Da die umliegenden Gebäude sehr hoch waren und da meine Kanzlei im ersten Stock lag, ähnelte der Raum zwischen dieser Wand und der meinen nicht wenig einer riesigen viereckigen Zisterne.
In der dem Erscheinen Bartlebys unmittelbar vorhergehenden Zeit standen zwei Männer als Kopisten und ein vielversprechender Jüngling als Laufbursche in meinen Diensten. Erstens Turkey; zweitens Nippers; drittens Ginger Nut. Es mag scheinen, daß dies Namen sind, wie man sie für gewöhnlich nicht im Adreßbuch findet. In Wahrheit waren es auch Spitznamen, die meine drei Angestellten sich gegenseitig beigelegt hatten, und sie fanden, daß die Namen das Äußere oder den Charakter jeweils gut ausdrückten. Turkey war ein untersetzter, dicker Engländer und ungefähr meines Alters, das heißt an die Sechzig. Am Vormittag zeigte sein Gesicht, wie man sagen könnte, eine schöne, blühende Farbe, aber nach zwölf Uhr mittags, seiner Essenszeit, glühte es wie ein Kaminrost voller Weihnachtskohlen und glühte dann, doch gewissermaßen mit allmählichem Verblassen, fort bis etwa sechs Uhr nachmittags; danach sah ich nichts mehr von dem Eigentümer des Gesichts, das mit der Sonne seinen höchsten Stand erreichte und, wie mir schien, mit ihr sank, am folgenden Tage wieder aufging, den Zenit erklomm und unterging, mit der gleichen Regelmäßigkeit und unverminderten Pracht wie sie. Im Laufe meines Lebens sind mir viele merkwürdige Zufälle begegnet, und nicht der unbedeutendste unter ihnen war die Tatsache, daß genau dann, wenn Turkey von seinem roten und leuchtenden Gesicht die stärksten Strahlen aussandte, genau dann, in diesem kritischen Augenblick, auch täglich die Zeit begann, in der ich seine berufliche Tüchtigkeit für den Rest der vierundzwanzig Stunden als ernstlich beeinträchtigt ansah. Nicht, daß er dann völlig träge oder der Arbeit abhold war – weit gefehlt! Die Schwierigkeit bestand gerade darin, daß er dazu neigte, nun viel zu tatendurstig zu sein. Es war eine Betriebsamkeit von sonderbarer, hitziger, flüchtiger, fahriger Sorglosigkeit an ihm. Ohne Vorsicht tauchte er seine Feder ins Tintenfaß. Alle seine Tintenkleckse auf meinen Akten waren nach zwölf Uhr mittags darauf getropft. Ja nachmittags war er nicht nur sorglos und auf betrübliche Weise zur Erzeugung von Tintenklecksen geneigt, sondern an manchen Tagen ging er noch weiter und war ziemlich laut. Zu solchen Zeiten leuchtete zudem sein Gesicht in erhöhter Farbenpracht, als hätte man Kännelkohle auf Anthrazit gehäuft. Er machte unliebsamen Lärm mit seinem Stuhl, verschüttete Sand aus der Streusandbüchse, spaltete in seiner Ungeduld alle seine Federn beim Nachschneiden in Stücke und warf sie in jähem Zorn auf den Fußboden, stand auf und lehnte sich über den Tisch, wobei er seine Schriftstücke auf höchst unschickliche Weise durcheinanderbrachte – ein sehr betrüblicher Anblick bei einem bejahrten Manne wie ihm. Trotzdem war ich, da er mir in vielfacher Hinsicht höchst wertvoll und die ganze Zeit vor zwölf Uhr mittags zudem der flinkeste, stetigste Mensch war, welcher eine große Menge Arbeit auf eine Weise bewältigte, der nicht leicht gleichzukommen war, aus ebendiesen Gründen willens, über seine Verschrobenheiten hinwegzusehen, aber gelegentlich machte ich ihm doch Vorhaltungen. Allerdings tat ich es sehr behutsam, weil er, der am Vormittag der höflichste, nein der sanftmütigste und ehrerbietigste der Menschen war, am Nachmittag, wenn er gereizt wurde, dazu neigte, in seiner Redeweise etwas voreilig, offen gesagt, unverschämt zu sein. Da ich nun seine vormittäglichen Dienste sehr schätzte und entschlossen war, sie nicht zu verlieren, doch andererseits sein hitziges Benehmen nach zwölf Uhr mir lästig fiel, und da ich als friedliebender Mensch nicht gewillt war, durch meine Ermahnungen unziemliche Erwiderungen hervorzurufen, nahm ich es eines Sonnabendmittags auf mich (sonnabends war es immer besonders schlimm mit ihm), ihm, in sehr freundlichem Tone, zu bedeuten, daß es vielleicht jetzt, wo er alt werde, für ihn ratsam sei, seine Arbeitszeit zu verkürzen, mit einem Wort, er brauche nach zwölf Uhr nicht mehr in meine Kanzlei zu kommen, sondern nach dem Mittagessen tue er am besten daran, in seine Wohnung heimzukehren und sich bis zur Teestunde auszuruhen. Aber nein; er bestand auf seinem nachmittäglichen Eifer. Sein Gesicht nahm eine unerträgliche Glut an, als er mir mit Rednergebaren – er fuchtelte am anderen Ende des Zimmers mit einem langen Lineal herum – versicherte, daß seine Dienste, wenn sie am Vormittag nützlich seien – wie unentbehrlich müßten sie dann am Nachmittag sein!
»Mit Verlaub, Sir«, sagte Turkey bei diesem Anlaß, »ich betrachte mich als Ihre rechte Hand. Am Vormittag ordne ich meine Kolonnen nur und lasse sie aufmarschieren; am Nachmittag jedoch stelle ich mich an ihre Spitze und greife den Feind mutig an – so!«, und er vollführte einen heftigen Stoß mit dem Lineal.
»Aber die Tintenkleckse, Turkey«, gab ich ihm vorsichtig zu verstehen.
»Stimmt – aber, mit Verlaub, Sir, sehen Sie dieses Haar an! Ich werde alt. Ein paar Tintenkleckse an einem warmen Nachmittag, Sir, können gegen graues Haar nicht ernstlich vorgebracht werden. Das Alter ist, selbst wenn es die Seite mit Tinte bekleckst, achtbar. Mit Verlaub, Sir, wir werden beide alt.«
Diesem Appell an mein kameradschaftliches Gefühl konnte ich kaum widerstehen. Jedenfalls sah ich, gehen würde er nicht. Ich entschloß mich also, ihn zu behalten, nahm mir jedoch vor, darauf zu achten, daß er nachmittags mit meinen weniger wichtigen Schriftstücken zu tun hatte.
Nippers, der zweite auf meiner Liste, war ein backenbärtiger, fahler und, im ganzen, recht seeräuberhaft aussehender junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Ich hielt ihn stets für das Opfer zweier böser Mächte – des Ehrgeizes und der Verdauungsstörung. Der Ehrgeiz zeigte sich in einer gewissen Ungeduld gegenüber seinen Pflichten als einfacher Kopist, in eigenmächtigen Übergriffen auf rein juristische Angelegenheiten, wie etwa die Erstabfassung rechtsgültiger Dokumente. Die Verdauungsstörung schien sich kundzutun in gelegentlicher nervöser Verdrießlichkeit und grinsender Gereiztheit, durch die er bei Fehlern, die er beim Kopieren beging, hörbar mit den Zähnen knirschte, in unnötigen, eher hervorgezischten als ausgesprochnen Flüchen in der Hitze der Arbeit und vor allem in einer ständigen Unzufriedenheit mit der Höhe des Tisches, woran er arbeitete. Obgleich Nippers eine sehr erfinderische technische Begabung besaß, vermochte er es doch nie, seinen Tisch so herzurichten, daß er ihn zufriedenstellte. Er steckte Holzspäne, Klötze verschiedener Art, Pappstückchen unter die Beine, und schließlich ging er so weit, daß er eine besonders feine Abstimmung der Höhe ausprobierte, indem er als letztes gefaltetes Löschpapier darunterschob.
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