Als aber der Fürst der Finsternis sah, daß sich die Heiden um die Zweiglein rissen und nicht um den Baum und sah seinen großen Verlust und Schaden, so ließ er ab vom Sturm gegen Aufgang und Mittag und stellete einen Kaufmann unter den Baum, der las die Zweiglein auf, die von dem köstlichen Baume waren gefallen.
38. Und wann denn die Heiden kamen und frageten nach den guten und kräftigen Zweiglein, so bot der Kaufmann dieselben an, ums Geld zu verkaufen, damit er Wucher von dem köstlichen Baum hätte. Denn solches forderte der Fürst der Grimigkeit von seinem Kaufmanne, darum weil ihm der Baum in seinem Lande gewachsen war und verderbete seinen Acker.
39. Als nun die Heiden sahen, daß die Frucht von dem köstlichen Baume ums Geld zu verkaufen feil war, liefen sie haufenweise zu dem Kramer und kauften von der Frucht des Baumes und kamen auch von fernen Insulen dahin zu kaufen, ja von der Welt Ende.
40. Als nun der Kramer sah, daß seine Ware so viel galt, auch so angenehm war, erdachte er ihm eine List, damit er seinem Herrn möchte einen großen Schatz sammeln und schickte Kaufleute aus in alle Lande und ließ seine Ware feilbieten und hochloben. Aber er verfälschte die Ware und verkaufte andere Frucht für die gute, die nicht auf dem guten Baum gewachsen war, darum daß seines Herrn Schatz nur groß würde.
41. Die Heiden aber und alle Insulen und Völker, die auf Erden wohneten, waren alle aus dem wilden Baume gewachsen, der da gut und böse war. Darum waren sie halb blind und sahen den guten Baum nicht, der doch seine Äste ausstreckte vom Aufgang bis zum Niedergang, sonst hätten sie die falsche Waren nicht gekauft.
42. Weil sie aber den köstlichen Baum nicht kannten, der doch seine Äste über sie alle ausstreckte, so liefen sie allen den Krämern nach und kauften vermengte falsche Ware für gute und vermeineten, sie dienete zur Gesundheit. Weil sie aber alle so hart nach dem guten Baum lüsterten, der doch über ihnen allen schwebete, machte sie gesund von ihrer Grimmigkeit und wilden Geburt und nicht des Krämers falsche Ware. Das währete eine lange Zeit.
43. Als nun der Fürst in der Finsternis, der da ist der Quell der Grimmigkeit, Bosheit und Verderbens, sah, daß die Menschen gesund wurden von seinem Gift und wilden Art, von dem Geruch des köstlichen Baums, ward er zornig und pflanzete einen wilden Baum gegen Mitternacht, der wuchs 6
Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang
aus der Grimmigkeit in der Natur, und ließ ausrufen: Das ist der Baum des Lebens; wer davon isset, der wird gesund und lebet ewiglich! Denn an dem Orte, da der wilde Baum wuchs, war eine wilde Stätte; und die Völker daselbst hatten das rechte Licht aus Gott von Anfang bis zur selben Zeit, und auch noch heute nicht erkannt; und der Baum wuchs am Berge Hagar, in dem Hause Ismaels, des Spötters.
44. Da aber ausgerufen war von dem Baum: Siehe, das ist der Baum des Lebens, da liefen die wilden Völker zu dem Baum, die nicht waren aus Gott geboren, sondern aus der wilden Natur, und liebeten den wilden Baum, und aßen von seiner Frucht. Und der Baum wuchs und ward groß von dem Saft der Grimmigkeit in der Natur, und breitete seine Äste aus von Mitternacht gegen Morgen und Abend.
Der Baum aber hatte seinen Quell und Wurzel aus der wilden Natur, die da bös und gut war; und wie der Baum war, also war auch seine Frucht.
45. Weil aber die Menschen dieses Orts alle aus der wilden Natur waren gewachsen, so wuchs der Baum über sie alle, und ward also groß, daß er mit seinen Ästen reichete bis in das werte Land unter den heiligen Baum.
46. Das war aber die Ursache, daß der wilde Baum so groß ward: Die Völker unter dem guten Baum liefen alle den Krämern nach, die die falsche Ware verkauften, und aßen von der falschen Frucht, die auch bös und gut war, und vermeineten, sie würden dadurch gesund werden; und ließen den heiligen guten, kräftigen Baum immer stehen. Indes wurden sie immer blinder, matter und schwächer und konnten dem wilden Baum gegen Mitternacht nicht wehren, daß er nicht wuchs. Denn sie waren viel zu matt und schwach. Sie sahen wohl, daß es ein wilder, böser Baum war, aber sie waren zu matt und schwach und konnten ihm sein Gewächses nicht wehren. So sie aber nicht wären den Krämern mit der falschen Ware nachgelaufen und hätten von der falschen Frucht gessen, sondern hätten von dem köstlichen Baum gessen, so wären sie kräftig worden, dem wilden Baum Widerstand zu tun.
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