Unsern deutschen Puristen250 schlage ich daher, für das Wort Duell, welches wahrscheinlich nicht vom lateinischen duellum, sondern vom Spanischen duelo, Leid, Klage, Beschwerde, herkommt – die Benennung Ritterhetze vor. Die Pedanterie, mit der die Narrheit getrieben wird, gibt allerdings Stoff zum Lachen. Indessen ist es empörend, dass jenes Prinzip und sein absurder Kodex einen Staat im Staate begründet, welches, kein anderes als das Faustrecht anerkennend, die ihm unterworfenen Stände dadurch tyrannisiert, dass er ein heiliges Femgericht251 offen hält, vor welches jeder jeden, mittelst sehr leicht herbeizuführender Anlässe als Schergen252 laden kann, um ein Gericht auf Tod und Leben über ihn und sich ergehen zu lassen. Natürlich wird nun dies der Schlupfwinkel, von welchem aus jeder Verworfenste, wenn er nur jenen Ständen angehört, den Edelsten und Besten, der ihm als solcher notwendig verhasst sein muss, bedrohen, ja, aus der Welt schaffen kann. Nachdem heutzutage Justiz und Polizei es so ziemlich dahin gebracht haben, dass nicht mehr auf der Landstraße jeder Schurke uns zurufen kann: »die Börse oder das Leben«, sollte endlich auch die gesunde Vernunft es dahin bringen, dass nicht mehr, mitten im friedlichen Verkehr, jeder Schurke uns zurufen könne »die Ehre oder das Leben«. Und die Beklemmung sollte den höheren Ständen von der Brust genommen werden, welche daraus entsteht, dass jeder, jeden Augenblick, mit Leib und Leben verantwortlich werden kann für die Roheit, Grobheit, Dummheit oder Bosheit irgendeines anderen, dem es gefällt, solche gegen ihn auszulassen. Dass, wenn zwei junge, unerfahrene Hitzköpfe mit Worten aneinandergeraten, sie dies mit ihrem Blut, ihrer Gesundheit, oder ihrem Leben büßen sollen, ist himmelschreiend, ist schändlich. Wie arg die Tyrannei jenes Staates im Staate und wie groß die Macht, jenes Aberglaubens sei, lässt sich daran ermessen, dass schon öfter Leute, denen die Wiederherstellung ihrer verwundeten ritterlichen Ehre, wegen zu hohen, oder zu niedrigen Standes, oder sonst unangemessener Beschaffenheit des Beleidigers unmöglich war, aus Verzweiflung darüber sich selbst das Leben genommen und so ein tragikomisches253 Ende gefunden haben. – Da das Falsche und Absurde sich am Ende meistens dadurch entschleiert, dass es auf seinem Gipfel den Widerspruch als eine Blüte hervor treibt; so tritt dieser zuletzt auch hier in Form der schreiendsten Antinomie254 hervor: nämlich dem Offizier ist das Duell verboten: aber er wird durch Absetzung gestraft, wenn er es, vorkommenden Falls, unterlässt.
Ich will aber, da ich einmal dabei bin, in der Parrhesia255 noch weiter gehen. Beim Lichte und ohne Vorurteil betrachtet, beruht bloß darauf, dass, wie gesagt, jener Staat im Staate kein anderes Recht, als das des Stärkeren, also das Faustrecht, anerkannt und dieses zum Gottesurteil erhoben, seinem Kodex zum Grunde gelegt hat, der so wichtig gemachte und so hochgenommene Unterschied, ob man seinen Feind im offenen, mit gleichen Waffen geführten Kampf, oder aus dem Hinterhalt erlegt habe. Denn durch ersteres hat man doch weiter nichts bewiesen, als dass man der Stärkere, oder der Geschicktere sei. Die Rechtfertigung, die man im Bestehen des offenen Kampfes sucht, setzt also voraus, dass das Recht des Stärkeren wirklich ein Recht sei. In Wahrheit aber gibt der Umstand, dass der andere sich schlecht zu wehren versteht, mir zwar die Möglichkeit, jedoch keineswegs das Recht, ihn umzubringen, sondern dieses letztere, also meine moralische Rechtfertigung, kann allein auf den Motiven, die ich, ihm das Leben zu nehmen, habe, beruhen. Nehmen wir nun an, diese wären wirklich vorhanden und zureichend; so ist durchaus kein Grund da, es jetzt noch davon abhängig zu machen, ob er, oder ich, besser schießen oder fechten könne, sondern dann ist es gleichviel, auf welche Art ich ihm das Leben nehme, ob von hinten oder von vorne. Denn moralisch hat das Recht des Stärkeren nicht mehr Gewicht, als das Recht des Klügeren, welches beim hinterlistigen Morde angewandt wird: hier wiegt also dem Faustrecht das Kopfrecht gleich; wozu noch bemerkt sei, dass auch beim Duell das eine wie das andere geltend gemacht wird, indem schon jede Finte256, beim Fechten, Hinterlist ist. Halte ich mich moralisch gerechtfertigt, einem das Leben zu nehmen, so ist es Dummheit, es jetzt noch erst darauf ankommen zu lassen, ob er etwa besser schießen oder fechten könne, als ich, im welchen Fall er dann, umgekehrt, mir, den er schon beeinträchtigt hat, noch obendrein das Leben nehmen soll. Dass Beleidigungen nicht durch das Duell, sondern durch Meuchelmord zu rächen seien, ist Rousseaus257 Ansicht, die er behutsam andeutet, in der so geheimnisvoll gehaltenen 21. Anmerkung zum 4. Buche des Emile258. Dabei aber ist er so stark im ritterlichen Aberglauben befangen, dass er schon den erlittenen Vorwurf der Lüge als eine Berechtigung zum Meuchelmorde ansieht; während er doch wissen musste, dass jeder Mensch diesen Vorwurf unzählige Male verdient hat, ja, er selbst im höchsten Grade. Das Vorurteil aber, welches die Berechtigung, den Beleidiger zu töten, durch den offenen Kampf, mit gleichen Waffen, bedingt sein lässt, hält offenbar das Faustrecht für ein wirkliches Recht und den Zweikampf für ein Gottesurteil. Der Italiener hingegen, welcher von Zorn entbrannt, seinen Beleidiger, wo er ihn findet, ohne weiteres, mit dem Messer anfällt, handelt wenigstens konsequent und naturgemäß: er ist klüger, aber nicht schlechter als der Duellant. Wollte man sagen, dass ich, bei der Tötung meines Feindes im Zweikampf, dadurch gerechtfertigt sei, dass er eben sich bemühe, mich zu töten, so steht dem entgegen, dass ich, durch die Herausforderung, ihm in den Fall der Notwehr versetzt habe. Dieses sich absichtlich gegenseitig in den Fall der Notwehr versetzen, heißt im Grunde nur, einen plausibeln Vorwand für den Mord suchen. Eher ließe sich die Rechtfertigung durch den Grundsatz: Dem Wollenden geschieht kein Unrecht, hören, sofern man durch gegenseitige Übereinkunft sein Leben auf dieses Spiel gesetzt hat: aber dem steht entgegen, dass es mit dem »Wollenden« nicht seine Richtigkeit hat; indem die Tyrannei des ritterlichen Ehrenprinzips und seines absurden Kodex der Scherge ist, welcher beide, oder wenigstens einen der beiden Kämpen259 vor dieses blutige Femgericht geschleppt hat.
Ich bin über die ritterliche Ehre weitläufig gewesen, aber in guter Absicht – und weil gegen die moralischen und intellektuellen Ungeheuer auf dieser Welt der alleinige Herkules260 die Philosophie ist. Zwei Dinge sind es hauptsächlich, welche den gesellschaftlichen Zustand der neuen Zeit von dem des Altertums, zum Nachteil des ersteren, unterscheiden, indem sie demselben einen ernsten, finstern, sinistern261 Anstrich gegeben haben, von welchem frei das Altertum heiter und unbefangen, wie der Morgen des Lebens, dasteht. Sie sind: das ritterliche Ehrenprinzip und die venerische Krankheit262 – ein edles Bewerberpaar! Sie zusammen haben Streit und Liebe des Lebens vergiftet. Die venerische Krankheit nämlich erstreckt ihren Einfluss viel weiter, als es auf den ersten Blick scheinen möchte, indem derselbe keineswegs ein bloß physischer, sondern auch ein moralischer ist. Seitdem Amors263 Köcher auch vergiftete Pfeile führt, ist in das Verhältnis der Geschlechter zueinander ein fremdartiges, feindseliges, ja teuflisches Element gekommen; infolge wovon ein finsteres und furchtsames Misstrauen es durchzieht; und der mittelbare Einfluss einer solchen Änderung in der Grundfeste aller menschlichen Gemeinschaft erstreckt sich, mehr oder weniger, auch auf die übrigen geselligen Verhältnisse; welches auseinander zu sehen mich hier zu weit führen würde. – Analog, wiewohl ganz anderartig, ist der Einfluss des ritterlichen Ehrenprinzips, dieser ernsthaften Posse, welche den Alten fremd war, hingegen die moderne Gesellschaft steif, ernst und ängstlich macht, schon weil jede flüchtige Äußerung skrutiniert und ruminiert264 wird.
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