sei es besser, anstandshalber die Mittelstufen zu überspringen und gleich an die Waffen zu gehen. Das speziellere Verfahren hierbei hat man dann in ein steifes, pedantisches232 System mit Gesetzen und Regeln gebracht, welches die ernsthafteste Posse233 von der Welt ist und als ein wahrer Ehrentempel der Narrheit dasteht. Nun aber ist der Grundsatz selbst falsch: bei Sachen von geringer Wichtigkeit (die von großer bleiben stets den Gerichten anheimgestellt) gibt von zwei unerschrockenen Leuten allerdings einer nach, nämlich der Klügste, und bloße Meinungen lässt man auf sich beruhen. Den Beweis hierfür liefert das Volk, oder vielmehr alle die zahlreichen Stände, welche sich nicht zum ritterlichen Ehrenprinzip bekennen, bei denen daher die Streitigkeiten ihren natürlichen Verlauf haben: unter diesen Ständen ist der Totschlag hundertmal seltener als bei der vielleicht nur ein Tausendstel der Gesamtheit betragenden Fraktion, welche jenem Prinzipe huldigt; und selbst eine Prügelei ist eine Seltenheit. – Sodann aber wird behauptet, der gute Ton und die feine Sitte der Gesellschaft hätten zum letzten Grundpfeiler jenes Ehrenprinzip, mit seinen Duellen, als welche die Wehrmauer gegen die Ausbrüche der Roheit und Ungezogenheit wären. Allein in Athen, Korinth und Rom war ganz gewiss gute und zwar sehr gute Gesellschaft, auch feine Sitte und guter Ton anzutreffen, ohne dass jener Popanz234 der ritterlichen Ehre dahinter gesteckt hätte. Freilich aber führten daselbst auch nicht, wie bei uns, die Weiber den Vorsitz in der Gesellschaft, welches, wie es zunächst der Unterhaltung einen frivolen235 und läppischen Charakter erteilt und jedes gehaltvolle Gespräch verbannt, gewiss auch sehr dazu beiträgt; dass in unserer guten Gesellschaft der persönliche Mut den Rang vor jeder anderen Eigenschaft behauptet; während er doch eigentlich eine sehr untergeordnete, eine bloße Unteroffizierstugend ist, ja, eine, in welcher sogar Tiere uns übertreffen, weshalb man z. B. sagt: »mutig wie ein Löwe«. Sogar aber ist, im Gegenteil obiger Behauptung, das ritterliche Ehrenprinzip oft das sichere Asylum236, wie im Großen der Unredlichkeit und Schlechtigkeit, so im Kleinen der Ungezogenheit, Rücksichtslosigkeit und Flegelei, indem eine Menge sehr lästiger Unarten stillschweigend geduldet werden, weil eben keiner Lust hat, an die Rüge derselben den Hals zu setzen. – Dem allen entsprechend sehen wir das Duell im höchsten Flor237 und mit blutdürstigem Ernst betrieben, gerade bei der Nation, welche in politischen und finanziellen Angelegenheiten Mangel an wahrer Ehrenhaftigkeit bewiesen hat: wie es damit bei ihr im Privatverkehr stehe, kann man bei denen erfragen, die Erfahrung darin haben. Was aber gar ihre Urbanität238 und gesellschaftliche Bildung betrifft, so ist sie als negatives Muster längst berühmt.
Alle jene Vorgeben halten also nicht Stich. Mit mehr Recht kann urgiert239 werden, dass, wie schon ein angeknurrter Hund wieder knurrt, ein geschmeichelter wieder schmeichelt, es auch in der Natur des Menschen liege, jede feindliche Begegnung feindlich zu erwidern und durch Zeichen der Geringschätzung, oder des Hasses, erbittert und gereizt zu werden; daher schon Cicero sagt; Jede Beschimpfung trägt einen Stachel in sich, den gerade kluge und tüchtige Männer am schwersten ertragen können; wie dann auch nirgends auf der Welt (einige fromme Sekten beiseite gesetzt) Schimpfreden, oder gar Schläge, gelassen hingenommen werden. Jedoch leitet die Natur keinesfalls zu etwas Weiterem, als zu einer der Sache angemessenen Vergeltung, nicht aber dazu, den Vorwurf der Lüge, der Dummheit oder der Feigheit, mit dem Tode zu bestrafen, und der altdeutsche Grundsatz »auf eine Maulschelle240 gehört ein Dolch« ist ein empörender ritterlicher Aberglaube. Jedenfalls ist die Erwiderung oder Vergeltung, von Beleidigungen Sache des Zorns, aber keineswegs der Ehre und Pflicht, wozu das ritterliche Ehrenprinzip sie stempelt. Vielmehr ist ganz gewiss, dass jeder Vorwurf nur in dem Maße, als er trifft, verletzen kann; welches auch daran ersichtlich ist, dass die leiseste Andeutung, welche trifft, viel tiefer verwundet, als die schwerste Anschuldigung, die gar keinen Grund hat. Wer daher wirklich sich bewusst ist, einen Vorwurf nicht zu verdienen, darf und wird ihn getrost verachten. Dagegen aber fordert das Ehrenprinzip von ihm, dass er eine Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht hat, und Beleidigungen, die ihn nicht verletzen, blutig räche. Der aber muss selbst eine schwache Meinung von seinem eigenen Werte haben, der sich beeilt, jeder den selben anfechtenden Äußerung den Daumen aufs Auge zu drücken, damit sie nicht laut werde.
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