Doch ich darf nicht wagen,
Was mich bedrückt, je einem Mann zu klagen.
Entfliehen möcht' ich wahrlich aus dem Land,
Ja, mich entleiben mit der eignen Hand,
So quält und ängstigt mich mein Mißgeschick!«
Starr richtete der Mönch auf sie den Blick
Und sprach: »Ach, Nichte, wollte Gott verwehren,
Daß Du, weil Furcht und Sorgen Dich beschweren,
Dich selbst entleibtest! Nein, Du mußt erzählen,
Was Dich bedrängt. Dir soll mein Rath nicht fehlen.
Ich helfe Dir, vertraust Du mir die Sorgen.
Bei mir ist Dein Geheimniß gut geborgen.
Ich schwöre Dir auf mein Brevier den Eid
Der unverbrüchlichsten Verschwiegenheit,
So lang ich lebe; mag, was will, geschehn!«
»Dazu« – sprach sie – »will ich mich auch verstehn!
Bei Gott beschwör' ich und auf Dein Brevier
Ich werde nie, was mir vertraut von Dir,
Verrathen, ob man mich in Stücke risse,
Ja, führ' ich selbst zur Hölle. – Dennoch wisse
Daß Vetterschaft und bloße Freundschaft nicht,
Nein Liebe nur und Neigung aus mir spricht.«
So schwuren und so küßten sich die zwei
Und dann begann sofort die Plauderei.
»Mein Vetter« – sprach sie – »wäre hier der Ort
Und hätt' ich Zeit, so theilt' ich Dir sofort
Jetzt die Legende meines Lebens mit,
Und Alles, was im Ehestand ich litt,
Wenngleich mein Mann Dein eigner Vetter ist.«
»Beim Heiligen Martinus und bei Christ!«
– Entgegnete der Mönch – »er ist mein Vetter
Nicht mehr, als an den Bäumen hier die Blätter!
Bei St. Denis von Frankreich! so genannt
Hab' ich ihn nur, weil ich mit Dir bekannt
Zu werden wünschte. Denn auf Erden giebt
Es keine Frau, die ich wie Dich geliebt.«
Bei meiner Profession will ich's beschwören!
Doch eh' Dein Mann herunter kommt, laß hören,
Was Dich bedrängt? Komm, spute Dich! Erzähle!
»O Hans!« – sprach sie – »Geliebter meiner Seele,
Weit lieber schwieg' ich, als mein Leid zu klagen,
Doch muß heraus, was länger nicht zu tragen.«
Mein Gatte, dünkt mich, ist der schlimmste Mann,
Den's je gegeben, seit die Welt begann.
Doch schickt sich's nicht, daß ich als Ehefrau
Dir unsre Heimlichkeiten anvertrau.
Gott schütze mich, es jemals zu verrathen,
Was wir im Bett und sonst mitsammen thaten;
Da eine Frau nur das, was ehrenvoll,
Von ihrem Ehemann erzählen soll.
Nur Dir allein, so wahr mich Gott beschütze.
Will ich vertraun: er ist zu gar nichts nütze
Und überhaupt nicht eine Fliege werth.
Der größte Geizhals ist er, und gewährt
Mir keinen Wunsch in Hinsicht der sechs Sachen,
Die mich so froh, wie alle Weiber, machen.
Wir wünschen nämlich, unser Gatte sei
Reich, weise, keck und mit dem Gelde frei,
Treu seinem Weibchen und im Bette munter.
Doch bei dem Herrn, der für uns litt, mitunter
Muß ich mich putzen seiner Ehre wegen,
Und bin um hundert Franken jetzt verlegen,
Die nächsten Sonntag ich bezahlen muß.
Ach, wär' ich nie geboren! Der Verdruß
Bringt mich noch um. Denn, wenn's mein Mann vernimmt
– Und Schwätzereien giebt es ganz bestimmt –
Bin ich verloren. Lasse Dich erflehn!
Leih' mir das Geld, sonst ist's um mich geschehn!
Ich sage, Herr, leih mir die hundert Franken!
Pardi! ich will Dir redlich dafür danken,
Nur mußt Du mir die Bitte nicht versagen.
Auf Tag und Stunde wird es abgetragen.
Ich stehe Dir zu Diensten jeder Zeit
Und bin zu Allem, was Du willst, bereit.
Und Gott bestrafe, brech' ich Dir mein Wort,
Wie Ganelon von Frankreich mich sofort.
Der edle Mönch gab Antwort ihr und rief:
»Geliebte, theure Frau, ich trage tief
In meinem Herzen um Dich Schmerz und Leid,
Und ich verspreche Dir auf Wort und Eid,
Sobald Dein Mann nach Flandern geht von dannen,
Will ich sofort all' Deine Sorgen bannen,
Und hundert Franken hast Du in den Händen.«
Und damit griff er sie an beide Lenden
Und herzte sie und küßte sie und sprach:
»Geh' fort in aller Stille, und hernach
Mach' unser Essen möglichst rasch bereit,
Denn mein Cylinder zeigt schon Primezeit;
Und traue mir, wie ich auf Dich vertrau'!«
»Das walte Gott!« – erwiderte die Frau,
Und so vergnügt wie eine Elster lief
Sie schnell zu ihren Köchen hin und rief,
Sich zu beeilen mit dem Mittagsschmaus.
Dann rannte schleunigst sie zum Lagerhaus,
Zu ihrem Mann und klopfte kräftig an.
Und »Qui est là?« erwiderte der Mann.
»Ich bin es, Peter!« – sprach sie – »Ei, wie lange
Willst Du noch fasten? Bist Du stets im Gange
Mit Deinen Büchern, Zahlen und Papieren?
Der Teufel möge rechnen und addiren!
Zufrieden sei mit dem, was Gott Dir gab;
Laß Deine Beutel stehn und komm' herab.
Schämst Du Dich nicht, daß Dan Johann so spät
Am hellen Tage stets noch nüchtern geht?
Komm! hör' die Messe, und zu Tische dann.«
»Weib, Du kannst nicht begreifen« – sprach ihr Mann –
»Wie wunderlich oft die Geschäfte gehn.
Sieh', von uns Handelsleuten finden zehn
– Gott und St. Ivo können Zeugen sein –
Von zwanzigen nur höchstens ihr Gedeihn,
Selbst wenn wir uns bis an das Alter plagen.
Doch scheinbar fröhlich müssen wir uns schlagen,
So gut es eben gehn will, durch die Welt,
Und Niemand weiß, wie es um uns bestellt,
Bis daß wir sterben, oder uns ganz leise
Unter dem Vorwand einer Pilgerreise
Von dannen drücken. Drum, scharf aufzupassen
In dieser Welt, darf ich nicht unterlassen,
Denn Glück und Unglück gehn im Handelsstand
Zu unserm Schrecken immer Hand in Hand.
Ich reise morgen in der Früh' nach Flandern
Und werde heim, sobald als möglich, wandern.
Drum, liebes Weibchen, nimm mein Hab und Gut,
Ich bitte Dich, in Obacht und in Hut.
Sei frei und freundlich gegen Deine Gäste
Und lenk' und leite Du das Haus aufs Beste.
Dein Vorrath reicht in jeder Hinsicht aus,
Um sparsam zu verwalten uns das Haus –
Es fehlt Dir nicht an Kleidern und Proviant,
Und Silbergeld bekommst Du in die Hand.«
Und mit den Worten schloß er seine Thür,
Stieg rasch hinab und hörte nach Gebühr
In aller Eile dann die Messe sagen.
Nun wurden flink die Speisen aufgetragen;
Man setzte sich, und reichlich ward sein Essen
Dem würd'gen Mönch vom Kaufmann zugemessen.
Nach Tisch nahm Dan Johann den Handelsmann
Ganz insgeheim bei Seite und begann:
»Mein lieber Vetter, wie die Sachen stehn,
Hast Du im Sinn nach Brügge fortzugehn.
Mag Dich St. Augustin und Gott geleiten!
Mit Vorsicht, Vetter, bitt' ich Dich zu reiten,
Und halte bei der heißen Jahreszeit
Stets auf Diät und große Mäßigkeit.
Doch wozu sollen viele Worte nützen?
Leb' wohl, mein Vetter, mag Dich Gott beschützen!
Fällt etwas vor, darfst Du bei Tag und Nacht,
Vorausgesehen, daß in meiner Macht
Die Sache liegt, frei über mich befehlen.
Du kannst in jeder Hinsicht auf mich zählen.
Doch eines noch! Sollt' es Dir möglich sein,
Mir hundert Franken, eh' Du gehst, zu leihn,
So möcht' ich auf zwei Wochen sie erborgen.
Ich habe einen Viehkauf zu besorgen
Für eine unsrer Klostermeierei'n
– Ach gäbe Gott, es könnte Deine sein. –
Für tausend Franken ließ ich nicht verstreichen
Nur einen Tag, die Schulden zu begleichen.
Doch bitte, schweige von der Sache still,
Da ich das Vieh noch heute kaufen will.
Und damit, lieber Vetter, gute Reise!
Grand mercy für Bewirthung und für Speise!«
»O, lieber, bester Vetter Hans!« – begann
Mit Freundlichkeit der edle Handelsmann –
»Die Bitte scheint mir in der That sehr klein.
So viel an Gold Du immer willst, ist Dein.
Gold oder Waaren, Alles steht Dir frei,
Und – schütz' Dich Gott! – nicht gar zu blöde sei!
Indessen eins ist Dir bekannt genug:
Für einen Kaufmann ist das Geld sein Pflug.
Soliden Namen wird gern creditirt,
Doch ist's kein Spaß, wenn man sein Geld verliert.
Erstatte mir's zur bestgelegnen Zeit,
Soweit ich kann, bin ich gern dienstbereit.«
Die hundert Franken ging er dann zu holen
Und gab das Geld an Dan Johann verstohlen,
So daß vom Darlehn nie ein Mensch erfuhr,
Wie Dan Johann und unser Kaufmann nur.
Es tranken, schwatzten, scherzten dann die Zwei,
Bis Dan Johann zurückritt zur Abtei.
Der Morgen kam, und hin nach Flandern ritt
Der Handelsmann und nahm den Lehrling mit.
Vergnügten Sinns kam er in Brügge an,
Wo unverzüglich sein Geschäft begann;
Er zahlte bar, nahm Waaren auf Credit,
Wogegen Tanz und Würfel er vermied,
Denn, kurz gesagt, kaufmännisch war sein Wandel;
Und weiter nachgehn mög' er seinem Handel!
Sobald der Kaufmann länger nicht am Platze,
Kam, blank rasirt mit wohlgeschorner Glatze,
Am nächsten Sonntag Dan Johann sofort
Nach St. Denis; und froh war Jeder dort
– Der kleinste Page selbst nicht ausgenommen –,
Daß Dan Johann sobald zurückgekommen.
Und kurz und gut, bald war es ausgemacht,
Für hundert Franken solle diese Nacht
Das schöne Weib er in die Arme schließen
Und sein Vergnügen frei mit ihr genießen.
Und rasch war ausgeführt, was sie beschlossen.
Sie trieben lustig ihre Liebespossen
Die ganze Nacht; und als der Morgen tagte,
Ging Dan Johann, und dem Gesinde sagte
Er Lebewohl; doch machte sich im Haus,
Noch in der Stadt kein Mensch ein Arg daraus.
– Zum Kloster reiten, und wohin er will,
Mag Dan Johann. Ich schweige von ihm still. –
Der Kaufmann kehrte, als die Messe aus,
Nach St. Denis zurück und ließ im Haus
Es sich bei seinem Weibe wohl behagen,
Erzählte, wie den Preis man aufgeschlagen,
Und daß für zwanzigtausend Thaler Geld
Er einen Wechsel auf sich ausgestellt,
Für dessen Zahlung er nunmehr zu sorgen.
Das Geld von seinen Freunden zu erborgen,
Hin nach Paris der Kaufmann daher ritt
Und nahm die Barschaft, die er hatte, mit.
Jedoch, da Freundschaft ihm nicht Ruhe ließ,
Beschloß er, angekommen in Paris,
Zu allernächst zum Vetter Hans zu gehn,
Nicht um auf seine Fordrung zu bestehn,
Nein, um zu wissen, wie er sich befände,
Und ihm zu sagen, wie sein Handel stände,
Wie Freunde thun, wenn sie zusammen kommen.
Von Dan Johann höchst gastfrei aufgenommen,
Begann er zu erzählen breit und lang:
Er habe seine Waaren – Gott sei Dank! –
Zu mäß'gem Preis erkauft und auch geborgen;
Doch müsse Wechsel er sich noch besorgen,
Wie's bestens ginge. Wenn ihm das geglückt,
Sei er vergnügt und länger nicht gedrückt.
Und Dan Johann sprach: »Nun, erfreulich ist,
Daß Du gesund zurückgekommen bist.
Auf Seligkeit! Ich gäbe Dir sogleich
Gern zwanzigtausend Thaler, wär' ich reich!
Du liehst Dein Gold so freundlich mir und gern
Noch kurz zuvor. Ich sage bei dem Herrn
Und bei St. Jakob Dir den besten Dank!
Doch heimgezahlt hab' ich in Deine Bank
Dasselbe Gold an unsre gnäd'ge Frau;
Dein Weib wird sich der Sache noch genau
Durch Zeichen, die ich nennen kann, entsinnen.
Doch, mit Erlaubniß, jetzt muß ich von hinnen.
Mein Abt hat vor, gleich in die Stadt zu gehn,
Und ich muß mit. Leb' wohl, auf Wiedersehn!
Mein lieber Vetter; meinen Gruß entrichte
An Deine Gattin, meine süße Nichte!«
Der kluge, höchst geriebne Handelsmann
Erborgte Geld sich in Paris sodann,
Und kaufte dafür Wechsel oder Schein
Sich gegen bar von Lombardhändlern ein.
Und wie ein Specht so froh und wohlgemuth
Zog er nach Haus. – Die Sachen standen gut;
Denn durch die Reise macht' er immerhin
Wohl netto tausend Franken an Gewinn.
Sein Weib lief ihm entgegen bis zum Thor,
Wie es ihr Brauch gewesen stets zuvor,
Und fröhlich waren in der Nacht die zwei;
Denn er war reich und gänzlich schuldenfrei.
Und noch einmal umschlang beim Tageslicht
Der Kaufmann sie und küßt' ihr Angesicht,
Und trieb von Neuem hart mit ihr sein Spiel.
»Nicht mehr!« – rief sie – »Bei Gott, es wird zu viel!«
Und regte doch ihn stets von Frischem an.
Zuletzt jedoch ergriff das Wort ihr Mann
Und sprach: »Bei Gott! ich bin auf Dich nicht gut
Zu sprechen, Frau, wie leid es mir auch thut.
Weißt Du warum? Mir scheint, bei Gott, Du bist
Allein die Schuld, daß beinah' einen Zwist
Ich heute mit dem Vetter angefangen.
Warum verschwiegst Du, eh' ich fortgegangen,
Daß er mit seinem Zeichen hundert Franken
Dir heimgezahlt? Er schien mir's schlecht zu danken,
Daß ich zu ihm von meinen Wechseln sprach
– So mußt' ich glauben seiner Miene nach. –
Denn ihn daran zu mahnen, lag, beim Herrn
Und Himmelskönig, mir die Absicht fern.
Ich bitte, Frau, dergleichen thu' nicht mehr!
Erzähle mir bei jeder Wiederkehr,
Ob Dir ein Schuldner etwa unterdessen
Sein Geld bezahlt hat. – Solltest Du's vergessen,
Könnt' ich es leicht zum zweitenmal verlangen.«
Sein Weib jedoch blieb ohne Furcht und Bangen.
»Mein Zeugniß stell' ich« – sagte sie verwegen –
»Dem falschen Mönche, Dan Johann, entgegen.
Von seinem Zeichen hab' ich nichts gesehn.
Er gab mir Geld, das muß ich zugestehn.
– Daß ihm ins Maul das Donnerwetter schlage! –
Denn, weiß es Gott, ich dachte sonder Frage,
Er gäbe, seiner Freundschaft eingedenk,
Das Geld mir ehrenhalber zum Geschenk
Aus Vetterschaft, sowie für belle chère,
Die er bei uns genossen hat zeither.
Jetzt seh' ich, daß auf Irrthum es beruht;
Von mir die Antwort ist drum kurz und gut:
Saumsel'ge Schuldner hast Du mehr, als mich,
Doch abgetragen wird es sicherlich
Von Tag zu Tag, und sollt' es unterbleiben,
Kannst Deiner Frau Du es aufs Kerbholz schreiben.
Ich zahl' es Dir, sobald ich irgend kann;
Denn Alles wandt' ich, meiner Treu', schon an
Zu Schmuck und Putz. – Ich habe Nichts verschwendet,
Nein, Alles Dir zu Ehren nur verwendet.
Um Gottes willen, sei nicht böse weiter,
Nein, küsse mich und sei vergnügt und heiter,
Laß meinen frischen Leib Dir wohlbehagen,
Denn nur im Bette denk' ich's abzutragen.
Mein lieber, theurer Gatte, ach, vergieb,
Komm' dreh' Dich um und hab' mich wieder lieb!«
Der Kaufmann sah, ihm hülfe hier kein Schelten,
Und ließ als Thorheit eine Sache gelten,
Die für ihn unabänderlich erschien.
»Nun, liebe Frau,« – sprach er – »Dir sei verziehn!
Doch hüte Dich, willst Du nicht kläglich enden,
Mein Hab und Gut in Zukunft zu verschwenden.«
Und damit schließ' ich. – Aber Gott erfreue
Uns mit Geschichten lebenslang aufs Neue.
Der Prolog der Priorin.
Vers 6045–6062.
»Sehr gut erzählt, beim Corpus Domini!
Mein edler Schiffer!« – unser Gastwirth schrie. –
»Lang' lasse Gott die Küsten Dich befahren,
Doch eine Last von tausend schlimmen Jahren
Geb' er dem Mönch! – Aha, Gefährten, seht,
Welch eine Nase diesem Mann gedreht
Und seiner Frau. Beim heil'gen Augustin!
In Euer Haus sucht keinen Mönch zu ziehn!
Genug davon! Jetzt gilt es, auszuwählen,
Wen trifft zunächst die Reihe zum Erzählen
Aus unserm Kreise.« Und mit diesem Wort
Fuhr er so höflich wie ein Fräulein fort:
»Frau Priorin, wollt Ihr die Gunst uns schenken;
Und sollte mein Ersuchen Euch nicht kränken,
So möcht' ich wähnen, es sei angezeigt,
Daß Ihr erzählt, falls Ihr dazu geneigt.
Wollt Ihr Euch, edle Frau, dazu bequemen?«
»Recht gern!« – sprach sie und ließ sich so vernehmen.
Die Erzählung der Priorin.
Vers 6063–6300.
Herr, unser Herr! wie weithin ist gedrungen
Durch alle Lande auf dem Erdenrund
Dein heil'ger Name. Dir wird Lob gesungen
Von würd'gen Männern, und es macht der Mund
Der jungen Kinder Deine Güte kund.
Zu Deinem Preise lallt oft unbewußt
Bereits der Säugling an der Mutter Brust.
Drum sei, soweit mir Kraft dazu gegeben,
Erzählt die folgende Begebenheit,
Dich und die weiße Lilie zu erheben,
Die Dich gebar als unbefleckte Maid;
Mehrt auch mein Lob nicht ihre Herrlichkeit;
Denn sie ist nach dem Heiland, ihrem Sohne,
Der Güte Wurzel und der Ehre Krone.
O, Maid und Mutter! Flammenbusch des Moses,
Im Feuer lodernd, und doch unversehrt!
Du, der die Gottheit durch ein makelloses
Empfängniß ihren heil'gen Geist gewährt,
Wodurch des Vaters Weisheit Dir bescheert,
Als er erleuchtet Deine reine Seele;
O, helfe mir, daß ich Dein Lob erzähle!
O, Jungfrau, keiner Zunge kann gelingen,
Je Deine Demuth, Tugend und Geduld
Und Herrlichkeit und Güte zu besingen.
Oft kommst Du uns zuvor in Deiner Huld,
Noch eh' wir bitten, und Du führst aus Schuld
Durch Dein Gebet mit gütereichem Sinn
Zu Deinem lieben, theuren Sohn uns hin.
O, Segensherrin, wie soll mir es glücken,
Zu preisen Deine Würde, wie Gewalt?
Ich bin zu schwach. Mich wird die Last erdrücken,
Denn wie ein Kind, das kaum zwölf Monat' alt,
Anstatt zu sprechen, unverständlich lallt,
So geht es mir. Drum, bitt' ich Dich, gewähre
Mir Deinen Beistand, daß mein Lied Dich ehre!
In einer Stadt von christlichen Asiaten
Lag einst ein Judenviertel, welches zwar
Geduldet ward vom Landespotentaten
Aus Wucherei und Goldgier; doch es war
Verhaßt bei Gott und seiner Christen Schaar.
Man konnte durch die Gasse gehn und reiten,
Die offen war und frei nach beiden Seiten.
Zu einer kleinen Schule, die dort in der
Erwähnten Gasse ganz am Ende stand,
Ward Jahr für Jahr ein Haufen junger Kinder
Aus christlichem Geblüte hingesandt,
Und lernte dort, was Sitte war im Land,
Und das besagt: zu singen und zu lesen,
Wie stets bei Kindern dieses Brauch gewesen.
Zu dieser Schule pflegte, unter andern,
Auch einer Wittwe siebenjähr'ger Sohn
Als kleiner Zögling Tag für Tag zu wandern;
Und vor dem Bild der Jungfrau beugte schon,
Wenn er vorüber ging, mit Devotion
Der Knabe, wie man ihm gelehrt, das Knie,
Und betete: Gegrüßt sei'st Du, Marie.
Die theure Mutter Christi zu verehren,
War von der Wittwe schon ihm eingeprägt;
Und er vergaß es nicht, da frühe Lehren
Ein schlichtes Kind leicht zu behalten pflegt.
Jedoch in mir erwacht hierbei und regt
Sich an St. Niklaus die Erinnerung,
Der unsern Herrn gepriesen schon so jung.
Mit seinem ABCbuch saß fortwährend
Der Knabe in der Schule auf der Bank,
Wenn man, den Kindern die Response lehrend,
Daselbst das »Alma redemptoris« sang.
Er lauschte, näher rückend, oft und lang
Auf Worte, wie auf Noten eifrig hin,
Und rasch blieb ihm der erste Vers im Sinn.
Doch die Bedeutung war ihm noch verschlossen.
Er war zu jung, Lateinisch zu verstehn.
Drum bat er einstmals einen Schulgenossen
Auf seinen Knieen unter heißem Flehn,
Als Uebersetzer ihm zur Hand zu gehn,
Das Lied in seiner Mundart ihm zu lehren,
Und den Gebrauch desselben zu erklären.
Der Bursche, welcher älter war an Jahren
Als jener, sprach: »Die heil'ge Jungfrau preist
Man durch dies Lied, soweit ich es erfahren.
Es ist ein Gruß, doch ein Gebet zumeist,
Das hülfreich sich in Todesnoth erweist,
Doch viel versteh' ich nicht von diesen Dingen.
Ich lerne nicht Grammatik, sondern Singen.«
»Wie?« – frug die kleine Unschuld – »ist zum Preise
Der Mutter Christi dieses Lied gemacht?
Dann will ich Alles thun, mir Wort und Weise
Noch einzuprägen vor der heil'gen Nacht.
Ja, würde täglich dreimal eine Tracht
Von Prügeln mir beim ABC gegeben,
Ich lern' es doch, die Jungfrau zu erheben.«
Nun lehrte auf dem Schulweg alle Tage
Ihm sein Gefährte heimlich den Gesang,
Bis er die Worte nebst der Töne Lage
Wohl aufgefaßt, und es mit reinem Klang
Aus voller Kehle täglich zweimal sang,
Heim von der Schule und zur Schule hin;
Denn Christi Mutter lag ihm stets im Sinn.
Wie schon erwähnt ist, mußte nothgedrungen
Zur Schule durch das jüdische Quartier
Der Kleine gehn, und heiter ward gesungen
Von ihm auch »Alma redemptoris« hier.
Sein ganzes Herz war so erfüllt von ihr,
Daß unwillkürlich er den Weg entlang
Zur Mutter Christi betete und sang.
Der Urfeind, Satan, aber, diese Schlange,
Die sich zum Wespennest der Juden Herz
Erkoren hat, schwoll auf und sprach: »Wie lange,
Ebräer, duldet ihr den frechen Scherz,
Daß durch die Gassen auf- und niederwärts
Zu Eurem Hohn ein Bube solche Lieder
Zu singen wagt, die dem Gesetz zuwider?«
Den unschuldsvollen Knaben zu ermorden,
Verschwor die Judenschaft sich alsobald.
Es lag ein Mörder, der gedungen worden,
In einer Gasse schon im Hinterhalt.
Der Knabe kam.
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