Er horchte angespannt. Der Rappe war heute abend ruhig. Rasch ging Alec zu dem Stall hinüber. Zuerst konnte er nichts sehen und nichts hören. Doch als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er die hellroten Nüstern des Pferdes, das den Kopf zu der Öffnung herausstreckte, die in die obere Hälfte der Tür geschnitten war, um den Stall wenigstens einigermaßen zu lüften.

Alec trat langsam auf den Hengst zu. Er steckte die Hand in die Hosentasche, um nachzufühlen, ob der Zucker noch darin war, den er vom Abendbrottisch mitgenommen hatte. Der Wind wehte ihm entgegen und trug seine Witterung davon. Er war jetzt ganz nahe. Der Rappe blickte auf die offene See hinaus; seine Ohren waren vorgelegt, die Nüstern bebten, die dunkle Mähne flog wie eine vom Wind hochgewehte Flamme. Alec konnte die Augen nicht von ihm wenden; er faßte es nicht, daß es ein so vollkommenes Tier auf der Welt gab.

Der Hengst wandte sich ab und schaute ihn geradewegs an; seine schwarzen Augen flammten. Wieder erfüllte das durchdringende Wiehern die Abendluft, und er verschwand im Stall. Alec nahm den Zucker aus der Tasche und legte ihn auf die Fensterbrüstung. Dann begab er sich in seine Kabine. Als er später zum Stall zurückkehrte, war der Zucker nicht mehr da. Von da an stahl sich Alec jeden Abend zum Stall, legte Zucker auf die Brüstung des Fensters und ging weg; manchmal sah er den Rappen; mitunter hörte er ihn nur auf den Boden stampfen.

 

 

 

ZWEITES KAPITEL

Der Sturm

 

Die »Drake« legte in Alexandria, Bengasi, Tripolis, Tunis und Algier an, fuhr dann durch die Meerenge von Gibraltar und folgte nordwärts der Küste Portugals. Als sie bei Kap Finisterre an der spanischen Küste vorbeikamen, sagte Kapitän Watson zu Alec, daß sie in wenigen Tagen in England landen würden.

Alec hätte gern gewußt, warum der Rappe nach England befördert wurde — ob zu Zuchtzwecken oder für Pferderennen. Die abfallenden Schultern, die tiefe, breite Brust, die kräftigen Beine, die nicht zu hoch und nicht zu tief angesetzten Knie, all dies deutete, wie sein Onkel ihn belehrt hatte, auf Geschwindigkeit und Ausdauer hin.

Als Alec eines Abends seinen üblichen Gang zum Stall unternahm, hatte er besonders viel Zucker in der Tasche, den ihm der Koch auf seine Bitte für das Pferd gegeben hatte. Es war ein schwüler, warmer Abend; schwere Wolken verdunkelten die Sterne; in der Ferne wetterleuchtete es. Der Rappe streckte den Kopf zum Fenster heraus. Auch diesmal schaute er aufs Meer, und seine Nüstern bebten mehr denn je. Er wandte sich um und wieherte, als er den Knaben sah; dann kehrte er sich wieder dem Wasser zu.

Alec freute sich: Zum erstenmal hatte sich der Hengst bei seinem Anblick nicht in den Stall zurückgezogen. Er trat näher, legte sich ein Stück Zucker auf die flache Hand und hielt es dem Hengst hin. Der Rappe wandte sich ihm zu und wieherte abermals, diesmal leiser. Alec wich und wankte nicht. Noch nie war er oder irgendein anderer dem Pferd so nahe gekommen, seit es sich an Bord befand. Er wagte es jedoch nicht, den Arm bis zu den entblößten Zähnen und den geblähten Nüstern zu strecken. Statt dessen legte er das Stück Zucker wie gewohnt auf die Fensterbrüstung. Der Rappe blickte darauf, dann wieder auf den Knaben. Langsam ging er hin und verzehrte den Zucker. Zufrieden schaute ihm Alec zu und legte ihm die übrigen Zuckerstücke hin. Dann begann es zu regnen, und er lief in seine Kabine.

Mitten in der Nacht wurde er mit erschreckender Plötzlichkeit aus dem Schlaf geweckt. Die »Drake« rollte schwer, und er war aus der Koje auf den Boden gefallen.