Z. B. bewimpelte und bekränzte Schiffe, Kanonenschüsse, Illumination325, Pauken und Trompeten, Jauchzen und Schreien usf.; dies alles ist das Aushängeschild, die Andeutung, die Hieroglyphe326 der Freude: aber die Freude ist daselbst nicht zu finden: sie allein hat beim Feste abgesagt. Wo sie sich wirklich einfindet, da kommt sie in der Regel ungeladen und ungemeldet, und selbst und ohne Form, ja, still herangeschlichen, oft bei den unbedeutendsten, futilsten Anlässen, unter den alltäglichsten Umständen, ja, bei nichts weniger als glänzenden oder ruhmvollen Gelegenheiten: sie ist wie das Gold in Australien, hierhin und dorthin gestreut, nach der Laune des Zufalls, ohne alle Regel und Gesetz, meist nur in ganz kleinen Körnchen, höchst selten in großen Massen. Bei allen jenen oben erwähnten Dingen hingegen ist der Zweck bloß, andere glauben zu machen, hier wäre die Freude eingekehrt: dieser Schein, im Kopfe anderer, ist die Absicht. Nicht anders als mit der Freude verhält es sich mit der Trauer. Wie schwermütig kommt jener lange und langsame Leichenzug daher! Der Reihe der Kutschen ist kein Ende. Aber seht nur hinein: sie sind alle leer, und der Verblichene wird eigentlich bloß von sämtlichen Kutschern der ganzen Stadt zu Grabe geleitet. Sprechendes Bild der Freundschaft und Hochachtung dieser Welt! Dies also ist die Falschheit, Hohlheit und Gleißnerei des menschlichen Treibens. – Ein anderes Beispiel wieder geben viele geladene Gäste in Feierkleidern, unter festlichem Empfange; sie sind das Aushängeschild der edlen, erhöhten Geselligkeit; aber statt ihrer ist in der Regel nur Zwang, Pein und Langeweile gekommen: denn schon wo viele Gäste sind, ist viel Pack327, – und hätten sie auch sämtlich Sterne auf der Brust. Die wirklich gute Gesellschaft nämlich ist, überall und notwendig, sehr klein. Überhaupt aber tragen glänzende, rauschende Feste und Lustbarkeiten stets eine Leere, wohl gar einen Misston im Innern; schon weil sie dem Elend und der Dürftigkeit unseres Daseins laut widersprechen, und der Kontrast erhöht die Wahrheit. Jedoch von außen gesehen wirkt jenes alles: und das war der Zweck. Ganz allerliebst sagt daher Chamfort: Die Gesellschaft, die Klubs, die Salons328, kurz alles das, was man die große Welt nennt, ist ein elendes Stück, eine schlechte, uninteressante Oper, die sich durch ihre Maschinerien, Kostüme, Dekorationen notdürftig erholt. – Desgleichen sind nun auch Akademien und philosophische Katheder329 das Aushängeschild, der äußere Schein der Weisheit: aber auch sie hat meistens abgesagt und ist ganz wo anders zu finden. – Glockengebimmel, Priesterkostüme, fromme Gebärden und fratzenhaftes Tun ist das Aushängeschild, der falsche Schein der Andacht usf. – So ist denn fast alles in der Welt hohle Nüsse zu nennen: der Kern ist an sich selten, und noch seltener steckt er in der Schale. Er ist ganz wo anders zu suchen und wird meistens nur zufällig gefunden.
2. Wenn man den Zustand eines Menschen, seiner Glücklichkeit nach, abschätzen will, soll man nicht fragen nach dem, was ihn vergnügt, sondern nach dem, was ihn betrübt: denn, je geringfügiger dieses, an sich selbst genommen, ist, desto glücklicher ist der Mensch; weil ein Zustand des Wohlbefindens dazu gehört, um gegen Kleinigkeiten empfindlich zu sein: im Unglück spüren wir sie gar nicht.
3. Man hüte sich, das Glück seines Lebens, mittelst vieler Erfordernisse zu demselben, auf ein breites Fundament zu bauen: denn auf einem solchen stehend stürzt es am leichtesten ein, weil es viel mehr Unfällen Gelegenheit darbietet und diese nicht ausbleiben. Das Gebäude unseres Glücks verhält sich also, in dieser Hinsicht, umgekehrt wie alle anderen, als welche auf breitem Fundament am festesten stehn. Seine Ansprüche, im Verhältnis zu seinen Mitteln jeder Art, möglichst niedrig zu stellen, ist demnach der sicherste Weg, großem Unglück zu entgehen.
Überhaupt ist es eine der größten und häufigsten Torheiten, dass man weitläufige Anstalten zum Leben macht, in welcher Art auch immer dies geschehe. Bei solchen nämlich ist zuvörderst auf ein ganzes und volles Menschenleben gerechnet; welches jedoch sehr wenige erreichen. Sodann fällt es, selbst wenn sie so lange leben, doch für die gemachten Pläne zu kurz aus; da deren Ausführung immer sehr viel mehr Zeit erfordert, als angenommen war: ferner sind solche, wie alle menschlichen Dinge, dem Misslingen, den Hindernissen so vielfach ausgesetzt, dass sie sehr selten zum Ziele gebracht werden. Endlich, wenn zuletzt auch alles erreicht wird, so waren die Umwandlungen, welche die Zeit an uns selbst hervorbringt, außer acht und Rechnung gelassen; also nicht bedacht worden, dass weder zum Leisten, noch zum Genießen, unsere Fähigkeiten das ganze Leben hindurch vorhalten. Daher kommt es, dass wir oft auf Dinge hinarbeiten, welche, wenn endlich erlangt, uns nicht mehr angemessen sind; wie auch, dass wir mit den Vorarbeiten zu einem Werke die Jahre hinbringen, welche derweilen unvermerkt uns die Kräfte zur Ausführung desselben rauben. So geschieht es denn oft, dass der mit so langer Mühe und vieler Gefahr erworbene Reichtum uns nicht mehr genießbar ist und wir für andere gearbeitet haben; oder auch, dass wir den durch vieljähriges Treiben und Trachten endlich erreichten Posten auszufüllen nicht mehr imstande sind: die Dinge sind zu spät für uns gekommen. Oder auch umgekehrt, wir kommen zu spät mit den Dingen; da nämlich, wo es sich um Leistungen, oder Produktionen handelt: der Geschmack der Zeit hat sich geändert; ein neues Geschlecht ist herangewachsen, welches an den Sachen keinen Anteil nimmt; andere sind auf kürzeren Wegen uns zuvorgekommen usf. Alles unter dieser Nummer angeführte hat Horaz im Sinne, wenn er sagt:
Was ermüdest du deinen so schwachen Geist mit Plänen für die Ewigkeit?
Der Anlass zu diesem häufigen Missgriff ist die unvermeidliche optische Täuschung des geistigen Auges, vermöge welcher das Leben, vom Eingange aus gesehen, endlos, aber wenn man vom Ende der Bahn zurückblickt, sehr kurz erscheint. Freilich hat sie ihr gutes: denn ohne sie käme schwerlich etwas Großes zustande.
Überhaupt aber ergeht es uns im Leben wie dem Wanderer, vor welchem, indem er vorwärts schreitet, die Gegenstände andere Gestalten annehmen, als die sie von ferne zeigten, und sich gleichsam verwandeln, indem er sich nähert. Besonders geht es mit unseren Wünschen so.
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