Wir brauchen auf nichts zu warten.
Ragna ist dankbar, es war wirklich ein Segen, daß
* Siil oder Sil = Tobiasfisch oder Sandaal (Ammodytes Tobianus).
Karolus an den Siilstrand fahren und Teodor mitnehmen wollte. Das bedeutete Fische zu den Kartoffeln, das bedeutete Essen im Haus, gutes Essen. Du weißt doch immer einen Rat für uns, die wir bedürftig sind! sagt sie zu Karolus.
Er wehrt ab, hat jedoch im übrigen nichts dagegen, ein gutes Wort zu hören, so hoffärtig ist er: Na, gar so bedürftig werdet ihr wohl nicht mehr sein, du und dein Teodor. Ihr habt doch so prächtige Kinder.
Ja, das haben wir, gibt Ragna zu und möchte gleich eifrig weiter über ihre Kinder sprechen. Jaja, jetzt sind nur noch zwei von ihnen hier.
Wieso? fragt Karolus.
Ja, die Johanna ist nämlich mit den Pfarrersleuten nach dem Süden gereist.
So.
Ja, das war eine Sache! Johanna bettelte und weinte und wollte nicht fort von hier, aber die Pfarrersfrau wollte sie um keinen Preis hergeben, schließlich hat sie ihr sogar den Lohn erhöht.
Karolus nickt: Na, so gut hat sich das Kind also herausgemacht. Ja, da siehst du’s.
Ah, das tat wohl und war ein großes Glück, solche Worte zu hören, und Ragna fing an zu weinen.
Wo ist denn Roderik?
Er hat weiter unten in der Gemeinde eine Stelle gefunden.
Ein tüchtiger Junge. Er hätte in der Bucht bleiben können. Ich hätte ihn auf meinem Hof brauchen können.
Ja, hättest du ihn denn haben wollen?
Das ist nicht ausgeschlossen. Denn so wie die Dinge bei mir liegen, habe ich ja meine Schreiberei und verschiedene andere Dinge zu tun, und allmählich komme
ich auch in das Alter, wo einem die schwere Arbeit nicht mehr so leichtfällt.
Karolus verläßt den Laden und stapft heimwärts, und unterwegs wird er wieder in sich gekehrt. Er denkt darüber nach, was er gesagt hat, und daß er geprahlt und mit falscher Zunge geredet und sich schamlos aufgespielt hat. Das war nicht recht, und er bereute es. Wollte er denn Roderik als Knecht anstellen? Das konnte er sich doch gar nicht leisten, und nicht einmal Ezra mit seinem großen Hof hatte einen Knecht. Das Schreibpapier, das er hier in der Hand trug, war ja gar nicht für ihn selber; Ane Maria hatte ihn gebeten, es zu kaufen; sie schrieb noch dann und wann einen Brief an das Gefängnis in Drontheim. Und was den Siilstrand betrifft - hatte er doch erst in dem Augenblick an den Siilstrand gedacht, als er Ragna sah und sich in ihren Augen großartig aufführen wollte. Aber das war nun abgemacht, diese Fahrt mußte unternommen werden.
2
Und es gab mehrere gute Heringsjahre in der Bucht, nicht gerade hintereinander, es kam auch mal ein mageres Jahr dazwischen, aber dann folgten wiederum die fetten. Es war erstaunlich. Joakim, der Bürgermeister, hatte seinerzeit, als er noch ein junger Bursche war, einen abenteuerlichen Fischzug gemacht, mit einem alten Netz, das ihm sein großer Bruder geschenkt hatte, und seit jenem Jahr hatten die Heringe den Weg in die Äußere Bucht gefunden. Ein Wunderl Man merkte es an dem Zulauf, den Cafe und Herberge hatten, daß Netzmannschaften und andere Leute
in der Bucht draußen lagen; immer häufiger kamen jetzt Schiffer und Mannschaften von den Fangschiffen zum Laden, steckten Briefe in den roten Briefkasten und gingen dann ins Cafe. Pauline nahm Geld ein wie Heu.
Überhaupt kam jetzt viel Geld unter die Leute; jeder, der Milch, Fleisch und Kartoffeln verkaufen konnte, erhielt ungeheure Summen dafür, so groß war die Nachfrage; von Ezra hieß es, daß er in den letzten Jahren schweres Geld an seinen Waren verdient habe, weil er so viel zu verkaufen hatte. Ezra hatte doch immer Glück.
Eines Tages steuerte ein Kutter in die Äußere Bucht herein. Es herrschte immer noch Sturm und Unwetter, und der Kutter lag schwer am Wind mit allen seinen Segeln; endlich legte er sich Seite an Seite zu den anderen Fischereifahrzeugen und verschwand zwischen ihnen. Obgleich er keine leeren Fässer an Bord hatte, wollte wohl auch der Kutter unauffällig Heringe aufkaufen, zu welchem Zweck wäre er sonst gekommen? Er würde wohl seine geringe Menge an Fischen auf dem eigenen Kiel ausnehmen und einsalzen und dann an der Küste entlangfahren und die Heringe eimerweise verkaufen; das war wohl die Absicht. Also war das kein Fahrzeug, um das man sich zu kümmern brauchte.
Aber siehe da, der Kutter sollte trotzdem allerhand Leben und Treiben mit sich bringen. Es stellte sich heraus, daß das Schiff mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen beladen war, mit Kartoffeln, frischem Fleisch und frischer Butter, außerdem mit neumodischen Konserven und sterilisierter Milch in Dosen, mit vielerlei Nahrungsmitteln, die in öl konserviert waren, außerdem mit Sirup, Honig, Gänsefett und feinen Käsesorten in Gläsern
und in glänzenden Blechbüchsen mit goldenen und farbenprächtigen Etiketten darauf. Der Kutter war ein Laden mit einem ganz raffinierten Sortiment.
An Bord waren nur zwei Menschen, ein älterer Mann und ein junger Bursche, sie gingen nicht an Land, denn sie besaßen ja selber alles, was sie zum Leben brauchten. Sie fingen zu handeln an und fanden sofort Absatz, ihr Geschäft war vielleicht gesetzlich nicht ganz einwandfrei, aber es blühte, sie unterboten die Höfe in der Bucht, die mit der Zeit immer unverschämtere Summen für ihre Milch und ihr Fleisch gefordert hatten; sie setzten zwar die Preise für Kartoffeln und Grütze herab, dafür aber machten sie ihren Schnitt bei den Waren mit den feinen Etiketten. Es herrschte ja Leben in der Äußeren Bucht, Heringsschwärme wurden abgeriegelt, Fangschiffe nahmen Lasten auf und segelten fort, und neue Fangschiffe kamen herein; gewöhnliches Volk, Schiffer und Mannschaften hatten Geld in den Händen, sie wurden flott und leichtlebig, sie verbesserten ihre Lebensweise und kauften Leckereien in Büchsen, der Kutter hatte seine Vorräte in kurzer Zeit ausverkauft.
Und eines Tages ließ sich der ältere Mann auf dem Kutter an Land bringen. Er hatte seinen Bart gestutzt und sich fabelhaft angezogen, trug einen großen grauen Hut mit einer Spange am Band und einer Sturmschnur, die am Jackenknopf befestigt war, eine rote Samtweste und zwei blaue Janker, einen über dem anderen, jedoch beide vorne offen, um der Weste willen, die rot war. Er sah richtig gut angezogen aus, und er sah ausländisch aus.
Er schlug den Weg von der Äußeren Bucht zum Kramladen ein und schien sich gut auszukennen, denn er ging weiter, ohne zu fragen, war munter und leichtfüßig und pfiff wie ein Junge. Als er Pauline im Laden grü
ßend zunickte, sah sie ihn aufmerksam an und fand vor lauter Staunen keine Zeit, den Gruß zu erwidern.
Da drehte sich der Mann um und fing an, das Tauwerk zu betrachten; er brauche ein Ende, sagte er in echtem Nordländisch, ein Blockende für den Kutter.
Ja, Pauline nickte, dort lägen ja Taue.
Die sind zu dünn, sagte der Mann.
Na, erwiderte sie kurz, es sind ja auch dickere da.
Ja, meinte der Mann, aber das hier ist zu dick, ich kriege es nicht durch den Block.
Pauline beachtete ihn nicht mehr, sondern bediente einen anderen Kunden.
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