Sie wollten wissen,

Wer ich sei und was ich triebe?

 

»Lieben Freunde« – sprach ich –, »Deutschland

Heißt das Land, wo ich geboren;

Bären gibt es dort in Menge,

Und ich wurde Bärenjäger.

 

Manchem zog ich dort das Fell

Über seine Bärenohren.

Wohl mitunter ward ich selber

Stark gezaust von Bärentatzen.

 

Doch mit schlechtgeleckten Tölpeln

Täglich mich herumzubalgen

In der teuren Heimat, dessen

Ward ich endlich überdrüssig.

 

Und ich bin hierhergekommen,

Beßres Weidwerk aufzusuchen;

Meine Kraft will ich versuchen

An dem großen Atta Troll.

 

Dieser ist ein edler Gegner,

Meiner würdig. Ach! in Deutschland

Hab ich manchen Kampf bestanden,

Wo ich mich des Sieges schämte.« – –

 

Als ich Abschied nahm, da tanzten

Um mich her die kleinen Wesen

Eine Ronde, und sie sangen:

»Girofflino, Girofflette!«

 

Keck und zierlich trat zuletzt

Vor mir hin die Allerjüngste,

Knickste zweimal, dreimal, viermal,

Und sie sang mit feiner Stimme:

 

»Wenn der König mir begegnet,

Mach ich ihm zwei Reverenzen,

Und begegnet mir die Kön'gin,

Mach ich Reverenzen drei.

 

Aber kommt mir gar der Teufel

In den Weg mit seinen Hörnern,

Knicks ich zweimal, dreimal, viermal –

Girofflino, Girofflette!«

 

»Girofflino, Girofflette!«

Wiederholt' das Chor, und neckend

Wirbelte um meine Beine

Sich der Ringeltanz und Singsang.

 

Während ich ins Tal hinabstieg,

Scholl mir nach, verhallend lieblich,

Immerfort, wie Vogelzwitschern:

»Girofflino, Girofflette!«

 

 

Caput XV

Riesenhafte Felsenblöcke,

Mißgestaltet und verzerrt,

Schaun mich an gleich Ungetümen,

Die versteinert, aus der Urzeit.

 

Seltsam! Graue Wolken schweben

Drüber hin, wie Doppelgänger;

Sind ein blödes Konterfei

Jener wilden Steinfiguren.

 

In der Ferne rast der Sturzbach,

Und der Wind heult in den Föhren!

Ein Geräusch, das unerbittlich

Und fatal wie die Verzweiflung.

 

Schauerliche Einsamkeiten!

Schwarze Dohlenscharen sitzen

Auf verwittert morschen Tannen,

Flattern mit den lahmen Flügeln.

 

Neben mir geht der Laskaro,

Blaß und schweigsam, und ich selber

Mag wohl wie der Walmsinn aussehn,

Den der leid'ge Tod begleitet.

 

Eine häßlich wüste Gegend.

Liegt darauf ein Fluch? Ich glaube

Blut zu sehen an den Wurzeln

Jenes Baums, der ganz verkrüppelt.

 

Er beschattet eine Hütte,

Die verschämt sich in der Erde

Halb versteckt; wie furchtsam flehend

Schaut dich an das arme Strohdach.

 

Die Bewohner dieser Hütte

Sind Cagoten, Überbleibsel

Eines Stamms, der tief im Dunkeln

Sein zertretnes Dasein fristet.

 

In den Herzen der Baskesen

Würmelt heute noch der Abscheu

Vor Cagoten. Düstres Erbteil

Aus der düstern Glaubenszeit.

 

In dem Dome zu Bagnères

Lauscht ein enges Gitterpförtchen;

Dieses, sagte mir der Küster,

War die Türe der Cagoten.

 

Streng versagt war ihnen eh'mals

Jeder andre Kircheneingang,

Und sie kamen wie verstohlen

In das Gotteshaus geschlichen.

 

Dort auf einem niedern Schemel

Saß der Cagot, einsam betend,

Und gesondert, wie verpestet,

Von der übrigen Gemeinde. –

 

Aber die geweihten Kerzen

Des Jahrhunderts flackern lustig,

Und das Licht verscheucht die bösen

Mittelalterlichen Schatten! –

 

Stehnblieb draußen der Laskaro,

Während ich in des Cagoten

Niedre Hütte trat. Ich reichte

Freundlich meine Hand dem Bruder.

 

Und ich küßte auch sein Kind,

Das, am Busen seines Weibes

Angeklammert, gierig saugte;

Einer kranken Spinne glich es.

 

 

Caput XVI

Schaust du diese Bergesgipfel

Aus der Fern', so strahlen sie,

Wie geschmückt mit Gold und Purpur,

Fürstlich stolz im Sonnenglanze.

 

Aber in der Nähe schwindet

Diese Pracht, und wie bei andern

Irdischen Erhabenheiten

Täuschten dich die Lichteffekte.

 

Was dir Gold und Purpur dünkte,

Ach, das ist nur eitel Schnee,

Eitel Schnee, der blöd und kläglich

In der Einsamkeit sich langweilt.

 

Oben in der Nähe hört ich,

Wie der arme Schnee geknistert,

Und den fühllos kalten Winden

All sein weißes Elend klagte.

 

»Oh, wie langsam« – seufzt' er – »schleichen

In der Öde hier die Stunden!

Diese Stunden ohne Ende,

Wie gefrorne Ewigkeiten!

 

Oh, ich armer Schnee! Oh, wär ich,

Statt auf diese Bergeshöhen,

Wär ich doch ins Tal gefallen,

In das Tal, wo Blumen blühen!

 

Hingeschmolzen wär ich dann

Als ein Bächlein, und des Dorfes

Schönstes Mädchen wüsche lächelnd

Ihr Gesicht mit meiner Welle.

 

Ja, ich wär vielleicht geschwommen

Bis ins Meer, wo ich zur Perle

Werden konnte, um am Ende

Eine Königskron' zu zieren!«

 

Als ich diese Reden hörte,

Sprach ich: »Liebster Schnee, ich zweifle,

Daß im Tale solch ein glänzend

Schicksal dich erwartet hätte.

 

Tröste dich. Nur wen'ge unten

Werden Perlen, und du fielest

Dort vielleicht in eine Pfütze,

Und ein Dreck wärst du geworden!«

 

Während ich in solcher Weise

Mit dem Schnee Gespräche führte,

Fiel ein Schuß, und aus den Lüften

Stürzt' herab ein brauner Geier.

 

Späßchen war's von dem Laskaro,

Jägerspäßchen. Doch sein Antlitz

Blieb wie immer starr und ernsthaft.

Nur der Lauf der Flinte rauchte.

 

Eine Feder riß er schweigend

Aus dem Steiß des Vogels, steckte

Sie auf seinen spitzen Filzhut,

Und er schritt des Weges weiter.

 

Schier unheimlich war der Anblick,

Wie sein Schatten mit der Feder

Auf dem weißen Schnee der Koppen,

Schwarz und lang, sich hinbewegte.

 

 

Caput XVII

Ist ein Tal gleich einer Gasse,

Geisterhohlweg ist der Name;

Schroffe Felsen ragen schwindlicht

Hoch empor zu jeder Seite.

 

Dort, am schaurig steilsten Abhang,

Lugt ins Tal, wie eine Warte,

Der Uraka keckes Häuslein;

Dorthin folgt ich dem Laskaro.

 

Mit der Mutter hielt er Rat

In geheimster Zeichensprache,

Wie der Atta Troll gelockt

Und getötet werden könne.

 

Denn wir hatten seine Fährte

Gut erspürt. Entrinnen konnt er

Uns nicht mehr. Gezählt sind deine

Lebenstage, Atta Troll!

 

Ob die Alte, die Uraka,

Wirklich eine ausgezeichnet

Große Hexe, wie die Leute

In den Pyrenä'n behaupten,

 

Will ich nimmermehr entscheiden.

Soviel weiß ich, daß ihr Äußres

Sehr verdächtig. Sehr verdächtig

Triefen ihre roten Augen.

 

Bös und schielend ist der Blick;

Und es heißt, den armen Kühen,

Die sie anblickt, trockne plötzlich

In der Euter alle Milch.

 

Man versichert gar, sie habe,

Streichelnd mit den dürren Händen,

Manches fette Schwein getötet

Und sogar die stärksten Ochsen.

 

Solcherlei Verbrechens wurde

Sie zuweilen auch verklagt

Bei dem Friedensrichter. Aber

Dieser war ein Voltairianer,

 

Ein modernes, flaches Weltkind,

Ohne Tiefsinn, ohne Glauben,

Und die Kläger wurden skeptisch,

Fast verhöhnend, abgewiesen.

 

Offiziell treibt die Uraka

Ein Geschäft, das sehr honett;

Denn sie handelt mit Bergkräutern

Und mit ausgestopften Vögeln.

 

Voll von solchen Naturalien

War die Hütte. Schrecklich rochen

Bilsenkraut und Kuckucksblumen,

Pissewurz und Totenflieder.

 

Eine Kollektion von Geiern

War vortrefflich aufgestellt,

Mit den ausgestreckten Flügeln

Und den ungeheuren Schnäbeln.

 

War's der Duft der tollen Pflanzen,

Der betäubend mir zu Kopf stieg?

Wundersam ward mir zumute

Bei dem Anblick dieser Vögel.

 

Sind vielleicht verwünschte Menschen,

Die durch Zauberkunst in diesem

Unglücksel'gen, ausgestopften

Vogelzustand sich befinden.

 

Sehn mich an so starr und leidend,

Und zugleich so ungeduldig;

Manchmal scheinen sie auch scheu

Nach der Hexe hinzuschielen.

 

Diese aber, die Uraka,

Kauert neben ihrem Sohne,

Dem Laskaro, am Kamine.

Kochen Blei und gießen Kugeln.

 

Gießen jene Schicksalskugel,

Die den Atta Troll getötet.

Wie die Flammen hastig zuckten

Über das Gesicht der Hexe!

 

Sie bewegt die dünnen Lippen

Unaufhörlich, aber lautlos.

Murmelt sie den Drudensegen,

Daß der Kugelguß gedeihe?

 

Manchmal kichert sie und nickt sie

Ihrem Sohne. Aber dieser

Fördert sein Geschäft so ernsthaft

Und so schweigsam wie der Tod. –

 

Schwül bedrückt von Schauernissen,

Ging ich, freie Luft zu schöpfen,

An das Fenster, und ich schaute

Dort hinab ins weite Tal.

 

Was ich sah zu jener Stunde –

Zwischen Mitternacht und eins –,

Werd ich treu und hübsch berichten

In den folgenden Kapiteln.

 

 

Caput XVIII

Und es war die Zeit des Vollmonds,

In der Nacht vor Sankt Johannis,

Wo der Spuk der Wilden Jagd

Umzieht durch den Geisterhohlweg.

 

Aus dem Fenster von Urakas

Hexennest konnt ich vortrefflich

Das Gespensterheer betrachten,

Wie es durch die Gasse hinzog.

 

Hatte einen guten Platz,

Den Spektakel anzuschauen;

Ich genoß den vollen Anblick

Grabentstiegner Totenfreude.

 

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

Roßgewieh'r, Gebell von Hunden!

Jagdhorntöne und Gelächter!

Wie das jauchzend widerhallte!

 

Lief voraus, gleichsam als Vortrab,

Abenteuerliches Hochwild,

Hirsch' und Säue, rudelweis;

Hetzend hinterdrein die Meute.

 

Jäger aus verschiednen Zonen

Und aus gar verschiednen Zeiten;

Neben Nimrod von Assyrien

Ritt zum Beispiel Karl der Zehnte.

 

Hoch auf weißen Rossen sausten

Sie dahin. Zu Fuße folgten

Die Pikeure mit der Koppel

Und die Pagen mit den Fackeln.

 

Mancher in dem wüsten Zuge

Schien mir wohlbekannt – der Ritter,

Der in goldner Rüstung glänzte,

War es nicht der König Artus?

 

Und Herr Ogier, der Däne,

Trug er nicht den schillernd grünen

Ringenpanzer, daß er aussah

Wie ein großer Wetterfrosch?

 

Auch der Helden des Gedankens

Sah ich manchen in dem Zuge.

Ich erkannte unsern Wolfgang

An dem heitern Glanz der Augen –

 

Denn, verdammt von Hengstenberg,

Kann er nicht im Grabe ruhen,

Und mit heidnischem Gelichter

Setzt er fort des Lebens Jagdlust.

 

An des Mundes holdem Lächeln

Hab ich auch erkannt den William,

Den die Puritaner gleichfalls

Einst verflucht; auch dieser Sünder

 

Muß das Wilde Heer begleiten

Nachts auf einem schwarzen Rappen.

Neben ihm, auf einem Esel,

Ritt ein Mensch – Und, heil'ger Himmel!

 

An der matten Betermiene,

An der frommen weißen Schlafmütz',

An der Seelenangst, erkannt ich

Unsern alten Freund Franz Horn!

 

Weil er einst das Weltkind Shakespeare

Kommentiert, muß jetzt der Ärmste

Nach dem Tode mit ihm reiten

Im Tumult der Wilden Jagd!

 

Ach, mein stiller Franz muß reiten,

Er, der kaum gewagt zu gehen,

Er, der nur im Teegeschwätze

Und im Beten sich bewegte!

 

Werden nicht die alten Jungfern,

Die gehätschelt seine Ruhe,

Sich entsetzen, wenn sie hören,

Daß der Franz ein Wilder Jäger!

 

Wenn es manchmal im Galopp geht,

Schaut der große William spöttisch

Auf den armen Kommentator,

Der im Eselstrab ihm nachfolgt,

 

Ganz ohnmächtig, fest sich krampend

An den Sattelknopf des Grauchens,

Doch im Tode, wie im Leben,

Seinem Autor treulich folgend.

 

Auch der Damen sah ich viele

In dem tollen Geisterzuge,

Ganz besonders schöne Nymphen,

Schlanke, jugendliche Leiber.

 

Rittlings saßen sie zu Pferde,

Mythologisch splitternackt;

Doch die Haare fielen lockicht

Lang herab, wie goldne Mäntel.

 

Trugen Kränze auf den Häuptern,

Und mit keck zurückgebognen,

Übermüt'gen Posituren

Schwangen sie belaubte Stäbe.

 

Neben ihnen sah ich ein'ge

Zugeknöpfte Ritterfräulein,

Schräg auf Damensätteln sitzend,

Und den Falken auf der Faust.

 

Parodistisch hinterdrein,

Auf Schindmähren, magern Kleppern,

Ritt ein Troß von komödiantisch

Aufgeputzten Weibspersonen,

 

Deren Antlitz reizend lieblich,

Aber auch ein bißchen frech.

Schrien, wie rasend, mit den vollen,

Liederlich geschminkten Backen.

 

Wie das jubelnd widerhallte!

Jagdhorntöne und Gelächter!

Roßgewieh'r, Gebell von Hunden!

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

 

 

Caput XIX

Aber als der Schönheit Kleeblatt

Ragten in des Zuges Mitten

Drei Gestalten – Nie vergeß ich

Diese holden Frauenbilder.

 

Leicht erkennbar war die eine

An dem Halbmond auf dem Haupte;

Stolz, wie eine reine Bildsäul',

Ritt einher die große Göttin.

 

Hochgeschürzte Tunika,

Brust und Hüfte halb bedeckend.

Fackellicht und Mondschein spielten

Lüstern um die weißen Glieder.

 

Auch das Antlitz weiß wie Marmor,

Und wie Marmor kalt. Entsetzlich

War die Starrheit und die Blässe

Dieser strengen edlen Züge.

 

Doch in ihrem schwarzen Auge

Loderte ein grauenhaftes

Und unheimlich süßes Feuer,

Seelenblendend und verzehrend.

 

Wie verändert ist Diana,

Die, im Übermut der Keuschheit,

Einst den Aktäon verhirschte

Und den Hunden preisgegeben!

 

Büßt sie jetzt für diese Sünde

In galantester Gesellschaft?

Wie ein spukend armes Weltkind

Fährt sie nächtlich durch die Lüfte.

 

Spät zwar, aber desto stärker

Ist erwacht in ihr die Wollust,

Und es brennt in ihren Augen

Wie ein wahrer Höllenbrand.

 

Die verlorne Zeit bereut sie,

Wo die Männer schöner waren,

Und die Quantität ersetzt ihr

Jetzt vielleicht die Qualität.

 

Neben ihr ritt eine Schöne,

Deren Züge nicht so griechisch

Streng gemessen, doch sie strahlten

Von des Keltenstammes Anmut.

 

Dieses war die Fee Abunde,

Die ich leicht erkennen konnte

An der Süße ihres Lächelns

Und am herzlich tollen Lachen!

 

Ein Gesicht, gesund und rosig,

Wie gemalt von Meister Greuze,

Mund in Herzform, stets geöffnet,

Und entzückend weiße Zähne.

 

Trug ein flatternd blaues Nachtkleid,

Das der Wind zu lüften suchte –

Selbst in meinen besten Träumen

Sah ich nimmer solche Schultern!

 

Wenig fehlte und ich sprang

Aus dem Fenster, sie zu küssen!

Dieses wär mir schlecht bekommen,

Denn den Hals hätt ich gebrochen.

 

Ach! sie hätte nur gelacht,

Wenn ich unten in den Abgrund

Blutend fiel zu ihren Füßen –

Ach! ich kenne solches Lachen!

 

Und das dritte Frauenbild,

Das dein Herz so tief bewegte,

War es eine Teufelinne,

Wie die andern zwo Gestalten?

 

Ob's ein Teufel oder Engel,

Weiß ich nicht. Genau bei Weibern

Weiß man niemals, wo der Engel

Aufhört und der Teufel anfängt.

 

Auf dem glutenkranken Antlitz

Lag des Morgenlandes Zauber,

Auch die Kleider mahnten kostbar

An Scheherezadens Märchen.

 

Sanfte Lippen, wie Grenaten,

Ein gebognes Liliennäschen,

Und die Glieder schlank und kühlig

Wie die Palme der Oase.

 

Lehnte hoch auf weißem Zelter,

Dessen Goldzaum von zwei Mohren

Ward geleitet, die zu Fuß

An der Fürstin Seite trabten.

 

Wirklich eine Fürstin war sie,

War Judäas Königin,

Des Herodes schönes Weib,

Die des Täufers Haupt begehrt hat.

 

Dieser Blutschuld halber ward sie

Auch vermaledeit; als Nachtspuk

Muß sie bis zum Jüngsten Tage

Reiten mit der Wilden Jagd.

 

In den Händen trägt sie immer

Jene Schüssel mit dem Haupte

Des Johannes, und sie küßt es;

Ja, sie küßt das Haupt mit Inbrunst.

 

Denn sie liebte einst Johannem –

In der Bibel steht es nicht,

Doch im Volke lebt die Sage

Von Herodias' blut'ger Liebe –

 

Anders wär ja unerklärlich

Das Gelüste jener Dame –

Wird ein Weib das Haupt begehren

Eines Manns, den sie nicht liebt?

 

War vielleicht ein bißchen böse

Auf den Liebsten, ließ ihn köpfen;

Aber als sie auf der Schüssel

Das geliebte Haupt erblickte,

 

Weinte sie und ward verrückt,

Und sie starb in Liebeswahnsinn.

(Liebeswahnsinn! Pleonasmus!

Liebe ist ja schon ein Wahnsinn!)

 

Nächtlich auferstehend trägt sie,

Wie gesagt, das blut'ge Haupt

In der Hand, auf ihrer Jagdfahrt –

Doch mit toller Weiberlaune

 

Schleudert sie das Haupt zuweilen

Durch die Lüfte, kindisch lachend,

Und sie fängt es sehr behende

Wieder auf, wie einen Spielball.

 

Als sie mir vorüberritt,

Schaute sie mich an und nickte

So kokett zugleich und schmachtend,

Daß mein tiefstes Herz erbebte.

 

Dreimal auf und nieder wogend

Fuhr der Zug vorbei, und dreimal

Im Vorüberreiten grüßte

Mich das liebliche Gespenst.

 

Als der Zug bereits erblichen

Und verklungen das Getümmel,

Loderte mir im Gehirne

Immerfort der holde Gruß.

 

Und die ganze Nacht hindurch

Wälzte ich die müden Glieder

Auf der Streu – (denn Federbetten

Gab's nicht in Urakas Hütte) –

 

Und ich sann: Was mag bedeuten

Das geheimnisvolle Nicken?

Warum hast du mich so zärtlich

Angesehn, Herodias?

 

 

Caput XX

Sonnenaufgang. Goldne Pfeile

Schießen nach den weißen Nebeln,

Die sich röten, wie verwundet,

Und in Glanz und Licht zerrinnen.

 

Endlich ist der Sieg erfochten,

Und der Tag, der Triumphator,

Tritt, in strahlend voller Glorie,

Auf den Nacken des Gebirges.

 

Der Gevögel laute Sippschaft

Zwitschert in verborgnen Nestern,

Und ein Kräuterduft erhebt sich,

Wie 'n Konzert von Wohlgerüchen. –

 

In der ersten Morgenfrühe

Waren wir ins Tal gestiegen,

Und derweilen der Laskaro

Seines Bären Spur verfolgte,

 

Suchte ich die Zeit zu töten

Mit Gedanken. Doch das Denken

Machte mich am Ende müde

Und sogar ein bißchen traurig.

 

Endlich müd' und traurig sank ich

Nieder auf die weiche Moosbank,

Unter jener großen Esche,

Wo die kleine Quelle floß,

 

Die mit wunderlichem Plätschern

Also wunderlich betörte

Mein Gemüt, daß die Gedanken

Und das Denken mir vergingen.

 

Es ergriff mich wilde Sehnsucht

Wie nach Traum und Tod und Wahnsinn,

Und nach jenen Reiterinnen,

Die ich sah im Geisterheerzug.

 

Oh, ihr holden Nachtgesichte,

Die das Morgenrot verscheuchte,

Sagt, wohin seid ihr entflohen?

Sagt, wo hauset ihr am Tage?

 

Unter alten Tempeltrümmern,

Irgendwo in der Romagna,

(Also heißt es) birgt Diana

Sich vor Christi Tagesherrschaft.

 

Nur in mitternächt'gem Dunkel

Wagt sie es hervorzutreten,

Und sie freut sich dann des Weidwerks

Mit den heidnischen Gespielen.

 

Auch die schöne Fee Abunde

Fürchtet sich vor Nazarenern,

Und den Tag hindurch verweilt sie

In dem sichern Avalun.

 

Dieses Eiland liegt verborgen

Ferne, in dem stillen Meere

Der Romantik, nur erreichbar

Auf des Fabelrosses Flügeln.

 

Niemals ankert dort die Sorge,

Niemals landet dort ein Dampfschiff

Mit neugierigen Philistern,

Tabakspfeifen in den Mäulern.

 

Niemals dringt dorthin das blöde

Dumpf langweil'ge Glockenläuten,

Jene trüben Bumm-Bamm-Klänge,

Die den Feen so verhaßt.

 

Dort, in ungestörtem Frohsinn,

Und in ew'ger Jugend blühend,

Residiert die heitre Dame,

Unsre blonde Frau Abunde.

 

Lachend geht sie dort spazieren

Unter hohen Sonnenblumen,

Mit dem kosenden Gefolge

Weltentrückter Paladine.

 

Aber du, Herodias,

Sag, wo bist du? – Ach, ich weiß es,

Du bist tot und liegst begraben

Bei der Stadt Jeruscholayim!

 

Starren Leichenschlaf am Tage

Schläfst du in dem Marmorsarge!

Doch um Mitternacht erweckt dich

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

 

Und du folgst dem wilden Heerzug

Mit Dianen und Abunden,

Mit den heitern Jagdgenossen,

Denen Kreuz und Qual verhaßt ist!

 

Welche köstliche Gesellschaft!

Könnt ich nächtlich mit euch jagen

Durch die Wälder! Dir zur Seite

Ritt' ich stets, Herodias!

 

Denn ich liebe dich am meisten!

Mehr als jene Griechengöttin,

Mehr als jene Fee des Nordens,

Lieb ich dich, du tote Jüdin!

 

Ja, ich liebe dich! Ich merk es

An dem Zittern meiner Seele.

Liebe mich und sei mein Liebchen,

Schönes Weib, Herodias!

 

Liebe mich und sei mein Liebchen!

Schleudre fort den blut'gen Dummkopf

Samt der Schüssel, und genieße

Schmackhaft bessere Gerichte.

 

Bin so recht der rechte Ritter,

Den du brauchst – Mich kümmert's wenig,

Daß du tot und gar verdammt bist –

Habe keine Vorurteile –

 

Hapert's doch mit meiner eignen

Seligkeit, und ob ich selber

Noch dem Leben angehöre,

Daran zweifle ich zuweilen!

 

Nimm mich an als deinen Ritter,

Deinen Cavalier servente;

Werde deinen Mantel tragen

Und auch alle deine Launen.

 

Jede Nacht, an deiner Seite,

Reit ich mit dem wilden Heere,

Und wir kosen und wir lachen

Über meine tollen Reden.

 

Werde dir die Zeit verkürzen

In der Nacht – Jedoch am Tage

Schwindet jede Lust, und weinend

Sitz ich dann auf deinem Grabe.

 

Ja, am Tage sitz ich weinend

Auf dem Schutt der Königsgrüfte,

Auf dem Grabe der Geliebten,

Bei der Stadt Jeruscholayim.

 

Alte Juden, die vorbeigehn,

Glauben dann gewiß, ich traure

Ob dem Untergang des Tempels

Und der Stadt Jeruscholayim.

 

 

Caput XXI

Argonauten ohne Schiff,

Die zu Fuß gehn im Gebirge,

Und anstatt des Goldnen Vlieses

Nur ein Bärenfell erzielen –

 

Ach! wir sind nur arme Teufel,

Helden von modernem Zuschnitt,

Und kein klassischer Poet

Wird uns im Gesang verew'gen!

 

Und wir haben doch erlitten

Große Nöten! Welcher Regen

Überfiel uns auf der Koppe,

Wo kein Baum und kein Fiaker!

 

Wolkenbruch! (Das Bruchband platzte.)

Kübelweis' stürzt' es herunter!

Jason ward gewiß auf Kolchis

Nicht durchnäßt von solchem Sturzbad.

 

»Einen Regenschirm! ich gebe

Sechsunddreißig Könige

Jetzt für einen Regenschirm!«

Rief ich, und das Wasser troff.

 

Sterbensmüde, sehr verdrießlich,

Wie begoßne Pudel, kamen

Wir in später Nacht zurück

Nach der hohen Hexenhütte.

 

Dort am lichten Feuerherde

Saß Uraka, und sie kämmte

Ihren großen, dicken Mops.

Diesem gab sie schnell den Laufpaß,

 

Um mit uns sich zu beschäft'gen.

Sie bereitete mein Lager,

Löste mir die Espardillen,

Dieses unbequeme Fußzeug,

 

Half mir beim Entkleiden, zog mir

Auch die Hosen aus; sie klebten

Mir am Beine, eng und treu,

Wie die Freundschaft eines Tölpels.

 

»Einen Schlafrock! Sechsunddreißig

Könige für einen trocknen

Schlafrock!« rief ich, und es dampfte

Mir das nasse Hemd am Leibe.

 

Fröstelnd, zähneklappernd stand ich

Eine Weile an dem Herde.

Wie betäubt vom Feuer sank ich

Endlich nieder auf die Streu.

 

Konnt nicht schlafen. Blinzelnd schaut ich

Nach der Hex', die am Kamin saß

Und den Oberleib des Sohnes,

Den sie ebenfalls entkleidet,

 

Auf dem Schoß hielt. Ihr zur Seite,

Aufrecht, stand der dicke Mops,

Und in seinen Vorderpfoten

Hielt er sehr geschickt ein Töpfchen.

 

Aus dem Töpfchen nahm Uraka

Rotes Fett, bestrich damit

Ihres Sohnes Brust und Rippen,

Rieb sie hastig, zitternd hastig.

 

Und derweil sie rieb und salbte,

Summte sie ein Wiegenliedchen,

Näselnd fein; dazwischen seltsam

Knisterten des Herdes Flammen.

 

Wie ein Leichnam, gelb und knöchern,

Lag der Sohn im Schoß der Mutter;

Todestraurig, weit geöffnet

Starren seine bleichen Augen.

 

Ist er wirklich ein Verstorbner,

Dem die Mutterliebe nächtlich

Mit der stärksten Hexensalbe

Ein verzaubert Leben einreibt? –

 

Wunderlicher Fieberhalbschlaf!

Wo die Glieder bleiern müde,

Wie gebunden, und die Sinne

Überreizt und gräßlich wach!

 

Wie der Kräuterduft im Zimmer

Mich gepeinigt! Schmerzlich grübelnd

Sann ich nach, wo ich dergleichen

Schon gerochen? Sann vergebens.

 

Wie der Windzug im Kamine

Mich geängstigt! Klang wie Ächzen

Von getrocknet armen Seelen –

Schienen wohlbekannte Stimmen.

 

Doch zumeist ward ich gequält

Von den ausgestopften Vögeln,

Die, auf einem Brett, zu Häupten

Neben meinem Lager standen.

 

Langsam schauerlich bewegten

Sie die Flügel, und sie beugten

Sich zu mir herab mit langen

Schnäbeln, die wie Menschennasen.

 

Ach! wo hab ich solche Nasen

Schon gesehn? War es zu Hamburg

Oder Frankfurt, in der Gasse?

Qualvoll dämmernd die Erinnrung!

 

Endlich übermannte gänzlich

Mich der Schlaf, und an die Stelle

Wachender Phantasmen trat

Ein gesunder, fester Traum.

 

Und mir träumte, daß die Hütte

Plötzlich ward zu einem Ballsaal,

Der von Säulen hochgetragen

Und erhellt von Girandolen.

 

Unsichtbare Musikanten

Spielten aus »Robert le Diable«

Die verruchten Nonnentänze;

Ging dort ganz allein spazieren.

 

Endlich aber öffnen sich

Weit die Pforten, und es kommen,

Langsam feierlichen Schrittes,

Gar verwunderliche Gäste.

 

Lauter Bären und Gespenster!

Aufrecht wandelnd, führt ein jeder

Von den Bären ein Gespenst,

Das vermummt im weißen Grabtuch.

 

Solcherweis' gepaart, begannen

Sie zu walzen, auf und nieder,

Durch den Saal. Kurioser Anblick!

Zum Erschrecken und zum Lachen!

 

Denn den plumpen Bären ward es

Herzlich sauer, Schritt zu halten

Mit den weißen Luftgebilden,

Die sich wirbelnd leicht bewegten.

 

Unerbittlich fortgerissen

Wurden jene armen Bestien,

Und ihr Schnaufen überdröhnte

Fast den Brummbaß des Orchesters.

 

Manchmal walzten sich die Paare

Auf den Leib, und dem Gespenste,

Das ihn anstieß, gab der Bär

Ein'ge Tritte in den Hintern.

 

Manchmal auch, im Tanzgetümmel,

Riß der Bär das Leichenlaken

Von dem Haupt des Tanzgenossen;

Kam ein Totenkopf zum Vorschein.

 

Endlich aber jauchzten schmetternd

Die Trompeten und die Zimbeln,

Und es donnerten die Pauken,

Und es kam die Galoppade.

 

Diese träumt ich nicht zu Ende –

Denn ein ungeschlachter Bär

Trat mir auf die Hühneraugen,

Daß ich aufschrie und erwachte.

 

 

Caput XXII

 

Phöbus, in der Sonnendroschke,

Peitschte seine Flammenrosse,

Und er hatte schon zur Hälfte

Seine Himmelsfahrt vollendet –

 

Während ich im Schlafe lag

Und von Bären und Gespenstern,

Die sich wunderlich umschlangen,

Tolle Arabesken! träumte.

 

Mittag war's, als ich erwachte,

Und ich fand mich ganz allein.

Meine Wirtin und Laskaro

Gingen auf die Jagd schon frühe.

 

In der Hütte blieb zurück

Nur der Mops. Am Feuerherde

Stand er aufrecht vor dem Kessel,

In den Pfoten einen Löffel.

 

Schien vortrefflich abgerichtet,

Wenn die Suppe überkochte,

Schnell darin herumzurühren

Und die Blasen abzuschäumen.

 

Aber bin ich selbst behext?

Oder lodert mir im Kopfe

Noch das Fieber? Meinen Ohren

Glaub ich kaum – es spricht der Mops!

 

Ja, er spricht, und zwar gemütlich

Schwäbisch ist die Mundart; träumend,

Wie verloren in Gedanken,

Spricht er folgendergestalt:

 

»Oh, ich armer Schwabendichter!

In der Fremde muß ich traurig

Als verwünschter Mops verschmachten

Und den Hexenkessel hüten!

 

Welch ein schändliches Verbrechen

Ist die Zauberei! Wie tragisch

Ist mein Schicksal: menschlich fühlen

In der Hülle eines Hundes!

 

Wär ich doch daheim geblieben,

Bei den trauten Schulgenossen!

Das sind keine Hexenmeister,

Sie bezaubern keinen Menschen.

 

Wär ich doch daheim geblieben,

Bei Karl Mayer, bei den süßen

Gelbveiglein des Vaterlandes,

Bei den frommen Metzelsuppen!

 

Heute sterb ich fast vor Heimweh –

Sehen möcht ich nur den Rauch,

Der emporsteigt aus dem Schornstein,

Wenn man Nudeln kocht in Stukkert!«

 

Als ich dies vernahm, ergriff mich

Tiefe Rührung; von dem Lager

Sprang ich auf, an das Kamin

Setzt ich mich, und sprach mitleidig:

 

»Edler Sänger, wie gerietest

Du in diese Hexenhütte?

Und warum hat man so grausam

Dich in einen Hund verwandelt?«

 

Jener aber rief mit Freude:

»Also sind Sie kein Franzose?

Sind ein Deutscher und verstanden

Meinen stillen Monolog?

 

Ach, Herr Landsmann, welch ein Unglück,

Daß der Legationsrat Kölle,

Wenn wir bei Tabak und Bier

In der Kneipe diskurierten,

 

Immer auf den Satz zurückkam,

Man erwürbe nur durch Reisen

Jene Bildung, die er selber

Aus der Fremde mitgebracht!

 

Um mir nun die rohe Kruste

Von den Beinen abzulaufen

Und, wie Kölle, mir die feinern

Weltmannssitten anzuschleifen:

 

Nahm ich Abschied von der Heimat,

Und auf meiner Bildungsreise

Kam ich nach den Pyrenäen,

Nach der Hütte der Uraka.

 

Bracht ihr ein Empfehlungsschreiben

Vom Justinus Kerner; dachte

Nicht daran, daß dieser Freund

In Verbindung steht mit Hexen.

 

Freundlich nahm mich auf Uraka,

Doch es wuchs, zu meinem Schrecken,

Diese Freundlichkeit, ausartend

Endlich gar in Sinnenbrunst.

 

Ja, es flackerte die Unzucht

Scheußlich auf im welken Busen

Dieser lasterhaften Vettel,

Und sie wollte mich verführen.

 

Doch ich flehte: ›Ach, entschuld'gen

Sie, Madame! bin kein frivoler

Goetheaner, ich gehöre

Zu der Dichterschule Schwabens.

 

Sittlichkeit ist unsre Muse,

Und sie trägt vom dicksten Leder

Unterhosen – Ach! vergreifen

Sie sich nicht an meiner Tugend!

 

Andre Dichter haben Geist,

Andre Phantasie, und andre

Leidenschaft, jedoch die Tugend

Haben wir, die Schwabendichter.

 

Das ist unser einz'ges Gut!

Rauben Sie mir nicht den sittlich

Religiösen Bettelmantel,

Welcher meine Blöße deckt!‹

 

Also sprach ich, doch ironisch

Lächelte das Weib, und lächelnd

Nahm sie eine Mistelgerte

Und berührt' damit mein Haupt.

 

Ich empfand alsbald ein kaltes

Mißgefühl, als überzöge

Eine Gänsehaut die Glieder.

Doch die Haut von einer Gans

 

War es nicht, es war vielmehr

Eines Hundes Fell – seit jener

Unheilstund' bin ich verwandelt,

Wie Sie sehn, in einen Mops!«

 

Armer Schelm! Vor lauter Schluchzen

Konnte er nicht weitersprechen,

Und er weinte so beträglich,

Daß er fast zerfloß in Tränen.

 

»Hören Sie«, sprach ich mit Wehmut,

»Kann ich etwa von dem Hundsfell

Sie befrein und Sie der Dichtkunst

Und der Menschheit wiedergeben?«

 

Jener aber hub wie trostlos

Und verzweiflungsvoll die Pfoten

In die Höhe, und mit Seufzen

Und mit Stöhnen sprach er endlich:

 

»Bis zum Jüngsten Tage bleib ich

Eingekerkert in der Mopshaut,

Wenn nicht einer Jungfrau Großmut

Mich erlöst aus der Verwünschung.

 

Ja, nur eine reine Jungfrau,

Die noch keinen Mann berührt hat

Und die folgende Bedingung

Treu erfüllt, kann mich erlösen:

 

Diese reine Jungfrau muß

In der Nacht von Sankt Silvester

Die Gedichte Gustav Pfizers

Lesen – ohne einzuschlafen!

 

Blieb sie wach bei der Lektüre,

Schloß sie nicht die keuschen Augen –

Dann bin ich entzaubert, menschlich

Atm' ich auf, ich bin entmopst!«

 

»Ach, in diesem Falle« – sprach ich –

»Kann ich selbst nicht unternehmen

Das Erlösungswerk; denn erstens

Bin ich keine reine Jungfrau,

 

Und imstande wär ich zweitens

Noch viel wen'ger, die Gedichte

Gustav Pfizers je zu lesen,

Ohne dabei einzuschlafen.«

 

 

Caput XXIII

Aus dem Spuk der Hexenwirtschaft

Steigen wir ins Tal herunter;

Unsre Füße fassen wieder

Boden in dem Positiven.

 

Fort, Gespenster! Nachtgesichte!

Luftgebilde! Fieberträume!

Wir beschäft'gen uns vernünftig

Wieder mit dem Atta Troll.

 

In der Höhle, bei den Jungen,

Liegt der Alte, und er schläft

Mit dem Schnarchen des Gerechten;

Endlich wacht er gähnend auf.

 

Neben ihm hockt Junker Einohr,

Und er kratzt sich an dem Kopfe

Wie ein Dichter, der den Reim sucht;

Auch skandiert er an den Tatzen.

 

Gleichfalls an des Vaters Seite

Liegen träumend auf dem Rücken,

Unschuldrein, vierfüß'ge Lilien,

Atta Trolls geliebte Töchter.

 

Welche zärtliche Gedanken

Schmachten in der Blütenseele

Dieser weißen Bärenjungfraun?

Tränenfeucht sind ihre Blicke.

 

Ganz besonders scheint die jüngste

Tiefbewegt. In ihrem Herzen

Fühlt sie schon ein sel'ges Jucken,

Ahndet sie die Macht Cupidos.

 

Ja, der Pfeil des kleinen Gottes

Ist ihr durch den Pelz gedrungen,

Als sie ihn erblickt – O Himmel,

Den sie liebt, der ist ein Mensch!

 

Ist ein Mensch und heißt Schnapphahnski.

Auf der großen Retirade

Kam er ihr vorbeigelaufen

Eines Morgens im Gebirge.

 

Heldenunglück rührt die Weiber,

Und im Antlitz unsres Helden

Lag, wie immer, der Finanznot

Blasse Wehmut, düstre Sorge.

 

Seine ganze Kriegeskasse,

Zweiundzwanzig Silbergroschen,

Die er mitgebracht nach Spanien,

Ward die Beute Esparteros.

 

Nicht einmal die Uhr gerettet!

Blieb zurück zu Pampeluna

In dem Leihhaus. War ein Erbstück,

Kostbar und von echtem Silber.

 

Und er lief mit langen Beinen.

Aber, unbewußt, im Laufen,

Hat er Besseres gewonnen

Als die beste Schlacht – ein Herz!

 

Ja, sie liebt ihn, ihn, den Erbfeind!

Oh, der unglücksel'gen Bärin!

Wüßt der Vater das Geheimnis,

Ganz entsetzlich würd er brummen.

 

Gleich dem alten Odoardo,

Der mit Bürgerstolz erdolchte

Die Emilia Galotti,

Würde auch der Atta Troll

 

Seine Tochter lieber töten,

Töten mit den eignen Tatzen,

Als erlauben, daß sie sänke

In die Arme eines Prinzen!

 

Doch in diesem Augenblicke

Ist er weich gestimmt, hat keine

Lust, zu brechen eine Rose,

Eh' der Sturmwind sie entblättert.

 

Weich gestimmt liegt Atta Troll

In der Höhle bei den Seinen.

Ihn beschleicht, wie Todesahnung,

Trübe Sehnsucht nach dem Jenseits!

 

»Kinder!« – seufzt er, und es triefen

Plötzlich seine großen Augen –

»Kinder! meine Erdenwallfahrt

Ist vollbracht, wir müssen scheiden.

 

Heute mittag kam im Schlafe

Mir ein Traum, der sehr bedeutsam.

Mein Gemüt genoß das süße

Vorgefühl des bald'gen Sterbens.

 

Bin fürwahr nicht abergläubisch,

Bin kein Faselbär – doch gibt es

Dinge zwischen Erd' und Himmel,

Die dem Denker unerklärlich.

 

Über Welt und Schicksal grübelnd,

War ich gähnend eingeschlafen,

Als mir träumte, daß ich läge

Unter einem großen Baume.

 

Aus den Ästen dieses Baumes

Troff herunter weißer Honig,

Glitt mir just ins offne Maul,

Und ich fühlte süße Wonne.

 

Selig blinzelnd in die Höhe,

Sah ich in des Baumes Wipfel

Etwa sieben kleine Bärchen,

Die dort auf und nieder rutschten.

 

Zarte, zierliche Geschöpfe,

Deren Pelz von rosenroter

Farbe war und an den Schultern

Seidig flockte wie zwei Flüglein.

 

Ja, wie seidne Flüglein hatten

Diese rosenroten Bärchen,

Und mit überirdisch feinen

Flötenstimmen sangen sie!

 

Wie sie sangen, wurde eiskalt

Meine Haut, doch aus der Haut fuhr

Mir die Seel', gleich einer Flamme;

Strahlend stieg sie in den Himmel.«

 

Also sprach mit bebend weichem

Grunzton Atta Troll. Er schwieg

Eine Weile, wehmutsvoll –

Aber seine Ohren plötzlich

 

Spitzten sich und zuckten seltsam,

Und empor vom Lager sprang er,

Freudezitternd, freudebrüllend:

»Kinder, hört ihr diese Laute?

 

Ist das nicht die süße Stimme

Eurer Mutter? Oh, ich kenne

Das Gebrumme meiner Mumma!

Mumma! meine schwarze Mumma!«

 

Atta Troll mit diesen Worten

Stürzte wie 'n Verrückter fort

Aus der Höhle, ins Verderben!

Ach! er stürzte in sein Unglück!

 

 

Caput XXIV

In dem Tal von Ronceval,

Auf demselben Platz, wo weiland

Des Caroli Magni Neffe

Seine Seele ausgeröchelt,

 

Dorten fiel auch Atta Troll,

Fiel durch Hinterhalt, wie jener,

Den der ritterliche Judas,

Ganelon von Mainz, verraten.

 

Ach! das Edelste im Bären,

Das Gefühl der Gattenliebe,

Ward ein Fallstrick, den Uraka

Listig zu benutzen wagte.

 

Das Gebrumm der schwarzen Mumma

Hat sie nachgeäfft so täuschend,

Daß der Atta Troll gelockt ward

Aus der sichern Bärenhöhle –

 

Wie auf Sehnsuchtsflügeln lief er

Durch das Tal, stand zärtlich schnopernd

Manchmal still vor einem Felsen,

Glaubt', die Mumma sei versteckt dort –

 

Ach! versteckt war dort Laskaro

Mit der Flinte; dieser schoß ihn

Mitten durch das frohe Herz –

Quoll hervor ein roter Blutstrom.

 

Mit dem Kopfe wackelt' er,

Ein'gemal, doch endlich stürzt' er

Stöhnend nieder, zuckte gräßlich –

»Mumma!« war sein letzter Seufzer.

 

Also fiel der edle Held.

Also starb er. Doch unsterblich

Nach dem Tode auferstehn

Wird er in dem Lied des Dichters.

 

Auferstehn wird er im Liede,

Und sein Ruhm wird kolossal

Auf vierfüßigen Trochäen

Über diese Erde stelzen.

 

Der *** setzt ihm

In Walhalla einst ein Denkmal,

Und darauf, im ***

Lapidarstil, auch die Inschrift:

 

»Atta Troll, Tendenzbär; sittlich

Religiös; als Gatte brünstig;

Durch Verführtsein von dem Zeitgeist,

Waldursprünglich Sansculotte;

 

Sehr schlecht tanzend, doch Gesinnung

Tragend in der zott'gen Hochbrust;

Manchmal auch gestunken habend;

Kein Talent, doch ein Charakter!«

 

 

Caput XXV

Dreiunddreißig alte Weiber,

Auf dem Haupt die scharlachrote

Altbaskesische Kapuze,

Standen an des Dorfes Eingang.

 

Eine drunter, wie Debora,

Schlug das Tamburin und tanzte.

Und sie sang dabei ein Loblied

Auf Laskaro Bärentöter.

 

Vier gewalt'ge Männer trugen

Im Triumph den toten Bären;

Aufrecht saß er in dem Sessel,

Wie ein kranker Badegast.

 

Hinterdrein, wie Anverwandte

Des Verstorbnen, ging Laskaro

Mit Uraka; diese grüßte

Rechts und links, doch sehr verlegen.

 

Der Adjunkt des Maires hielt

Eine Rede vor dem Rathaus,

Als der Zug dorthin gelangte,

Und er sprach von vielen Dingen –

 

Wie zum Beispiel von dem Aufschwung

Der Marine, von der Presse,

Von der Runkelrübenfrage,

Von der Hyder der Parteisucht.

 

Die Verdienste Ludwig Philipps

Reichlich auseinandersetzend,

Ging er über zu dem Bären

Und der Großtat des Laskaro.

 

»Du, Laskaro!« – rief der Redner,

Und er wischte sich den Schweiß ab

Mit der trikoloren Schärpe –

»Du, Laskaro! du, Laskaro!

 

Der du Frankreich und Hispanien

Von dem Atta Troll befreit hast,

Du bist beider Länder Held,

Pyrenäen-Lafayette!«

 

Als Laskaro solchermaßen

Offiziell sich rühmen hörte,

Lachte er vergnügt im Barte

Und errötete vor Freude,

 

Und in abgebrochnen Lauten,

Die sich seltsam überstürzten,

Hat er seinen Dank gestottert

Für die große, große Ehre!

 

Mit Verwundrung blickte jeder

Auf das unerhörte Schauspiel,

Und geheimnisvoll und ängstlich

Murmelten die alten Weiber:

 

»Der Laskaro hat gelacht!

Der Laskaro hat errötet!

Der Laskaro hat gesprochen!

Er, der tote Sohn der Hexe!« –

 

Selb'gen Tags ward ausgebälgt

Atta Troll und ward versteigert

Seine Haut. Für hundert Franken

Hat ein Kürschner sie erstanden.

 

Wunderschön staffierte dieser

Und verbrämte sie mit Scharlach,

Und verhandelte sie weiter

Für das Doppelte des Preises.

 

Erst aus dritter Hand bekam sie

Juliette, und in ihrem

Schlafgemache zu Paris

Liegt sie vor dem Bett als Fußdeck'.

 

Oh, wie oft, mit bloßen Füßen,

Stand ich nachts auf dieser irdisch

Braunen Hülle meines Helden,

Auf der Haut des Atta Troll!

 

Und von Wehmut tief ergriffen,

Dacht ich dann an Schillers Worte:

Was im Lied soll ewig leben,

Muß im Leben untergehn!

 

 

Caput XXVI

Und die Mumma? Ach, die Mumma

Ist ein Weib! Gebrechlichkeit

Ist ihr Name! Ach, die Weiber

Sind wie Porzellan gebrechlich.

 

Als des Schicksals Hand sie trennte

Von dem glorreich edlen Gatten,

Starb sie nicht des Kummertodes,

Ging sie nicht in Trübsinn unter –

 

Nein, im Gegenteil, sie setzte

Lustig fort ihr Leben, tanzte

Nach wie vor, beim Publiko

Buhlend um den Tagesbeifall.

 

Eine feste Stellung, eine

Lebenslängliche Versorgung,

Hat sie endlich zu Paris

Im Jardin des Plantes gefunden.

 

Als ich dorten vor'gen Sonntag

Mich erging mit Julietten,

Und ihr die Natur erklärte,

Die Gewächse und die Bestien,

 

Die Giraffe und die Zeder

Von dem Libanon, das große

Dromedar, die Goldfasanen,

Auch das Zebra – im Gespräche

 

Blieben wir am Ende stehen

An der Brüstung jener Grube,

Wo die Bären residieren –

Heil'ger Herr, was sahn wir dort!

 

Ein gewalt'ger Wüstenbär

Aus Sibirien, schneeweißhaaricht,

Spielte dort ein überzartes

Liebesspiel mit einer Bärin.

 

Diese aber war die Mumma!

War die Gattin Atta Trolls!

Ich erkannte sie am zärtlich

Feuchten Glanze ihres Auges.

 

Ja, sie war es! Sie, des Südens

Schwarze Tochter! Sie, die Mumma,

Lebt mit einem Russen jetzt,

Einem nordischen Barbaren!

 

Schmunzelnd sprach zu mir ein Neger,

Der zu uns herangetreten:

»Gibt es wohl ein schönres Schauspiel,

Als zwei Liebende zu sehn?«

 

Ich entgegnete: »Mit wem

Hab ich hier die Ehr' zu sprechen?«

Jener aber rief verwundert:

»Kennen Sie mich gar nicht wieder?

 

Ich bin ja der Mohrenfürst,

Der bei Freiligrath getrommelt.

Damals ging's mir schlecht, in Deutschland

Fand ich mich sehr isoliert.

 

Aber hier, wo ich als Wärter

Angestellt, wo ich die Pflanzen

Meines Tropenvaterlandes

Und auch Löw' und Tiger finde:

 

Hier ist mir gemütlich wohler

Als bei euch auf deutschen Messen,

Wo ich täglich trommeln mußte

Und so schlecht gefüttert wurde!

 

Hab mich jüngst vermählt mit einer

Blonden Köchin aus dem Elsaß.

Ganz und gar in ihren Armen

Wird mir heimatlich zumute!

 

Ihre Füße mahnen mich

An die holden Elefanten.

Wenn sie spricht französisch, klingt mir's

Wie die schwarze Muttersprache.

 

Manchmal keift sie, und ich denke

An das Rasseln jener Trommel,

Die mit Schädeln war behangen;

Schlang' und Leu entflohn davor.

 

Doch im Mondschein, sehr empfindsam,

Weint sie wie ein Krokodil,

Das aus lauem Strom hervorblickt,

Um die Kühle zu genießen.

 

Und sie gibt mir gute Bissen!

Ich gedeih! Mit meinem alten,

Afrikanischen App'tit,

Wie am Niger, freß ich wieder!

 

Hab mir schon ein rundes Bäuchlein

Angemästet. Aus dem Hemde

Schaut's hervor, wie 'n schwarzer Mond,

Der aus weißen Wolken tritt.«

 

Caput XXVII

An August Varnhagen von Ense

 

»Wo des Himmels, Meister Ludwig,

Habt Ihr all das tolle Zeug

Aufgegabelt?« Diese Worte

Rief der Kardinal von Este,

 

Als er das Gedicht gelesen

Von des Rolands Rasereien,

Das Ariosto untertänig

Seiner Eminenz gewidmet.

 

Ja, Varnhagen, alter Freund,

Ja, ich seh um deine Lippen

Fast dieselben Worte schweben,

Mit demselben feinen Lächeln.

 

Manchmal lachst du gar im Lesen!

Doch mitunter mag sich ernsthaft

Deine hohe Stirne furchen,

Und Erinnrung überschleicht dich: –

 

»Klang das nicht wie Jugendträume,

Die ich träumte mit Chamisso

Und Brentano und Fouqué,

In den blauen Mondscheinnächten?

 

Ist das nicht das fromme Läuten

Der verlornen Waldkapelle?

Klingelt schalkhaft nicht dazwischen

Die bekannte Schellenkappe?

 

In die Nachtigallenchöre

Bricht herein der Bärenbrummbaß,

Dumpf und grollend, dieser wechselt

Wieder ab mit Geisterlispeln!

 

Wahnsinn, der sich klug gebärdet!

Weisheit, welche überschnappt!

Sterbeseufzer, welche plötzlich

Sich verwandeln in Gelächter!...«

 

Ja, mein Freund, es sind die Klänge

Aus der längst verschollnen Traumzeit;

Nur daß oft moderne Triller

Gaukeln durch den alten Grundton.

 

Trotz des Übermutes wirst du

Hie und dort Verzagnis spüren –

Deiner wohlerprobten Milde

Sei empfohlen dies Gedicht!

 

Ach, es ist vielleicht das letzte

Freie Waldlied der Romantik!

In des Tages Brand- und Schlachtlärm

Wird es kümmerlich verhallen.

 

Andre Zeiten, andre Vögel!

Andre Vögel, andre Lieder!

Welch ein Schnattern, wie von Gänsen,

Die das Kapitol gerettet!

 

Welch ein Zwitschern! Das sind Spatzen,

Pfennigslichtchen in den Krallen;

Sie gebärden sich wie Jovis

Adler mit dem Donnerkeil!

 

Welch ein Gurren! Turteltauben,

Liebesatt, sie wollen hassen,

Und hinfüro, statt der Venus.

Nur Bellonas Wagen ziehen!

 

Welch ein Sumsen, welterschütternd!

Das sind ja des Völkerfrühlings

Kolossale Maienkäfer,

Von Berserkerwut ergriffen!

 

Andre Zeiten, andre Vögel!

Andre Vögel, andre Lieder!

Sie gefielen mir vielleicht,

Wenn ich andre Ohren hätte!

 

 

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