Jeder der beiden Wege hat seine eigenen Vorteile und Nachteile. Der Hauptunterschied ist, dass die Taten vorübergehend, die Werke bleiben. Die edelste Tat hat doch nur einen zeitweiligen Einfluss; das geniale Werk hingegen lebt und wirkt, wohltätig und erhebend, durch alle Zeiten. Von den Taten bleibt nur das Andenken, welches immer schwächer, entstellter und gleichgültiger wird, allmählich sogar erlöschen muss, wenn nicht die Geschichte es aufnimmt und es nur im petrifizierten276 Zustande der Nachwelt überliefert. Die Werke hingegen sind selbst unsterblich, und können, zumal die schriftlichen, alle Zeiten durchleben. Von Alexander dem Großen277 lebt Name und Gedächtnis; aber Plato und Aristoteles, Homer und Horaz sind noch selbst da, leben und wirken unmittelbar. Die Veden mit ihren Upanishaden278, sind da: aber von allen den Taten, die zu ihrer Zeit geschehen, ist gar keine Kunde auf uns gekommen. Ein anderer Nachteil der Taten ist ihre Abhängigkeit von der Gelegenheit, als welche erst die Möglichkeit dazu geben muss; woran sich knüpft, dass ihr Ruhm sich nicht allein nach ihrem innern Werte richtet, sondern auch nach den Umständen, welche ihnen Wichtigkeit und Glanz erteilen. Zudem ist er, wenn, wie im Kriege, die Taten rein persönliche sind, von der Aussage weniger Augenzeugen abhängig: diese sind nicht immer vorhanden und dann nicht immer gerecht und unbefangen. Dagegen aber haben die Taten den Vorteil, dass sie, als etwas Praktisches, im Bereich der allgemeinen menschlichen Urteilsfähigkeit liegen; daher ihnen, wenn dieser nur die Data279 richtig überliefert sind, sofort Gerechtigkeit widerfährt; es sei denn, dass ihre Motive erst später richtig erkannt, oder gerecht abgeschätzt werden: denn zum Verständnis einer jeden Handlung gehört Kenntnis des Motivs derselben. Umgekehrt steht es mit den Werken: ihre Entstehung hängt nicht von der Gelegenheit, sondern allein von ihren Urhebern ab, und was sie an und für sich sind, bleiben sie, so lange sie bleiben. Bei ihnen liegt dagegen die Schwierigkeit im Urteil, und sie ist umso größer, in je höherer Gattung sie sind: oft fehlt es an kompetenten, oft an unbefangenen und redlichen Richtern. Dagegen nur wieder wird ihr Ruhm nicht von einer Instanz entschieden; sondern es findet Appelation statt. Denn während, wie gesagt, von den Taten bloß das Andenken auf die Nachwelt kommt und zwar so, wie die Mitwelt es überliefert; so kommen hingegen die Werke selbst dahin, und zwar, etwa fehlende Bruchstücke abgerechnet, so, wie sie sind: hier gibt es also keine Entstellung der Data, und auch der etwa nachteilige Einfluss der Umgebung, bei ihrem Ursprunge, fällt später weg. Vielmehr bringt oft erst die Zeit nach und nach, die wenigen wirklich kompetenten Richter heran, welche, schon selbst Ausnahmen, über noch größere Ausnahmen zu Gerichte sitzen: sie geben successiv280 ihre gewichtigen Stimmen ab, und so steht, bisweilen freilich erst nach Jahrhunderten, ein vollkommenes gerechtes Urteil da, welches keine Folgezeit mehr umstößt. So sicher, ja, unausbleiblich ist der Ruhm der Werke. Hingegen dass ihr Urheber ihn erlebe, hängt von äußeren Umständen und dem Zufall ab: es ist umso seltener, je höherer und schwierigerer Gattung sie waren. Demgemäß sagte Seneca unvergleichlich schön, dass dem Verdienste sein Ruhm so unfehlbar folge, wie dem Körper sein Schatten, nur aber freilich, eben wie auch dieser, bisweilen vor, bisweilen hinter ihm herschreite, und fügt, nachdem er dies erläutert hat, hinzu: Wenn auch allen deinen Mitlebenden der Neid die Lippen zudrückt, so werden doch solche kommen, die ohne Liebe und Hass dir gerecht werden; woraus wir nebenbei ersehen, dass die Kunst des Unterdrückens der Verdienste durch hämisches Schweigen und Ignorieren, um, zugunsten des Schlechten, das Gute dem Publiko281 zu verbergen, schon bei den Lumpen des Seneca’schen Zeitalters üblich war, so gut wie bei denen des unsrigen, und dass jene, wie diesen, der Neid die Lippen zudrückte. In der Regel wird sogar der Ruhm, je länger er zu dauern hat, desto später eintreten; wie ja alles Vorzügliche langsam heranreift. Der Ruhm, welcher zum Nachruhm werden will, gleicht einer Eiche, die aus ihrem Samen sehr langsam emporwächst, der leichte, ephemere Ruhm den einjährigen, schnellwachsenden Pflanzen, und der falsche Ruhm gar dem schnell hervorschießenden Unkraute, das schleunigst ausgerottet wird. Dieser Hergang beruht eigentlich darauf, dass, je mehr einer der Nachwelt, d. i.282 eigentlich der Menschheit überhaupt und im Ganzen, angehört, desto fremder er seinem Zeitalter ist; weil was er hervorbringt nicht diesem speziell gewidmet ist, also nicht demselben als solchem, sondern nur sofern es ein Teil der Menschheit ist, angehört und daher auch nicht mit dessen Lokalfarbe tingiert ist: infolge hiervon aber kann es leicht kommen, dass dasselbe ihn fremd an sich vorüber gehen lässt. Es schätzt vielmehr die, welche den Angelegenheiten seines kurzen Tages, oder der Laune des Augenblicks dienen und daher ganz ihm angehören, mit ihm leben und mit ihm sterben. Demgemäß lehren Kunst- und Literaturgeschichte durchgängig, dass die höchsten Leistungen des menschlichen Geistes, in der Regel mit Ungunst aufgenommen worden und darin so lange geblieben sind, bis Geister höherer Art herankamen, die von ihnen angesprochen wurden und sie zu dem Ansehen brachten, in welchem sie nachher, durch die so erlangte Auktorität, sich erhalten haben. Dies alles nur aber beruht, im letzten Grunde, darauf, dass jeder eigentlich nur das ihm Homogene283 verstehen und schätzen kann. Nun aber ist dem Platten das Platte, dem Gemeinen das Gemeine, dem Unklaren das Verworrene, dem Hirnlosen das Unsinnige homogen, und am allerbesten gefallen jedem seine eigenen Werke, als welche ihm durchaus homogen sind. Daher sang schon der alte fabelhafte Epicharmos:284

Kein Wunder ist es, dass ich red’ in meinem Sinn,
Und jene, selbst sich selbst gefallend, stehn im Wahn,
Sie wären lobenswert: so scheint dem Hund der Hund
Das schönste Wesen, so dem Ochsen auch der Ochs,
Dem Esel auch der Esel, und dem Schwein das Schwein.

Wie selbst der kräftigste Arm, wenn er einen leichten Körper fortschleudert, ihm doch keine Bewegung erteilen kann, mit der er weit flöge und heftig träfe, sondern derselbe schon in der Nähe matt niederfällt, weil es ihm an eignem materiellen Gehalte gefehlt hat, die fremde Kraft aufzunehmen; ebenso ergeht es schönen und großen Gedanken, ja, den Meisterwerken des Genies, wenn, sie aufzunehmen, keine andere, als kleine, schwache oder schiefe Köpfe da sind. Dies zu bejammern haben die Stimmen der Weisen aller Zeiten sich zum Chorus285 vereint. Z.B. Jesus Sirach sagt: wer mit einem Narren redet, der redet mit einem Schlafenden.