Die Heilkunst war vergebens,

Vergiftet war und blieb der Saft des Lebens.

Ihm half kein Aderlaß, kein Blutentzieh'n,

Nicht Kräutertränke, keine Medicin.

Nicht mehr natürlich wurde fortgeschafft

Von animalischer Entleerungskraft

Die Giftsubstanz der faulen Eiterungen.

Geschwollen sind die Röhren seiner Lungen;

Die Muskelfasern in der Brust, im Bauche

Sind schon zerfressen von der gift'gen Jauche,

Und ohne jede Wirkung sich erproben

Laxiren unten und Erbrechen oben.

Sein ganzer Leib ist eine Wunde nur.

Zu Ende geht die Herrschaft der Natur.

– Und wo Natur nicht länger helfen kann,

Leb' wohl Arznei! Zur Kirche tragt den Mann! –

 

Die Wahrheit ist, er lag im Sterben schon.

Und zu Emilia und zu Palamon

Entsandte Botschaft er, um von den Beiden,

Wie Ihr von mir jetzt hören sollt, zu scheiden:

»Nicht fassen kann mein schwermuthsvolles Herz

In klare Worte meiner Sorgen Schmerz,

Und kurze Frist bleibt mir zu leben nur.

O, Theure, die von jeder Creatur

Auf dieser Welt ich stets geliebt zumeist,

Deinem Gebet empfehl' ich meinen Geist!

Emilia! – ach, o weh mir! – welche Plagen

Hab' ich um Dich so lange schon ertragen!

Weh mir! ich sterbe! ach, Emilia mein!

Muß ich von Dir so bald geschieden sein?

Ach, theures Weib, ach, Herzenskönigin,

Mein Schatz und meines Lebens Enderin!

Was ist die Welt? Was ist des Menschen Loos?

Vom Schoß der Liebe sinkt er in den Schoß

Des kalten Grabes einsam und allein.

Leb' wohl, mein Lieb! leb' wohl, Emilia mein!

Mit Deinen weichen Armen mich umwinde,

Und liebst Du Gott, so hör', was ich verkünde:

Mit meinem theuren Vetter Palamon

Lag ich in Zank und Streit seit lange schon

Aus Liebe, wie aus Eifersucht um Dich,

Doch stehe Jupiter mir bei, daß ich

Dir eines Dieners Werth in voller Klarheit

Jetzt schildern möge nach Verdienst und Wahrheit.

Denn Ehre, Klugheit, Treue, Rittermuth,

Demuth und Freisinn, Rang und edles Blut,

Jedwede Tugend ist an ihm zu preisen;

Nie möge Jupiter mir Heil erweisen,

Wenn einen Mann ich weiß, der hier auf Erden

Verdiente mehr, von Dir geliebt zu werden,

Als Palamon, der Dir geweiht sein Leben;

Und willst Du je Dich einem Mann ergeben,

Erinnre Dich des edlen Palamon!«

 

Bei diesen Worten brach der Stimme Ton,

Und von den Füßen nach der Brust entlang

Des Todes Kälte durch die Glieder drang.

Die Lebenskraft entwich. Ihm wurden Hände

Und Arme steif. Das Leben ging zu Ende.

Es schlummerte Bewußtsein und Verstand

Allmählich ein und aus dem Herzen schwand

Ihm die Empfindung bei des Todes Nah'n;

Sein Athem stockte! doch zur Theuren sahn,

Im Brechen noch die Augen fort und fort,

Und »Dank Emilia!« war sein letztes Wort.

 

So seine Wohnung wechselnd floh der Geist

Und ging, wohin noch niemals ich gereist;

Drum nicht errathen kann ich's noch erzählen;

Ich führe kein Register über Seelen,

Noch mitzutheilen fühl' ich mich getrieben

Die Meinung derer, die den Ort beschrieben.

Arcit ist kalt; sei Mars der Seele gnädig!

Und fernerhin nun von Emilia red' ich.

 

Es heulte Palamon, Emilia schrie,

Und Theseus trug auf seinen Armen die

Besinnungslose aus der Leichenkammer.

Was hilft es mir vom tagelangen Jammer

Der Beiden gleichfalls tagelang zu klagen?

– Schwer hat ein Weib in solchem Fall zu tragen;

Wird ihr der Gatte durch den Tod genommen,

So fühlt ihr Herz sich sorgenvoll beklommen

Und Krankheit folgt nicht selten auf das Leid,

Von dem zuletzt sie nur der Tod befreit. –

 

Endlos die Schmerzen und die Thränen waren

Von altem Volk und Volk in jungen Jahren

Um des Thebaners Tod im weiten Kreise

Der ganzen Stadt. – Die Kinder wie die Greise

Beweinten ihn. Gewiß, seit man erschlagen

Vor Troja Hektor, wurden solche Klagen

Nicht mehr gehört. – Die Wangen sich zerfleischend,

Das Haar zerraufend, schrieen Weiber kreischend:

»Warum traf Dich der Tod? Du hattest Gold

Im Ueberfluß; Dir war Emilia hold!«

Theseus zu trösten war allein im Stand

Sein alter Vater Aegeus. Er verstand,

Daß in des Lebens buntem Wechselspiel

Noch immerdar die Wage stieg und fiel.

Daß Lust dem Leid und Leid der Freude weiche,

Bewies er durch Belege, durch Vergleiche.

»Wie Niemand« – sprach er – »je gestorben ist,

Der nicht zuvor gelebt hat eine Frist,

So lebt auch« – sprach er – »Niemand hier auf Erden,

Der nicht dem Tode muß zur Beute werden.

Die Welt ist eine Wallfahrt voller Leiden!

Wir sind die Pilger, kommen, wandern, scheiden;

Die Sorgen endet nur der Tod allein.«

 

Er schärfte dies dem Volk verständig ein

Nebst manchem Andern, um es zu belehren,

Im Unglück Trost dem Herrscher zu gewähren.

 

Aufs Eifrigste war Theseus nun bemüht,

Den Platz zu wählen, welcher für Arcit

Zur Ruhestatt von seinen Erdenresten

Dem Range des Verstorbnen nach am besten

Und passendsten und würdigsten erscheine.

Und er beschloß, in jenem grünen Haine,

Wo einst Arcit und Palamon entzweit

Gerungen hatten in der Liebe Streit,

Zu dem Arcit in Liebesgluth oft wallte,

Wo seines Herzens Klage widerhallte,

Den Scheiterhaufen für Arcit zu schichten,

Und dort die Leichenfeier zu verrichten.

 

Die alten Eichen ließ er niederhauen

Und niederhacken und befahl zu bauen

Aus ihren Stämmen einen Flammenstoß.

Nun war die Eile seiner Diener groß,

Um Alles herzurichten, wie befohlen.

 

Dann ließ die Leichenbahre Theseus holen

Und mit den reichsten, schwersten Goldgeweben,

So herrlich er sie nur besaß, umgeben.

Es lag in Gold gekleidet auf das Gleiche,

Mit weißen Handschuh'n angethan, die Leiche,

Um deren Haupt ein Lorbeerkranz sich wand,

Mit blankem, scharfem Schwerte in der Hand.

Ihr Angesicht enthüllte Theseus dann

Und fing vor Rührung laut zu weinen an.

 

Und als der Morgen anbrach, ward für Alle

Zur Schau gestellt sein Leichnam in der Halle,

Und rings ertönte Jammer und Geschrei.

Und schmerzbewegt kam Palamon herbei,

Im schwarzen Kleid, von Thränen ganz benetzt,

Das Haar voll Asche, seinen Bart zerfetzt,

Denn nach der weinenden Emilia war

Kein Jammervoll'rer in der ganzen Schaar.

 

Damit der Trauerzug dem Rang der Leiche

An Pomp und Pracht zur höchsten Ehr' gereiche,

Ließ Theseus auf drei großen, weißen Rossen,

Von blanken Eisenpanzern rings umschlossen

Und mit dem Wappen von Arcit geziert,

Die Waffen, die im Leben er geführt,

Von Reitern tragen; und der erste Reiter

Hielt seinen Speer und seinen Schild ein zweiter;

Ein dritter führte seinen türk'schen Bogen

Und seinen Köcher, reich mit Gold bezogen.

 

So ritten still mit trübem Angesichte

Sie zu dem Haine, wie ich nun berichte:

 

Getragen ward die Bahre mit der Leiche

Vom höchsten Adel aus dem Griechenreiche;

Dem Hauptweg folgend, lenkten sie mit nassen,

Verweinten Augen langsam durch die Gassen

Der gänzlich schwarz behängten Stadt entlang,

Die überall zu trauern schien, den Gang.

Aegeus, der alte, ging zur rechten Hand,

Zu seiner linken Theseus sich befand,

Und Goldgefäße hielten sie in Händen,

Um Honig, Wein und Milch und Blut zu spenden.

Dann folgte Palamon im Freundeskreise;

Und in den Händen, wie es Brauch und Weise,

Zum Leichendienst die Feuerbrände tragend,

Zuletzt Emilia, schmerzerfüllt und klagend.

 

Lang war die Arbeit und die Mühe groß,

Bis aufgerichtet war der Flammenstoß,

Der grüne Wipfel bis zum Himmel reckte

Und zwanzig Faden breit die Arme streckte,

Das heißt: die Aeste hatten solche Länge.

 

Den Grund zu legen, wurde Stroh in Menge

Herbeigeschafft. Doch, wie die Gluth geschürt

Und welchen Namen jeder Baum geführt,

Den man gefällt, wie Fichte, Rüster, Eiche,

Platane, Linde, Dorn- und Haselsträuche,

Kastanie, Pappel, Esche, Lorbeer, Eibe,

Euch näher zu erzählen, unterbleibe.

Auch wo, von ihren Wohnungen vertrieben,

Die obdachlosen Waldesgötter blieben,

Und wie am Ort, wo sie gelebt in Frieden,

Hamadryaden, Faune, Nymphen schieden;

Wie Vögel und Gethier, von Furcht gepackt,

Geflohen, als die Bäume man gehackt;

Wie Waldesgrund, einst dicht belaubt, jetzt kahl,

Mit Schrecken sah den ersten Sonnenstrahl;

Wie Unterlagen man von Stroh errichtet,

Und trockne Reiser dreifach aufgeschichtet

Und grünes Holz, und wie von Specerei'n

Und goldnen Tüchern, kostbarem Gestein

Und blumenreichen Kränzen Alles voll;

Wie Duft aus Weihrauch und aus Myrrhen quoll,

Wie von Arcit darin die Erdenhülle

Gelegt in ihres Schmuckes reicher Fülle,

Wie nach dem Brauch der Zeit Emiliens Hand

Zuerst entzündete des Feuers Brand,

Wie sie in Ohnmacht fiel, als dies gethan,

Was sie gesprochen und geschrien im Wahn;

Wie sich die Flammen rasend rasch vermehrt,

Und was an Edelsteinen und an Werth,

Was sie an Kleidern, Schilden und an scharfen

Und langen Speeren in das Feuer warfen,

Wie becherweise Wein und Milch und Blut

Gegossen in des Feuers wilde Gluth;

Wie dreimal dann in weitgedehntem Bogen

Die Griechen reitend um das Feuer zogen,

Es links umkreisend, und wie dreimal tönte

Ihr Wehgeschrei, ihr Speergerassel dröhnte;

Wie dreimal scholl der Weiber Jammerklagen;

Wie heimwärts man Emilia getragen,

Und wie Arcit zu Aschenstaub zerfiel;

Wie in der Nacht darauf mit manchem Spiel

Die Griechen kürzten ihre Leichenwache –

Das zu erzählen, ist nicht meine Sache;

Noch wer von ihnen in des Ringkampfs Gang

Sich, nackt und ölgetränkt, den Preis errang;

Auch meld' ich nicht, wie nach Athen zu Haus

Ein Jeder zog, sobald die Feier aus;

Denn rasch zum Schlusse denk' ich hinzuwenden,

Das lang Erzählte nunmehr kurz zu enden.

 

Im Lauf der Jahre trocknete die Zeit

Der Griechen Thränen, und der Trauer Kleid

Beschloß man männiglich nicht mehr zu tragen;

Und in Athen – scheint mir – begann zu tagen

Ein Parlament, das mancherlei erwog

Und auch ein Bündniß in Betrachtung zog

Mit andern Staaten, falls dem anzuschließen

Sich die Thebaner willig finden ließen.

 

Vor Theseus zu erscheinen unverweilt,

Ward daher Palamon Befehl ertheilt,

Der, ahnungslos, weßhalb nach ihm gesandt,

Mit trauervollem Herzen und Gewand

Sich nach Athen begab, wie ihm befohlen.

– Doch für Emilia ließ ihn Theseus holen. –

Als Alle Platz genommen, Jeder stumm,

Und Herzog Theseus seinen Blick ringsum

Zunächst geworfen eine Weile lang,

Eh' sich ein Laut der weisen Brust entrang,

Begann betrübt zu seufzen er im Stillen,

Und kündete dann also seinen Willen:

 

»Als einst der allerhöchste Lenker droben

Der Liebe schöne Kette hat gewoben,

War groß sein Ziel und seine Absicht klug;

Er wußte wohl, was er im Sinne trug.

Denn mit der schönen Liebeskette band

Er dauernd Feuer, Wasser, Luft und Land

In fester Gränzen wandellosem Ort.

Derselbe Fürst und Lenker« – fuhr er fort –

»Hat zugetheilt in dieser Welt voll Trauer

Besondern Tagen auch bestimmte Dauer

Für alle, die geboren sind auf Erden;

Und diese können nicht verlängert werden,

Wenn ihre Frist man auch beschränken kann.

Ich führe nicht Autoritäten an;

Denn längst hat die Erfahrung es gelehrt;

Indeß auch meine Meinung sei erklärt.

 

Wie man aus dieser Ordnung leicht erkennt,

Steht fest und ewig Gottes Regiment,

Und Jeder weiß, sofern er nicht ein Thor,

Daß aus dem Ganzen geht der Theil hervor.

Denn nicht ein Theil, ein Bruchstück ist's gewesen,

Woraus Natur entstand, vielmehr ein Wesen

Von steter Dauer und Vollkommenheit;

Nur nach und nach sank sie zur Endlichkeit.

 

Mit weiser Vorsicht hat der Herr der Welt

So gut durch seine Satzung festgestellt,

Daß jedes Ding nach Classe wie nach Art

Durch Folge nur die Dauer sich bewahrt,

Und nicht auf ewig in sich fortbesteht,

Wie Ihr mit eignen Augen es erseht.

Zur Eiche blickt: wie war ihr Wachsthum lang

Seit aus dem Keime sie zuerst entsprang.

Lang ist ihr Leben, wie wir alle sehn,

Und doch – zuletzt muß dieser Baum vergehn!

Denkt: auch der harte Stein, den Tag für Tag

Der Fuß betritt, verschwindet nach und nach

Und liegt zuletzt uns nicht im Wege mehr.

Der breite Strom wird oftmals wasserleer,

Die großen Städte fallen und verschwinden;

Ihr seht es – Alles muß ein Ende finden.

Kein Mann, kein Weib kann diesem Loos entfliehn

Es kennt der Tod nicht zweierlei Termin;

Das heißt: ob alt ob jung, bedeutet wenig,

Denn sterben muß der Page wie der König!

Der stirbt im Bett, der wird des Meeres Beute,

Der bleibt im Feld – das wissen alle Leute.

Den gleichen Weg geht Alles in der Welt;

Wohl mag ich sagen, jedes Ding zerfällt.

Ist es nicht so von Jupiter beschlossen?

Er ist der Herr, dem jedes Ding entsprossen,

Der über Alles, was durch ihn gestaltet,

Bekanntlich auch nach eignem Willen schaltet.

Und kein Geschöpf kann diesem widerstreben,

Was auch sein Rang auf Erden und im Leben.

Mir scheint, es ist so weise, wie gescheidt,

Macht man zur Tugend die Nothwendigkeit.

Fügt Euch darin, daß noch kein Mensch hienieden

Dem Loos entrann, das ihm vorher beschieden.

Wer dies bemurrt, der lehnt sich als ein Thor

Und ein Rebelle gegen Gott empor.

 

Die größte Ehre sich ein Mann erwirbt,

Der in der Blüthe seiner Würde stirbt.

Dann bleibt sein guter Ruf ihm stets gewahrt,

Und Schmach den Freunden und ihm selbst erspart.

Weit freudiger sei dessen Tod begrüßt,

Der ehrenvoll ein junges Dasein schließt,

Als der des Greises, wenn erblaßt sein Ruhm

Und längst vergessen ist sein Ritterthum.

Den rühmlichsten und besten Tod erleidet,

Wer in dem Vollglanz seines Ruhmes scheidet.

 

Nur Eigensinn kann diesem widerstreben!

Was murren wir, anstatt uns zu ergeben,

Daß uns Arcit, des Ritterthumes Blume,

Entrissen ward in seinen höchsten Ruhme,

Als er des Leibes fauler Haft entflohn?

Weßwegen will sein Vetter Palamon,

Sein liebend Weib ihm dieses Glück nicht gönnen?

Weiß Gott, wie soll er ihnen danken können,

Daß sie sich selbst und seinen Geist so kränken?

– Doch kaum vermögen Andres sie zu denken! –

 

Was ist der langen Rede letzter Schluß?

Ich denke: Freude folge dem Verdruß!

 

Dankbar empor laßt uns die Hände heben

Zu Jupiter, eh' wir uns fortbegeben.

Wir machen – rath' ich – aus zwei dunklen Sorgen

Für immerdar den hellsten Freudenmorgen!

Und seht, wo diese Sorge ist am größten,

Da will zuerst auch helfen ich und trösten!

 

Schwester!« – so sprach er – »es ist fest beschlossen

Durch Beistimmung der Parlaments-Genossen,

Daß Deinem edlen Ritter Palamon,

Der Dir gedient so lange Jahre schon,

Seit Du ihn kennst, mit Willen, Herz und Hand,

Nun Deine Gnade werde zugewandt,

Um ihn als Gatten und als Herrn zu ehren!

Reich' mir die Hand, denn so ist mein Begehren!

Zeig' weiblich Mitleid! Als der Bruderssohn

Von einem Könige verdient er's schon.

Wenn er ein armer Junggesell einst schien,

Und widerwärtig das Geschick für ihn,

So dient' er Dir doch manches liebe Jahr,

Das mußt Du in Erwägung ziehn, fürwahr!

Drum sei auch Gnade jetzt für Recht erkannt!«

 

Zum edlen Ritter Palamon gewandt,

Sprach er: »Mich dünkt's, nicht lange muß ich pred'gen,

Um zwischen uns die Sache zu erled'gen!

Komm her, und nimm die Dame bei der Hand!«

 

Und somit ward geschlossen jenes Band,

Das manchmal Ehe heißt und manchmal Heirath!

Und die Barone gaben ihren Beirath.

So mit Musik und aller Seligkeit

Hat Palamon Emilia gefreit.

Und Gott, der alle Welt gemacht und lenkt,

Hat nach Verdienst mit Segen sie beschenkt;

Denn Palamon auf immerdar zu Theil

Ward Freude, Reichthum und jedwedes Heil;

Stets zärtlich blieb Emilia ihm ergeben,

Und ihrem Dienste war geweiht sein Leben.

Nie Eifersucht und nie ein böses Wort,

Nie trübte Leid ihr Lebensglück hinfort.

 

So sei von Beiden mein Bericht geschlossen.

Behüt' Euch Gott, Ihr Pilgerfahrtsgenossen!

Der Prolog des Müllers.

 

Vers 3111–3186.

 

Als so der Ritter den Bericht geendet,

Ward der Erzählung Beifall rings gespendet.

Schön sei und werth der Rückerinnerung,

Was vorgetragen – sprachen Alt und Jung,

Besonders aber alle feinern Herr'n;

Und lachend schwur der Wirth: »So hab' ich's gern!«

Das lob' ich mir; der Sack ist aufgethan!

Laßt sehn, wer kommt als Folgender daran?

Das Spiel ist gut begonnen, das gesteh' ich!

Kommt her, Herr Mönch, und seid Ihr dazu fähig,

Macht's der Erzählung unsres Ritters gleich.

 

Der Müller, der, vor Trunkenheit ganz bleich,

Auf seinem Gaule turkelnd hing im Sitze,

Zog nicht den Hut und rückte nicht die Mütze,

Denn höflich gegen irgend wen war nie er.

Mit einer Stimme, wie Pilatus, schrie er

Und schwur bei Armen und bei Blut und Bein:

»Die herrlichste Geschichte fällt mir ein,

Durch welche die des Ritters übertroffen!«

 

Der Gastwirth sah, daß er in Bier besoffen

Und sprach: »Mein lieber Robert, laß es sein!

Räum' einem Besseren den Vorrang ein,

Hör' auf, und halte Frieden jetzt und Ruh'!«

 

Er aber sprach: »Gott straf' mich, wenn ich's thu'!

Laß mich erzählen, oder ich geh' fort!«

 

»Zum Teufel,« – sprach der Wirth – »behalt' das Wort!

Du bist ein Narr und hirnverwirrt im Rausche!«

 

»Nun« – sprach der Müller – »All' und Jeder lausche!

Jedoch zunächst erklär' ich Euch ganz offen,

– Die Stimme sagt es mir – ich bin besoffen,

Und sollt' ich mich versprechen und mißsagen,

Das Bier von Southwark bitt' ich anzuklagen.

 

Zum Besten laßt Legende mich und Leben

Vom Zimmermann und seinem Weibe geben,

Dem ein Scholar zurecht gerückt die Kappe.«

 

Der Landverwalter rief: »Schließ' Deine Klappe!

Laß die besoff'ne, garst'ge Zoterei!

Denn sündhaft ist's und große Narrenthei,

Jemanden zu beschimpfen und zu kränken

Und üblen Nachruf auf die Frau'n zu lenken.

Dir bleibt genug von Anderm zu erzählen!«

 

An Antwort ließ der Müller es nicht fehlen

Und sprach: »Nun, Oswald, lieber Bruder mein!

Wer keine Frau hat, kann kein Hahnrei sein!

Doch sag' ich nicht, so sei's mit Dir bestellt!

Viel gute Weiber leben auf der Welt.

Was nimmst an meinem Wort Du Aergerniß?

Ich hab' ein Weib, so gut wie Du, gewiß;

Jedoch für meine Stiere vor dem Pflug

Nähm' ich auf mich nicht mehr, als was genug,

Und denke von mir selbst nicht, ich sei einer,

Viel lieber will ich glauben, ich sei keiner.

Denn spürt ein Ehemann nicht zu genau

In Gottes Heimlichkeit und die der Frau,

Wird ihm auch Gottes Ueberfluß nie fehlen,

Und um den Rest braucht er sich nicht zu quälen.«

 

Der Müller wollte – um mich kurz zu fassen –

In seinen Worten sich nicht meistern lassen,

Und er erzählte seine Schandgeschichte,

Die ich Euch nunmehr wortgetreu berichte.

Indessen bitt' ich, nehm' kein Ehrenmann

– Um Gotteswillen – Aergerniß daran.

Was Jeder vorgetragen, muß ich eben,

Ob's gut, ob's schlecht, getreulich wiedergeben,

Will ich den Inhalt nicht zu sehr verkehren.

 

Drum, wer nicht Lust hat, weiter zuzuhören,

Schlag' um das Blatt und treffe seine Wahl;

Denn kurz und lang sind hier in großer Zahl

Auch ehrbare Geschichten vorerzählt,

Worin Moral und Heiligkeit nicht fehlt.

Und greift Ihr fehl, legt es nicht mir zur Last!

Ihr wißt, der Müller war ein schlimmer Gast

Wie der Verwalter und manch' Andre leider,

Und zotenhaft sind die Geschichten Beider.

Ihr seid gewarnt, daher müßt Ihr nicht schelten;

Was nur ein Spaß ist, darf als Ernst nicht gelten.

 

Die Erzählung des Müllers.

 

Vers 3187–3852.

 

In frühern Zeiten war in Oxenford

Ein reicher Filz und Zimmermann, der dort

Ein Kosthaus hielt, in welches ein Scholar

Von wenig Mitteln eingezogen war.

Er war der Kunst beflissen, doch daneben

Höchst eifrig der Astrologie ergeben,

Und gab, befragt darum zur rechten Stunde,

Auch durch gewisse Schlüsse sichre Kunde,

Ob Regen käme, oder Sonnenschein;

Und er verstand genau zu prophezei'n

Das künftige Geschick von Jedermann,

Ja, vieles mehr, als ich erwähnen kann.

Den flinken Niklaus hieß man den Scholaren;

In Liebeshändeln war er wohlerfahren

Und ein höchst schlauer und verschwiegner Gast,

Doch mädchenhaft in seinem Aeußern fast;

Und ohne Mitbewohner, ganz allein

Nahm er ein Zimmer in dem Kosthaus ein.

Mit süßen Kräutern war bedeckt die Flur;

Er selbst war süßer, als das Süßholz nur

Und Baldrian es irgend sind. – Man fand

Den Almagest und manchen Bücherband,

Ein Astrolabium, seiner Kunst geweiht,

Nebst Algorithmensteinen, wohl gereiht,

Im Sims zu Kopf des Bettes an der Wand;

Und roth behangen war sein Kleiderstand.

Und oben drüber hing die lust'ge Laute,

An deren Spiel er Abends sich erbaute.

Gar lieblich durch das ganze Zimmer klang,

Wenn Angelus ad virginem er sang

Und hinterdrein das Königslied begann;

Und Jeder pries sein lust'ges Stimmorgan;

Und so verging die Zeit für den Studenten

Nach Maße der Stipendien und Renten.

 

Der Zimmermann, seit kurzem erst vermählt,

War toll verliebt ins Weib, das er erwählt,

Und da sie – glaub' ich – achtzehn Jahre kaum,

Hielt er aus Eifersucht sie scharf im Zaum.

Denn sie war wild und jung und er war alt,

Und Hörner wüchsen – dacht' er – allzubald.

Roh an Verstand, war fremd ihm Catos Lehre,

Daß sich am besten Gleich und Gleich bewähre;

Man müsse sich stets angemessen paaren,

Oft läge Jung und Alt sich in den Haaren.

 

Doch in die Falle war der Mann gerathen

Und trug die Last, wie's vor ihm Andre thaten.

 

Schön von Gesicht war seine junge Frau

Und, wie ein Wiesel, zart und schlank von Bau.

Von Seide war der Gürtel, den sie trug.

Und weiß, wie Morgenmilch, ihr Schürzentuch,

Das um die Lenden faltenreich geschlagen.

Bestickt, so vorn wie hinten, war am Kragen

Ihr weißes Hemd mit kohlenschwarzer Seide,

Und passend zu der Farbe von dem Kleide

War ausgesucht nicht minder auch das Band,

Das ihre weiße Haube rings umwand,

Die breite Seidenschleifen oben kränzten.

 

Doch wahrlich! lüstern ihre Augen glänzten.

Die beiden Brauen waren scharf gezogen,

Schwarz wie die Schlehen, lang und leicht gebogen,

Und schöner als ein junger Birnenbaum

Und zarter als des Widders Wollenflaum,

War sie für Jeden eine Augenweide.

Bestickt mit Messingperlen und mit Seide

Hing von dem Gurt die Lederbörse nieder;

Und Niemand sah, wenn er auch hin und wieder

Die ganze Welt entlang zu suchen ging',

Solch lust'ges Weibsbild, solchen Schmetterling.

Und ihrer Wangen Farbe glänzte mehr

Als Rosenobel, frisch vom Tower her,

Und ihr Gesang scholl lustiger und freier,

Als selbst das Lied der Schwalben in der Scheuer.

Gern spielte sie und hüpfte höher selber

Als um die Mütter Zicklein oder Kälber;

Ihr Mund war süß, wie Meth und Honigbräu

Und Lageräpfel unter Stroh und Heu.

Vor Wohligkeit sie, wie ein Füllen, sprang,

Kein Pfeil war grader und kein Mast so schlank.

Ein Busenschloß, das wie ein Schildknopf breit,

Befestigte den Kragen an das Kleid,

Und hohe Schnürschuh' trug sie an den Beinchen.

Sie war ein Primelchen, ein Herzensschweinchen

Für große Herr'n, im Bett mit ihr zu spaßen,

Und gut als Weib für jeden Hintersassen.

 

Nun, Herr, und nochmals, Herr, so fiel es aus,

Daß eine Tags der flinke Nikolaus

Mit dieser Frau verliebten Scherz begann,

Derweil in Osney war ihr Ehemann;

Und da die Schreiber voller Kniff' und Pfiffe,

So macht' er heimlich bei ihr Untergriffe

Und sagte: »Sei, Süßliebchen, mir zu Willen,

Ich muß vergehn, kann ich die Brunst nicht stillen!«

 

Um ihre Hüften seinen Arm er schlang,

Und sprach: »Herzliebste, sperre Dich nicht lang',

Sonst geh', bei meiner Seligkeit, ich drauf!«

 

Doch, wie ein wildes Füllen sprang sie auf,

Und rasch versteckte sie ihr Angesicht,

Und sprach: »Auf Ehre, küssen will ich nicht!

Laß sein, o Niklaus!« – rief sie – »laß es sein,

Soll ich nicht Holla! und zu Hülfe schrein!

Weg mit den Händen; guter Sitte wegen!«

 

Nun mußte Niklaus sich aufs Bitten legen

Und sprach mit solcher Ueberredungskunst,

Daß sie zuletzt ihm zugestand die Gunst.

Beim heil'gen Tom von Kent schwur sie den Eid,

Bei nächster, passender Gelegenheit,

Die sie erspähe, sei sie ihm zu Willen.

»Mein Mann« – sprach sie – »hat eifersücht'ge Grillen;

Drum sei verschwiegen und gedulde Dich,

Sonst fürcht' ich sicher noch zu Tode mich!

Treib' hierbei Alles heimlich und verborgen!«

 

»Nein,« – sagte Niklaus – »sei ganz ohne Sorgen;

Wer einem Zimmermann nicht Nasen dreht,

Der ging umsonst zur Universität!«

Darauf versprachen nochmals sie und schwörten,

Der Zeit zu warten, wie bereits wir hörten.

Als Nikolaus es so geführt zu Ende,

Schlang er den Arm ihr zärtlich um die Lende,

Ergriff die Laute, küßte herzlich sie

Und spielte dann die schönste Melodie.

 

Mit dieser guten Frau begab's sich nun,

Daß sie, um Christi eignes Werk zu thun,

Zur Kirche ging an einem Feiertage.

Ganz frisch gewaschen nach der Arbeit Plage,

Schien neben ihr der helle Tag selbst düster.

 

Nun war in jener Kirche auch ein Küster,

Mit Namen Absalon. – Sein krauses Haar

Schien hell, wie Gold, und wie ein Fächer war

Es ausgespreizt in weitem, hohem Bogen,

Und zierlich war ein Scheitel durchgezogen.

Die Haut war roth, die Augen gänsegrau;

Paulsfenster trugen seine Schuh' zur Schau,

In rothen Strümpfen er einherstolzirte.

Und das mit Spitzen reich und dick verzierte

Lichtblaue Wamms, das er am Leibe trug,

War voller Schick und saß ihm eng genug.

Darüber trug ein Chorhemd er, so weiß

Und glänzend, wie der Blüthenschnee am Reis.

Bei meiner Seel'! er war ein lust'ger Racker,

Schnitt Haar, rasirte, ließ zur Ader wacker,

War Quittungssteller und Verträgemacher,

Und tanzen konnt' er in wohl zwanzigfacher

Manier – nach Oxfords Schule will das heißen –

Und auf und nieder seine Beine schmeißen.

Er spielte die Ribebe, die Ginterne

Und dazu sang so häufig er, wie gerne,

Mit lauter Stimme seine lust'gen Schwänke;

Und in der Stadt gab's Wirthshaus nicht noch Schenke,

Wo er nicht seinen Schabernack vollführte,

Wenn eine schmucke Biermagd er dort spürte.

Doch leider ist zu sagen mir geboten,

Er f...te häßlich und riß schlimme Zoten.

Doch, trieb auch Absalon oft Scherz und Spaß,

Am Sonntag schwang er fromm das Räucherfaß,

Vor allen Kirchspiels-Frau'n, indem er scharf

Verliebte Blicke hin zu jeder warf,

Und auf das Weib vom Zimmermann vor Allen.

Sie anzusehen, war sein Wohlgefallen;

Sie sah so sauber, süß und lecker aus,

Ich wette, wie ein Kater auf die Maus,

Wär' er auf sie gern schnurstracks zugesprungen.

Von liebendem Verlangen ganz durchdrungen,

Schien Absalon, der Küster, sich zu schämen,

Der Weiber Opfergaben anzunehmen;

Aus Höflichkeit – so sagt' er – woll' er keine.

 

Es kam die Nacht. – Beim hellen Mondenscheine

Nahm die Ginterne Absalon zur Hand.

Und, seinen Sinn auf Liebeslust gewandt,

Zog er höchst lüstern und begehrlich aus

Und schlich sich vor des Zimmermeisters Haus.

Und bald darauf, bevor gekräht der Hahn,

Schlich er zur Fensterlade sich heran,

Die in der Wand des Hauses angebracht,

Und sang mit zarter Stimme sanft und sacht:

»Herzliebchen mein – ist es der Wille Dein,

Gedenke mein – in Huld und sag' nicht nein!«

Und dazu ließ er die Ginterne klingen.

 

Auf wacht der Zimmermann und hört ihn singen

Und ruft sein Weib und spricht: »Was, Alison,

Ist das da draußen nicht der Absalon,

Der an der Mauer singt von unserm Bau?«

 

Und ihrem Mann erwiderte die Frau:

»Weiß Gott, Johann! ich hör' ihn Wort für Wort.« –

 

Wie Ihr es denken könnt, so ging es fort.

Von Tag zu Tage ward in sie verliebter

Der lust'ge Absalon, so daß betrübt er

Die ganze Nacht mitsammt dem Tag durchwachte,

Die Locken kämmt' und sich fein sauber machte.

Er warb um sie durch Kuppler und durch Mägde,

Er schwur, ihr eigner Knecht zu sein, und pflegte

So trillerud wie die Nachtigall zu singen,

Ließ Nadeln, Meth und würzig Bier ihr bringen

Und heiße Waffeln; ja, er bot sogar

Selbst Gold ihr an, da sie ein Stadtkind war.

– Denn manches Weib gewinnt man nur durch Gaben,

Und dies will Küsse, jenes Prügel haben. –

 

Daß er vor ihr mit seiner Kunst sich brüste,

Spielt' er Herodes auf dem Schaugerüste.

Vergeblich blieb's in diesem Fall indessen,

Sie war in ihren Niklaus zu versessen;

Und Absalon konnt' in das Bockshorn blasen;

Für alle Mühe drehte sie ihm Nasen,

All seinen Ernst verkehrte sie in Hohn

Und narrt' und äffte stets nur Absalon.

Das Sprüchwort lügt nicht, es bleibt wahr genug,

Wenn es besagt: Wer nah' ist, der ist klug

Und kann dem Fernen oft gefährlich werden.

 

Wohl mochte toll sich Absalon geberden,

Denn, da er fern von ihrem Angesicht,

Stand ihm der nahe Niklaus stets im Licht.

– Nun, zarter Niklaus, möge Dir's gelingen,

Und Absalon laß Klagelieder singen! –

 

Und es geschah an einem Samstag nun,

Derweil ihr Mann in Osenay zu thun,

Daß Alison mit ihrem Nikolaus

Beisammen saß; und Beide machten aus,

Es solle Niklaus eine List erspähn,

Den eifersücht'gen Mann zu hintergehn,

Um, wenn das Spiel in guten Gang gebracht,

Bei ihr zu ruhn die liebe, lange Nacht.

– Darin glich sein Verlangen ganz dem ihren. –

 

Und ohne viele Worte zu verlieren,

Trug Nikolaus, der nicht zu zögern dachte,

In seine Kammer vorsorglich und sachte

Für einen Tag bis zweie Trank und Speisung.

Und sollte – so gab er ihr Unterweisung –

Nach Nikolaus der Eheherr sie fragen,

So müsse sie ihm unbefangen sagen:

Sie wisse Nichts. – Sie hätte tageslang

Ihn nicht gesehen; sicher sei er krank,

Da selbst der Dienstmagd Rufen und Geschrei

Noch sonder Antwort stets geblieben sei.

Und still verhielt vom Samstag an im Zimmer

Sich Nikolaus und that und trieb, was immer

Ihm wohlgefiel; er aß und schlief und trank

Den Sonntag durch bis Sonnenuntergang.

 

Schier Wunder nahm's den dummen Zimmermann,

Was Niklaus fehle; und er sprach sodann:

»Beim heil'gen Thomas! ich befürchte sehr,

Mit unserm Niklaus geht es schief und quer!

Verhüt' es Gott, daß er nicht plötzlich end'ge!

Fürwahr, die Welt ist jetzt solch unbeständ'ge;

Als Leiche stand heut' in der Kirche da

Ein Mann, den Montags noch beim Werk ich sah!

Steh' auf,« – sprach er zum Knecht – »nimm einen Stein,

Klopf' an die Thür, beginne laut zu schrein!

Sieh', wie es steht, und bringe kühn Bescheid!«

 

Empor sofort in aller Schnelligkeit

Der Knecht vor seine Kammerthüre lief

Und klopfte dann wie toll und schrie und rief:

»Was thut Ihr, Meister Niklaus? Werdet wach!

Wie könnt Ihr schlafen nur den ganzen Tag?«

 

Es war umsonst. Nichts regte sich. Jedoch

Er sah ganz unten an der Thür ein Loch,

Durch das die Katze hin und wieder lief;

In dieses steckte seinen Kopf er tief,

Bis er zuletzt ihn wirklich sah und fand.

 

Zum Himmel starrte Niklaus unverwandt,

Als ob er sich den neuen Mond betrachte.

 

Hinunter stieg der Knecht und hinterbrachte

Sofort dem Herrn, wie er gesehn den Mann.

Der Zimmermeister schlug sein Kreuz sodann

Und sprach: »Nun hilf uns, heil'ge Friedewid'!

Der Mensch weiß wenig, was mit ihm geschieht!

Der Mann fiel sicher durch Astronomie

In Tollheit oder sonst in Agonie!

Ich dachte lange schon, so würd' es gehn.

In Gottes Heimlichkeit soll Niemand spähn;

Und stets gesegnet sei der schlichte Mann,

Der gar nichts Andres als sein Credo kann.

Man mag's an jenem Astronomen lernen,

Der auf das Feld einst ging, um nach den Sternen

Zu gucken, um daraus zu prophezein,

Und in die Mergelgrube fiel hinein.

Die sah er nicht. – Doch leid thut mir, fürwahr!

Beim heil'gen Thomas! unser Herr Scholar;

Bald soll vergehn ihm die Studirerei,

Steht mir der Himmelskönig Jesus bei!

 

Gieb einen Stock zum Unterstemmen mir,

Du aber, Robert, hebst zugleich die Thür;

Aus seinen Studien will ich ihn schon bringen!«

 

Und zu der Kammerthüre Beide gingen.

Es war der Knecht ein kräftiger Gesell,

Aus ihren Angeln hob die Thür er schnell,

Und in das Zimmer fiel sie stracks hinein.

 

Doch still und stumm saß Niklaus, wie ein Stein,

Und auf gen Himmel starrt' er unverrückt.

 

Der Zimmermeister hielt ihn für verzückt,

Erfaßte bei den Schultern ihn mit Macht

Und schrie, ihn heftig schüttelnd, aufgebracht:

»Was Nikolaus?! Was Mann?! Schau' doch zur Erde!

Wach' auf! an Christi Noth denk' und Beschwerde!

Vor Elf und Hex' bekreuz' ich Dich!« – Und dann

Begann sofort er diesen Zauberbann,

Zuerst nach jeder Seite der vier Wälle

Und dann noch schließlich draußen vor der Schwelle:

»St. Benedict und Christus, Herr und Meister!

Beschützt dies Haus vor Nachtspuk und vor Geister!

Vorm weißen Gottseibeiuns schenket Ruh!

St. Peters Schwester, sprich, wo wohnest Du?«

 

Zuletzt begann der flinke Nikolaus

Zu seufzen, und er sagte: »Welch ein Graus!

Ist denn das Ende dieser Welt so nah'?«

 

Der Zimmermeister schrie: »Was sagst Du da?

Denk', wie wir Handwerksleute, doch an Gott!«

 

»Hol' einen Trunk mir!« – Nikolaus gebot –

»Dann sollst Du Dinge hören, die für Dich

So wichtig sind, gewißlich, wie für mich,

Und die bestimmt sind für kein andres Ohr!«

 

Der Zimmermeister ging, und kam empor

Mit starkem Bier in einem großen Krug;

Und als genommen Jeder seinen Zug,

Schloß Nikolaus die Kammerthüre wieder

Und setzte mit dem Zimmermann sich nieder

Und sagte: »Lieber, bester Wirth, Johann,

Bei Deinem Glauben schwöre mir, fortan

Streng mein Geheimniß bei Dir zu bewahren,

Denn Christi Rathschluß will ich offenbaren.

Und plauderst Du, soll es Dir schlimm bekommen!

Zur Strafe wird Dir der Verstand genommen,

Verräthst Du mich. – Drum sei auf Deiner Hut!«

 

»Verhüt' es Christ, bei seinem heil'gen Blut!«

– So sprach der dumme Mann – »Ich bin kein Wäscher

Und – sag' ich's selbst gleich – auch kein Zungendrescher.

Sprich, was Du willst, bei mir ist's gut verwahrt

Vor Weib und Kind, bei Christi Höllenfahrt!«

 

»Johann!« – sprach Niklaus – »Wahrheit liebt mein Mund!

Es wurde durch Astrologie mir kund,

Als ich den hellen Mond mir angeschaut,

Daß nächsten Montag, eh' der Morgen graut,

Ein Regen fällt von solcher Macht und Wuth,

Nicht halb so schlimm ging's her bei Noas Fluth.

In Zeit von einer Stunde wird die Welt

Ertränkt, sobald der grause Schauer fällt.

Der ganzen Menschheit geht es an den Leib!«

 

Der Zimmermeister schrie: »O, weh! mein Weib!

Weh, meine Alison! Soll sie ertrinken?!«

– Zu Boden wollt' er schier vor Sorge sinken –

»Ist nichts zu thun dagegen?« – rief er aus.

 

»O, ja, weiß Gott!« – besagte Nikolaus –

»Wenn Du nach meinem Rath zu Werke gehst,

Und nicht auf Deinem eignen Kopf bestehst.

Was Salamo gesprochen hat, bleibt wahr:

Wer Rath annimmt, den reut es nimmerdar.

Willst Du Dich meiner Weisung anbequemen,

So will ich Euch zu retten unternehmen,

Sie, Dich und mich. Nicht Segel braucht's, noch Mast.

Von Noas Rettung Du gehört wohl hast?

Ward er nicht von dem Herrn gewarnt, es werde

Durch Wasser ausgetilgt die ganze Erde?«

 

»Ja,« – sprach der Zimmermann – »das weiß ich lange.«

»Und hörtest Du« – frug Nikolaus – »wie bange

Und angst ihn damals seine Frau gemacht,

Bevor er glücklich sie ins Schiff gebracht?

Er hätte dazumal, bei meinem Leben!

All' seine schwarzen Widder drum gegeben,

Wenn sie besessen ihren eignen Kahn.

Und weißt Du, was daher der beste Plan?

Das Ding geht hastig, und wir müssen eilen.

Ich kann nicht länger predigen und weilen,

Drum schaffe gleich – und richt' es eilig aus –

Backtröge Du und Bütten in das Haus,

Für jeden eine, aber groß und gut,

Daß, wie im Schiff, wir schwimmen durch die Fluth!

Pack' Nahrung bei, doch nur genügend eben

Für einen Tag. Das Weitre wird sich geben.

Sobald hereinbricht erst die Tageshelle,

Verlaufen auch die Wasser in der Schnelle.

Doch schwatze nicht zu Robert aus der Schule!

Denn Deinen Knecht und Deine Magd, die Jule,

Kann ich nicht retten. – Frage nicht, warum?

Gott ist geheimnißvoll, und ich – bin stumm.

Sei nicht verrückt und gebe Dich zufrieden,

Daß Dir, wie Noa, solche Huld beschieden.

Dein Weib errett' ich, Du kannst ruhig sein!

Nun trolle Dich, und richt' es schicklich ein!

Und wenn für sie und Dich und mich herbei

Geschleppt Du hast die Kübel, alle drei,

Dann hängst Du untern Dachstuhl unsre Tröge,

Damit, was vorgeht, Niemand sehen möge!

Und hast Du Alles, was ich sprach, bedacht

Und Lebensmittel auch herbei gebracht

Sowie ein Beil, die Stricke zu durchtrennen,

Damit, wenn's Wasser kommt, wir schwimmen können,

Dann brich ein Loch hoch in den Giebelwall

Dicht bei dem Zaun vom Garten überm Stall,

Damit wir wissen, unsern Weg zu finden,

Sobald das Wasser anfängt zu verschwinden.

Flott schwimmst Du dann im nassen Elemente

So wie ein Entrich hinter seiner Ente.«

Dann ruf' ich: »He, Johann! He, Alison!

Seid guten Muth's! die Fluth verläuft sich schon!«

Und »Heil Dir, Meister Niklaus!« wirst Du sagen,

»Schön, guten Morgen! es beginnt zu tagen!«

»Und wie einst Noa und sein Weib, so werden

Wir Herren sein vom ganzen Land auf Erden.

Jedoch ein einz'ges Ding hab' wohl in Acht,

Sei ernst gewarnt, daß in der ganzen Nacht,

Sobald gegangen wir selbdrei an Bord,

Keiner von uns verlauten läßt ein Wort,

Noch schrei und rufe, sondern bete stille;

Zu unserm Besten ist das Gottes Wille.

Du mußt von Deiner Frau gesondert hängen,

Denn Sünde darf sich zwischen Euch nicht drängen,

In Worten nicht, und auch nicht in der That.

Laß Dir's gesagt sein. – Halte Dich parat!

Und morgen steigen wir, sobald es Nacht

Und alles schläft, in unsere Bütten sacht

Und bau'n auf Gottes Grundbarmherzigkeit. –

Doch nun geh' fort. Ich habe nicht mehr Zeit

Hierüber lang und breit zu radebrechen.

Man sagt: den Weisen sende, statt zu sprechen.

Du bist so weise, Du brauchst keine Lehren;

Daß Du uns rettest, ist mein Hauptbegehren.«

 

Mit Ach und Weh zu seufzen nun begann

In seiner Noth der dumme Zimmermann,

Und im Vertrau'n erzählt' er's seiner Frau.

Doch sie verstand weit mehr als er genau,

Wohin die wunderliche Sache zielte.

Die bis zum Tod Erschrockene sie spielte

Und schrie: »O, Wehe! mach' Dich schnell von hinnen,

Wir sind des Todes, wenn wir nicht entrinnen.

Ich bin Dein Weib und Dir getreu ergeben,

Geh', lieber Mann, und rette unser Leben!«

 

Was hat die Liebe für gewalt'ge Macht!

Wie Einbildung schon Manchen umgebracht

Mit ihrem tiefen Eindruck auf die Geister,

So jammerte der dumme Zimmermeister.

Es dünkte wirklich ihm, daß wogen er

Schon Noas Sintfluth sähe, wie das Meer,

Und sein Süßliebchen, Alison, ertrunken.

Er jammerte, in Traurigkeit versunken,

Und ächzte, weinte, seufzte, stöhnte, fluchte;

Er machte sich rasch auf den Weg und suchte

Sich Bottich, Kübel dann und Backtrog aus

Und schaffte sie verstohlen in sein Haus,

Wo er am Dachstuhl heimlich fest sie band.

Drei Leitern fertigt er mit eigner Hand

Um auf den Sprossen zwischen beiden Stangen

Zum Balken in die Tröge zu gelangen,

Und füllte darauf jede der drei Wannen

Mit Käse, Brod und gutem Bier in Kannen;

Genug, um einen Tag davon zu leben.

Jedoch, bevor er sich ans Werk begeben,

Entsandt' er seine Magd und den Gesellen

Nach London, eine Botschaft zu bestellen.

Und als der Montag endlich ging zur Ruh',

Schloß ohne Licht er seine Hausthür zu

Und sah aufs Beste jede Sache vor.

Bald stiegen dann sie alle Drei empor

Und saßen stille für geraume Frist.

 

»Nun, Paternoster!« – sagte Niklaus – »Pst!«

Und »Pst!« sprach Jan, und »Pst!« sprach Alison.

Es murmelte Gebet und Devotion

Der Zimmermeister leise dann und lauschte

Und horchte, ob der Regen draußen rauschte?

Doch wie ein Bär schlief nach des Tages Müh'

Der Zimmermeister fest und tief schon früh,

Als – denk' ich – kaum die Abendglocke tönte.

Im Herzen war er schwer bedrückt und stöhnte,

Und schnarchte häufig, denn sein Kopf lag schief.

 

Hinab die Leiter Niklaus schleunig lief,

Zog Alison ganz leise mit sich fort

Zu sich ins Bett und redete kein Wort.

Und, wo der Zimmermann gewohnt zu liegen,

Da trieben ihren Scherz und ihr Vergnügen

Jetzt fröhlich Alison und Nikolaus,

Und hielten wacker bei der Arbeit aus,

Bis daß die Glocken morgens »Laudes« rangen

Und Klosterbrüder vor dem Altar sangen.

 

Doch Absalon, dem Küster, der zur Zeit

Noch voller Liebe war und Liebesleid,

Gefiel es, diesen Montag mit viel Andern

Zum Zeitvertreib nach Osenay zu wandern.

Dort traf er einen Klosterbruder an

Und frug ihn heimlich nach dem Zimmermann.

Ihm aus der Kirche folgte rasch abseits

Der Mönch und sprach: »Seit Samstag sah bereits

Ich ihn beim Werk nicht. Möglich, daß befohlen

Ihm unser Abt hat, Zimmerholz zu holen.

Er ist gewohnt, nach Bauholz auszugehn

Und in der Scheuer über Nacht zu stehn.

Doch mag er auch in seinem Hause weilen;

Denn sichre Auskunft kann ich nicht ertheilen.«

 

Wohl war nun Absalon voll Fröhlichkeit.

»Die Nacht« – sprach er – »durchwach' ich! Jetzt ist's Zeit!

Denn das ist sicher, schon seit Tageslicht

Sah ich den Mann vor seiner Hausthür nicht.

Es muß gelingen! Nach dem ersten Krähen

Des Hahns will leise vor ihr Haus ich gehen;

Dort klopf' ich heimlich an ihr Fenster an,

Und meiner Alison erzähl' ich dann

All meine Liebesnoth, und – wie ich denke –

Wird mindestens ein Kuß mir zum Geschenke;

Denn eine Gunst mich sicherlich beglückt,

Mir hat der Mund den ganzen Tag gejückt;

Und einen Kuß will dies gewiß besagen.

Auch träumt' ich in der Nacht von Festgelagen;

Drum schlaf' ich jetzt ein Stündchen oder mehr,

Und heute Nacht geht's wach und lustig her!«

 

Als kaum der erste Hahn gekräht, stieg schon

Aus seinem Bett der lust'ge Absalon

Und zog sich an, um prächtig auszuschauen;

Süßholz und Körner fing er an zu kauen,

Um schön zu riechen, wenn er bei ihr wäre,

Nahm in den Mund noch eine Liebesbeere,

Das sähe – dacht' er – gar so zierlich aus,

Und schlich sich vor des Zimmermeisters Haus,

Vorm Fenster wartend, welches in der Wand

Nur etwa brusthoch überm Boden stand.

Er hustete und sprach im Flüsterton:

»Wie steht's, mein Honigscheibchen, Alison?

Mein Vögelchen, mein süßer Zimmetstengel,

Wach' auf mein Schatz, und sprich mit mir, mein Engel!

Du denkst wohl kaum an all mein Leid und Wehe,

Indeß vor Lieb' ich schwitze, wo ich gehe;

Und wahrlich, Wunder ist's nicht, daß ich schwitze.

Ich trau're, wie ein Lämmlein nach der Zitze!

An Treu' und Sehnsucht bin ich, Liebchen glaube,

Und an Verlangen wie die Turteltaube,

Und appetitlos wie ein Mädchen werd' ich!«

 

»Hansnarre!« – sprach sie – »Gleich vom Fenster scheer' Dich!

Hilf Gott, Gevatter, steh' doch ab davon;

Bei Christ, zu tadeln wär' ich, Absalon!

Du weißt, daß einem andern ich gewogen;

Drum trolle Dich; sonst kommt ein Stein geflogen!

Zum Teufel auch! laß schlafen mich und geh'!«

 

»Ach, ach!« – sprach Absalon – »und alle Weh'!

Daß solchen Lohn die Treue finden muß!

Gieb mir zum mindesten doch einen Kuß,

Zu Liebe mir und bei der Liebe Christi!«

 

»Und willst Du dann Dich packen?« – frug mit List sie.

 

»Ja, sicherlich, mein Schatz!« – sprach Absalon.

 

»Dann mach' Dich fertig, denn ich komme schon.«

 

Auf seine Knie' warf Absalon sich hin

Und sprach: »Welch Glückskind ich doch immer bin!

Denn hinterdrein giebt's sicherlich noch mehr! –

Komm' lieber Schatz, mein Vögelchen, komm' her!«

 

Sie aber warf das Fenster auf im Nu,

»Nun rasch und eilig!« – rief sie »mache zu!

Sonst kommen noch die Nachbarn uns dazwischen.«

 

Den Mund begann sich Absalon zu wischen

– Pechkohlenschwarze, dunkle Nacht war's noch –

Und aus dem Fenster steckte sie ihr L...

 

Wie's gehen mußte, ging es auch. – Wahrhaftig,

Er küßte sie vorm bloßen H......