Demzufolge wird, bei Injurien, wahre Selbstschätzung wirkliche Gleichgültigkeit verleihen und wo dies, aus Mangel derselben, nicht der Fall ist, werden Klugheit und Bildung anleiten, den Schein davon zu retten und den Zorn zu verbergen. Wenn man demnach nur erst den Aberglauben des ritterlichen Ehrenprinzips los wäre, so dass niemand mehr vermeinen dürfte, durch Schimpfen irgend etwas der Ehre eines andern nehmen oder der seinigen wiedergeben zu können, auch nicht mehr jedes Unrecht, jede Roheit, oder Grobheit, sogleich legitimiert werden könnte durch die Bereitwilligkeit Satisfaktion zu geben, d. h. sich dafür zu schlagen; so würde bald die Einsicht allgemein werden, dass, wenn es ans Schmähen und Schimpfen geht, der in diesem Kampfe Besiegte der Sieger ist, und dass, wie Vincenzo Monti241 sagt, die Injurien es machen wie die Kirchenprozessionen, welche stets darin zurückkehren von wo sie aufgegangen sind. Ferner würde es alsdann nicht mehr, wie jetzt, hinreichend sein, dass einer eine Grobheit zu Markte brächte, um Recht zu behalten; mithin würden alsdann Einsicht und Verstand ganz anders zum Worte kommen, als jetzt, wo sie immer erst zu berücksichtigen haben, ob sie nicht irgendwie den Meinungen der Beschränktheit und Dummheit, als welche schon ihr bloßes Auftreten alarmiert und erbittert hat, Anstoß geben und dadurch herbeiführen können, dass das Haupt, in welchem sie wohnen, gegen den flachen Schädel, in welchem jene hausen, aufs Würfelspiel gesetzt werden müsse. Sonach würde alsdann in der Gesellschaft die geistige Überlegenheit das ihr gebührende Primat erlangen, welches jetzt, wenn auch verdeckt, die physische Überlegenheit und die Husarencourage242 hat, und infolge hiervon würden die vorzüglichsten Menschen doch schon einen Grund weniger haben, als jetzt, sich von der Gesellschaft zurückzuziehn. Eine Veränderung dieser Art würde demnach den wahren guten Ton herbeiführen und der wirklich guten Gesellschaft den Weg bahnen, in der Form, wie sie, ohne Zweifel, in Athen, Korinth und Rom bestanden hat. Wer von dieser eine Probe zu sehen wünscht, dem empfehle ich das Gastmahl des Xenephon243 zu lesen.

Die letzte Verteidigung des ritterlichen Kodex wird aber, ohne Zweifel lauten; »Ei, da könnte ja, Gott sei bei uns! wohl gar einer dem andern einen Schlag versetzen!« – worauf ich kurz erwidern könnte, dass dies bei den 999/1000 der Gesellschaft, die jenen Kodex nicht anerkennen, oft genug der Fall gewesen, ohne dass je einer dran gestorben sei, während bei den Anhängern desselben, in der Regel, jeder Schlag ein tödlicher wird. Aber ich will näher darauf eingehen. Ich habe mich oft genug bemüht, für die unter einem Teil der menschlichen Gesellschaft so feststehende Überzeugung von der Entsetzlichkeit eines Schlages, entweder in der tierischen oder in der vernünftigen Natur des Menschen, irgend einen haltbaren oder wenigstens plausibeln, nur nicht in bloßen Redensarten bestehenden, sondern auf deutliche Begriffe zurückführbaren Grund zu finden; jedoch vergeblich. Ein Schlag ist und bleibt ein kleines physisches Übel, welches jeder Mensch dem andern verursachen kann, dadurch aber weiter nichts beweist, als dass er stärker oder gewandter sei, oder dass der andere nicht auf seiner Hut gewesen. Weiter ergibt die Analyse nichts. Sodann sehe ich denselben Ritter, welchem ein Schlag von Menschenhand der Übel größtes dünkt, einen zehnmal stärkeren Schlag von seinem Pferde erhalten und, mit verbissenem Schmerz davon hinkend, versichern, es habe nichts zu bedeuten. Da habe ich gedacht, es läge an der Menschenhand. Allein ich sehe unsern Ritter von dieser Degenstiche und Säbelhiebe im Kampfe erhalten und versichern, es sei Kleinigkeit, nicht der Rede wert. Sodann vernehme ich, dass selbst Schläge mit der flachen Klinge bei weitem nicht so schlimm seien, wie die mit dem Stocke, daher, vor nicht langer Zeit, die Kadetten244 wohl jenen, aber nicht diesen ausgesetzt waren; und nun gar der Ritterschlag, mit der Klinge, ist die größte Ehre. Da bin ich denn mit meinen psychologischen und moralischen Gründen zu Ende, und mir bleibt nichts übrig, als die Sache für einen alten, festgewurzelten Aberglauben zu halten, für ein Beispiel mehr, zu so vielen, was alles man den Menschen einreden kann. Dies bestätigt auch die bekannte Tatsache, dass in China Schläge mit dem Bambusrohr eine sehr häufige bürgerliche Bestrafung selbst für Beamte aller Klassen sind; indem sie uns zeigt, dass die Menschennatur, und selbst die hoch zivilisierte, dort nicht dasselbe aussagt. Sogar aber lehrt ein unbefangener Blick auf die Natur des Menschen, dass diesem das Prügeln so natürlich ist, wie den reißenden Tieren das Beißen und dem Hornvieh das Stoßen: er ist eben ein prügelndes Tier. Daher auch werden wir empört, wenn wir, in seltenen Fällen, vernehmen, dass ein Mensch den andern gebissen habe; hingegen ist, dass er Schläge gebe und empfange, ein so natürliches, wie leicht eintretendes Ereignis. Dass höhere Bildung sich auch diesem, durch gegenseitige Selbstbeherrschung, gern entzieht, ist leicht erklärlich. Aber einer Nation, oder auch nur einer Klasse, aufzubinden, ein gegebener Schlag sei ein entsetzliches Unglück, welches Mord und Totschlag zur Folge haben müsse, ist eine Grausamkeit. Es gibt der wahren Übel zu viele auf der Welt, als dass man sich erlauben dürfte, sie durch imaginäre, welche die wahren herbeiziehen, zu vermehren: das tut aber jener dumme und boshafte Aberglaube. Ich muss daher sogar missbilligen, dass Regierungen und gesetzgebende Körper demselben dadurch Vorschub leisten, dass sie mit Eifer auf Abstellung aller Prügelstrafen, beim Zivil245 und Militär dringen. Sie glauben dabei im Interesse der Humanität246 zu handeln; während gerade das Gegenteil der Fall ist, indem sie dadurch an der Befestigung jenes widernatürlichen und heillosen Wahnes, dem schon so viele zum Opfer gefallen sind, arbeiten. Bei allen Vergehungen, mit Ausnahme der schwersten, sind Prügel die dem Menschen zuerst einfallende, daher die natürliche Bestrafung: wer für Gründe nicht empfänglich war, wird es für Prügel sein: nur dass der, welcher am Eigentum, weil er keines hat, nicht gestraft werden kann, und den man an der Freiheit, weil man seiner Dienste bedarf, nicht ohne eigenen Nachteil bestrafen kann, durch mäßige Prügel gestraft werde, ist so billig, wie natürlich. Auch werden gar keine Gründe dagegen aufgebracht, sondern bloße Redensarten von der »Würde des Menschen«, die sich nicht auf deutliche Begriffe, sondern eben nur wieder auf obigen verderblichen Aberglauben stützen. Dass dieser der Sache zum Grunde liege hat eine fast lächerliche Bestätigung daran, dass noch vor kurzem, in manchen Ländern, beim Militär die Prügelstrafe durch die Lattenstrafe247 ersetzt worden war, welche doch, ganz und gar wie jene, die Verursachung eines körperlichen Schmerzes ist, nun aber nicht ehrenrührig und entwürdigend sein soll.

Durch dergleichen Beförderung des besagten Aberglaubens arbeitet man aber dem ritterlichen Ehrenprinzip und damit dem Duell in die Hände, während man dieses andererseits durch Gesetze abzustellen bemüht ist, oder doch es zu sein vorgibt. Infolge davon treibt denn jenes Fragment248 des Faustrechts, aus den Zeiten des rohesten Mittelalters bis in das 19. Jahrhundert herab geweht, sich in diesem, zum öffentlichen Skandal, noch immer herum: es ist nachgerade an der Zeit, dass es mit Schimpf und Schande hinausgeworfen werde. Ist es doch heutzutage nicht mal erlaubt, Hunde oder Hähne, methodisch aufeinander zu hetzen (wenigstens werden in England dergleichen Hetzen gestraft), aber Menschen werden, wider Willen, zum tödlichen Kampf aufeinander gehetzt, durch den lächerlichen Aberglaube des absurden Prinzips der ritterlichen Ehre und durch dessen bornierte249 Vertreter und Verwalter, welche ihnen die Verpflichtung auflegen, wegen irgendeiner Lumperei, wie Gladiatoren miteinander zu kämpfen.