saftig,
Bevor er seines Irrthums noch gewiß. –
Zurück sprang er und frug sich: »Ging ich miß?«
Er wußte ja, daß Frauen ohne Bart,
Und dennoch war das Ding ganz rauh behaart.
»Pfui!« schrie er auf. – »Was that ich nur? O, weh!«
Rasch schloß das Fenster sie und rief: »Ade!«
Und Absalon zog trüb' des Weges weiter –
»Ein Bart, ein Bart!« – schrie Nikolaus nun heiter –
»Pottsknochen! besser konnt' es gar nicht gehn!«
Doch jedes Wort konnt' Absalon verstehn
Und sprach, indem er sich die Lippen biß
Vor Wuth und Scham: »Dir zahl' ich's heim, gewiß!«
Wer rieb, wer scheuerte den Mund je so
Mit Sand und Staub, mit Lappen, Tuch und Stroh,
Wie Absalon jetzt sonder Unterlaß?
»Mich hole« – sprach er – »gleich der Satanas!
Weit lieber als die ganze Stadt – so dächt' ich –
Wär's mir, wenn meinen Schimpf nur erst gerächt ich!
O, weh! o, weh! wie war ich so verblendet!«
Die Liebe war erloschen und verendet
Seit jener Zeit, wo ihren A.... geküßt er,
Und keinen Deut gab für sie mehr der Küster.
Es war die Liebesabenteuersucht vorüber,
So gründlich war geheilt er von dem Fieber;
Er heulte nur wie ein geschlagnes Kind.
Hin durch die Straßen lief er dann geschwind
Zu einem Schmied, Gervasius geheißen,
Der in der Schmiede stets mit Pflügeschweißen
Und Messerschärfen mancherlei zu thun.
Und Absalon pocht an die Thüre nun
Und spricht: »Gervasius, öffne mir das Thor!«
»Wer bist denn Du?« – »Absalon steht davor!«
»Was, Absalon? Bei Christi Kreuzbeschwer!
Ei, benedicite, wo kommst Du her?
Was fehlt Dir nur? Gott weiß es, sicherlich
Hast Du ein schönes Mädchen auf dem Strich;
Bei St. Neot! Du weißt schon, was ich meine.«
Doch Absalon bewegte keine Steine
Von seinem Spiel und stand ihm keine Rede.
An seinem Rocken hatt' er weit mehr Heede,
Als jener dachte. – »Lieber Freund, erweisen
Kannst Du mir eine Gunst. Das heiße Eisen
In Deiner Esse« – sprach er – »leih' mir schnell,
Ich brauch's und bring' es wieder auf der Stell'.«
»Und wär' es Gold« – so sprach Gervasius rasch –
»Und ungezählte Nobel in der Tasch',
Dein soll es sein, so wahr wie ich ein Schmied!
Ei, Christi Fuß; was willst Du nur damit?«
»Das laß« – sprach Absalon – »Dich jetzt nicht quälen.
Ich werd' es eines Tages Dir erzählen.«
Am kalten Ende faßte mit der Hand er
Das Eisen an, und aus der Thür verschwand er
Und ging zurück zum Haus vom Zimmermann,
Und an die Fensterlade pocht' er an
Und hustete, wie er gethan zuvor.
Und Alison rief aus: »Wer steht davor?
Wer klopft hier an? – Ich glaub', es ist ein Dieb!«
»Nein, Nein« – sprach er – »weiß Gott, mein süßes Lieb,
Es ist Dein Absalon, Dein Schmetterling!
Von Golde« – sprach er – »bring' ich einen Ring.
Die Mutter gab ihn mir. Bei meinem Leben!
Hochfein ist er und schön gravirt daneben.
Ich schenk' ihn Dir, willst Du mich nochmals küssen!«
Niklaus, der eben aufstand, um zu p.....,
Beschloß ihn rasch, bevor er ging, zu necken
Und seinen A.... zum Kuß hinauszustecken.
Er hatte rasch das Fenster aufgestoßen,
Und aus demselben hielt er seinen bloßen
Und dicken St.... bis an die Schenkelknochen.
Und gleich darauf, als Absalon gesprochen:
»Wo bist Du Vöglein? – Ich kann Dich nicht sehn!«
Ließ einen F... der flinke Niklaus gehn,
Als wär' ein Donnerbolzen abgesendet.
War Absalon auch schier vom Streich geblendet,
Hielt er das Eisen dennoch fest, und heiß
Stieß er dasselbe Niklaus in den St....
Rings um die Kerbe, breit wie eine Hand
War ihm die Haut vom heißen Stahl verbrannt.
In Todesängsten schrie er jammervoll
Und zeterte vor Schmerz und Qual wie toll:
»Hilf! Wasser! Wasser! – Gott und alle Geister!«
Aus seinem Schlummer fuhr der Zimmermeister
Und hörte »Wasser!« schrein. Und kurz und gut,
Er dachte: »Weh' mir! jetzt kommt Noas Fluth!«
Er sprang empor und hieb im Augenblicke
Mit seinem Beile mitten durch die Stricke.
Pardautz! Mit Brod und Bier und Allem fuhr
Der Zimmermann hernieder auf die Flur
Und lag besinnungslos dort auf der Schwelle.
Holla! Heraus! Herbei! schrie'n, auf der Stelle
Aufspringend, Alison und Nikolaus;
Schnell lief die ganze Nachbarschaft ins Haus,
So groß, wie klein, und gaffte staunend an
Den bleichen und besinnungslosen Mann,
Der durch den Fall gebrochen seinen Arm.
Doch mußte tragen er allein den Harm.
Denn, wenn er sprach, so widersprachen schon
Sofort ihm Nikolaus und Alison,
Und sagten jedem, er sei gänzlich toll.
Vor Noas Fluth sei er besorgnißvoll
Seit langer Zeit gewesen und im Wahn
Hätt' er geschafft drei große Fässer an
Und oben in dem Dachstuhl aufgehängt,
Und sie um Gotteswillen arg bedrängt,
Mit ihm zu sitzen drin in Compagnie.
Und Alle lachten ob der Phantasie,
Und guckten dann und gafften hin zum Dach
Und trieben Scherz mit seinem Ungemach.
Was auch der Zimmermeister sprach und sagte,
Kein einz'ger war, der nach den Gründen fragte.
Durch Fluchen, Schwören, gänzlich unterdrückt,
Galt in der ganzen Stadt er für verrückt.
Sah ein Student den andern auf dem Wege,
Hieß es: »Der Mann ist toll, mein Herr College!«
Und Alle lachten über diese Possen.
So war des Weibes süßer Leib genossen,
Dem eifersücht'gen Zimmermann zum Torte,
Geküßt hat Abs'lon ihre Hinterpforte
Und a.. verbrannt ist Meister Nikolaus!
Glück auf die Reise! – mein Bericht ist aus.
Der Prolog des Landverwalters.
Vers 3853–3918.
Nachdem das Volk belacht den lust'gen Spaß
Vom Absalon und flinken Nikolas,
Gab's zwar verschiedne Meinung bei den Leuten,
Obschon die Meisten lachten und sich freuten;
Und wohl gefiel im Ganzen der Bericht;
Nur einzig Oswald, dem Verwalter, nicht,
Dem etwas Groll im Herzen sitzen blieb,
Dieweil er selbst das Zimmerhandwerk trieb.
Und er begann zu tadeln und zu schelten:
»Mit einem Müller könnt' ich Dir's vergelten,
Den man trotz seines Hochmuths hintergangen,
Trüg' ich nach liederlichem Zeug Verlangen.
Zu alt bin ich, um mitzuthun, indessen,
Graszeit ist hin, und Heu ist jetzt mein Fressen.
Dies weiße Haupt spricht laut von meinen Jahren,
Und mit dem Herzen steht's wie mit den Haaren.
Doch, wie die Mispel hat die Eigenart,
Daß sie erst schmeckt, wenn man sie aufbewahrt
Und faulen läßt in Dünger oder Stroh,
Geht es uns Alten, fürcht' ich, ebenso.
Bevor wir faul sind, sind wir nicht gereift,
Wir tanzen stets, so lang' die Welt uns pfeift.
Der Lust ist nie der Prickel auszuziehn;
Der Kopf wird weiß, doch bleibt der Stengel grün
Wie bei dem Lauch. – Ist uns die Kraft vergangen,
Vergeht doch nicht das Wollen und Verlangen.
Fehlt uns das Können, greifen wir zum Wort,
Denn in der Asche glüht das Feuer fort;
Es glimmen nämlich von den Funken vier,
Prahlsucht und Zorn und Lügen und Begier,
Bis in das Greisenalter noch beständig,
Und machen unsre Glieder gar unbändig,
Und werden, meiner Treu, auch nicht erkalten.
So hab' auch ich den Füllenzahn behalten.
Seit langen Jahren ist mein Lebensfaß
Schon angezapft und abwärts fließt das Naß.
Als ich geboren, schlug bereits Freund Hein
Das Spundloch auf und stieß den Zapfen ein.
Rasch rann der Strom des Lebens stets seither,
Daß nahezu mein ganzes Faß schon leer,
Es tropft und sickert nur mehr von den Dauben.
Die dumme Zunge nur kann sich erlauben,
Von Jugendsünden, die uns einst erfreuten,
Kindisch zu schwätzen, bei uns alten Leuten.«
Als unser Wirth ersah, daß der Sermon
Zu Ende war, sprach er im Herrscherton:
»Was ist der langen Rede Zweck gewesen?
Willst Du den ganzen Tag die Bibel lesen?
Der Teufel macht Verwalter zu Pastoren
Und Schuhflicker zu Schiffern und Doctoren!
Erzähle frisch und zögre nicht und stocke!
Dort ist schon Deptford und halb acht die Glocke!
Dort Greewich, wo manch böses Volk zu Haus!
Daß Du beginnst, erheischt die Zeit durchaus.«
»Nun, Herren!« – der Verwalter Oswald sprach –
»Ich bitt' Euch alle, tragt es mir nicht nach,
Wenn ich den Hut zurecht ihm etwas setze.
Für Hiebe, Hiebe – so steht's im Gesetze!«
Vom trunknen Müller uns gemeldet ward,
Wie einen Zimmermeister man genarrt;
Aus Spott wohl, denn ein solcher bin ich eben.
Doch, mit Verlaub, ich will's ihm wiedergeben
Und grade wie der Flegel will ich sprechen!
Mög' er – Gott geb' es! – seinen Nacken brechen!
Nach Splittern will in meinem Aug' er spähn,
Und kann den Balken nicht im eignen sehn!
Die Erzählung des Landverwalters.
Vers 3919–4322.
Bei Trumpington nicht fern von Cambridge fließt
Ein Bach; und unweit einer Brücke siehst
Du eine Mühle liegen an dem Bache.
Dort war – ich melde eine wahre Sache –
Seit langer Zeit ein Müller schon zu Haus.
Er spreizte stolz sich wie ein Pfauhahn aus;
Er konnte pfeifen, fischen, schießen, ringen,
Die Netze flicken und den Becher schwingen.
Eine Pavade von gewalt'ger Länge
Trug, scharfgeschliffen, er am Wehrgehänge.
Im Hosensack er einen Puffer führte,
Und in Gefahr kam, wer ihn nur berührte.
Ein Sheffield-Messer trug er in dem Strumpf.
Sein Kopf war rund und seine Nase stumpf.
Kahl war sein Schädel wie ein Affensteiß.
Auf jedem Markt schrob er empor den Preis.
Wenn man ihn nur berührte mit der Hand,
Schwur er gleich Rache, die man bald empfand.
Selbstredend war ein Dieb von Korn und Mehl er,
Doch ein geriebner und durchtriebner Stehler.
Den stolzen Simkins hieß man ihn mit Namen.
Ein Weib besaß er aus höchst edlem Samen;
Ihr Vater war der Pfaffe von dem Städtchen,
Erziehen ließ im Kloster er das Mädchen
Und gab ihr mit viel kupferne Geschirre,
Damit er Simkins, sie zu freien, kirre;
Denn, da er Freisaß, sei ihm Standes wegen
– Sprach Simkins – sehr an Jungfernschaft gelegen,
Und ohne Mitgift wollt' er keine frein.
Stolz war sein Weib und wie ein Elsterlein
So schwatzhaft. – Aber herrlich war die Schau,
Wenn – er voran und hinterdrein die Frau –
An Fest- und Feiertagen alle beide
Zur Kirche gingen, sie im rothen Kleide
Und hochbemützt in rothen Strümpfen er.
Wenn je ein Bursch so frech gewesen wär',
Sie anders wie »Madam« zu tituliren,
Mit ihr zu scherzen oder zu charmiren,
Erschlagen hätte Simkins solchen Strolch
Mit seinem Degen, Messer oder Dolch.
– Gefährlich ist der Eifersücht'gen Grimm,
Und ihre Weiber haben's immer schlimm. –
Zwar etwas schmierig, doch voll Dignität
War sie wie Wasser, das im Graben steht.
Geneigt war sie zum Aerger und zum Schelten,
Und dachte jeder Dame gleich zu gelten
An Herkunft, und weil Bildung sie empfing
Im Nonnenstift, wo sie zur Schule ging.
Ein Töchterchen von zwanzig Jahren hatten
In ihrer Ehe nur erzeugt die Gatten,
Den Buben in der Wiege ausgenommen,
Der vor sechs Monden hinterdrein gekommen.
Dick war das Mädchen und von gutem Bau,
Die Nase stumpf, die Augen klar und grau,
Die Hüften breit, die Brüste rund und voll,
Und schön ihr Haar, wenn ich nicht lügen soll.
Zur Erbin hatte, da das Kind so schön,
Der Pfaffe sein Großtöchterchen ersehn,
Auch ihr an Vieh und Gütern jeder Art
Im Heirathsfall das Eigenrecht gewahrt.
Er wünschte für sie einen Eh'genossen,
Aus altem Blut und gutem Haus entsprossen.
Antheil gebührt vom heil'gen Kirchengut
Der Descendenz vom heil'gen Kirchenblut.
Ihm schien's, sein heilig Kirchenblut zu ehren,
Erlaubt, vom heil'gen Kirchengut zu zehren.
Des Müllers Mahlverdienst war zweifellos
An Malz und Weizen rings im Lande groß.
Besonders war in Cambridge dies der Fall,
Wo ein Colleg, genannt die Söller Hall',
Zur Mühle sämmtliches Getreide sandte.
Indessen eine schwere Krankheit bannte
Den Schaffner an sein Bett, und Jedermann
Sah seinen Tod als unvermeidlich an.
War nun der Müller schon vorher ein Stehler,
So stahl jetzt hundertfach an Korn und Mehl er,
Und wenn er's früher noch mit Maß betrieb,
So war er jetzt der unverschämt'ste Dieb.
Doch ob der Rector schalt und schrie Hallo!
Das kümmerte den Müller nicht ein Stroh;
Er schwur und tobte, Lügner seien Alle!
Nun wohnten damals in der Söller Halle,
Von der ich schon gesprochen, zwei Scholaren,
Die arm, doch jung und übermüthig waren,
Und die, stets aufgelegt zu Scherz und Spaß,
Den Rector quälten sonder Unterlaß,
Mit ihrem Korn zur Mühle hin zu gehn,
Um sich das Mahlen selber anzusehn.
Sie beide wollten ihren Hals dran setzen,
Im Falle durch Gewalt und List beim Metzen
Der Müller sie nur um ein Maß beraubte.
So kam es, daß der Rector es erlaubte.
Johann und Alein hießen die Scholaren,
Aus Strother, hoch vom Norden her, sie waren,
Doch, wo die Stadt liegt, ist mir unbekannt.
Als Alein darauf Alles nun in Stand
Gerichtet, lud er seinen Sack aufs Pferd,
Und Hans und er ergriffen Schild und Schwert,
Und, da der Wege kundig war Johannes,
Ging ohne Führer eilig fort sodann es,
Bis an die Mühle sie den Sack gebracht.
Und Alein sprach: »Heil, Simon! Ei, was macht
Dein schmuckes Weib und Töchterlein? Sag' an!«
»Willkommen mir, Herr Alein und Johann!
Nun, meiner Treu,« – sprach Simkins – »was soll's geben?«
»Simon,« – sprach Hans – »die Noth lehrt beten eben;
Sich selbst bedient, wer eines Knechts entbehrt,
Sonst ist ein Narr er, wie der Weise lehrt.
Der Küchenmeister stirbt bald, wie ich wähne,
Ihm wackeln schon im Kopf die Backenzähne,
Weßhalb statt seiner ich und Alein gingen,
Das Korn gemahlen wieder heim zu bringen.
Wir bitten, eile! denn es drängt uns fort.«
»Das wird besorgt« – sprach Simkins – »auf mein Wort!
Doch wie wollt Ihr Euch nur die Zeit vertreiben?«
»Bei Gott!« – sprach Hans – »ich will am Trichter bleiben;
Ich sah noch nie, bei meines Vaters Blut!
Wie man das Korn hinunterschütten thut,
Und wie's im Trichter schüttelt hin und her!«
»Nun, Hans!« – sprach Alein – »ist das Dein Begehr,
Mach' ich's wie Du und stell', bei meiner Seel'!
Mich unten auf, zu sehen, wie das Mehl
Zum Loch hinaus und in den Kasten fällt;
Denn, wie mit Dir, ist es mit mir bestellt:
Ich bin als Müller fast so dumm wie Du!«
Der Müller aber hörte lachend zu
Und dachte: »Das sind alles nichts als Lügen,
Sie denken, Niemand könne sie betrügen;
Doch, meiner Treu'! ich übertölp'le sie
Trotz aller Schlauheit und Philosophie!
Je mehr sie kommen mit solch krummen Schlichen,
Je mehr und mehr wird von mir eingestrichen,
Und statt des Mehls bekommen sie die Klei'!
Daß ein Gelehrter nicht der Schlau'ste sei,
Ward schon dem Wolf bewiesen durch das Pferd.
All' ihre Kunst ist keinen Strohhalm werth.«
Und aus der Thüre schlich der Müller sachte,
Sobald er sah, daß es kein Aufsehn machte,
Und spähte hin und her, bis er gefunden,
Wo der Scholar das Rößlein angebunden,
Das hinten unter einer Laube stand.
Rasch schlich er sich heran und strich gewandt
Dem Gaule dann rasch übern Kopf den Zaum.
Der Hengst begann durch dick und dünn, als kaum
Er frei sich spürte, wiehernd fort zu springen
Dem Moore zu, wo wilde Mähren gingen.
Der Müller kehrte heim und sprach kein Wort,
In seiner Arbeit fuhr er munter fort
Und trieb mit den Studenten Schabernack.
Kaum war das Mehl gemahlen und im Sack,
Ging Hans hinaus, daß nach dem Gaul er sähe;
Doch der war fort, und Hans schrie: »Alle Wehe!
Ach, Alein, eile, komm' in aller Schnelle!
Um Gottes Willen, hilf mir auf der Stelle!
Ach! unser Rector hat sein Pferd verlor'n!«
Im Augenblicke gingen Mehl und Korn
Und jede Vorsicht Alein aus dem Sinn;
»Wo ist der Gaul?« – schrie er – »wo lief er hin?«
Gleichzeitig rann die Müllerin hervor:
»Da läuft, so rasch es laufen kann, im Moor«
– Rief sie – »mit wilden Mähren Euer Pferd!
Und andern Lohn ist auch die Hand nicht werth,
Die es so liederlich hier angebunden!«
»Alein,« – rief Hans – »wirf doch, bei Christi Wunden!
Dein Schwert von Dir; es wiegt, Gott mag es wissen,
Schwer wie ein Reh! Ich hab' es weggeschmissen!
Es darf, bei Gott, das Pferd uns nicht entkommen!
Warum hast Du's nicht in den Stall genommen?
Verdammter Alein! ach, Du bist ein Thor!«
In Hast und Eile rannten hin zum Moor
Die zwei Scholaren, Alein und Johann.
Der Müller sah's, und ging sogleich daran,
Ein halbes Scheffel Mehl sich auszusacken
Und hieß der Frau draus einen Kuchen backen.
Er sprach: »Wie schlau auch der Studenten Art,
Ein Müller putzt selbst ihnen noch den Bart
Trotz ihrer Weisheit! – Kinder, viel Vergnügen!
Da gehn sie hin! Nur immerzu! – Sie kriegen,
Bei meiner Treu', so leicht den Gaul nicht wieder!«
Die dummen Schüler liefen auf und nieder
Mit »Halt! – Steh' still! – Komm, komm! – Hussa, mein Thier!
Geh', pfeife Du, ich steh' und fass' ihn hier!«
Doch, kurz und gut, es war schon finstre Nacht,
Bevor sie noch trotz aller Müh' und Macht
In einen Graben ihren Gaul gehetzt
Und eingefangen ihn zuguterletzt.
So matt und naß wie Thiere nach dem Regen,
Kroch Hans hervor mit Alein, dem Collegen.
»Weh' sei dem Tag,« – sprach Hans – »der mich geboren!
Zu Schimpf und Schande sind wir auserkoren!
Gestohlen ist das Korn! Mit Spott beladen
Wird uns der Rector und die Kameraden,
Und ach! der Müller wohl vor allen Dingen!« –
So klagte Hans, als Beide fürbaß gingen
Der Mühle zu, den Braunen an der Hand,
Derweil der Müller vor dem Feuer stand.
Im Dunkeln konnten sie nicht weiter ziehn,
Drum baten sie um Gotteswillen ihn
Um Essen und um Herberg für ihr Geld.
Der Müller sagte: »Nun, wie's steht und fällt,
Und wie es ist, sei es Euch gern gewährt.
Mein Haus ist eng, doch Ihr seid hochgelehrt;
Durch Argumente dehnt Ihr einen Raum
Zur Meile aus, der zwanzig Fuß breit kaum.
Wir wollen sehn, ob Euch der Platz gereicht?
Sonst sprecht ihn größer, Eurer Kunst ist's leicht!«
Hans sagte: »Simon, bei St. Cuthberts Blut!
Dein Witz ist trefflich und die Antwort gut;
Ich hörte sagen: ist die Wahl bedingt,
Nimm, was Du findest oder man Dir bringt;
Doch, lieber Wirth, ich bitte Dich, jetzt denke
Vor allem an die Speisen und Getränke.
Sieh', hier ist Geld, das willig wir verspenden,
– Man lockt die Falken nicht mit leeren Händen –
Und unsern vollen Preis bezahlen wir.«
Der Müller schickte gleich nach Brod und Bier
Zur Stadt die Tochter und hing an den Heerd
Die fette Gans und band dann fest ihr Pferd.
Mit Tüchern von Chalons und feinem Leinen
Bedeckt' er drauf ihr Bett, das von dem seinen
Zehn bis zwölf Fuß etwa entfernt nur war. –
Nun schlief – in ihrem eignen Bette zwar –
Doch dicht dabei im selben Kämmerlein
Die Tochter, und nicht anders konnt' es sein,
Denn Herbergszimmer waren nicht im Hause.
Vergnüglich saßen sie beim Abendschmause
Und tranken weidlich starkes Bier dazu,
Und gingen gegen Mitternacht zur Ruh'.
Der Müller hatte mächtig pokulirt,
Nicht roth, nein weiß war sein Gesicht lackirt;
Mit Schlucken sprach er und mit Nasenzwang,
Als sei an Schnupfen er und Leibweh krank,
Und ganz betrunken sich zu Bette wälzt' er.
Auch seine Frau stieg, plappernd wie die Elster,
Vergnügt und lustig in das Bett geschwind.
Zu Füßen stand die Wiege mit dem Kind,
Um es zu tränken und in Schlaf zu wiegen;
Und, da kein Tropfen Bier mehr in den Krügen,
Ging auch zu Bett die Tochter, und alsdann
Zu Bette gingen Alein und Johann.
Auf keinen Schlaftrunk konnten sie mehr hoffen;
Rein war das Bier vom Müller ausgesoffen,
So daß er schnarchte wie ein Gaul im Traum;
Und auch sein Schwanzend hielt er nicht im Zaum.
Sein Weib sang kräftig ihren Rundreim mit,
Man hörte schnarchen sie auf tausend Schritt',
Und auch die Dirne schnarcht par compagnie.
Ins Ohr drang Alein diese Melodie,
Er weckte Hans und sprach: »Wie? schläfst denn Du?
Horchtest Du je solch einem Singsang zu?
Welch ein Concert wird aufgeführt von Allen!
Auf ihre Leiber möge Feuer fallen!
So Gräuliches hab' ich noch nie vernommen,
Doch soll es ihnen schließlich schlimm bekommen!
Für diese Nacht ist nicht an Schlaf zu denken;
Jedoch, was thut's? Mich soll es wenig kränken;
Denn, Hans,« – sprach er – »der Kuckuk soll mich holen!
Gelingt's mir nicht, die Dirne zu versohlen.
Wir dürfen uns entschädigen, Johann,
Denn ein Gesetz besagt: ein Jeder kann,
Sofern ein Unrecht man an ihm begangen,
Mit Fug und Recht dafür Ersatz verlangen.
Der Müller stahl das Korn uns, das ist klar,
Und da ein Unrecht zugefügt mir war,
Gebührt mir ein Ersatz auch, unbestritten,
Für meinen Schaden, welchen ich erlitten;
Bei Gottes Seele, das ist ausgemacht!«
»Nun, Alein,« – sagte Hans – »nimm Dich in Acht,
Der Müller kommt mir höchst gefährlich vor,
Störst Du ihn plötzlich aus dem Schlaf empor,
Spielt er uns beiden sicher eine Tücke!«
»Das kümmert mich« – sprach Alein – »keine Mücke!«
Stand auf und kroch zur Dirne in das Nest.
Auf ihrem Rücken schlief sie tief und fest,
Und bei ihr war er, ehe sie's erspäht,
Und, um zu schreien, war es schon zu spät,
Denn – kurz und gut – sie gingen gleich daran.
Vergnügtes Spiel! – Jetzt sprech' ich von Johann.
Ganz still lag Hans für eine kurze Zeit
Und machte sich viel Weh' und Herzeleid.
»Ach!« – sprach er – »dieses ist ein Schelmenstreich!
Ich selber – dünkt mich – bin dem Affen gleich.
Mein Freund entschädigt sich für seinen Harm,
Des Müllers Tochter hält er in dem Arm,
Und für sein Wagestück hat er Vergnügen,
Doch wie ein Strohsack muß im Bett ich liegen,
Wird eines Tags erzählt der lust'ge Scherz,
Gelt' ich als Narr und Dummbart allerwärts.
Bei meiner Treu'! auch ich will etwas wagen;
Denn wer nicht wagt, gewinnt nicht, hört' ich sagen.«
So stand er auf und schlich zur Wiege sachte,
Hob sie empor mit leiser Hand und brachte
Sie zu den Füßen seines Betts behende.
Bald machte mit dem Schnarchen auch ein Ende
Die Müllerin, verließ das Bett und p.....
Und tappte sich zurück, jedoch vermißte
Die Wiege, denn die stand nicht länger da.
»O, weh!« – sprach sie – »ich irrte mich beinah',
Ums Haar stieg ich ins Bett zu den Scholaren!
Grundgüt'ger Gott! da wär' ich faul gefahren!«
So ging sie fort, bis sie die Wiege fand
Und tappte dann sich weiter mit der Hand
Zum Bette hin, der Wiege nebenbei;
Und dachte nun, daß sie ganz richtig sei;
Denn, da es dunkel, war sie nicht im Klaren,
Doch – kurz und gut – sie kroch zu dem Scholaren
Und lag ganz still und fing zu schlafen an.
Nach kurzer Zeit erhob sich dann Johann
Und kniete sich mit Macht aufs gute Weib.
Nicht oft genoß sie solchen Zeitvertreib,
Denn hart und tief stieß er hinein wie toll.
So lebten die Scholaren freudenvoll,
Bis daß der Hahn zum dritten Mal gekräht.
Und Alein, der die ganze Nacht genäht,
War matt geworden um die Morgenzeit,
Und sprach: »Mein Miekchen, meine süße Maid!
Leb' wohl! ich muß von hinnen; es wird Tag.
Doch, wo ich reiten oder gehen mag,
Der Deine bleib, bei meiner Seligkeit, ich!«
»Nun, mein Herzliebster,« – sprach sie – »Gott geleit' Dich!
Doch, eh' Du gehst, sag' ich Dir noch ein Wort.
Eilst heimwärts Du aus unsrer Mühle fort,
Vergiß nicht, bei der Thür umher zu suchen.
Du findest hinter dieser einen Kuchen,
Halbscheffelgroß aus Deinem Mehl gebacken.
Ich selbst half Vater es bei Seite packen.
Gott schütze Dich, Du herzgeliebter Mann!«
Und mit dem Wort fing sie zu weinen an.
Und Alein geht und denkt, bevor es helle,
Kriech' ich zu Hans in meine Lagerstelle.
Doch, da er dort die Wiege stehen fand,
Sprach er: »Gott weiß! ich habe mich verrannt!
Mein Kopf ist wüst; ich trieb es gar zu fleißig
Die Nacht hindurch; drum ging ich fehl, das weiß ich,
Denn an der Wiege merk' ich ganz genau:
Hier schläft der Müller und die Müllersfrau.«
Er tastete dann teufelmäßig schief
Sich hin zum Lager, wo der Müller schlief;
Und in dem Glauben, bei Johann zu sein,
Stieg zu dem Müller er ins Bett hinein,
Und schüttelt' ihn und faßt' ihn bei dem Schopf
Und sprach: »Johann, wach' auf, Du Schweinekopf!
Bei Christi Seel'! das war ein Hauptvergnügen!
Beim heiligen Jakobus! ohne Lügen
Hab' dreimal ich in dieser kurzen Nacht
Des Müllers Tochter kerzengrad bedacht,
Indessen feige Deine Zeit verpaßt Du!«
»Ha! falscher Buhler!« – schrie der Müller – »hast Du?!
O, falscher Erzverräther von Student!
Ich bring' Dich um, bei Gottes Sakrament!
Wie? zu entehren hast Du Dich erfrecht
Mein Kind aus solchem nobelen Geschlecht?!«
Und damit griff er Alein an den Hals,
Doch grimmig faßte der ihn ebenfalls,
Schlug mit der Faust ihm auf die Nase, daß
Sofort von Blut die ganze Brust ihm naß;
Und mit zerbrochnem Mund und Nasenbeine
Wälzten sich Beide wie im Dreck die Schweine.
Herüber und hinüber ging das Spiel,
Bis über einen Stein der Müller fiel,
Und rücklings auf das eigne Weib hinsank.
Die wußte Nichts von diesem dummen Zank,
Denn eben eingeschlafen war sie tief
Bei Hans, der selbst die ganze Nacht nicht schlief.
Doch plötzlich wurde durch den Fall sie wach.
»Beim heil'gen Kreuz von Bromeholm!« – sie sprach –
»In manus tuas, Herr! – Ich bitte Dich,
Simon! wach' auf! der Böse reitet mich!
Ich bin halb todt; mir ist das Herz gebrochen!
Es liegt mir schwer auf Leib und Kopf und Knochen!
Hilf Simon! die Studenten sind in Streit!«
Zum Bett hinaus sprang Hans mit Schnelligkeit,
Und hin und her begriff er alle Wände,
Zu fühlen, ob er einen Stock nicht fände.
Auch sie sprang auf und, besser mit dem Ort
Als Hans bekannt, fand sie den Stock sofort.
Und sie erspähte – denn ein Schimmerschein
Fiel von dem Monde durch ein Loch hinein –
Am Boden zwei Gestalten bei dem Licht,
Doch sie erkannte, wer sie waren, nicht.
Ein weißes Ding nur sah ihr Auge funkeln,
Und da nun dieses weiße Ding im Dunkeln
Einer Scholarenzipfelnachtmütz' glich,
Sie mit dem Stocke nah' und näher schlich;
Doch statt auf Alein, dem es zugedacht,
Schlug auf des Müllers Kahlkopf sie mit Macht.
Zu Boden fallend, rief er: »Ach, ich sterbe!«
Doch die Scholaren prügelten ihn derbe
Und gingen fort, um Pferd und Mehl zu suchen,
Und holten bei der Thüre sich den Kuchen,
Halbscheffelgroß aus ihrem Mehl gebacken,
Und kehrten flugs der Mühle ihre Nacken.
So ward's dem stolzen Müller heimgezahlt.
Es war das Korn von ihm umsonst gemahlt,
Den Abendschmaus bestritt er ganz allein
Und Beider Prügel hatt' er obendrein,
Und Weib und Tochter waren ihm geschändet.
Seht! wie die Falschheit eines Müllers endet!
Und daher ist das Sprüchwort keine Lüge:
Daß ein Betrüger sich stets selbst betrüge,
Sowie: daß unrecht Gut nicht gut gedeihe!
Nun, Gott in seiner Majestät verleihe
Euch seinen Segen. – Rückgezahlt hiemit
Hab' ich's dem Müller – und jetzt sind wir quitt!
Der Prolog des Kochs.
Vers 4323–4362.
Der Koch aus London lauschte voll Entzücken,
Als kratzte der Verwalter ihm den Rücken.
»Aha!« – rief er – »bei Christi Kreuz und Wunden!
Der Müller hat es scharf herausgefunden,
Was schließlich werth ist alle Gastfreiheit.
Wohl sprach schon Salamo vor langer Zeit:
Jedwedem Herberg geben in der Nacht,
Hat Manchen manchmal in Gefahr gebracht;
Und wohl ist es der Ueberlegung werth,
Wem man den Zutritt in sein Haus gewährt.
Doch schlage mich mit Sorgen Gottes Hand!
Hört' ich, seitdem ich Hodge von Ware genannt,
Von einem Müller, den man mehr geneckt,
Und der im Dunkeln besser zugedeckt!
Doch Gott verhüte, daß wir hiemit enden!
Seid Ihr geneigt, auch mir Gehör zu spenden,
Erzähl' ich Euch, obschon ein armer Mann,
Jetzt einen Schwank, so gut ich weiß und kann,
Der einst in unsrer Stadt sich zugetragen.«
»Das sei gewährt!« – begann der Wirth zu sagen –
»Erzähle, Roger! aber mach' es gut!
Bei Dir floß für Pasteten manches Blut,
Bei Dir stand zweimal kalt und zweimal heiß
Schon mancher Jack von Dover zum Verschleiß!
Ob Deiner Petersilie Dich verfluchte
Schon mancher Pilger; und, wer je versuchte
Von Deiner Stoppelgans, der fluchte schlimmer,
Denn voller Fliegen war Dein Laden immer.
Ich bitte, edler Roger, komm' zur Sache,
Und sei nicht böse, wenn ich Späße mache;
Die Wahrheit ist in Scherz und Spiel erlaubt!«
»Ganz wahr!« – sprach Roger – »doch bei meinem Haupt!
Auf vlämisch sagt man: Wahr Spiel, quade spel!
Drum, Harry Bailly, hoff' ich, meiner Seel'!
Daß von Dir selbst nicht übel aufgefaßt wird,
Sprech', eh' wir scheiden, ich von einem Gastwirth.
Ich zahl' es Dir, wenn nicht im Augenblick,
Vor unsrer Trennung sicherlich zurück.«
Und dabei lustig lachend, hob er dann,
Wie nunmehr folgt, mit der Erzählung an.
Die Erzählung des Kochs.
Vers 4363–4420.
In einem Laden und Proviantverkauf
In unsrer Stadt hielt sich ein Lehrling auf;
Ein kleiner, strammer Bursch voll loser Streiche
Und lustig wie ein Goldfisch in dem Teiche,
Braun wie die Beere, schwarzgelockt von Haaren;
Und da er in der Tanzkunst wohl erfahren,
So wurde Schwärmer Perkin er genannt.
Dabei saß er so voller Liebestand,
Wie je voll Honig eine Wabe saß,
Und gerne trieben Dirnen mit ihm Spaß.
Er sang und sprang auf allen Hochzeitsfesten.
Das Wirthshaus liebt' er; aber nicht zum besten
Den Laden. Gab's in Chepe was zu sehn,
So lief er fort und ließ den Laden stehn,
Und sah' sich's an, und drehte sich im Tanz;
Doch heimzukehren, das vergaß er ganz.
Er sammelte dann seine Schwefelbande
Und tanzte, sang und trieb viel Affenschande
Und kam auch häufig für ein Stelldichein
Zum Würfelspiel mit ihnen überein.
Denn keinen Lehrling in der Stadt man fand,
Der je so gut das Würfelspiel verstand,
Wie Perkin that; auch war er nebenbei
Mit dem gemausten Gelde äußerst frei;
Denn in dem Laden fand zu seinem Schrecken
Sein Meister oftmals gänzlich leer die Trecken.
Denn, sicher, wenn ein Lehrling gerne schwärmt,
Die Würfel und die Dirnen liebt und lärmt,
Das wird im Laden bald bemerkt vom Herrn,
Hält er auch selbst sich von dem Treiben fern.
Zu Diebereien führen Saufgelage,
Ob man Ginterne, ob Ribebe schlage;
Und Schwärmerei und Ehrlichkeit bestehn
Nicht lang zusammen, das kann Jeder sehn.
Vom lust'gen Lehrling war jedoch im Haus
Des Meisters nahezu die Lehrzeit aus,
In der gescholten er bei Tag und Nacht
Und oft nach Newgate wegen Lärms gebracht.
Doch ward von seinem Herrn zuguterletzt
Ihm eines Tags der Laufpaß aufgesetzt;
Denn der besann sich auf das alte Wort:
Den faulen Apfel wirf vom Lager fort,
Wenn Du den Rest vor Fäulniß willst bewahren.
Auch beim Gesinde kann man dies erfahren;
Besser entläßt man einen bösen Knecht,
Eh' alle andern ebenmäßig schlecht.
Weßhalb den Lehrling auch sein Herr entließ
Und ihn mit Schimpf aus seinem Hause stieß.
So ward der lust'ge Lehrling fortgejagt,
Und mag nun lärmen, wie es ihm behagt.
Doch, wie dem Stehler nie der Hehler fehlt,
Der ihm, wo was zu mausen ist, erzählt
Und der ihm borgt und der mit ihm verschwendet,
So wurden schleunigst Zeug und Bett verpfändet
An einen solchen Gauner und Cumpan,
Der stets bei allem Unfug oben an,
Und dessen Frau, trieb sie auch scheinbar Handel,
Ihr Brod gewann durch schlechten Lebenswandel.
* * * * * *
(Unvollendet geblieben.)
Der Prolog des Gechtsgelehrten.
Vers 4421–4518.
Der Wirth ersah, daß ihren Tagesbogen
Die Sonne schon zum vierten Theil durchzogen,
Seit etwas mehr, als einer halben Stunde.
Nicht hochgelehrt, besaß er dennoch Kunde,
Daß es der achtundzwanzigste heut' sei,
Vom Mond April, dem Herolde vom Mai;
Und da er sah, daß aller Bäume Schatten
Dasselbe Maß in ihrer Länge hatten
Wie ihre Körper, die der Schatten Grund,
So ward durch diesen Umstand es ihm kund,
Daß Phöbus, leuchtend an dem Himmelspfade,
Erklommen hatte fünfundvierzig Grade;
Und daher, in Betracht von Zeit und Ort,
Sei es zehn Uhr, so schloß er weiter fort.
Den Gaul umwendend, hielt er plötzlich an
Und sprach: »Ihr Herr'n, ich warn' Euch, Mann für Mann,
Vergangen ist des Tages vierter Theil!
Bei Sanct Johann und Gottes Gnadenheil,
So viel Ihr könnt, nehmt wohl der Zeit in acht!
Sie wird, Ihr Herr'n, verschwendet Tag und Nacht;
Wir lassen sie, ob wir im Schlafe liegen,
Ob sorglos wachen, ungenützt verfliegen,
Und, wie der Strom, der von den Bergen nieder
Zur Ebne läuft, so kehrt sie niemals wieder.
Denn Seneca und andre Weisen sagen,
Daß schwerer Zeit- als Geldverlust zu tragen;
Verloren Gut sei wieder zu erringen,
Die Zeit verlieren, müsse Schande bringen.
So spricht er. Nun, fürwahr, zurückgeschafft
Wird Zeit so wenig wie die Jungfernschaft,
War Lisbeth lüstern ihrer überdrüssig;
Und darum laßt uns faul nicht sein und müßig!
Herr Rechtsgelehrter, bei dem Heil der Seelen!
Ihr müßt,« – sprach er – »wie ausgemacht, erzählen.
Aus freien Stücken habt Ihr beigepflichtet,
Und so bin ich's, der in der Sache richtet.
Das Wort, das Ihr verpfändet, löset ein,
Wollt pflichtgetreu Ihr bis ans Ende sein!«
»De par dieu! jeo assente! mein Versprechen,
Herr Wirth,« – sprach er – »pfleg' ich nicht leicht zu brechen.
Versprechen gleichen Schulden, und bezahlen
Will ich die meinen, ohne viel zu prahlen.
Denn, wer den Andern will Gesetze geben,
Der muß zunächst auch selber danach leben.«
So steht's im Text. – Indessen sag' ich frei,
Im Augenblick fällt mir nichts Gutes bei.
Denn Chaucer hat – obwohl im Versebau
Und Reim oft liederlich und ungenau –
In solchem Englisch, wie er eben kann,
Erzählt schon Alles. Das weiß Jedermann.
Und, lieber Freund, steht's nicht in einer Schrift,
In einer andern man es sicher trifft.
Denn über Liebe hat er mehr gedichtet,
Als selbst Ovid vor langer Zeit berichtet
In den Epistolis. – Soll ich mich quälen,
Was schon erzählt ist, nochmals zu erzählen?
»Halcyone und Ceix« schrieb zur Zeit
Der Jugend er, und später weit und breit
Von Liebe vieler edler Herr'n und Damen.
Schaut in sein dickes Buch hinein, mit Namen
»Die Heiligen-Legende von Cupido«.
»Thisbe von Babylon, das Schwert der Dido,
Die um Aeneas starb, Lucretias Wunden,
Der Baum der Phyllis, die den Tod gefunden,
Durch Dich, Demophoon, sind vorgetragen
Der Dejanira, der Hermione Klagen,
Der Ariadne, der Hypsipyle –
Das wüste Eiland mitten in der See;
Leander, der für Hero starb im Meer;
Schön' Helena, betrübt und thränenschwer;
Der Briseis, der Laodomia Leid,
Der Königin Medea Grausamkeit
An ihren Kindern, welche sie erhenkt,
Weil, falscher Jason, Du sie schwer gekränkt;
Die Tugend der Penelope, Alceste
Und Hypermnestra preist er dort aufs beste.
Doch, sicherlich, mit keinem Wort beschrieben
Seht Ihr von ihm, was Canace getrieben,
Und wie gesündigt mit dem Bruder sie.
– Zu solchen Schandgeschichten sag' ich: Pfui! –
Auch nicht von Tyrius Appolonius,
Noch wie das Scheusal, Fürst Antiochus,
Der eignen Tochter Schänder ist gewesen;
Denn nur mit Schaudern kann man davon lesen,
Wie er sie hingeschmissen auf das Pflaster.
Weßhalb mit Absicht den Entschluß gefaßt er,
Nie wolle von so gräulichen Geschichten
In seinen Schriften er ein Wort berichten.
Drum wiederholen möcht' ich solche nicht.
Jedoch, was trag' ich heute vor? – Verglicht
Ihr mich den Musen, die man Pieriden
Genannt hat, wär' ich kaum damit zufrieden.
– Metamorphoseos wissen, wie's gemeint. –
Doch keinen Knochen scheert's mich, wenn es scheint,
Als trät' ich in die Spur von Chaucers Ferse.
Ich spreche Prosa, ihm laß ich die Verse.«
Und ernst begann mit freundlichem Gesichte
Er, wie Ihr hören werdet, die Geschichte.
Die Erzählung des Gechtsgelehrten.
Vers 4519–5582.
O herbes Leid der Armuth! mit den Schmerzen
Von Hunger, Durst und Kälte stets verbunden
Betteln zu gehn, beschämt Dich tief im Herzen,
Und thust Du's nicht, wird die verhüllten Wunden
Die Noth entblößen und der Welt bekunden.
Trotz allem Stolz mußt Du Dein Brod mit Sorgen
Erbetteln, stehlen oder Dir erborgen.
Du tadelst Christum und erbittert klagst Du,
Unrecht vertheilt sei alles Gut im Leben.
Sündhaft beneidend Deinen Nachbar, sagst Du:
Ihm sei so viel und Dir sei nichts gegeben.
Noch oft – sprichst Du – wird er mit Zähnebeben
Bereuen, wenn ihn Höllenflammen fassen,
Daß er den Dürft'gen in der Noth gelassen.
Von einem Weisen höre die Betrachtung:
Wohl, der zum Tod, Weh', der zur Noth erkoren,
Dein eigner Nachbar straft Dich mit Verachtung,
Dein Ansehn ist, sobald Du arm, verloren!
Dem Spruch des Weisen öffne Deine Ohren:
Betrübt und elend sind der Armuth Tage,
Drum hüte Dich vor solcher scharfen Plage!
Den Armen alle seine Brüder hassen,
Und seine Freunde halten sich ihm fern!
O, reiche Kaufherr'n! fröhlich könnt Ihr prassen,
O, kluges Volk! o, hochgelehrte Herr'n!
In Eurem Becher fehlt die Eins; doch gern
Werft Ihr die Sechse, und gewinnt das Ganze,
Und geht an Weihnachtstagen froh zu Tanze.
Nach Land nur sucht und stets strebt nach Gewinn Ihr,
Ihr seid die Väter jeder Neuigkeit,
Regierungen und Fürsten habt im Sinn Ihr,
Und sprecht von Frieden und erzählt von Streit.
Ich käme wahrlich in Verlegenheit,
Hätt' ich von einem Kaufmann nicht vor Jahren,
Was ich Euch jetzt erzählen will, erfahren.
In Syrien wohnten einstmals Trafikanten,
Die reich, doch treu und ehrlich auch dabei,
Weit in das Ausland bunte Seide sandten
Nebst Goldbrokat und feiner Spezerei;
Und da die Waare trefflich war und neu,
Trieb auch mit ihnen aus der Näh' und Ferne
So Kauf wie Verkauf Jedermann stets gerne.
Und es geschah, daß einst auf ihren Zügen
Die Handelsleute sich nach Rom gewandt,
Bedacht auf Kundschaft, sowie zum Vergnügen.
Sie hatten keine Botschaft hingesandt,
Nein, nahmen selber das Geschäft in Hand,
Und hatten, als in Rom sie angekommen,
Dort nach Gefallen ihr Quartier genommen.
So lebten diese Kaufherr'n eine Zeit
In jener Stadt nach Neigung und Gefallen,
Und hörten von Constantias Herrlichkeit,
Der Kaiserstochter, aus dem Mund von Allen
Fast Tag für Tag das höchste Lob erschallen;
Denn Jedermann war voll von ihrem Preise,
Und alle sprachen in derselben Weise.
Denn rings im Volke pflegte man zu sagen:
Es hat der Kaiser, welchen Gott behüte,
Ein Töchterlein, wie seit den Schöpfungstagen
Gewiß nicht eine zweite jemals blühte
An Leibesschönheit und an Herzensgüte.
Ich wollte, Gott blieb' Schirmer ihrer Ehre,
Und daß Europas Königin sie wäre.
In ihr ist Schönheit ohne Stolz; und Jugend
Ganz ohne Uebermuth und Ziererei,
Denn ihres Wandels Führerin ist Tugend
Und Demuth Zähmerin der Tyrannei.
Von Höflichkeit ist sie das Konterfei,
Ihr edles Herz ist eine heil'ge Kammer
Und ihre Hand die Trösterin im Jammer.
Getreu wie Gott war, was sie hinterbrachten.
– Doch laßt zur Sache mich zurück jetzt gehn! –
Die Kaufherr'n ließen rasch ihr Schiff befrachten,
Nachdem dies edle Wesen sie gesehn,
Und heim nach Syrien ihre Segel wehn;
Und trieben ihr Geschäft dort wie vorher
Und lebten froh – was braucht's der Worte mehr?
Nun standen aber diese Handelsherr'n
Bei Syriens Sultan hoch in Gunst und Gnaden.
Zu Lust und Kurzweil hatt' er oft und gern
Sie, wenn sie heimgekehrt von ihren Pfaden,
Freundlich und höflich zu sich eingeladen,
Um zu erzählen, was in fremden Landen
Sie Wunderbares und Besondres fanden.
So sprachen unter manchen andern Dingen
Auch von Constantia diese Kaufherr'n dort,
In deren Lob sie rühmend sich ergingen.
Der Sultan, eifrig lauschend ihrem Wort,
Gewann sie lieb und lieber immerfort,
Ihr Bild beständig ihm vor Augen schwebte,
An sie nur dacht' er, nur für sie er lebte.
Vielleicht war es im großen Buch geschrieben,
Das man den Himmel nennt, bevor zur Welt
Er selbst gekommen, daß durch treues Lieben
Des Todes Loos ihm in der Zukunft fällt.
Denn spiegelklar ist an dem Sternenzelt
Vorausgesagt für den, der lesen kann es,
– Bei Gott! – das Schicksal eines jeden Mannes.
In Sternenschrift war, ehe sie gewesen,
Von Julius und Pompejus demgemäß,
Von Hector und Achill der Tod zu lesen,
Von Simson, Turnus und von Sokrates,
Von Thebens Helden und von Herkules.
Doch Menschenwitz entbehrt zu sehr der Schlauheit,
Und Niemand liest sein Schicksal mit Genauheit.
Der Sultan seinen Rath zusammenrief
Und – daß ich's Euch mit kurzen Worten sage –
Er machte kund, daß so unendlich tief
Er Lustverlangen nach Constantia trage,
Daß ihr Besitz nur, oder Tod die Frage;
Gemessene Befehle gab er Allen,
Rasch auf ein Rettungsmittel zu verfallen.
Verschiedne riethen zu verschiednen Dingen,
Die Argumente flogen hin und her;
Man wußte scharfe Gründe vorzubringen,
Der rieth zur List, und zur Magie rieth der.
Doch kam man schließlich überein, daß er,
Dieweil ein jedes andre Mittel fehle,
Am besten thäte, wenn er sich vermähle.
Doch sahen sie auch hierin Schwierigkeiten,
Und aus verschiednen Rechtsbedenken zwar;
Denn zwischen beiden gäb's Verschiedenheiten
In ihrem Glauben, machten sie ihm klar.
Ein Christenfürst gestatte nicht, fürwahr,
Es seinem Kinde, im Gesetz zu leben,
Das Mohamed, unser Prophet, gegeben.
Er sprach: »Eh' ich Constantia verliere,
So tret' ich selber in der Christen Bund.
Ich traf die Wahl; ich bin und bleib' der Ihre,
Mit Gegengründen haltet Euren Mund!
Mein Leben rettet, und macht mich gesund!
Besitz' ich sie, so find' ich auch Genesung,
Sonst bringt mein Leid mir Tod noch und Verwesung.«
Was braucht es hier noch langer Redewendung?
Durch Botschaft und Verhandlung ward gemacht,
Daß durch des Papstes eigene Verwendung
Und durch der Kirche und der Ritter Macht
– Die stets um Christi willen sind bedacht,
Den Mohamedanismus zu zerstören –
Man den Vertrag schloß, der sogleich zu hören
Der Sultan, die Barone und wer zähle
Zu den Vasallen müßten Christen sein,
Bevor er mit Constantia sich vermähle;
Gewisses Gold – wie viel, fällt mir nicht ein –
Sei ihm gewährt durch wohlverbürgten Schein.
Das sei Vertrag, so schwur man beiderseitig.
– Leb' wohl Constantia! Gottes Hand geleit' Dich!
Schon Mancher – glaub' ich – sich im Voraus freute,
Zu hören von der Pracht und von dem Glanze,
Welche der Kaiser und die Edelleute
Ersonnen für sein Töchterlein Constanze.
Doch unausführbar ist, daß ich das ganze
Hierbei ins Werk gesetzte Festgepränge
In kurze Worte hier zusammendränge.
Bischöfe, Ritter und aus höchsten Ständen
Viel Herr'n und Damen ihr zu Seite gehn
Nebst anderm Volk – und damit laßt mich enden. –
Der Stadt gab man zu wissen und verstehn,
In größter Andacht solle jeder flehn
Zu Christ, damit er gnädig sich beweise
Dem Ehebund, und segne ihre Reise.
Es kam für sie der Trennungstag heran.
Der Tag des Unheils – sag' ich – war gekommen,
Und ohne Zögern hatte Jedermann
Die Rüstung für die Reise vorgenommen.
Constantia, bleich und sorgenvoll beklommen,
Stand auf vom Lager, um sich anzukleiden,
In das ergeben, was nicht zu vermeiden.
Ach! kann es Wunder nehmen, daß sie weinte?
Zu fremdem Volk ward sie hinausgesandt,
Fern von der Freundschaft, die es zärtlich meinte,
Und hingegeben in Gewalt und Hand
Von einem Manne, den sie nie gekannt.
– Gut sind und waren Gatten von jeher,
Das wissen Frau'n. – Was braucht's der Worte mehr? –
»Vater,« – sprach sie – »Dein armes Kind Constanze,
Dein Töchterlein, das Dir so lieb und werth;
Und Mutter, die nach Christ mehr als die ganze
Und weite Welt ich folgsam stets verehrt,
Constantia bittet, Eure Huld gewährt
Ihr fernerhin! – Nach Syrien muß ich gehen!
Und nimmer, ach, werd' ich Euch wiedersehen!«
»Ach! unter den Barbaren soll ich leben!
Und ich muß thun, was Euer Wille ist.
Wie uns Dein Tod Erlösung hat gegeben,
So gieb mir Stärke zur Erfüllung, Christ!
Elend bin ich für meines Lebens Frist,
Zu Leid und Knechtschaft ist das Weib geboren,
Und einem Mann zur Sclavin auserkoren.«
Gewiß, als Pyrrhus brach durch Trojas Wall,
Als Ilion brannte, Theben man bezwungen,
Als Rom erzitterte vor Hannibal,
Der dreimal Sieg im Römerkampf errungen,
Ward nicht soviel und nicht so schmerzdurchdrungen
Geweint, als bei dem Abschied in der Kammer;
Doch Scheiden galt's. Was half da aller Jammer?
O, grause Macht, Bewegerin der Sphären,
Die täglich Alles wirbelnd mit sich reißt,
Und strebt, von Ost nach Westen zu verkehren,
Was die Natur auf andre Wege weist.
Im wilden Aufruhr, der am Himmel kreist,
Verkündete im Voraus schon beim Scheiden
Der grimme Mars der Ehe künft'ge Leiden.
O, unheilvollste Ascedenz von allen,
Wo der Regent, ach, hülflos und entthront,
Vom Winkel in das dunkle Haus gefallen!
O, Mars! o, Atazir! – Du, bleicher Mond,
Von Unglück bleibt nicht Deine Bahn verschont!
Wo Du Dich zudrängst, ist für Dich kein Bleiben,
Wo Du gern bliebest, mußt Du weiter treiben!
Kaiser von Rom! Du handeltest nicht weise.
War denn kein Philosoph in Deinem Land?
Ist jeder Tag denn gleich? Wählt man zur Reise
Für Leute von so hohem Rang und Stand
Die Zeit nicht aus? War gänzlich unbekannt
Die Wurzel der Geburt in diesem Falle?
– Ach, dumm und träge sind wir leider Alle! –
Zu Schiffe war man feierlich gezogen
Mit der betrübten, schwermuthsvollen Maid.
»Nun bleibe Jesus Christus Euch gewogen!«
Sprach sie und zwang sich zur Gelassenheit.
»Leb' wohl Constantia!« – scholl es weit und breit.
Und so verlass' ich sie auf Meerespfaden
Und spinne weiter der Geschichte Faden.
Längst hatte schon des Sultans lastervolle
Und böse Mutter ausgespäht, daß er
Den alten Opferbrauch verlassen wolle,
Und ihre Räthe rief sie zu sich her.
Ein jeder kam und frug, was ihr Begehr.
Und als mit Ehrfurcht Alles stand im Kreise,
Ließ sie sich nieder und sprach solcher Weise:
»Ihr wißt es, Herr'n! mein Sohn« – so hub sie an –
»Steht auf dem Punkte, in den Staub zu treten
Die heil'gen Satzungen des Alkoran
Von Mohamed, dem göttlichen Propheten.
Bei Gott beschwör' ich's! Wahrlich, besser thäten
Sie, aus dem Leibe mir das Herz zu reißen,
Als aus der Brust, was Mohamed geheißen!«
»Für Körperknechtschaft sollten wir und Pein
Nach diesen neuen christlichen Gesetzen
Und für der Hölle Qualen hinterdrein
Den alten Glauben Mohameds verletzen?!
Nein! wollt Ihr, Herr'n, Vertrauen in mich setzen,
Und willig sein, zu thun, was ich Euch sage,
Befrei' ich Euch für immer aus der Lage!«
Und Jeder stimmte bei im ganzen Kreise.
Auf Tod und Leben stets ihr beizustehn,
Beschworen sie, und in der besten Weise
Mit Rath und That ihr an die Hand zu gehn,
Um auszuführen, was sie vorgesehn,
Und ihren Plan enthüll' ich einem Jeden,
Denn solcher Weise fuhr sie fort zu reden:
»Laßt scheinbar uns zum Christenthum bekehren!
– Kalt Wasser wird uns wenig drückend sein –
Durch Schmauserei'n will ich den Sultan ehren;
Doch tränk' ich es ihm hoffentlich noch ein.
Denn, mag sein Weib getauft sein noch so rein,
Nicht leicht soll sie des Blutes Roth verwaschen,
Und hätte sie voll Quellen ihre Taschen!«
O, Sultanin! boshaftes Ungeheuer,
Semiramis die Zweite! – Mannweib! – gleich
Der Schlange, die gebannt ins Höllenfeuer,
Bist eine Schlange Du im Weiberreich!
Heimtückisch Weib! Was immer unschuldsreich
Und tugendhaft nur ist, verfolgst Du wüthend,
Stets Bosheit in dem Lasterneste brütend!
O, Satan! seit der Zeit, da Du vertrieben
Aus unserm Erbtheil, ist Dein Neid stets wach;
Du lenkst noch stets die Weiber nach Belieben,
Du triebst durch Eva uns in Tod und Schmach!
Jetzt stellst Du dieser Christenehe nach!
Wenn Du betrügen willst – beklagt's und merkt's Euch! –
Gebrauchst die Weiber immer Du als Werkzeug!
Die Sultanin, auf die ich also schmäle,
Ließ seines Weges weiterziehn den Rath,
Und hatte – daß ich's kurz und gut erzähle –
Dem Sultan eines Tages sich genaht,
Und sagte: sie bereue in der That
Ihr langes Heidenthum und trüg' Verlangen,
Aus Priesters Hand die Taufe zu empfangen.
Und bat ihn, daß er ihr die Ehre gönne,
Für alle Christen eine Festlichkeit
Ins Werk zu setzen, wie sie bestens könne.
– Der Sultan war zu kommen gern bereit,
Und, niederknieend voller Dankbarkeit,
Konnt' er vor Freude kaum auf Worte sinnen.
Sie küßte ihn und ging alsdann von hinnen.
In Syrien stieg indeß im Feierzuge
Die Christenschaar vom Schiff hinab zum Strand.
Zu seiner Mutter ward im raschen Fluge
Und rings durchs Reich des Sultans Wort gesandt:
Es zöge zweifellos sein Weib ins Land,
Und zu des Reiches Ehre ließ er bitten,
Daß ihrer Herrin sie entgegenritten.
Welch ein Gedränge! welche Augenweide!
Als Syrer nun vereint mit Römern sind.
Des Sultans Mutter, strahlend von Geschmeide,
Erwies sich ihr so liebevoll gesinnt,
Wie eine Mutter ihrem liebsten Kind;
Und hin zur Stadt, die nahebei gelegen,
Sah man den Zug sich feierlich bewegen.
Selbst der Triumph des Julius, – so dächt' ich –
Obschon Lucan viel Lärmens macht davon,
War nicht so sehenswerth und nicht so prächtig,
Wie die Versammlung dieser Procession.
Die Sultanin, die Hexe, der Scorpion,
Indessen wetzte, Schmeichelei'n im Munde,
Bereits den Stachel für die Todeswunde.
Der Sultan selber kam nach kurzer Zeit
In einer Pracht, die schwerlich zu beschreiben,
Er grüßte sie mit Lust und Seligkeit;
Und Beide mögen sich die Zeit vertreiben;
Mich aber laßt beim Kern der Sache bleiben.
Am Ende meinte Jedermann, er hätte
Genug geschwärmt, und Alles ging zu Bette.
Bald war die Zeit zu dem erwähnten Feste
Der alten Sultanin herangerückt;
Und alle Christen hatten sich aufs Beste,
So alt wie jung, für dieses Fest geschmückt.
Doch nicht den Prunk, der jedes Aug' entzückt,
Noch alle Leckerbissen kann ich malen.
– Nur allzutheuer mußten sie's bezahlen. –
O, unverhofftes Leid! vom Glück des Lebens
Die stete Folgerin, mit Bitterkeit
Vermischst du alle Freudigkeit des Strebens,
Als Enderin von unsrer Fröhlichkeit!
Hört meinen Rath! – zu eigner Sicherheit
Tragt es im Sinn: – es folgt auf frohe Tage
Stets Leid und Weh und unverhoffte Plage!
Mit einem Worte sei es ausgesprochen:
Der Sultan und die Christen, Mann für Mann,
Wurden beim Fest erschlagen und erstochen,
Obschon dem Tod Constantia entrann.
Die Sultanin, das böse Weib ersann
Mit ihrer Freunde Hülfe diese Schandthat,
Durch die sie jetzt das Reich in ihrer Hand hat.
Die Syrer, welche an dem Sultan hingen
Und seinen Glaubenswechsel mitgemacht,
Erschlug man gleichfalls. Da galt kein Entspringen!
Constantia aber – Gott! wer hätt's gedacht? –
Ward in ein steuerloses Schiff gebracht,
Und man befrug sie: ob den Weg sie wüßte
Von Syrien heimwärts nach Italiens Küste?
Mit ihren Schätzen, die sie mit sich brachte
Und ihren Kleidern – wie ich zugesteh' –
Und Nahrungsmitteln man sie reich bedachte,
Und dann ging's in die salz'ge Fluth der See.
Constantia, holde, gütereiche Fee,
O, Kaiserstochter, mir so lieb und theuer,
Es sei der Herr, der Alles lenkt, Dein Steuer!
Sich segnend, weinte jammernd sie und schrie:
Empor zu Christi heil'gem Kreuzesstamme:
»O heilig Holz! Du Gnadenquelle! wie
Erbarmungsvoll mit rothem Blut vom Lamme
Die Welt gereinigt ward vom Sündenschlamme,
So aus des Bösen Klauen mich errette,
Wird Meerestiefe mir zum Todtenbette!«
»Siegreicher Baum, der Treue Schutz und Hort!
Der Du allein, zu tragen, werth befunden,
Das weiße Lamm, vom Speeresstich durchbohrt,
Den Himmelskönig mit den frischen Wunden;
Der Du die Höllenfeinde überwunden,
Du Gliederträger ew'ger Lieb' und Treue,
Errette mich und gieb mir Zeit zur Reue!«
Vom griech'schen Meer bis zu Marokkos Thor
Schwamm Jahr und Tag die Creatur indessen,
Wie sie das Schicksal dazu auserkor.
Mit mancher Thräne netzte sie ihr Essen,
Bald todesbang, von Hoffnung bald besessen,
Sie triebe durch der Wogen wilde Brandung
Dem Ufer zu, das ihr bestimmt zur Landung.
Wie kam's, daß sie entrann? wird Mancher sagen;
Wie kam's, daß sie nicht gleichfalls umgebracht?
Doch laßt zur Antwort mich dagegen fragen:
Wer hat denn Daniel aus der Grube Nacht
Errettet? Wer den Löwen zahm gemacht,
Der außer ihm nicht Herrn noch Knecht verschonte?
Niemand als Gott, der ihm im Herzen wohnte!
Damit wir sähen seine mächt'gen Werke,
Hat Gott an ihr in Wundern sich bewährt.
O, Jesus Christus! Theriakstrank voll Stärke!
Du kennst – das weiß, wer in der Schrift gelehrt –
Die Mittel, daß zum guten Ende kehrt
Ein jedes Ding, ob's noch so dunkel läge.
Doch Menschenwitz begreift nicht Deine Wege.
Nun, da sie auf dem Feste nicht erschlagen,
Wer schützte vorm Ertrinken sie zur See?
Wer schützte Jonas in des Fisches Magen,
Bis daß er ausgespie'n bei Niniveh?
Niemand als Gott! – das wisse, das versteh'! –
Er schützte die Hebräer vor den Wogen,
Als trocknen Fußes sie durchs Meer gezogen!
Wer lenkt die Sturmesgeister durch sein Wort,
Wenn ihre Macht durch Land und Meere wüthet,
Aus Ost und West, aus Süden und aus Nord?
Wer hat die See, das Land, den Baum behütet?
Gewiß nur Er! denn Er allein gebietet.
Und so war Er auch dieses Weibes Retter
Bei Tag und Nacht in jedem Sturm und Wetter.
Ging Trank und Speise denn zu Ende nie,
Daß länger als drei Jahr' ihr Vorrath währte?
Wer speiste die ägyptische Marie
In Wüstenklüften? – Jesus Christ! – Er nährte
Fünftausend Mann, als wunderbar er mehrte
Die beiden Fische und fünf Laibe Brod.
Gott gab dem Weibe Füll' in ihrer Noth!
So trieb hinein in unsern Ocean,
Durch unser weites Meer sie bis zum Strande
Von einem Ort, den ich nicht nennen kann;
Doch war es oben im Northumberlande,
Wo sich ihr Schiff so festgerannt im Sande,
Daß es durch keine Fluth mehr loszutreiben.
Gott war gewillt, dort sollte sie verbleiben.
Der Commandant des nahen Schlosses kam
Das Wrack zu untersuchen, zu besehen;
Und vor sich fand dies Weibsbild voller Gram
Er dort inmitten ihrer Schätze stehen.
In ihrer Sprache bat sie unter Flehen,
Ihn um die Gnade, sie sofort zu tödten
Und zu befrein aus allen ihren Nöthen.
Ein mangelhaft Latein nur sprach sie freilich;
Jedennoch sie der Commandant verstand.
Rasch sein Geschäft beschließend, nahm er eilig
Das arme Weibsbild mit sich an das Land.
Dem Gottessohne dankte sie am Strand
Auf ihren Knie'n.
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